Auf gut deutsch hätte auch der Begriff Räumen anstatt Evakuierung in der VDI 4062 verwendet werden können. Der Begriff Evakuierung wurde aus folgenden drei Gründen gewählt:
- Überwindung möglicher Sprachbarrieren, denn in den meisten europäischen Sprachen ist dieser Begriff sehr ähnlich.
- „Räumen“ wird in verschiedenen Gesetzen und Vorschriften (zum Beispiel: HBKG2 § 46(1), ZPO3 §708, PDV4 100) verwendet, in denen Behörden eine Räumung anordnen. Daher ist der Begriff für eine Aktion ohne Behörden nicht geeignet, auch wenn er bisher vielfach verwendet wird.
- Das Arbeitsschutzgesetz5 spricht ebenfalls von Evakuierung. Die im Folgenden beschriebenen Handlungen für ein Evakuierungskonzept fallen alle unter das Arbeitsschutzgesetz.
Evakuierungsvarianten
In der überwiegenden Anzahl von Fällen muss die Evakuierung vor dem Eintreffen der Feuerwehr abgeschlossen sein. Je nach Landesrecht gibt es hier unterschiedliche Vorgaben für die Eintreffzeit beziehungsweise Hilfsfrist der Feuerwehr.
Für nichtöffentliche Feuerwehren kann man sich auf die LöRüRL (Richtlinie zur Bemessung von Löschwasser-Rückhalteanlagen beim Lagern wassergefährdender Stoffe) oder landesspezifische Reglungen6 beziehen. Die dortige Vorgabe von fünf Minuten in Gruppenstärke ist in der überwiegenden Anzahl der Fälle für eine Evakuierung ausreichend.
Bei Hochhäusern, unterirdischen Anlagen, Tunneln und so weiter kann es länger dauern. Diese Zeit ist als Kennzahl (KPI7) im Evakuierungskonzept des Objekts festzuhalten, zumal damit auch die Ausnahmesituation bei Hochhäusern, unterirdischen Anlagen und bei den unterschiedlichen Tunnelvorschriften (Eisenbahn, Straßenbahn, Straßentunnel) des Objekts verdeutlicht wird.
Um die Zeit zwischen Ereigniseintritt und Eintreffen der Hilfe durch Dritte erfolgreich zu überbrücken, kann und sollte dies gut vorbereiten sein – mit Hilfe der VDI 4062 „Evakuierung von Personen im Gefahrenfall“. In dieser wird in zehn Punkten die erforderliche Vorgehensweise erläutert:
1. Anwendungsbereich
Zuerst muss der Anwendungsbereich des Evakuierungskonzepts definiert werden. Dabei sind örtliche Umstände zu berücksichtigen (beispielsweise nach Organisationseinheiten, Gebäuden, Anlagen usw.).
Gibt es mehrere Nutzer mit und ohne Kapitalverflechtung, muss es eine gemeinsame Grundlage geben – nur im Einzelfall mit unbedingt notwenigen Ergänzungen , zum Beispiel anderen Fluchtwegen, Herstellung des jeweiligen sicheren Zustandes, mehr Helfer wegen hohem Anteil nicht ortskundiger Personen in Versammlungsstätten, Verkaufsstätten und vergleichbare Orte. Die gemeinsame Grundlage wird in der Regel in Pacht‑, oder Mietverträgen geregelt.
2. Gesetze
Neben den für alle geltenden Gesetzen und daraus resultierenden Verordnungen, Richtlinien und so weiter gibt es für bestimmte Branchen andere bzw. zusätzliche Gesetze8, die möglicherweise einen Einfluss auf das Evakuierungskonzept haben können. Beispielsweise wird in der Muster Versammlungsstätten-Verordnung im § 43 (4)9 vorgeschrieben, dass die Ordnungsdienstkräfte verantwortlich für die geordnete Evakuierung im Gefahrenfall sind. Hingegen ist im Arbeitsschutzgesetz § 10 zunächst einmal der Arbeitgeber genannt, der alles organisieren muss. Hier ist ein weiter Bogen gespannt, der zu klären ist.
3. Begriffe
Wie immer, wenn viele Menschen zusammenarbeiten, kann es zu Verwechslungen oder falschen Auslegungen des gleichen Begriffs kommen. Deswegen müssen die verwendeten Begriffe erläutert werden, um die nötige Klarheit zu schaffen. Hier sind nicht nur die eigenen Mitarbeiter einzubinden, sondern auch die Fremdfirmen, Besucher und Kunden.
4. Auslösende Faktoren
Die RiMEA10 (Richtlinie für Mikroskopische Entfluchtungsanalysen) zur Einhaltung bauordnungsrechtlicher Anforderungen zu zulässigen Rettungsweglängen und notwendigen Ausgangsbreiten, insbesondere für Gebäude, die planmäßig von einer großen Anzahl an Personen genutzt werden, beschreibt Entfluchtungsberechnungen als Teil eines ganzheitlichen Brandschutzkonzepts.
RiMEA berücksichtigt keine organisatorischen Einzelmaßnahmen, welche Sache des Betreibers sind und erst ab Einrichtung der Baustelle zum Tragen kommen, während die RiMEA vorab zur Erlangung der Baugenehmigung erforderlich ist.
Nicht immer ist der Brandfall der auslösende Faktor für eine Evakuierung, der im Baurecht eine große Rolle spielt und auf den die RiMEA primär ausgerichtet ist. Deswegen schreibt die VDI 4062 vor, unterschiedliche Szenarien und deren Auswirkung auf das Evakuierungskonzept zu untersuchen. Beide Richtlinien widersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich. Mit der VDI 4062 werden mindestens folgende Szenarien auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit betrachtet:
4.1. Unternehmensspezifische Szenarien
Diese Szenarien hängen von der Art des Unternehmens ab. Es handelt sich in der Regel um Szenarien, wie Brand, Explosion, Gefahrstofffreisetzung, mechanische Unfälle, Störfälle (wenn das Unternehmen unter die StörfallVO11 fällt), Ausfall technischer Infrastruktur usw.
4.2. Nachbarschaftsszenarien
Hierzu gehören: Brand, Explosion, Gefahrstofffreisetzung, mechanische Unfälle, die angegebenen Gefahren aus der Störfallbroschüre nach §11 StörfallVO eines oder mehrerer Nachbarbetriebe sowie Gefährdung durch Verkehr, Wasserstraßen und Schienenwege. Aber auch Gefährdung durch Flugzeuge, wenn das Unternehmen auf dem Flughafen oder in der Einflugschneise gelegen ist.
4.3. Mögliche Bedrohungsszenarien (Security)
Bombenfunde, Kriegswaffenfunde, Überfall, Bombendrohung, Amok, Anschlag mit biologischen Stoffen, sonstige Bedrohungen.
4.4. Naturereignisse
Sturm, Hochwasser, Starkregen, Gewitter, Erdbeben, Lawinen, usw.
Jedes dieser Ereignisse ist auf seine Auswirkung im Ernstfall zu betrachten. Besonders ist die Frage zu klären, bei welchem Szenario nach außen oder innen evakuiert werden muss oder ob tiefer gelegene Räume oder Grundstücksteile gemieden werden müssen und ob höhere Stockwerke aufzusuchen sind. Hierzu gehört auch die Betrachtung der zulässigen Schneelast für Dächer und deren Überwachung. Natürlich müssen nur solche Szenarien berücksichtigt werden, die vor Ort möglich sind.
Kommunikation des Ereignisses
Wie wird die Entscheidung zur Evakuierung im Ernstfall kommuniziert? Bei einem Ereignis in einem Nachbarbetrieb mit Brand und/oder Gefahrstofffreisetzung kann es sinnvoll sein, im eigenen Gebäude zu bleiben (Innere Sammelstelle). In diesem Fall ist ein anderes Signal als bei der Evakuierung erforderlich. Es sind die Zuluft abzuschalten sowie Fenster und Türen zu schließen. Das Gebäude liegt dann in der roten Zone, in der ein Aufenthalt im Freien nicht sinnvoll ist. Hier ist die Schnittstelle Evakuierungskonzept und betrieblicher Alarm und Gefahrenabwehrplan (BAGAB) besonders sorgfältig zu betrachten.
5. Bestandsaufnahme
Die Bestandsaufnahme des Objekts erbringt Hinweise auf Schwachstellen für eine Evakuierung. Sie müssen mit dem Evakuierungskonzept ausgeglichen werden, wenn sie nicht durch andere Maßnahmen behoben werden können. Neben den vorbeugenden Brandschutzmaßnahmen und dem aktuellen Zustand aller Sicherheitseinrichtungen sind insbesondere die Alarmierungseinrichtungen für die Evakuierung und die weitere Steuerung der Evakuierungsmaßnahmen wichtig. Die vorhandene betriebliche Gefahrenabwehrorganisation (BGO), die Anzahl anwesender Personen zu unterschiedlichen Zeiten, besonders gefahrenerhöhende Faktoren, aber auch die internen und externen Schnittstellen bei einer Evakuierung sind Grundlage für die Erstellung des Evakuierungskonzepts. Die Verwendung vorhandener Infrastruktur geht dabei der Schaffung neuer Infrastruktur vor.
6. Aufgabenbeschreibung für die Evakuierung
Hier ist zwischen den Aufgaben der Vorgesetzten, eventuell benötigter Helfer, den Mitarbeitern inklusive Fremdfirmen-Mitarbeitern und Besuchern zu unterscheiden. Je mehr Fremde (Verkaufsstätten, Versammlungsstätten und vergleichbare Orte), desto mehr Helfer sind zur Lenkung der Evakuierung erforderlich. Pauschale Prozentzahlen helfen da wenig. Außerhalb der Öffnungszeiten für Kunden oder Besucher dieser Objekte wird sich das Evakuierungskonzept auf die dann jeweils vorhandene Belegschaft/ Fremdfirmen beziehen und muss die zu diesem Zeitpunkt von außen verschlossenen Türen (von innen hoffentlich in Fluchtrichtung zu öffnen12) berücksichtigen.
In Produktionsstätten sind oft wenige Mitarbeiter auf einer großen Fläche verteilt, oder es gibt sogar mehrere Alleinarbeitsplätze. Diese Mitarbeiter müssen bei einer Evakuierung ohne Helfer auskommen. Für das richtige und koordinierte Handeln im Evakuierungsfall müssen diese regelmäßig unterwiesen werden, wie es das Arbeitsschutzgesetz vorschreibt. Dazu gehört auch eine ausreichende Zahl von Evakuierungsübungen in Abhängigkeit von der Gefährdungsanalyse.
Aufgaben wie Sammelplatzleiter und Ähnliches müssen die anwesenden Vorgesetzten übernehmen. Das kann auch der Schichtführer sein, wenn außerhalb der Normalarbeitszeit kein Betriebs- oder Abteilungsleiter anwesend ist.
Für einen schnellen Überblick an der Sammelstelle eignen sich Zusatzschilder am Schild Sammelstelle, welche die Sammelstellen nummerieren und/oder für Organisationseinheiten kennzeichnen. Bei großen Bürokomplexen mit unterschiedlichen Firmen, sollten die Firmen auch unterschiedliche, mit dem jeweiligen Firmennamen gekennzeichnete Sammelstellen haben. Das erleichtert die Vollständigkeitsprüfung. Ein Hilfsmittelschrank an der Sammelstelle erleichtert die Aufbewahrung von notwendigen Hilfsmitteln.
Die An- und Abmeldung von Fremdfirmenmitarbeitern13, Besuchern etc. muss im Objekt an zentraler Stelle erfolgen. Alternativ kann an den von außen geschlossenen Eingängen ein Hinweis auf eine Telefonnummer eines Ansprechpartners gegeben werden. Dieser Hinweis sollte ebenfalls mit dem M gekennzeichnet sein. Dieser ist anzurufen und er kann den Zutritt per Mobiltelefon an der Tür steuern oder ablehnen. Umgekehrt ist dieser Ansprechpartner auch über das Verlassen des Gebäudes zu informieren. In den Fremdfirmenbestimmungen, welche Bestandteil des Auftrags sind, muss die Verpflichtung geregelt sein, dass die Mitarbeiter der Fremdfirmen an den notwendigen Unterweisungen und Übungen teilnehmen. Das schließt die Bezahlung dieser Zeit durch den Auftraggeber ein.
Evakuierungshelfer hat der Gesetzgeber14 nicht vorgeschrieben, aber die Berücksichtigung der Anwesenheit anderer Personen ist Rechnung zu tragen. Er überlässt die Organisation dem Arbeitgeber. In reinen Produktionsstätten wird man in vielen Fällen ohne Helfer auskommen. Das ist auch geübte Praxis in Großbetrieben. Ergibt aber die Gefährdungsanalyse15, dass Helfer notwendig sind, müssen deren Aufgaben festgelegt werden.
Im Evakuierungskonzept sind in diesem Fall die Aufgaben der Helfer objektspezifisch und in Abhängigkeit von der Zeit (Tag‑, Nacht‑, Früh- oder Spätschicht, Sonn- und Feiertage, Öffnungszeiten für Kunden und Besucher oder andere Zeiteinflüsse) zu beschreiben.
Die Helfer sollten nicht nach dem Gießkannenprinzip ausgewählt werden, sondern an ständige besetzte Funktionen gebunden sein und damit jederzeit verfügbar an Ort und Stelle. Das erspart auch eine extra Zeitplanung für Helfer.
Es dürfen nur Helfer schriftlich benannt werden, welche mit dem Evakuierungskonzept des zu betreuenden Objekts und ihren dortigen Aufgaben ausreichend vertraut sind. Eine externe Schulung alleine reicht nicht, kann aber als Grundlage dienen.
7. Evakuierungskriterien und deren Aufhebung
Was sind die unterschiedlichen Kriterien zur Einleitung einer Evakuierung? Wurde das allen Betroffenen kommuniziert? Welche optischen und akustischen Signale sind vereinbart? Gibt es eine klare Reglung für die Aufhebung des Evakuierungsfalls unter Berücksichtigung der behördlichen Abläufe und der dazu erforderlichen internen Regelungen? Gibt es eine gesonderte Reglung für Falschalarm16, und wer stellt ihn fest? Wie sind die Verantwortlichkeiten geregelt? Viele Fragen, die unbedingt vorab zu klären sind.
8. Alarmierung zur Evakuierung
Ob eine Voralarmierung für bestimmte Funktionsträger notwendig und sinnvoll ist, bevor eine Evakuierungsentscheidung gefällt wird, muss vorab geregelt werden. Dies wird oftmals gemacht, um Evakuierungen aufgrund von Falschalarmen durch Gefahrenmeldeanlagen zu vermeiden. Hingegen ist bei automatischen, sauerstoffverdrängenden Löschanlagen17 die unverzügliche Evakuierung zu regeln.
Generell steht der Einsatz geeigneter Technik im Vordergrund. Keinesfalls sollte eine Alarmierung durch Helfer (Stockwerksbeauftragte) als Regelalarmierung angewendet werden. Das kann heute nur noch die Ausnahme18 sein. Sprachalarmierungsanlagen müssen je nach erwarteten Ereignissen geeignete Sprachkonserven haben und nicht nur auf den Brandfall ausgerichtet sein. Bei behördlichen Auflagen ist darauf zu achten, dass nicht nur der Brandfall berücksichtigt wird.
Rein akustische Signale ohne Sprachdurchsage19 sind zwar weit verbreitet – sie sind aber ungeeignet, da der Unterschied zwischen äußerer Sammelstelle und innerer Sammelstelle im Gefahrenfall in den meisten Fällen nicht signalisiert werden kann. Mit einer Sprachalarmanlage20 sind auch bessere Steuerungsmöglichkeiten möglich. Hinzu kommt, dass man immer unter Anwendung des zwei Sinne Prinzips alarmieren sollte, also immer akustisch und optisch.
Sofern es Mitarbeiter mit Behinderungen bei der Wahrnehmung akustischer oder optischer Signale gibt, oder bei hohem Lärmpegel, kann auch eine Kombination mit Vibrationsalarm sinnvoll sein. Vibrationen aus der laufenden Produktion und im Betrieb müssen dabei berücksichtigt werden, um keine Fehlinterpretation durch die Mitarbeiter zu erhalten.
9. Maßnahmen zur Evakuierung besonderer Personengruppen
Hier muss auf die tatsächliche Einschränkung pro zu evakuierender Person eingegangen und geeignete Methoden ausgewählt werden. Nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern auch kleinwüchsige Menschen, Menschen mit Hörbehinderung, Blinde, Sehbehinderte, Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder psychischen Störungen, Menschen in Krankenhäusern, welche sich vorübergehend nicht bewegen können oder das Bett nicht verlassen können, aber auch ältere Menschen, die langsamer gehen, usw. bedürfen einer gesonderten Betrachtung, um diese im Evakuierungskonzept entsprechend zu berücksichtigen.
9.1 Unterschiedliche Geschwindigkeiten bei der Nutzung von Treppen in Abhängigkeit des Alters
Die Gehgeschwindigkeit von Männern ist im Durchschnitt knapp 11 Prozent höher als die von Frauen. Das sind Schwankungen, welche sich je nach Zusammensetzung der Personengruppen21 auswirken können. Es kommen weitere Faktoren wie Personendichte, Zusammensetzung der Personengruppen, Altersverteilung, Art der Behinderungen, etc. hinzu.
Insbesondere bei der Selbstrettung aus Kellergeschoßen ist die Aufwärtsbewegung von Bedeutung. So können Hochhäuser fünf und mehr Kellergeschosse haben, die einer gesonderten Betrachtung gegenüber den Abwärtsbewegungen aus dem eigentlichen Hochhaus bedürfen. Allerdings befinden sich in der Regel
in diesen Geschossen deutlich weniger Menschen, wie in den oberirdischen
Geschossen.
Die tatsächlichen Evakuierungszeiten unterliegen einer großen Schwankungsbreite und hängen von vielen Faktoren ab. Die Praxis zeigt, dass bei guter Vorbereitung akzeptable Zeiten erreicht werden.
10. Übung
Nicht immer sind Evakuierungsübungen kompletter Gebäude sinnvoll. Teilübungen sind oft sinnvoller. Beispielsweise ist in Krankenhäusern das Umlagern von Patienten auf Rettungstücher oder Matratzen eine Teilübung, die ohne Patienten vom Personal geübt werden kann.
Ähnlich ist bei laufender Produktion zu verfahren. Die nach Hause gehende Schicht kann zum Beispiel üben, und die neue Schicht fährt die Produktion. Hier fallen Überstunden an, die mitbestimmungspflichtig sind. Das ist aber immer noch besser, als ein Produktionsausfall wegen einer Evakuierungsübung.
Eine andere Methode wäre das Weiterfahren des Betriebs mit einer Mindestbesatzung, die nicht an der Übung teilnimmt. Das muss über eine Gefährdungsanalyse geklärt werden. Je nach Objekt wird es unterschiedlichste Lösungen geben.
10.1 Die Übung als Risiko
Unangekündigte Übungen können zu erheblichen Sicherheitsrisiken und auch wirtschaftlichen Risiken führen. Das gilt auch für Dienstleister. Eine Abflughalle eines Flughafens, die wegen einer Übung evakuiert wird, verhindert das Erreichen der Abflüge durch die zahlenden Fluggäste. Die Abflüge erfolgen nach festem Zeitplan auch ohne Passagiere. Hier führt eine solche unangekündigte Übung zu vermeidbaren erheblichen wirtschaftlichen Risiken, daher sind geeignete Teilübungen sinnvoller.
Ein Wertpapierhandel kann auch nicht unangekündigt unterbrochen werden, ohne extrem hohe Schäden zu verursachen. Hier Bedarf es umfangreicher Vorbereitungen, um Schäden bei Übung und im Ernstfall zu vermeiden.
Eine Evakuierungsübung in einem Objekt mit unvorbereiteten Kunden und Besuchern erfordert einen erhöhten Betreuungsaufwand für diese, um ein negatives Image für die Firma durch die Übung zu vermeiden. Bei entsprechender Vorbereitung ist eine Evakuierungsübung mit Kunden und Besuchern machbar, wie die Praxis zeigt. Es kann sogar mit Imagegewinn verbunden sein. Hierzu bedarf es aber eines verstärkten Helferteams zur Betreuung der Kunden und Besucher.
Diese wenigen Beispiele zeigen die Problematik einer unangekündigten Übung auf. Für die Übung muss vorab eine Gefährdungsanalyse diese Fragen klären, inklusive eventueller Gefahren auf dem Evakuierungsweg und der Sammelstelle.
10.2 Wie häufig muss geübt werden?
Die Häufigkeit und Art der Übung muss in einer Gefährdungsanalyse für das Objekt festgelegt werden. Verwaltungsbauten sind in der Regel mit drei Jahren Abstand für eine Übung, aber mit einer jährlichen Unterweisung gut beraten. In Objekten mit höherer Gefährdung ist ein dreijähriger Zeitraum zwischen den Übungen zu groß. Die Fluktuation des Personals spielt ebenfalls bei der Festlegung des Zeitraums eine wichtige Rolle. Ebenso erfordern Schichtbetriebe mehr Übungen, da jede Schicht üben muss. Die Frage der Nachschulung von abwesendem Personal ist im Evakuierungskonzept ebenfalls zu klären.
Empfehlung
Die folgenden Organisationen, wie Haus‑, Betriebs‑, Werkfeuerwehren, Brandschutzbeauftragter, Werkschutz oder Arbeitsschutz sollten das Evakuierungskonzept im Unternehmen umsetzen und steuern, aber die Übung an die einzelnen Organisationseinheiten übergeben, damit diese die Evakuierung ohne Dritte üben. Dadurch wird auch verständlich, dass das Üben eine operative Aufgabe des Betriebes ist und nicht der Sicherheitsorganisation. Diese ist für die Strategie zuständig. Es empfiehlt sich, das Konzept im Arbeitsschutzausschuss (ASA) abzusprechen, die Objektdetails mit dem jeweils örtlich zuständigen Betriebsrats- und Personalratsmitglied.
Funktioniert in den Übungen die Selbstrettung einzelner Organisationseinheiten, kann eine gemeinsame Übung mit den für die Gefahrenabwehr zuständigen Organisationen erfolgen, um die Schnittstellen zu erproben. Der Selbstrettung folgt in diesem Fall die Fremdrettung. Übungen diesen Ausmaßes können nur die Ausnahme, und nicht der Regelfall sein.
- 1 VDI 4062 Evakuierung von Personen“
- 2 Hessisches Gesetz über den Brandschutz, die Allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz (Hessisches Brand- und Katastrophenschutzgesetz – HBKG)
- 3 „Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 11 Absatz 15 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist“
- 4 Polizeidienstvorschrift (PDV) 100 „Führung und Einsatz der Polizei”
- 5 „Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zuletzt durch Artikel 427 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist“
- 6 Vollzug des Gebotes zur Rückhaltung verunreinigter Löschmittel im Brandfall Hessenweit abgestimmte Empfehlung Stand 17.11.2011
- 7 Key Performance Indicator (KPI) http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/key-performance-indicator-kpi.html letzte Einsicht 11.08.2017
- 8 Gefahrstoffverordnung vom 26. November 2010 (BGBl. I S. 1643, 1644), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 15. November 2016 (BGBl. I S. 2549) geändert worden ist“, § 13 Betriebsstörungen, Unfälle und Notfälle
- 9 Musterverordnung über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten
- (Muster Versammlungsstättenverordnung – MVStättVO) Fassung Juni 2005 (zuletzt geändert durch Beschluss der Fachkommission Bauaufsicht vom Juli 2014
- 10 https://rimeaweb.files.wordpress.com/2016/06/rimea_richtlinie_3–0–0_-_d‑e.pdf letzte Einsichtnahme 16.07.2017
- 11 Störfall-Verordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. März 2017 (BGBl. I S. 483), die durch Artikel 58 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist
- 12 ASR A2.3 Fluchtwege und Notausgänge, Flucht- und Rettungsplan §6(4)
- 13 Frieder Ecker / Stephan Röchling (Hrsg.) Arbeitsschutz besser managen Organisation und Integration von Sicherheit und Gesundheitsschutz im Unternehmen SBN: 978–3–7406–0013–6
- 14 §10(1) Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zuletzt durch Artikel 427 der Verordnung vom31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist
- 15 ASR 2.3 §9(8) August 2007 zuletzt geändert GMBl 2017, S. 8
- 16 DIN VDE 0833 Teile 1–4 Gefahrenmeldeanlagen für Brand, Einbruch und Überfall
- 17 DGUV Regel 105–001 – Einsatz von Feuerlöschanlagen mit sauerstoffverdrängenden Gasen
- 18 Solinger Tageblatt vom 22.04.2014 Finanzamt: Brandalarm mit Hand- Tröten http://www.solinger-tageblatt.de/solingen/finanzamt-brand-alarm-hand-troeten-3896924.html
- 19 DIN 33404–3:2015–12 – Gefahrensignale – Akustische Gefahrensignale
- 20 Vornorm DIN VDE V 0827–1:2016–07; VDE V 0827–1:2016–07 Notfall- und Gefahren-Systeme – Teil 1: Notfall- und Gefahren-Reaktions-Systeme (NGRS) – Grundlegende Anforderungen, Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Aktivitäten
- 21 Philipp Knopp Bachelor Arbeit Personen- und Fahrzeuggeschwindigkeiten in Menschenmengen bei Sanitätswachdiensten; letzte Einsicht 11.08.2017
- 22 Richtlinie für Mikroskopische Entfluchtungsanalysen
Definitionen nach VDI 4062
- Evakuierung – Organisierte Verlegung von Menschen aus einem akut gefährdetem Bereich in einen sicheren Bereich.
- Kurzzeitevakuierung – Evakuierung in unvorhergesehenen Fällen mit akutem Handlungsbedarf, die hauptsächlich zu einer Selbstrettung führt.
- Langzeitevakuierung – Evakuierung, die es ermöglicht, sich organisiert in einen sicheren Bereich zu bewegen.
- Selbstrettung – Bedeutet Rettung aus eigener Initiative ohne fremde Hilfe. Die Grenzen der Selbstrettung sind schnell erreicht.
- Fremdrettung – Fremdrettung bedeutet nicht in jedem Fall Rettung durch die Feuerwehr, sondern auch durch Mitarbeiter, Patienten, Pfleger, usw. Möglicherweise werden hierzu technische Hilfsmittel wie Evakuierungstücher, ‑matratzen und/oder Evakuierungsstühle usw. eingesetzt.
Checkliste für die Vorbereitung einer Übung
Eine umfassende Checkliste zur Übungsvorbereitung können Sie unter http://hier.pro/xniE6 herunterladen. Die anzuwendende Checkliste ergibt sich aus dem jeweiligen Evakuierungskonzept des Objekts.
Eine umfassende Checkliste zur Übungsvorbereitung können Sie unter http://hier.pro/xniE6 herunterladen. Die anzuwendende Checkliste ergibt sich aus dem jeweiligen Evakuierungskonzept des Objekts.
Autor:
Dr. Joachim Lindner
Steinbeis Business Academy