Dieser Beitrag stammt aus Sicherheitsingenieur 6/2020 und spiegelt somit den Stand von Anfang Juni 2020 wider.
Er gibt grundlegende Hinweise, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit auch in Zeiten des weiter grassierenden Corona-Virus zu gewährleisten. „Wer in diesen besonderen Zeiten arbeitet, braucht auch besonderen Schutz“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: „Wichtig ist, dass wir bundesweit klare und verbindliche Standards haben. Auf diese Standards können sich alle verlassen und an diese Standards müssen sich auch alle halten.“
Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt bei der Umsetzung des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards eine wichtige Rolle. Berufsgenossenschaften und Unfallkassen sind Partner der Betriebe im Arbeitsschutz. Ihre Aufgabe ist es jetzt, den Arbeitsschutzstandard in die Sprache und Bedarfe ihrer jeweiligen Branchen zu übersetzen. Sie tun dies auf der Basis ihrer Expertise und Erfahrung im Arbeitsschutz und in enger Zusammenarbeit mit Betrieben, Branchenvertretungen und den Vertreterinnen und Vertretern von Bund und Ländern. Im Fokus der gesetzlichen Unfallversicherung stehen insbesondere kleine und mittlere Betriebe, denn anders als Großbetriebe, die oft auf eigene Spezialisten zugreifen können, sind diese stärker auf externe Unterstützung angewiesen.
Arbeit unter den Bedingungen der Pandemie ermöglichen – das ist das Ziel, zu dem Berufsgenossenschaften und Unfallkassen mit ihren branchenbezogenen Handlungsempfehlungen beitragen wollen. Dabei sind die Kompetenzen klar voneinander abgegrenzt: Es obliegt nicht der gesetzlichen Unfallversicherung darüber zu entscheiden, welche Branche wann wieder die Arbeit aufnehmen kann. Das ist eine Frage der Abwägung von verschiedenen Risiken und Grundrechten. Solche Entscheidungen müssen deshalb in einer Demokratie von den Vertreterinnen und Vertretern des Volkes getroffen werden.
Berufsgenossenschaften und Unfallkassen fällt in dieser – historisch beispiellosen – Situation die Rolle zu, möglichst schnell handhabbare Rahmenbedingungen für die Betriebe zu schaffen, damit diese unter den Bedingungen der Pandemie weiterarbeiten oder die Arbeit wiederaufnehmen können.
Dabei gibt es verschiedene Herausforderung. Zum einen gilt es, einen Spagat zu leisten zwischen pragmatischen Unterstützungsangeboten und den Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit unter den speziellen Bedingungen einer erhöhten Infektionsgefahr. Zum anderen sind die wissenschaftliche Erkenntnisse über das neue Virus sowie die Pandemielage ständig im Fluss. Wir haben es also in jeder Hinsicht mit einer dynamischen Situation zu tun. Das bedeutet für uns, dass die Handlungsempfehlungen unter Umständen schnell angepasst werden müssen. Manche Hinweise werden vielleicht im Licht neuer Erkenntnisse keinen Bestand mehr haben. Diesen Unsicherheiten können wir nicht ausweichen. Wir machen deshalb die Grundlagen unserer Empfehlungen so transparent wie möglich.
Erste Reaktion auf die Krise
Seit Beginn der Corona-Krise arbeiten Berufsgenossenschaften, Unfallkassen und die DGUV daran, den Betrieben Materialien und Hilfestellungen zur Verfügung zu stellen. Das reicht von Tipps fürs Homeoffice über Hinweise zum effizienten Schutz für das Personal an Kassenplätzen bis hin zu Informationen zur richtigen Verwendung von Schutzmasken.
Viele Unfallversicherungsträger haben ihren Versicherten einen ersten Einstieg ins Thema über FAQ-Listen gegeben. Ergänzt werden sie durch branchenspezifische Handlungshilfen oder Infoblätter, auch in mehreren Sprachen. Einige Berufsgenossenschaften und Unfallkassen haben zudem Hotlines aufgebaut, unter denen Arbeitgeber und Beschäftigte sich beraten lassen können zu Schutzmaßnahmen, Regeln oder auch zum Thema Gefährdungsbeurteilung bei Corona. Die DGUV sammelt die entsprechenden Dokumente und stellt sie in Form einer branchen- und berufsbezogenen Linkliste zusammen, die auf ihrer Website veröffentlicht wird.
Die Krise verstärkt möglicherweise auch psychische Belastungen bei Beschäftigten. Bei den einen zum Beispiel aufgrund einer Doppelbelastung durch Homeoffice und Kinderbetreuung. Bei den anderen durch starke berufliche Mehrbelastungen zum Beispiel im Lebensmittelhandel oder auch im Gesundheitswesen. Auch hier bieten Berufsgenossenschaften und Unfallkassen Hilfen und Beratung an.
Zwei Beispiele dafür geben Angebote der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Sie versichert unter anderem Menschen, die in Krankenhäusern oder Pflegeheimen tätig sind. Das ist eine zurzeit besonders belastete Gruppe von Beschäftigten. Ihren Versicherten bietet die BGW eine telefonische Krisenberatung durch erfahrene Psychotherapeutinnen und ‑therapeuten an. Speziell Führungskräfte können ein Krisen-Coaching per Video oder Telefon in Anspruch nehmen, um auch in Ausnahmesituationen handlungsfähig zu bleiben. Die DGUV hat auf das Thema psychische Belastungen auch im Rahmen ihrer aktuellen Präventionskampagne kommmitmensch reagiert – mit Handlungshilfen dazu.
Besonders stark diskutiert werden seit Beginn der Krise der richtige Gebrauch von Atemschutzmasken und Mund-Nase-Bedeckungen. Inzwischen ist das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen (sog. DIY- oder Community-Masken) an vielen öffentlich genutzten Plätzen wie Läden oder Bussen und Bahnen empfohlen oder sogar vorgeschrieben. Trotzdem gibt es nach wie vor Unsicherheiten über die unterschiedlichen Funktionen und Verwendungsarten. Die DGUV hat daher früh ein Plakat veröffentlicht, das Betrieben eine Übersicht zu den Unterschieden an die Hand gibt und auch für die breite Öffentlichkeit als Informationsquelle dient.
Das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) hat zudem gemeinsam mit der DEKRA Testing and Certification GmbH einen Schnelltest entwickelt, mit dem sich überprüfen lässt, ob auch Atemschutzmasken, die derzeit vielerorts im Eilverfahren hergestellt werden und auf ihre Zulassung warten, für die Dauer der akuten Gesundheitsbedrohung zum Schutz der Menschen im Gesundheitswesen eingesetzt werden können. Ziel ist es, dem akuten Mangel an europäisch zugelassenen Produkten mit sogenanntem Pandemieatemschutz kurzfristig zu begegnen und damit medizinische und pflegerische Fachkräfte zu schützen.
All diese Informationen, die seit Beginn der Krise erstellt wurden, sind eingeflossen in die Erarbeitung und Ausformulierung der Arbeitsschutzstandards für die jeweiligen Branchen.
Einheitlichkeit und Verbindlichkeit
Damit Betriebe in ganz Deutschland mit den Corona-Handlungshilfen ihrer Unfallversicherungsträger arbeiten können, ist es wichtig, dass sie einheitlich und nicht widersprüchlich sind. Um die Arbeit innerhalb der Unfallversicherung zu koordinieren, wurde deshalb ein Steuerkreis und mehrere Arbeitsgruppen auf Ebene der DGUV eingerichtet, in denen Fachleute der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen tätig sind. Diese Zusammenarbeit erweist sich als große Stärke bei der Erarbeitung der branchenbezogenen Arbeitsschutzstandards. Darüber hinaus müssen aber auch weitere Akteure im Arbeits- und Infektionsschutz auf Bund- und Länderebene einbezogen werden. Die Vielfalt des Föderalismus kann an dieser Stelle zur Herausforderung werden. Dieser müssen wir uns stellen, denn von der Einheitlichkeit und Transparenz der vorgeschlagenen Maßnahmen hängt letztlich ihre Akzeptanz ab.
Aber was geschieht, wenn einzelne Betriebe die erforderlichen Maßnahmen zur Minderung des Infektionsrisikos in ihrem Arbeitsalltag nicht umsetzen wollen? Indem Berufsgenossenschaften und Unfallkassen helfen, Mindeststandards zu definieren, schaffen sie die Voraussetzungen dafür, dass die Betriebe und Einrichtungen wieder die Arbeit aufnehmen können. Im Umkehrschluss muss es dann aber auch möglich sein, den Betrieben, die sich über den Arbeitsschutzstandard hinwegsetzen, Grenzen zu setzen. Das werden die Aufsichtsdienste der gesetzlichen Unfallversicherungsträger gegebenenfalls auch tun. Ein gemeinsamer Leitfaden für die Aufsicht und Beratung legt eine einheitliche Vorgehenswiese der Aufsichtspersonen fest.
Grundlage für dieses Handeln ist zunächst der Arbeitsschutzstandard des BMAS. Er hat zwar nicht den Status eines Gesetzes, allerdings beschreibt er im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes den Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene zur Prävention des Corona-Virus. Erarbeitet wird zudem unter der Federführung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) eine übergreifende Arbeitsschutz-Regel. Sie wird die Inhalte des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards auf der Grundlage bestehender Arbeitsschutzverordnungen konkretisieren.
Im Pandemiefall ist die Einleitung geeigneter Abwehrmaßnahmen eine staatliche Aufgabe des Bevölkerungsschutzes. Auf betrieblicher Ebene ist die Infektionsgefährdung zugleich auch eine Gefährdung für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten. Die Infektionsgefährdung wird damit Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung des Arbeitgebers zur betrieblichen Pandemieprävention.
Beratung und Überwachung
Der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard gibt dem Arbeitgeber Sicherheit bei der Auswahl und Umsetzung geeigneter Maßnahmen zum betrieblichen Infektionsschutz. Er ist aber zugleich auch Richtschnur für die Aufsichtsdienste bei der Beratung und Überwachung der Betriebe. Das schließt notfalls auch eine Sanktionierung bei Verstößen gegen den Infektionsschutz mit ein. Unsere Erfahrungen der vergangenen Wochen zeigen, dass viele Arbeitgeber die Prävention ernst nehmen. Denn in einer Hinsicht dürfen wir uns alle nichts vormachen: Kontrolle durch den Staat und die gesetzliche Unfallversicherung ist wichtig. Der härteste Kontrolleur ist jedoch das Virus selbst. Wer als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber vermeiden möchte, dass sein Betrieb zum Quarantänefall wird oder gar zum Anlass für die Behörden, eine ganze Region in den Lockdown zu schicken – mit all den negativen Konsequenzen für das eigene Ansehen – der kann nicht umhin, entsprechend zu handeln. Insbesondere den Führungskräften kommt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle und Vorbildfunktion zu.
Ausblick
Den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung ist bewusst, dass sie mit der Präzisierung des Arbeitsschutzstandards für die verschiedenen Branchen eine große Verantwortung übernommen haben. Gleichzeitig ist dies aber auch eine unglaubliche Chance für den Arbeitsschutz. Wir können zeigen, dass wir auch in schwierigen Zeiten verlässliche und kompetente Partner für Betriebe und Einrichtungen sind.
In der aktuellen Phase der schrittweisen Lockerungen des Lockdowns wird deutlich, dass Sicherheit und Gesundheit im Betrieb eine zentrale Rolle spielen, um die Folgen der Pandemie für die Beschäftigten unter Kontrolle zu behalten und gleichzeitig die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Gesundheitsgefahren im Betrieb sind ganz klar ein Arbeitsschutzthema.
Das ist nicht nur in Zeiten der Pandemie so, aber unter den aktuellen Bedingungen wird die Bedeutung, die eine gute Organisation von Sicherheit und Gesundheit für einen Betrieb hat, noch einmal deutlich hervorgehoben. Guter Arbeitsschutz ist ein Baustein, um dem Virus das Handwerk zu legen. Arbeitsschutz ist Gesundheitsschutz!
Autor: Dr. Stefan Hussy
Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)