Wird dieselbe Strecke zurückgelegt, greift Versicherungsschutz
Der Fußweg zur Straßenbahnhaltestelle ist auch dann unfallversichert, wenn der Versicherte den begonnenen Heimweg aus privaten Gründen unterbricht und mit der Straßenbahn wieder fortsetzt. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich bei dem Fußweg um dieselbe Strecke handelt, die auch die Straßenbahn zurücklegt. Dies entschied das BSG im ersten Fall (Az. B 2 U 16/20 R) und stärkte damit den Versicherungsschutz nach einer Unterbrechung des Heimwegs.
Geklagt hatte der Lebenspartner eines inzwischen verstorbenen Zugbegleiters, der am Unfalltag nach der Arbeit mit der Straßenbahn nach Hause fahren wollte. Er unterbrach die Fahrt, um zu Fuß bei seiner Hausärztin ein Rezept abzuholen. Auf dem Weg von der Arztpraxis zur nächstgelegenen Straßenbahnhaltestelle wurde er beim Überqueren der Straße von einem Auto erfasst und erheblich verletzt.
Der zuständige Unfallversicherungsträger lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, weil der Mann seinen Heimweg wegen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit unterbrochen habe. Diese Unterbrechung sei zum Unfallzeitpunkt noch nicht beendet gewesen, da der Versicherte die Straßenbahnhaltestelle noch nicht wieder erreicht hatte.
Erfolg in drei Instanzen
Die dagegen gerichtete Klage hatte in allen drei Instanzen Erfolg. Zu Recht hätten die Vorinstanzen festgestellt, dass der Verstorbene einen Arbeitsunfall erlitten habe, entschied das BSG. Zwar habe er seinen versicherten Heimweg mit dem Verlassen der Straßenbahn mehr als nur geringfügig unterbrochen, um sich in der Arztpraxis ein Rezept zu holen. Anders als der Unfallversicherungsträger sahen die Richter die Unterbrechung zum Unfallzeitpunkt allerdings als bereits beendet an. Bei Nutzung einer Straßenbahn sei das Ende der Unterbrechung nicht erst mit Erreichen der Haltestelle oder gar dem Einsteigen in die Bahn markiert. Vielmehr werde das Ende der Unterbrechung bereits dann erkennbar, wenn der Betroffene – wenn auch zunächst als Fußgänger – dieselbe Strecke in dieselbe Richtung zurücklegt wie das öffentliche Verkehrsmittel. Weil der Verstorbene zum Unfallzeitpunkt sich bereits wieder mit der Motivation, nach Hause zu kommen, in die „richtige“ Richtung fortbewegt habe und bereits den Kreuzungsbereich erreicht hatte, den auch die Straßenbahn nutzt, sei er auch wieder versichert gewesen.
Kein Versicherungsschutz im Stadtpark
Im zweiten Fall (Az. B 2 U 20/20 R) ging es um einen Schüler, der mit zwei Mitschülern in der Schulpause den in der Nähe der Schule liegenden Stadtpark zum Rauchen aufgesucht hatte und dabei verunglückt war. An diesem Tag herrschte Unwetter mit Sturm und Hagel. Während des Park-Aufenthalts fiel ihm ein Ast auf Kopf und Körper, wodurch der junge Mann ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitt.
Das Bundessozialgericht hat die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) bestätigt, das – anders als noch das Sozialgericht – einen Arbeitsunfall abgelehnt hatte. Der organisatorische Verantwortungs- und Einflussbereich der Schule sei auf das Schulgelände beschränkt, urteilte das BSG. Der Stadtpark könne auch nicht als erweiterter Schulhof angesehen werden.
PTBS als Unfallfolge?
Im dritten Fall (Az. B 2 U 9/20 R) stritten die Parteien über die Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Unfallfolge. Der Kläger war als Schlosser in der Stranggießanlage eines Stahlwerks beschäftigt. Am Unfalltag ging er in den abgesperrten Bereich der Anlage und wurde dabei mit dem Oberkörper von einer Maschine eingeklemmt. Dabei zog er sich einen Rippenbruch und ein stumpfes Bauchtrauma zu. Wenige Wochen später begab er sich in psychiatrische Behandlung, bei der ihm eine PTBS diagnostiziert wurde. Die zuständige Berufsgenossenschaft hatte diese jedoch als nicht erwiesen angesehen. Das LSG hatte sich dem noch angeschlossen.
Veraltetes Diagnosesystem: Berufung
Das BSG hegte jedoch Zweifel und hat den Fall an das LSG zurückverwiesen, weil es nicht abschließend entscheiden konnte, ob eine Posttraumatische Belastungsstörung beim Kläger besteht. Es bemängelte, dass das LSG ein veraltetes Diagnosesystem verwendet habe. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren müssen nun mit Hilfe eines Sachverständigen die Diagnosekriterien ermittelt und festgestellt werden.
Auch als BGM-Angebot unversichert
Im vierten Fall (Az. B 2 U 8/20 R) begehrte ein Produktionsmitarbeiter die Anerkennung eines Beinbruchs als Arbeitsunfall, den er bei einem betrieblichen Fußballturnier erlitten hatte. Sein Arbeitgeber hatte mit einem Aushang alle fußballinteressierten Beschäftigten zum „St. Team Cup“ eingeladen. Die Veranstaltung wurde aus dem Budget des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) unterstützt. Etwa 60 bis 70 der rund 1.600 Betriebsangehörigen nahmen teil, betriebsfremde Personen waren nicht dabei. Zeitweise war ein Mitglied der Unternehmensleitung anwesend.
Die Klage des Verunfallten wurde in allen drei Instanzen abgewiesen. Bei dem Turnier habe es sich weder um Betriebssport noch um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Auch die Aufnahme des Fußball-Cups in das BGM begründet nach Auffassung des BSG keinen Versicherungsschutz. Denn ein BGM im Unternehmen habe zum Ziel, gesundheitsfördernde Strukturen zu entwickeln und zu verankern. Allein die Existenz eines BGM oder die Teilnahme an einer Maßnahme begründe aber noch keinen Versicherungsschutz, solange sich – wie hier – ein innerer Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit nicht herstellen lasse.