Externe Sicherheitsfachkräfte in Österreich genießen – im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen1 – das Haftungsprivileg gemäß Sozialversicherungsrecht. Denn sie sind – um im Jargon der Heiratsbündnisse zu bleiben – in Österreich enger mit dem Unternehmen verbandelt als in Deutschland. Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) jedenfalls sieht sie als „Betriebsaufseher“, deren Beratung „de facto der Charakter einer Weisung“ zukomme.
Rechtslage in Deutschland
Wer in Deutschland
- mit dem Geschädigten im selben Betrieb tätig (§ 105 SGB VII), also „intern“ ist, oder
- zwar extern, aber mit dem Geschädigten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig ist (§ 106 Abs. 3 SGB VII),
genießt das sogenannte „Haftungsprivileg“:
- Erstens ist die Schadensersatzhaftung der Arbeitnehmer gegenüber den (geschädigten) Kollegen auf Vorsatz beschränkt (§ 105 SGB VII).
- Zweitens ist der Rückgriff der Unfallversicherungsträger auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt (§ 110 SGB VII, siehe Kasten folgende Seite).
Externe Dienstleister sind nicht haftungsprivilegiert. Das OLG Nürnberg2 hat das mit der Verurteilung einer externen Fachkraft für Arbeitssicherheit nach einem Unfall eines Beschäftigten an einer unsicheren Pappkartonstanze eindrucksvoll gezeigt.3 Externe Beauftragte können nach (Beratungs-)Fehlern schon bei einfacher Fahrlässigkeit haften:
- gegenüber dem beauftragenden Unternehmen als Vertragspartner (§ 280 BGB),
- gegenüber den Betriebsangehörigen des zu beauftragenden und zu beratenden Unternehmens (§ 280 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen über Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter4),
- gegenüber allen weiteren Personen
(§ 823 BGB) und
- gegenüber den Unfallversicherungsträgern (§ 116 SGB X5, siehe Kasten folgende Seite).
Rechtslage in Österreich
In Österreich hat der Oberste Gerichtshof (OGH)6 das Haftungsprivileg auf externe Sicherheitsfachkräfte erstreckt.
- Klägerin war die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), die nach einem Arbeitsunfall einem Hilfsarbeiter eine Rente zahlen musste.
- Beklagter war die für das Unternehmen tätige externe Sicherheitsfachkraft, die sich im Dienstvertrag zur „Durchführung von Beratungs- und Betreuungstätigkeiten als externe Sicherheitsfachkraft gemäß ASchG“ verpflichtet hatte.
Der Arbeitnehmer verletzte sich an einer (erst wenige Monate zuvor in Betrieb genommenen7 und technisch anscheinend konformen8) Umlauffertigungsanlage zur Produktion von größeren Betonplatten; er war nicht ausreichend unterwiesen. Der OGH wies die Klage der AUVA ab.
ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG)
§ 76 ASchG regelt – ähnlich dem deutschen Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) – eine Beratungs- und Unterstützungsfunktion:
- „Sicherheitsfachkräfte haben die Aufgabe, die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, die Sicherheitsvertrauenspersonen und die Belegschaftsorgane auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit zu beraten und die Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Pflichten auf diesen Gebieten zu unterstützen“ (Absatz 1).
- Arbeitgeber haben die Sicherheitsfachkräfte in allen Fragen der Arbeitssicherheit einschließlich der Unfallverhütung „hinzuzuziehen“ (Absatz 3).
- Arbeitgeber „haben dafür zu sorgen, dass die Sicherheitsfachkräfte die Arbeitnehmer und die Sicherheitsvertrauenspersonen beraten“ (Absatz 4 Nr. 2).
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG)
Aber die Rechtsvorschriften über das Haftungsprivileg sind anders formuliert als in Deutschland: § 333 ASVG über die „Einschränkung der Schadenersatzpflicht des Dienstgebers gegenüber dem Dienstnehmer bei Arbeitsunfällen“ lautet:
- „Der Dienstgeber ist dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalles entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hat“ (Absatz 1).
- Absatz 1 gilt „auch für Ersatzansprüche Versicherter gegen gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter des Unternehmers und gegen Aufseher im Betrieb“ (Absatz 4).
Ähnlich dem deutschen § 110 SGB VII regelt dann § 334 Abs. 1 ASVG: „Hat der Dienstgeber oder ein ihm gemäß § 333 Abs. 4 Gleichgestellter den Arbeitsunfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht, so hat er den Trägern der Sozialversicherung alle zu gewährenden Leistungen zu ersetzen.“
Das Urteil des OGH
Das Haftungsprivileg für „Aufseher im Betrieb“ gemäß § 333 Abs. 4 ASVG erstreckt der OGH in seinem Urteil aus 2012 auf externe Sicherheitsfachkräfte. Zunächst zitiert der OGH zwar § 89 Abs. 3 ASchG: Die „Bestellung von Präventivfachkräften enthebt die Arbeitgeber nicht von ihrer Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften. Den Präventivfachkräften kann die Verantwortlichkeit für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht rechtswirksam übertragen werden“.
Aber dann ergänzt das Gericht: „Sicherheitsfachkräfte haben gemäß § 76 Abs. 1 ASchG die Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Pflichten zu unterstützen. Sicherheitsfachkräfte üben damit sehr wohl Tätigkeiten aus, die der Erfüllung von Arbeitgeberpflichten dienen, und üben so Arbeitgeberfunktionen aus; sie sind gewissermaßen Gehilfen der Arbeitgeber bei Erfüllung von deren Pflichten gegenüber den Arbeitnehmern im Bereich der Arbeitssicherheit. Mag das Gesetz zwar nicht formell von einer Weisungsbefugnis der Sicherheitsfachkräfte gegenüber den Arbeitnehmern sprechen, so haben doch die Sicherheitsfachkräfte die Aufgabe, unter anderem die Arbeitnehmer auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit zu beraten. Die Arbeitgeber haben dafür zu sorgen, dass die Sicherheitsfachkräfte die Arbeitnehmer beraten. Diese Beratung hätte keinen Sinn, wenn sie für die Arbeitnehmer völlig unverbindlich wäre, weil dann ihr Zweck, nämlich die Gewährleistung der Arbeitssicherheit, nicht erreicht werden könnte. Ein Arbeitnehmer, der sich um eine diesbezügliche Beratung im Sinn eines Hinweises auf eine einzuhaltende Sicherheitsmaßnahme nicht kümmert, müsste zumindest mit einer Mitteilung an den Arbeitgeber rechnen. Insofern kommt der ‚Beratung‘ durch die Sicherheitsfachkräfte de facto der Charakter einer Weisung zu.“
Damit haftet die Sicherheitsfachkraft – wegen der Geltung des Privilegs (§ 333 Abs. 4 ASVG) – gemäß § 334 Abs. 1 ASVG nur bei grober Fahrlässigkeit. Aber eine grobe Fahrlässigkeit kann der OGH im konkreten Fall nicht erkennen: „Zum angeblichen Verstoß der Sicherheitsfachkraft gegen § 14 ASchG (Unterweisung der Arbeitnehmer) ist anzumerken, dass die Pflicht zur Unterweisung beim Werkmeister lag.“ Eine Pflicht der Sicherheitsfachkraft ergibt sich „weder aus ihrem Vertrag mit dem Unternehmen noch aus der Aufgabenumschreibung für Sicherheitsfachkräfte gemäß § 76 ASchG“.
Zusammenfassung und Kommentar
Der OGH fasst zusammen, „dass dem Beklagten als (externer) Sicherheitsfachkraft das Haftungsprivileg zugutekommt. Mangels grober Fahrlässigkeit haftet er den klagenden Sozialversicherungsträgern nicht“.
Wirklich konsequent ist das nicht: Wenn einerseits die Beratung der Sicherheitsfachkraft generell „de facto den Charakter einer Weisung“ hat, kann bei der konkreten Einschätzung des Geschehens nicht plötzlich wieder der Werkmeister als eigentlich Verpflichteter betont werden und zum Verantwortungsumfang der Sicherheitsfachkraft auf den einschränkenden Aufgabenkatalog des § 76 ASchG abgestellt werden, der nur von Beratung und Unterstützung spricht. Es müsste sich die Funktion der Sicherheitsfachkraft als „Betriebsaufseher“ auch auf die Unterweisung beziehen, die „Anweisungen umfasst“. Die völlige Nichtumsetzung von Sicherheitspflichten kann ein Indiz für grobe Fahrlässigkeit sein.
Der Schluss von der Unterstützungspflicht auf die „Erfüllung von Arbeitgeberpflichten“, dann – „gewissermaßen als Gehilfen“ – auf die „Ausübung von Arbeitgeberfunktionen“, dann schließlich darauf, dass die Beratung nicht „völlig unverbindlich sein kann“, sondern „de facto eine Weisung“ ist, wäre in Deutschland eher nicht konsensfähig.
Dieses Ergebnis ist wohl vom Wunsch des österreichischen OGH getrieben, die externen Sicherheitsfachkräfte nicht schon bei einfacher, sondern erst bei grober Fahrlässigkeit haften zu lassen. In Deutschland gibt es zum (nicht bestehenden) Haftungsprivileg für Fachkräfte für Arbeitssicherheit bisher nur das Urteil des OLG Nürnberg. Das letzte Wort muss das nicht sein.
1 Allgemein siehe Wilrich, Sicherheitsverantwortung: Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung – mit 25 erläuterten Gerichtsurteilen (2016).
2 OLG Nürnberg, Urteil v. 17.6.2014 (Az. 4 U 1706/12).
3 Siehe hierzu Wilrich, Praxisleitfaden Betriebssicherheitsverordnung (2015), Fall 14, S. 297 ff. – und den Aufsatz „Aufgewacht, Fachkraft für Arbeitssicherheit! Was uns das Urteil des OLG Nürnberg zum Unfall an der Pappkartonstanze über die Verantwortung eines jeden Dienstleisters lehrt“, in: Sicherheitsingenieur Heft 2/2016.
4 Diese – sehr komplizierten – Grundsätze der Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sind genauer erläutert in der Besprechung des „Unfalls an der Pappkartonstanze“ (siehe Fußnote 3).
5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch über „Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz“.
6 Urteil vom 14. Februar 2012 (Geschäftszeichen 2 Ob 174/11v).
7 Ansonsten siehe Wilrich, Bestandsschutz oder Nachrüstungspflicht? Betreiberverantwortung und Sicherheit bei Altanlagen – mit 25 Gerichtsurteilen (2018).
8 Ansonsten siehe Wilrich, Die rechtliche Bedeutung technischer Normen als Sicherheitsmaßstab – mit 33 Gerichtsurteilen zu anerkannten Regeln und Stand der Technik, Produktsicherheitsrecht und Verkehrssicherungspflichten (2017).
Auszug aus dem 7. Sozialgesetzbuch über die Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)
- § 105 Abs. 1 regelt die Haftungsfreistellung der Betriebsangehörigen nach Versicherungsfällen („Haftungsprivileg“): „Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, sind … nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich … herbeigeführt haben“.
- § 106 Abs. 3 erstreckt die Haftungsfreistellung auf Personen, die auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig sind: „Verrichten Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte, gelten die §§ 104 und 105 für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen Tätigen untereinander“.
- § 110 Abs. 1 regelt den Rückgriff der Berufsgenossenschaften bei den Verantwortlichen: „Haben Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 beschränkt ist, den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, haften sie den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs“.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch
- § 276 Verantwortlichkeit des Schuldners – Abs. 1: „Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten …“, und Abs. 2: „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt“.
- § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung – Abs. 1: „Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat“.
- § 823 Schadensersatzpflicht – Abs. 1: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet“.
Autor: Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen,
Professor für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, Unternehmensorganisationsrecht und Recht für Ingenieure