Anders als im privaten Schadenersatzrecht setzt die Verletztenrente nicht voraus, dass durch den Versicherungsfall ein konkret nachweisbarer wirtschaftlicher Schaden verursacht wurde. Vielmehr soll die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung den durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit bedingten Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens ausgleichen. Entschädigt wird also abstrakt die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), unabhängig davon, ob eine konkrete Minderung des Erwerbseinkommens eingetreten ist. Die MdE orientiert sich daher an der Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und nicht an der zuletzt ausgeübten Tätigkeit.
Späteres Einkommen nicht maßgeblich
Verglichen wird also die Leistungsfähigkeit vor und nach dem Versicherungsfall mit seinen gesundheitlichen Folgen. Eine MdE kann deshalb auch dann vorliegen, wenn der Versicherte nach dem Unfall keinen Einkommensverlust hat oder gar nach einer Umschulung mehr verdient als vorher. Maßgebend ist ausschließlich, dass körperliche, seelische oder geistige Folgen zurückgeblieben sind, die durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit verursacht wurden. Der Grad der MdE wird in Prozent angegeben und anhand ärztlicher Gutachten vom Unfallversicherungsträger eingeschätzt.
Höhe der Rentenzahlungen
Die Höhe der Rente richtet sich neben dem Grad der MdE auch nach dem Jahresarbeitsverdienst. Dieser errechnet sich aus dem Gesamtbetrag des Einkommens in den zwölf Kalendermonaten vor dem Versicherungsfall. Das Gesetz sieht jedoch eine Mindest- und eine Obergrenze vor. Bei vollständigem Verlust der Erwerbsfähigkeit wird eine Vollrente geleistet. Diese beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer teilweisen MdE wird eine Teilrente gezahlt, die dem Grad der MdE entspricht. Bei einer um 20 Prozent geminderten Erwerbsfähigkeit beispielsweise werden 20 Prozent der Vollrente geleistet. Die Rente wird in der Regel zunächst befristet gezahlt. Oftmals bessern sich die Unfallfolgen noch, sodass die Erwerbsfähigkeit nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr so stark eingeschränkt ist, dass sie eine Rente rechtfertigt. Bestehen die Einschränkungen dauerhaft, besteht auch der Rentenanspruch dauerhaft. Dies gilt unabhängig von Berufstätigkeit und Alter des Versicherten. Die Renten werden jährlich entsprechend der Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst. Verschlimmern sich die Unfallfolgen später, wird die Rente erhöht.
MdE zu hoch angesetzt
Dass trotz Verschlimmerung kein Anspruch auf eine Rentenerhöhung besteht, wenn die BG vorher versehentlich eine zu hohe Rente bewilligt hatte, hat das Bundessozialgericht in einem aktuellen Urteil entschieden. Der Kläger erhielt wegen eines als Berufskrankheit anerkannten Meniskusschadens eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE von 30 Prozent. Nach einer Implantation einer Kniegelenksprothese verlangte er von der beklagten BG eine Erhöhung seiner Rente, weil sich sein Leiden durch den Eingriff verschlimmert habe. Dies lehnte die BG unter Hinweis auf die Expertise ihres Beratungsarztes jedoch ab, der die MdE weiterhin mit 30 Prozent bewertete. Zwar sei eine Verschlimmerung eingetreten, jedoch sei die MdE bei der letzten Rentenbewilligung um 10 Prozent zu hoch festgesetzt worden. Deshalb sei weiterhin von einer MdE von 30 Prozent auszugehen.
Klageweg durch die Instanzen
Mit seiner dagegen gerichteten Klage war der Erkrankte sowohl vor dem Sozialgericht als auch vor dem Landessozialgericht (LSG) erfolgreich. Die beklagte BG wurde zur Gewährung einer Rente nach einer MdE von 40 Prozent verurteilt, weil nach der orthopädischen Begutachtung eine Verschlimmerung eingetreten sei. Beide Gerichte stellten zwar nicht in Abrede, dass die ursprüngliche Bewertung der Berufskrankheiten-Folge mit 30 Prozent zu hoch gewesen sei, sahen die BG jedoch an ihre damalige Entscheidung gebunden. Aufgrund der nun eingetretenen Verschlimmerung habe der Kläger Anspruch auf eine Rente nach einer MdE von 40 Prozent. Das Bundessozialgericht bewertete die Sache anders und sprach dem Versicherten die Rentenerhöhung wieder ab. Denn dass eine wegen einer zu hoch eingeschätzten MdE der Berufskrankheitenfolgen ursprünglich fehlerhaft zu hohe Verletztenrente zusätzlich zu erhöhen ist, obwohl die Verschlimmerung der Berufskrankheitenfolgen bei der Neubewertung einen Anspruch lediglich auf eine Verletztenrente in Höhe der ursprünglich bewilligten Verletztenrente begründet, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen (Urteil des Bundessozialgerichts vom 08.12.2021, Az. B 2 U 10/20 R).
Verletztenrente für Flussfischer
Eine einmal gewährte Rente kann unter Umständen wieder entzogen werden, wenn sich später herausstellt, dass der anerkannte Gesundheitsschaden gar keine Folge des Arbeitsunfalls war. So erging es einem Berufsfischer in einem vom LSG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall. Der Kläger war als Flussfischer tätig und hatte sich beim Reinigen der Fischernetze in Gummistiefeln eine Blase am Fuß zugezogen. Er öffnete sie und klebte ein Pflaster darauf. Die Wunde entzündete sich so stark, dass der Mann ins Krankenhaus musste. Dort wurde eine Diabetes-Erkrankung diagnostiziert, die sich bis dahin nicht bemerkbar gemacht hatte. In der Folge weitete sich die Entzündung am Fuß aus, bis schließlich ein Teil des Fußes amputiert werden musste.
Rentenentzug statt Erhöhung
Die BG erkannte den Vorfall mit all seinen Folgen als Arbeitsunfall an und gewährte eine Verletztenrente. Nachdem der Kläger Jahre später eine Verschlimmerung geltend machte, ließ die BG ihn erneut ärztlich untersuchen. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass die Blase am Fuß lediglich der (austauschbare) Auslöser der schwerwiegenden Folgen gewesen sei, unter denen der Fischer in der Folge litt. Eine ähnliche, alltäglich vorkommende Verletzung am Fuß hätte in Anbetracht der Diabetes-Erkrankung zu einem vergleichbaren Verlauf geführt. Daraufhin entzog die BG dem Mann die Verletztenrente. Das LSG bestätigte die Entscheidung. Eine Blase am Fuß führe nicht zu einer schwerwiegenden Weichteilinfektion. Ursächlich hierfür sei vielmehr die Diabetes-Erkrankung gewesen. Eine Blase komme mit großer Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung vor und heile in fast 100 Prozent der Fälle innerhalb kurzer Zeit folgenlos ab. Komme es infolge einer Blase zu ernsten Komplikationen, liege die wesentliche Ursache hierfür in einer anderen Schadensanlage, hier der Diabetes-Erkrankung (Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 16.03.2022, Az. L 3 U 58/20).