Fahrradleasing-Modelle liegen im Trend. Dabei leasen Arbeitgeber Fahrräder und überlassen sie im Wege der Barlohnumwandlung an die Beschäftigten zur privaten Nutzung einschließlich des Arbeitswegs. Kommt es dann zum Unfall, stellt sich die Frage, ob der gesetzliche Unfallversicherungsschutz im Einzelfall greift, wenn das JobRad außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit und des Arbeitsweges genutzt wurde. Über einen derartigen Sachverhalt hatte kürzlich das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zu entscheiden (L 1 U 779/21) – mit einer überraschenden Wertung.
Angebot eines JobRad-Modells
Die Klägerin ist als Küchenhilfe beschäftigt und bei der beklagten Berufsgenossenschaft gesetzlich unfallversichert. Sie wohnt etwa vier Kilometer von ihrer Arbeitsstätte entfernt. Ihr Arbeitgeber hatte seiner Belegschaft ein „JobRad-Modell“ angeboten. Es sollte der Verbesserung und Förderung der Gesundheit der Beschäftigten dienen und die angespannte Parkplatzsituation auf dem Betriebsgelände verbessern. In seinen Leasingverträgen mit dem externen JobRad-Anbieter buchte der Arbeitgeber auch eine besondere, alljährliche Wartung. Sodann verpflichtete er die Beschäftigten, die an dem „JobRad-Modell“ teilnahmen, ausdrücklich zur Durchführung der Jahreswartung. Auch die Klägerin hatte der Arbeitgeber ausdrücklich per E‑Mail an diese Wartung erinnert und ihr zugleich die Werkstatt und die Modalitäten zur Bezahlung der Wartung vorgegeben.
Wegeunfall vom angeordneten Werkstattbesuch nach Hause
Nach Abholung des gewarteten JobRads verunglückte die Klägerin auf dem Rückweg von der Werkstatt nach Hause. Der Fahrer eines am Straßenrand parkenden Pkw hatte die Autotür geöffnet, ohne auf den Verkehr zu achten. Die Klägerin stieß gegen die Tür und stürzte. Sie wurde mit dem Rettungswagen in die Klinik verbracht und dort drei Tage stationär behandelt. Sie erlitt erhebliche Verletzungen am linken Knie, woraufhin sie die beklagte Berufsgenossenschaft in Anspruch nahm. Diese lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil nach ihrer Auffassung die Abholung des Rades eine privatnützige Tätigkeit gewesen sei. Das Sozialgericht Ulm gab der Berufsgenossenschaft recht und wies die Klage der Arbeitnehmerin im Januar 2021 ab. Gegen dieses Urteil legte sie Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg ein.
Unfall mit JobRad als versicherter Wegeunfall
Das LSG sah die Klage als begründet an und wertete den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall. Der Sturz der Klägerin stelle sich als versicherter Wegeunfall dar. Zwar sei die Nutzung eines JobRads im Grundsatz privatnützig motiviert, auch wenn der Arbeitgeber generell von solchen Modellen profitiere. Der Arbeitgeber habe aber mit der jährlichen Wartung eine zusätzliche Pflicht gegenüber dem Leasinggeber freiwillig übernommen und auf die Klägerin übertragen. Die Jahreswartung stelle ausnahmsweise eine (auch) betriebsbezogene Verrichtung dar, jedenfalls nach Ansicht der Richterinnen und Richter eine Verrichtung mit „gemischter Motivationslage“, bei welcher der Betriebsbezug der Tätigkeit die privaten Interessen der Arbeitnehmerin überwiege.
Vertragliche Verpflichtung mit Bezug zu ihrem Arbeitsverhältnis
Ausgangspunkt der Bewertung des LSG war folglich, dass die Klägerin mit der Wartung des Fahrrades eine vertragliche Verpflichtung mit Bezug zu ihrem Arbeitsverhältnis erfüllte. Zwar habe die Wartung nicht innerhalb der regulären Arbeitszeit stattgefunden. Der Betriebsbezug ergebe sich aber aus der E‑Mail des Arbeitgebers mit der Aufforderung zur Durchführung zur Wartung und der konkreten Vorgabe, bei welcher Werkstatt dies zu erfolgen habe. Dass der Betriebsgang zu der Werkstatt und die Abholung des Rades als betriebliche Verrichtung außerhalb der „formellen“ Arbeitszeit geschahen, habe auf die Beurteilung keinen Einfluss. Der Arbeitgeber habe die Klägerin als Erfüllungsgehilfin eigener Verpflichtungen eingesetzt. Als der Unfall geschah, habe sich die Klägerin – bei wertender Betrachtung – auf dem versicherten (direkten) Heimweg von der Arbeitsstätte nach Hause befunden.
Besteht Unfallversicherungsschutz bei einem Unfall mit JobRad?
Aus der Entscheidung lässt sich nicht allgemein ableiten, dass für die Nutzung eines JobRads umfassender Unfallversicherungsschutz besteht. Das LSG hat in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich hervorgehoben, die Frage des Versicherungsschutzes der Klägerin allein nach wertender Betrachtung für einen Ausnahmefall (aufgrund der besonderen Vorgaben für die Jahreswartung) entschieden zu haben. Denn fraglich ist, in welchem Umfang der Arbeitgeber durch die Gestaltung von Nebenpflichten zu einem Arbeitsvertrag (wie hier die Verpflichtung zur Wartung) den Unfallversicherungsschutz eines Beschäftigten begründen oder erweitern kann. Das Gericht hat klargestellt, dass es mit seiner Entscheidung die von der Rechtsprechung hierbei bislang eher restriktiv gezogene Linie ausgedehnt hat. Deswegen hat es – konsequenterweise – die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen. Dessen Position zu dieser Rechtsfrage darf mit Neugier erwartet werden.
Matthias Klagge
„Ohne Sicherheit ist keine Freiheit!” (Humboldt)