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Sturz mit JobRad als Arbeitsunfall?

LSG Baden-Württemberg – Urteil vom 21.10.2021
Sturz mit JobRad als Arbeitsunfall?

Sturz mit JobRad als Arbeitsunfall?
© David.Sch - stock.adobe.com
Rechtsanwalt Matthias Klagge

Fahrradleas­ing-Mod­elle liegen im Trend. Dabei leasen Arbeit­ge­ber Fahrräder und über­lassen sie im Wege der Bar­lohnumwand­lung an die Beschäftigten zur pri­vat­en Nutzung ein­schließlich des Arbeitswegs. Kommt es dann zum Unfall, stellt sich die Frage, ob der geset­zliche Unfal­lver­sicherungss­chutz im Einzelfall greift, wenn das JobRad außer­halb der eigentlichen Arbeit­szeit und des Arbeitsweges genutzt wurde. Über einen der­ar­ti­gen Sachver­halt hat­te kür­zlich das Lan­dessozial­gericht (LSG) Baden-Würt­tem­berg zu entschei­den (L 1 U 779/21) – mit ein­er über­raschen­den Wertung.

Angebot eines JobRad-Modells

Die Klägerin ist als Küchen­hil­fe beschäftigt und bei der beklagten Beruf­sgenossen­schaft geset­zlich unfal­lver­sichert. Sie wohnt etwa vier Kilo­me­ter von ihrer Arbeitsstätte ent­fer­nt. Ihr Arbeit­ge­ber hat­te sein­er Belegschaft ein „JobRad-Mod­ell“ ange­boten. Es sollte der Verbesserung und Förderung der Gesund­heit der Beschäftigten dienen und die anges­pan­nte Park­platzsi­t­u­a­tion auf dem Betrieb­s­gelände verbessern. In seinen Leas­ingverträ­gen mit dem exter­nen JobRad-Anbi­eter buchte der Arbeit­ge­ber auch eine beson­dere, alljährliche Wartung. Sodann verpflichtete er die Beschäftigten, die an dem „JobRad-Mod­ell“ teil­nah­men, aus­drück­lich zur Durch­führung der Jahreswartung. Auch die Klägerin hat­te der Arbeit­ge­ber aus­drück­lich per E‑Mail an diese Wartung erin­nert und ihr zugle­ich die Werk­statt und die Modal­itäten zur Bezahlung der Wartung vorgegeben.

Wegeunfall vom angeordneten Werkstattbesuch nach Hause

Nach Abhol­ung des gewarteten JobRads verunglück­te die Klägerin auf dem Rück­weg von der Werk­statt nach Hause. Der Fahrer eines am Straßen­rand park­enden Pkw hat­te die Autotür geöffnet, ohne auf den Verkehr zu acht­en. Die Klägerin stieß gegen die Tür und stürzte. Sie wurde mit dem Ret­tungswa­gen in die Klinik ver­bracht und dort drei Tage sta­tionär behan­delt. Sie erlitt erhe­bliche Ver­let­zun­gen am linken Knie, woraufhin sie die beklagte Beruf­sgenossen­schaft in Anspruch nahm. Diese lehnte die Anerken­nung eines Arbeit­sun­falls ab, weil nach ihrer Auf­fas­sung die Abhol­ung des Rades eine pri­vat­nützige Tätigkeit gewe­sen sei. Das Sozial­gericht Ulm gab der Beruf­sgenossen­schaft recht und wies die Klage der Arbeit­nehmerin im Jan­u­ar 2021 ab. Gegen dieses Urteil legte sie Beru­fung zum Lan­dessozial­gericht Baden-Würt­tem­berg ein.

Unfall mit JobRad als versicherter Wegeunfall

Das LSG sah die Klage als begrün­det an und wertete den Unfall der Klägerin als Arbeit­sun­fall. Der Sturz der Klägerin stelle sich als ver­sichert­er Wege­un­fall dar. Zwar sei die Nutzung eines JobRads im Grund­satz pri­vat­nützig motiviert, auch wenn der Arbeit­ge­ber generell von solchen Mod­ellen prof­i­tiere. Der Arbeit­ge­ber habe aber mit der jährlichen Wartung eine zusät­zliche Pflicht gegenüber dem Leas­ingge­ber frei­willig über­nom­men und auf die Klägerin über­tra­gen. Die Jahreswartung stelle aus­nahm­sweise eine (auch) betrieb­s­be­zo­gene Ver­rich­tung dar, jeden­falls nach Ansicht der Rich­terin­nen und Richter eine Ver­rich­tung mit „gemis­chter Moti­va­tion­slage“, bei welch­er der Betrieb­s­bezug der Tätigkeit die pri­vat­en Inter­essen der Arbeit­nehmerin überwiege.

Vertragliche Verpflichtung mit Bezug zu ihrem Arbeitsverhältnis

Aus­gangspunkt der Bew­er­tung des LSG war fol­glich, dass die Klägerin mit der Wartung des Fahrrades eine ver­tragliche Verpflich­tung mit Bezug zu ihrem Arbeitsver­hält­nis erfüllte. Zwar habe die Wartung nicht inner­halb der reg­ulären Arbeit­szeit stattge­fun­den. Der Betrieb­s­bezug ergebe sich aber aus der E‑Mail des Arbeit­ge­bers mit der Auf­forderung zur Durch­führung zur Wartung und der konkreten Vor­gabe, bei welch­er Werk­statt dies zu erfol­gen habe. Dass der Betrieb­s­gang zu der Werk­statt und die Abhol­ung des Rades als betriebliche Ver­rich­tung außer­halb der „formellen“ Arbeit­szeit gescha­hen, habe auf die Beurteilung keinen Ein­fluss. Der Arbeit­ge­ber habe die Klägerin als Erfül­lungs­ge­hil­fin eigen­er Verpflich­tun­gen einge­set­zt. Als der Unfall geschah, habe sich die Klägerin – bei wer­tender Betra­ch­tung – auf dem ver­sicherten (direk­ten) Heimweg von der Arbeitsstätte nach Hause befunden.

Besteht Unfallversicherungsschutz bei einem Unfall mit JobRad?

Aus der Entschei­dung lässt sich nicht all­ge­mein ableit­en, dass für die Nutzung eines JobRads umfassender Unfal­lver­sicherungss­chutz beste­ht. Das LSG hat in sein­er Urteils­be­grün­dung aus­drück­lich her­vorge­hoben, die Frage des Ver­sicherungss­chutzes der Klägerin allein nach wer­tender Betra­ch­tung für einen Aus­nah­me­fall (auf­grund der beson­deren Vor­gaben für die Jahreswartung) entsch­ieden zu haben. Denn fraglich ist, in welchem Umfang der Arbeit­ge­ber durch die Gestal­tung von Nebenpflicht­en zu einem Arbeitsver­trag (wie hier die Verpflich­tung zur Wartung) den Unfal­lver­sicherungss­chutz eines Beschäftigten begrün­den oder erweit­ern kann. Das Gericht hat klargestellt, dass es mit sein­er Entschei­dung die von der Recht­sprechung hier­bei bis­lang eher restrik­tiv gezo­gene Lin­ie aus­gedehnt hat. Deswe­gen hat es – kon­se­quenter­weise – die Revi­sion zum Bun­dessozial­gericht zuge­lassen. Dessen Posi­tion zu dieser Rechts­frage darf mit Neugi­er erwartet werden.

Matthias Klagge

„Ohne Sicher­heit ist keine Frei­heit!” (Hum­boldt)

Matthias Klagge (Foto: privat)
Matthias Klagge, LL.M., ist Recht­san­walt bei TIGGES Recht­san­wälte in Düs­sel­dorf. Er berät im Arbeit­srecht mit Schw­er­punk­ten im Arbeitss­chutz- und Arbeitsstrafrecht. Herr Klagge ist ehe­ma­liger Staat­san­walt und Lehrbeauf­tragter an der Fach­hochschule für öffentliche Ver­wal­tung in Köln.
 
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