Die neue EU-Richtlinie verpflichtet Behörden sowie öffentliche und private Unternehmen, sichere Kanäle für die Meldung von Rechtsverstößen einzurichten. Ziel ist es, dass Hinweisgeber Verstöße gegen EU-Recht möglichst gefahrlos melden können.
Die Meldekanäle sind so einzurichten, dass Informationen mündlich oder schriftlich mitgeteilt werden können und gleichzeitig die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Betroffener gewahrt bleibt. Zudem soll eine Rückmeldung auf den Hinweis innerhalb von sieben Tagen erfolgen. Die Hinweisgeber sind verpflichtet, zunächst die internen Kanäle ihres Unternehmens oder ihrer Behörde zu nutzen, bevor sie auf externe Kanäle zurückgreifen. Aber auch dann, wenn sich die Whistleblower sofort an externe Stellen wenden, werden sie durch die neue Richtlinie geschützt.
Unter den persönlichen Schutzbereich der Richtlinie fallen insbesondere Angestellte und Beamte, aber zum Beispiel auch Praktikanten oder Mitarbeiter von Auftragnehmern. Die Richtlinie gilt unter anderem für:
- die öffentliche Auftragsvergabe
- Finanzdienstleistungen
- die Verhütung von Geldwäsche
- das Gesundheitswesen
- die Produkt- und Verkehrssicherheit
- den Verbraucherschutz
- den Datenschutz.
Verpflichtend werden die neuen Vorschriften allerdings nur für Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern sein. Ausnahmen hiervon können festgelegt werden. Ziel ist es, Hinweisgeber vor Repressalien zu schützen, etwa davor, suspendiert, herabgestuft oder eingeschüchtert zu werden. Auch ihre Unterstützer, etwa Kollegen und Angehörige, werden geschützt. Behörden und Unternehmen müssen des Weiteren innerhalb von drei Monaten auf Meldungen reagieren und diese weiterverfolgen. Für externe Kanäle kann diese Frist auf sechs Monate verlängert werden.
Die EU-Regelungen gelten nicht sofort. Sie müssen bis zum 17.12.2021 von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.
Und Whistleblower im Arbeitsschutz?
Der Schutz für Whistleblower in der Arbeitssicherheit ist bereits seit vielen Jahren im deutschen Arbeitsschutzgesetz geregelt, wobei die Regelungen hierzu ebenfalls auf europäischen Richtlinien zum Arbeitsschutz basieren. Nach Paragraf 17 des Arbeitsschutzgesetzes sind die Beschäftigten berechtigt, dem Arbeitgeber Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen. Sie können sich zudem in allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes an die zuständige Arbeitsschutzbehörde wenden und sich über den Arbeitgeber beschweren. Nachteile dürfen hieraus nicht erfolgen. Der Arbeitgeber darf einen Beschäftigten wegen seiner Beschwerde also nicht maßregeln, also etwa abmahnen, versetzen oder gar kündigen. Diese Vorschrift gilt für alle Betriebe und Unternehmen unabhängig von ihrer Größe oder der Anzahl ihrer Beschäftigten.
Für eine rechtmäßige Beschwerde gelten jedoch zwei wesentliche inhaltliche Voraussetzungen:
- Die Beschwerde muss auf konkreten Anhaltspunkten basieren, sie darf also nicht willkürlich sein.
- Zudem muss der Missstand zuvor innerbetrieblich angezeigt worden sein.
Der Arbeitgeber muss also die Gelegenheit bekommen, selbst Abhilfe zu schaffen. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, ist ein „Anschwärzen“ des Arbeitgebers gesetzeskonform.
Eine vorherige innerbetriebliche Anzeige ist jedoch nicht immer obligatorisch. Ist davon auszugehen, dass vom Arbeitgeber keine Abhilfe (mehr) zu erwarten ist, etwa wenn der Zustand offenkundig ist und seit längerer Zeit nichts unternommen wurde, oder hat der Arbeitgeber bereits auf die berechtigte Anzeige eines Kollegen nicht reagiert, ist eine innerbetriebliche Anzeige nicht notwendig. Gleiches gilt, wenn eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben der Beschäftigten besteht. Bei der Bewertung kommt es stets auf den Einzelfall an.
Auf die Anzeige eines Beschäftigten muss der Arbeitgeber unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, reagieren. In weniger gefährlichen Fällen darf der Arbeitgeber zunächst den Sachverhalt erforschen und die Berechtigung der Anzeige sorgfältig prüfen. Erfolgt keine oder keine adäquate Reaktion, kann der Beschäftigte den Arbeitgeber bei der Arbeitsschutzbehörde anschwärzen, ohne dass ihm arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen. Denn sein Verhalten steht dann im Einklang mit dem Arbeitsschutzgesetz.
Warum dürfen interne Sifas und Betriebsärzte nicht „anschwärzen“?
Für interne Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte ist weder ein Anzeigerecht noch ein Schweigerecht gesetzlich geregelt. Beide Funktionsträger haben nach dem Arbeitssicherheitsgesetz die Aufgabe, den Arbeitgeber fachkundig zu beraten, indem sie Arbeitsschutzverstöße melden und Abhilfemaßnahmen vorschlagen. Sie können ihre Aufgaben als betriebliche Arbeitsschutzexperten nur dann effektiv erfüllen, wenn der Arbeitgeber ihnen vertraut und nicht zögert, sie gerade auch bei Verstößen im Betrieb einzubinden. Dieses Vertrauen würde durch eine Beschwerdebefugnis bei der Aufsichtsbehörde in nicht vertretbarer Weise gefährdet. Daher wird ein Beschwerderecht für interne Sifas und Betriebsärzte grundsätzlich abgelehnt. Da der § 17 ArbSchG sich nur auf Beschäftigte im Betrieb des Arbeitgebers bezieht, fallen externe Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte nicht darunter. Diese befinden sich lediglich in einem Auftragsverhältnis. Aufgrund ihrer besonderen Vertrauenssituation könnte ein „Anschwärzen“ des sie beauftragenden Unternehmens aber gegen ihre Vertragspflichten verstoßen.
Bei den Sicherheitsbeauftragten hingegen handelt es sich um Beschäftigte, die als „verlängerter Arm des Arbeitgebers“ tätig sind, und den Arbeitgeber bei der Umsetzung des Arbeitsschutzes im Betrieb unterstützen. Für sie gilt wie für alle anderen Beschäftigten auch das gesetzlich verbriefte Beschwerderecht. Im Gegensatz zu den Arbeitsschutzberatern setzt ihre Tätigkeit auch nicht zwingend ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber voraus. Daher gibt es keine Beschränkung ihres Beschwerderechts.
Fazit
Die EU will erreichen, dass Hinweisgeber den Mut haben, überall in der EU Fehlverhalten und Rechtsverstöße zu melden. Niemand soll Gefahr laufen, durch das Aufdecken von illegalen Machenschaften sein Ansehen oder seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Das gleiche Ziel soll auch mit dem Beschwerderecht im Arbeitsschutzgesetz erreicht werden. Geregelt ist auch hier, dass der Arbeitgeber oder die Arbeitsschutzbehörde möglichst zeitnah auf die Missstände reagieren müssen. Allerdings ist – anderes als in der EU-Richtlinie – der besondere Schutz von Whistleblowern nicht von der Größe des Betriebes abhängig. Dies hängt mit der herausragenden Bedeutung des Gesundheitsschutzes für die Beschäftigten zusammen.
Kernpunkt der neuen EU-Richtlinie ist die Einrichtung von sicheren Kanälen für die Meldung von Fehlverhalten. Eine derartige Verpflichtung enthält das Arbeitsschutzgesetz hingegen nicht. Allerdings wird die neue EU-Richtlinie spätestens ab Ende 2021 auch für den Arbeitsschutz relevant sein. Dann müssen größere Betriebe und Kommunen sichere Kommunikationskanäle unter anderem für die Beschwerden von Beschäftigten einrichten. Über diese Kanäle können dann auch Missstände im Bereich der Arbeitssicherheit mitgeteilt werden.