Reiner Kunze ist ein unaufgeregter Typ. Und vielleicht genau deshalb der Richtige für die Aufgabe eines
Sicherheitsbeauftragten in der Verwaltung. Leise, beharrlich und manchmal mit einem detektivischen Spürsinn für mögliche Gefahren erledigt er seinen vielseitigen Auftrag.
Übernommen hat er ihn im Jahr 1992: Als eine der Geschäftsführerinnen Reiner Kunze fragt, ob er Sicherheitsbeauftragter für die Verwaltung werden will, sagt er spontan ja. Und so ist er bis heute Sicherheitsbeauftragter beim Verein für Soziale Bildungsarbeit e. V. (VSB) in Gummersbach.
Kunze hat Maschinenbau studiert. Technik und in gewisser Weise auch Sicherheit sind schon immer sein Ding gewesen. Doch dass letztere einmal ein Thema bei seinem Arbeitgeber sein könnte, hat er nicht geahnt. Heute weiß er, wie vielfältig das Aufgabengebiet eines Sicherheitsbeauftragten sein kann – und zwar auch in einem Schulungs- und Verwaltungsbetrieb. Hier geht es nicht um große und sichtbare Gefahren, sondern eher um solche, die im Detail, ja fast im Alltäglichen lauern.
Vormals viel improvisiert
In den 1990ern und frühen 2000ern legte Kunze sein Augenmerk beim Thema Sicherheit vor allem auf die Verkabelung der EDV-Schulungsräume. Bei der EDV-Technik musste noch vieles improvisiert werden. Für Reiner Kunze, damals Systemadministrator im Haus, genau die richtige Aufgabe. Die riesigen Röhrenbildschirme stellte er kurzerhand schräg auf. Für eine ergonomische Anordnung war nicht genügend Platz auf den Tischen. Die Verkabelung erfolgte über die wenigen Steckdosen im Raum, kombiniert mit kaskadierenden Mehrfachsteckdosen, die er mit Kabelbindern sicher unter den Tischen und an den Tischbeinen anbrachte. Als das Internet dazukam, versorgte ein Telefonanschluss zig PCs. Die Verbindung war extrem langsam und instabil. Das führte immer wieder zu stressigen Seminarsituationen. Doch psychische Belastungen interessierten den Arbeits- und Gesundheitsschutz damals noch nicht.
Sicherheit näherbringen
Die Kolleginnen und Kollegen, überwiegend Sozialpädagogen und Verwaltungskräfte, nehmen die Ratschläge des Sicherheitsbeauftragten gerne an. Doch bei einem Thema scheinen sie beratungsresistent zu sein. „Wenn ich die Besteckkästen in der Spülmaschine kontrolliere, entdecke ich immer wieder ein Küchenmesser, das mit der Spitze nach oben eingeräumt ist. Da kann so schnell etwas passieren… Wenn wir gerade über Schnitt- und Stichverletzungen sprechen, fällt mir ein: Vor ein paar Jahren hatten wir einen Teilnehmer mit Diabetes, der sich spritzen musste. Er entsorgte die Spritzen im Waschraum im Abfallkorb für die Papierhandtücher. Als der Inhalt eines Tages überquoll, wollte unsere Reinigungskraft den Papierberg zusammendrücken und fasste dabei in die Spritze. Die Aufregung war natürlich groß. Zum Glück ist alles gut ausgegangen. Ich habe dann mit dem Teilnehmer gesprochen und ihn über sein riskantes Handeln aufgeklärt. Er war sehr betroffen, weil er sich darüber keine Gedanken gemacht hatte.“
Mit sechs Verwaltungsfachkräften und 19 Pädagoginnen und Pädagogen ist die Zahl der Mitarbeitenden überschaubar. Deutlich höher ist die Zahl der Teilnehmenden, die jedes Jahr die unterschiedlichsten Seminare durchlaufen. Mit diesen wird Reiner Kunze in Zukunft mehr zu tun haben. Er soll die Erst-Unterweisung mit ihnen durchführen: Ortsbegehung, Erste Hilfe, Brandschutz, Notausgänge, Feuerlöscher. „Zurzeit macht das unsere externe Sicherheitsfachkraft. Bei der habe ich zweimal zugeschaut und gelernt, wie man die ganzen Themen in 45 Minuten unterbringen kann.“
Kunze ist Sicherheitsbeauftragter für vier Standorte, außer für den VSB e. V. auch noch für die VBS gGmbH sowie den Kooperationspartner Reha & Beruf gGmbH. Deshalb ist er regelmäßig unterwegs, „op jöck“, wie man im Rheinland sagt. Als Handlungsreisender in Sachen Arbeitsschutz fährt er die einzelnen Standorte ab, macht Erst-Unterweisungen, schaut, ob ihm etwas auffällt. Kleinigkeiten sind es, denn große Gefahrenstellen gibt es bei einem Weiterbildungsträger eher weniger. „Wir haben hier keine großen Unfälle, Gott sei Dank“, sagt Kunze.
Belastungsfaktor Störungen
Keine Kleinigkeit, sondern zunehmend ein großes Thema sind allerdings die psychischen Belastungen im Arbeitsalltag. „Früher dachte man bei vielem: ‚Das ist normal. Das gehört zum Job’. Heute thematisiert man das. Ich habe vor kurzem eine Umfrage zu psychischen Belastungen durchgeführt.
60 bis 80 Prozent der Befragten haben angekreuzt, dass Störungen die größte Belastung für sie sind. Vor allem in den Seminarpausen geht die Tür auf, streckt jemand den Kopf ins Büro und will etwas.“ Aber auch Telefonate werden als Störung wahrgenommen, wenn man konzentriert einen Bericht für den Kostenträger formulieren muss. Da die Teilnehmerinnen und Teilnehmer oft sehr problembeladen sind, ist bei den pädagogischen Fachkräften zudem die emotionale Belastung groß. Um diese aufzufangen, finden schon seit Jahren neben der Supervision regelmäßig sogenannte kollegiale Fallberatungen sowie wöchentliche Teamsitzungen statt.
Planbarer Tagesablauf
Kunze ist am Thema Störungen drangeblieben. Denn fällt das Ergebnis einer Befragung höher als 50 Prozent aus, muss der Arbeitgeber aktiv werden und die Belastungen mit entsprechenden Maßnahmen abstellen oder mildern. So wurden unter anderem Tafeln an den Bürotüren angebracht, in die Teilnehmende ihren Gesprächsbedarf eintragen können. Dadurch können die Pädagoginnen und Pädagogen ihren Tagesablauf besser planen.
Auch über die Bürokratie jammern die Pädagoginnen und Pädagogen hin und wieder. Für Reiner Kunze ist der
bürokratische Aufwand dagegen überschaubar. Was ihn allerdings nervt, sind die vielen Info-Mails und Newsletter, die jede Woche reinkommen. Er kommt gar nicht dazu, sie alle zu lesen. „Und dauernd ändern sich Verordnungen und müssen neu ausgehängt werden“, fügt er hinzu.
Alles unter Verschluss
Beim Gang durchs Gebäude fallen die Ruhe und die geschlossenen Türen auf. Vor einigen Jahren standen fast alle Bürotüren offen. Die Veränderung ist dem Datenschutz geschuldet, so Kunze. Wenn man heute einen Raum verlässt, darf nichts offen rumliegen. „Wir mussten sogar die Bildschirmschoner so einrichten, dass sie bereits nach einer Minute aktiv werden.“ Und abends muss alles weggeschlossen werden, damit die Reinigungskraft nichts sieht, was sie nicht sehen darf. Dafür wurden alle Schränke und Rollcontainer mit Schlössern versehen.
1.500 Geräte im Check
Alle zwei Jahre findet die Überprüfung der ortsveränderlichen Geräte statt. Das sind an den vier Standorten immerhin rund 1.500 unterschiedlicher Art: PCs, Drucker, Kaffeemaschinen, Wasserkocher, Telefonanlagen et cetera. „Eines Tages sagte der Techniker schon bei der Sichtprüfung: ‚Guck mal, das sind niemals 1,5 Millimeter.’ Unsere Mehrfachsteckdosen entsprachen nicht mehr der Norm. Sie waren zu dünn. Da bin ich in den Baumarkt nebenan und habe zehn neue gekauft. Bis der Elektrotechniker in den nächsten Raum kam, war dort alles fehlerfrei. Da konnte er alle Kabel abfühlen und keines war beschädigt, keines hatte eine Knickstelle oder eine Quetschung von einem Kabelbinder. Ich hatte alle ausgetauscht.“
Immer auf der Suche …
Kunze ist ein Mann der Tat. Als es kürzlich darum ging, eine mögliche Stolpergefahr auf einer Wendeltreppe aus Holz zu bannen, überlegte er sich, die Stufen mit schwarz-gelbem Band zu bekleben. Damit wollte er das Sicherheitsgefühl einer Teilnehmerin mit Sehproblemen erhöhen. Doch als die Treppe markiert war, fragten die anderen Teilnehmenden, ob diese baufällig sei. „Unser Hausmeister besorgte daraufhin leuchtend gelbes, rutschhemmendes Klebeband. Das haben wir dann auf die Stufen geklebt. Doch dieses Band verschmutzt schnell und ist durch die Straßenschuhe bereits an vielen Stellen abgerieben. Jetzt suchen wir nach einer nochmals besseren Lösung.“
… nach der besten Lösung
Es gibt aber auch Sicherheitsvorschriften, die für den Weiterbildungsträger nicht gelten und trotzdem zur Diskussion stehen, zum Beispiel das Thema Rauchwarnmelder. Kunze weiß, dass die Pflicht für Warnmelder nur für den privaten Bereich gilt. Im geschäftlichen Bereich ist die Ausstattung damit nur notwendig, wenn in einem Gebäude übernachtet wird, was beim VSB nicht der Fall ist. Doch bei immer wechselnden Teilnehmerinnen und Teilnehmern taucht die Frage immer wieder auf. Einige fühlen sich ohne Rauchwarnmelder unsicher, selbst wenn er ihnen erklärt, warum keine notwendig sind. „Um solchen Diskussionen aus dem Weg zu gehen und weil es zum Beispiel in Bonn
einen Ruhe- und Rückzugsraum für Teilnehmende mit psychischen Erkrankungen gibt, hat sich die Geschäftsleitung entschlossen, dort Warnmelder anzubringen.“
Blickfeld erweitert
Auf die Frage, ob sich in den Jahren etwas an seinem Verhalten als Sicherheitsbeauftragter, aber auch als Privatperson geändert habe, antwortet Reiner Kunze: „Man guckt schon öfter mal wohin, wo man früher nicht hingeschaut hätte.“
Steckbrief
- Reiner Kunze
- 61 Jahre
- ECDL Testleiter
- Branche: Weiterbildungsträger
- Sicherheitsbeauftragter seit 1992
VSB e. V.
Der Verein für Soziale Bildungsarbeit e. V., kurz VSB, ist ein Weiterbildungsträger für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, die eine berufliche Neuorientierung anstreben.
- 1984 in Gummersbach gegründet
- angeboten werden Einzelberatungen, Seminare und Lehrgänge in Gummersbach und Köln
- Mitglied im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband und zertifiziert nach AZAV
- Insgesamt 25 Mitarbeiter an zwei Standorten
- www.vsb-online.de