Diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wurde einem Mann zum Verhängnis, der auf dem Weg zur Arbeit auf dem Bahnsteig einer S‑Bahn-Haltestelle auf den Zug wartete und plötzlich aus dem Stand umkippte und auf den Boden stürzte. Dabei zog er sich ein Schädel-Hirn-Trauma zu. Trotzdem kann er nicht auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hoffen.
Der zuständige Unfallversicherungsträger lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, weil ein Sturz aus dem Stand nicht die Voraussetzungen eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung erfülle. Es mangele an einer äußeren Ursache, die den Sturz verursacht habe.
Das Sozialgericht Stuttgart verneinte ebenfalls einen Arbeitsunfall und berief sich zur Begründung auf ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2015. Danach liegt ein Wegeunfall nur dann vor, wenn sich eine Gefahr verwirklicht hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt. Diese wiederum schützt nur gegen Gefahren, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Fußgänger oder Benutzer eines Verkehrsmittels, also aus eigenem oder fremdem Verkehrsverhalten oder aus äußeren Einflüssen durch die Beschaffenheit des Verkehrsraumes, hervorgehen. Das kann zum Beispiel ein Stolpern auf unebenem Boden oder Ausrutschen beim Gehen sein oder auch ein Sturz durch das Anrempeln anderer Personen. Solche äußeren Einwirkungen müssen konkret festgestellt sein.
Ungeklärte Umstände
Diese Voraussetzung sah das Gericht im Streitfall als nicht erfüllt an. Es stehe lediglich fest, dass sich der Kläger vor dem Sturz auf dem Bahnsteig befunden habe. Die genauen Umstände konnten aber mangels Zeugen und Unterlagen über das Geschehen nicht mehr aufgeklärt werden. Welche Faktoren zum Zeitpunkt des Sturzes und des Aufpralls auf den Bahnsteig auf den Kläger eingewirkt haben, konnte deshalb nicht mehr festgestellt werden. Damit fehle es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass sich durch das Unfallereignis ein Risiko verwirklicht hat, vor dem die Wegeunfallversicherung schützen wolle, begründete das Gericht seine Entscheidung. Man könne auch nicht aus der bloßen Tatsache, dass der Kläger auf dem Weg zur Arbeit war, schließen, dass sich eine Gefahr realisiert habe, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt.
Einen solchen „Wegebann“ kenne die gesetzliche Unfallversicherung nicht. Die Unaufklärbarkeit der weiteren Umstände des Sturzes gehe zu Lasten des Klägers.
(Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.01.2021, Az. S 1 U 953/20)