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Selbstrettung vor Fremdrettung?

Evakuierung im Gefahrenfall
Selbstrettung vor Fremdrettung?

Die Anlässe für Evakuierun­gen kön­nen sehr unter­schiedlich sein. Gemein­sam ist ihnen, dass sie plöt­zlich auftreten. In diesem Moment ist in der Regel aber nie­mand da, welch­er die Anwe­senden unverzüglich führt, noch ist die öffentliche oder nichtöf­fentliche Feuer­wehr wie aus heit­erem Him­mel vor Ort. Für die Beherrschung dieser Sit­u­a­tio­nen wurde die VDI 4062 „Evakuierung von Per­so­n­en im Gefahren­fall geschaffen.

Auf gut deutsch hätte auch der Begriff   Räu­men anstatt Evakuierung in der VDI 4062 ver­wen­det wer­den kön­nen. Der Begriff Evakuierung wurde aus fol­gen­den drei Grün­den gewählt:

  1. Über­win­dung möglich­er Sprach­bar­ri­eren, denn in den meis­ten europäis­chen Sprachen ist dieser Begriff sehr ähnlich.
  2. „Räu­men“ wird in ver­schiede­nen Geset­zen und Vorschriften (zum Beispiel: HBKG2 § 46(1), ZPO3 §708, PDV4 100) ver­wen­det, in denen Behör­den eine Räu­mung anord­nen. Daher ist der Begriff für eine Aktion ohne Behör­den nicht geeignet, auch wenn er bish­er vielfach ver­wen­det wird.
  3. Das Arbeitss­chutzge­setz5 spricht eben­falls von Evakuierung. Die im Fol­gen­den beschriebe­nen Hand­lun­gen für ein Evakuierungskonzept fall­en alle unter das Arbeitsschutzgesetz.

Evakuierungsvarianten

In der über­wiegen­den Anzahl von Fällen muss die Evakuierung vor dem Ein­tr­e­f­fen der Feuer­wehr abgeschlossen sein. Je nach Lan­desrecht gibt es hier unter­schiedliche Vor­gaben für die Ein­tr­e­f­fzeit beziehungsweise Hil­fs­frist der Feuerwehr.

Für nichtöf­fentliche Feuer­wehren kann man sich auf die LöRüRL (Richtlin­ie zur Bemes­sung von Löschwass­er-Rück­hal­tean­la­gen beim Lagern wasserge­fährden­der Stoffe) oder lan­desspez­i­fis­che Reglun­gen6 beziehen. Die dor­tige Vor­gabe von fünf Minuten in Grup­pen­stärke ist in der über­wiegen­den Anzahl der Fälle für eine Evakuierung ausreichend.

Bei Hochhäusern, unterirdis­chen Anla­gen, Tun­neln und so weit­er kann es länger dauern. Diese Zeit ist als Kenn­zahl (KPI7) im Evakuierungskonzept des Objek­ts festzuhal­ten, zumal damit auch die Aus­nahme­si­t­u­a­tion bei Hochhäusern, unterirdis­chen Anla­gen und bei den unter­schiedlichen Tun­nelvorschriften (Eisen­bahn, Straßen­bahn, Straßen­tun­nel) des Objek­ts verdeut­licht wird.

Um die Zeit zwis­chen Ereigni­sein­tritt und Ein­tr­e­f­fen der Hil­fe durch Dritte erfol­gre­ich zu über­brück­en, kann und sollte dies gut vor­bere­it­en sein – mit Hil­fe der VDI 4062 „Evakuierung von Per­so­n­en im Gefahren­fall“. In dieser wird in zehn Punk­ten die erforder­liche Vorge­hensweise erläutert:

1. Anwendungsbereich

Zuerst muss der Anwen­dungs­bere­ich des Evakuierungskonzepts definiert wer­den. Dabei sind örtliche Umstände zu berück­sichti­gen (beispiel­sweise nach Organ­i­sa­tion­sein­heit­en, Gebäu­den, Anla­gen usw.).

Gibt es mehrere Nutzer mit und ohne Kap­i­talver­flech­tung, muss es eine gemein­same Grund­lage geben – nur im Einzelfall mit unbe­d­ingt notweni­gen Ergänzun­gen , zum Beispiel anderen Fluchtwe­gen, Her­stel­lung des jew­eili­gen sicheren Zus­tandes, mehr Helfer wegen hohem Anteil nicht ort­skundi­ger Per­so­n­en in Ver­samm­lungsstät­ten, Verkauf­sstät­ten und ver­gle­ich­bare Orte. Die gemein­same Grund­lage wird in der Regel in Pacht‑, oder Mietverträ­gen geregelt.

2. Gesetze

Neben den für alle gel­tenden Geset­zen und daraus resul­tieren­den Verord­nun­gen, Richtlin­ien und so weit­er gibt es für bes­timmte Branchen andere bzw. zusät­zliche Geset­ze8, die möglicher­weise einen Ein­fluss auf das Evakuierungskonzept haben kön­nen. Beispiel­sweise wird in der Muster Ver­samm­lungsstät­ten-Verord­nung im § 43 (4)9 vorgeschrieben, dass die Ord­nungs­di­en­stkräfte ver­ant­wortlich für die geord­nete Evakuierung im Gefahren­fall sind. Hinge­gen ist im Arbeitss­chutzge­setz § 10 zunächst ein­mal der Arbeit­ge­ber genan­nt, der alles organ­isieren muss. Hier ist ein weit­er Bogen ges­pan­nt, der zu klären ist.

3. Begriffe

Wie immer, wenn viele Men­schen zusam­me­nar­beit­en, kann es zu Ver­wech­slun­gen oder falschen Ausle­gun­gen des gle­ichen Begriffs kom­men. Deswe­gen müssen die ver­wen­de­ten Begriffe erläutert wer­den, um die nötige Klarheit zu schaf­fen. Hier sind nicht nur die eige­nen Mitar­beit­er einzu­binden, son­dern auch die Fremd­fir­men, Besuch­er und Kunden.

4. Auslösende Faktoren

Die RiMEA10 (Richtlin­ie für Mikroskopis­che Ent­fluchtungs­analy­sen) zur Ein­hal­tung bauord­nungsrechtlich­er Anforderun­gen zu zuläs­si­gen Ret­tungsweglän­gen und notwendi­gen Aus­gangs­bre­it­en, ins­beson­dere für Gebäude, die plan­mäßig von ein­er großen Anzahl an Per­so­n­en genutzt wer­den, beschreibt Ent­fluchtungs­berech­nun­gen als Teil eines ganzheitlichen Brandschutzkonzepts.

RiMEA berück­sichtigt keine organ­isatorischen Einzel­maß­nah­men, welche Sache des Betreibers sind und erst ab Ein­rich­tung der Baustelle zum Tra­gen kom­men, während die RiMEA vor­ab zur Erlan­gung der Bau­genehmi­gung erforder­lich ist.

Nicht immer ist der Brand­fall der aus­lösende Fak­tor für eine Evakuierung, der im Bau­recht eine große Rolle spielt und auf den die RiMEA primär aus­gerichtet ist. Deswe­gen schreibt die VDI 4062 vor, unter­schiedliche Szenar­ien und deren Auswirkung auf das Evakuierungskonzept zu unter­suchen. Bei­de Richtlin­ien wider­sprechen sich nicht, son­dern ergänzen sich. Mit der VDI 4062 wer­den min­destens fol­gende Szenar­ien auf ihre Ein­trittswahrschein­lichkeit betrachtet:

4.1. Unternehmensspezifische Szenarien

Diese Szenar­ien hän­gen von der Art des Unternehmens ab. Es han­delt sich in der Regel um Szenar­ien, wie Brand, Explo­sion, Gefahrstoff­freiset­zung, mech­a­nis­che Unfälle, Stör­fälle (wenn das Unternehmen unter die Stör­fal­l­VO11 fällt), Aus­fall tech­nis­ch­er Infra­struk­tur usw.

4.2. Nachbarschaftsszenarien

Hierzu gehören: Brand, Explo­sion, Gefahrstoff­freiset­zung, mech­a­nis­che Unfälle, die angegebe­nen Gefahren aus der Stör­fall­broschüre nach §11 Stör­fal­l­VO eines oder mehrerer Nach­bar­be­triebe sowie Gefährdung durch Verkehr, Wasser­straßen und Schienen­wege. Aber auch Gefährdung durch Flugzeuge, wenn das Unternehmen auf dem Flughafen oder in der Ein­flugschneise gele­gen ist.

4.3. Mögliche Bedrohungsszenarien (Security)

Bomben­funde, Kriegswaf­fen­funde, Über­fall, Bomben­dro­hung, Amok, Anschlag mit biol­o­gis­chen Stof­fen, son­stige Bedrohungen.

4.4. Naturereignisse

Sturm, Hochwass­er, Starkre­gen, Gewit­ter, Erd­beben, Law­inen, usw.

Jedes dieser Ereignisse ist auf seine Auswirkung im Ern­st­fall zu betra­cht­en. Beson­ders ist die Frage zu klären, bei welchem Szenario nach außen oder innen evakuiert wer­den muss oder ob tiefer gele­gene Räume oder Grund­stück­steile gemieden wer­den müssen und ob höhere Stock­w­erke aufzusuchen sind. Hierzu gehört auch die Betra­ch­tung der zuläs­si­gen Schnee­last für Däch­er und deren Überwachung. Natür­lich müssen nur solche Szenar­ien berück­sichtigt wer­den, die vor Ort möglich sind.

Kommunikation des Ereignisses

Wie wird die Entschei­dung zur Evakuierung im Ern­st­fall kom­mu­niziert? Bei einem Ereig­nis in einem Nach­bar­be­trieb mit Brand und/oder Gefahrstoff­freiset­zung kann es sin­nvoll sein, im eige­nen Gebäude zu bleiben (Innere Sam­mel­stelle). In diesem Fall ist ein anderes Sig­nal als bei der Evakuierung erforder­lich. Es sind die Zuluft abzuschal­ten sowie Fen­ster und Türen zu schließen. Das Gebäude liegt dann in der roten Zone, in der ein Aufen­thalt im Freien nicht sin­nvoll ist. Hier ist die Schnittstelle Evakuierungskonzept und betrieblich­er Alarm und Gefahren­ab­wehrplan (BAGAB) beson­ders sorgfältig zu betrachten.

5. Bestandsaufnahme

Die Bestand­sauf­nahme des Objek­ts erbringt Hin­weise auf Schwach­stellen für eine Evakuierung. Sie müssen mit dem Evakuierungskonzept aus­geglichen wer­den, wenn sie nicht durch andere Maß­nah­men behoben wer­den kön­nen. Neben den vor­beu­gen­den Brand­schutz­maß­nah­men und dem aktuellen Zus­tand aller Sicher­heit­sein­rich­tun­gen sind ins­beson­dere die Alarmierung­sein­rich­tun­gen für die Evakuierung und die weit­ere Steuerung der Evakuierungs­maß­nah­men wichtig. Die vorhan­dene betriebliche Gefahren­ab­wehror­gan­i­sa­tion (BGO), die Anzahl anwe­sender Per­so­n­en zu unter­schiedlichen Zeit­en, beson­ders gefahren­er­höhende Fak­toren, aber auch die inter­nen und exter­nen Schnittstellen bei ein­er Evakuierung sind Grund­lage für die Erstel­lung des Evakuierungskonzepts. Die Ver­wen­dung vorhan­den­er Infra­struk­tur geht dabei der Schaf­fung neuer Infra­struk­tur vor.

6. Aufgabenbeschreibung für die Evakuierung

Hier ist zwis­chen den Auf­gaben der Vorge­set­zten, eventuell benötigter Helfer, den Mitar­beit­ern inklu­sive Fremd­fir­men-Mitar­beit­ern und Besuch­ern zu unter­schei­den. Je mehr Fremde (Verkauf­sstät­ten, Ver­samm­lungsstät­ten und ver­gle­ich­bare Orte), desto mehr Helfer sind zur Lenkung der Evakuierung erforder­lich. Pauschale Prozentzahlen helfen da wenig. Außer­halb der Öff­nungszeit­en für Kun­den oder Besuch­er dieser Objek­te wird sich das Evakuierungskonzept auf die dann jew­eils vorhan­dene Belegschaft/ Fremd­fir­men beziehen und muss die zu diesem Zeit­punkt von außen ver­schlosse­nen Türen (von innen hof­fentlich in Fluchtrich­tung zu öff­nen12) berück­sichti­gen.

In Pro­duk­tion­sstät­ten sind oft wenige Mitar­beit­er auf ein­er großen Fläche verteilt, oder es gibt sog­ar mehrere Alleinar­beit­splätze. Diese Mitar­beit­er müssen bei ein­er Evakuierung ohne Helfer auskom­men. Für das richtige und koor­dinierte Han­deln im Evakuierungs­fall müssen diese regelmäßig unter­wiesen wer­den, wie es das Arbeitss­chutzge­setz vorschreibt. Dazu gehört auch eine aus­re­ichende Zahl von Evakuierungsübun­gen in Abhängigkeit von der Gefährdungsanalyse.

Auf­gaben wie Sam­melplat­zleit­er und Ähn­lich­es müssen die anwe­senden Vorge­set­zten übernehmen. Das kann auch der Schicht­führer sein, wenn außer­halb der Nor­malar­beit­szeit kein Betriebs- oder Abteilungsleit­er anwe­send ist.

Für einen schnellen Überblick an der Sam­mel­stelle eignen sich Zusatzschilder am Schild Sam­mel­stelle, welche die Sam­mel­stellen num­merieren und/oder für Organ­i­sa­tion­sein­heit­en kennze­ich­nen. Bei großen Bürokom­plex­en mit unter­schiedlichen Fir­men, soll­ten die Fir­men auch unter­schiedliche, mit dem jew­eili­gen Fir­men­na­men gekennze­ich­nete Sam­mel­stellen haben. Das erle­ichtert die Voll­ständigkeit­sprü­fung. Ein Hil­f­s­mit­telschrank an der Sam­mel­stelle erle­ichtert die Auf­be­wahrung von notwendi­gen Hilfsmitteln.

Die An- und Abmel­dung von Fremd­fir­men­mi­tar­beit­ern13, Besuch­ern etc. muss im Objekt an zen­traler Stelle erfol­gen. Alter­na­tiv kann an den von außen geschlosse­nen Eingän­gen ein Hin­weis auf eine Tele­fon­num­mer eines Ansprech­part­ners gegeben wer­den. Dieser Hin­weis sollte eben­falls mit dem M gekennze­ich­net sein. Dieser ist anzu­rufen und er kann den Zutritt per Mobil­tele­fon an der Tür steuern oder ablehnen. Umgekehrt ist dieser Ansprech­part­ner auch über das Ver­lassen des Gebäudes zu informieren. In den Fremd­fir­menbes­tim­mungen, welche Bestandteil des Auf­trags sind, muss die Verpflich­tung geregelt sein, dass die Mitar­beit­er der Fremd­fir­men an den notwendi­gen Unter­weisun­gen und Übun­gen teil­nehmen. Das schließt die Bezahlung dieser Zeit durch den Auf­tragge­ber ein.

Evakuierung­shelfer hat der Geset­zge­ber14 nicht vorgeschrieben, aber die Berück­sich­ti­gung der Anwe­sen­heit ander­er Per­so­n­en ist Rech­nung zu tra­gen. Er über­lässt die Organ­i­sa­tion dem Arbeit­ge­ber. In reinen Pro­duk­tion­sstät­ten wird man in vie­len Fällen ohne Helfer auskom­men. Das ist auch geübte Prax­is in Groß­be­trieben. Ergibt aber die Gefährdungs­analyse15, dass Helfer notwendig sind, müssen deren Auf­gaben fest­gelegt werden.

Im Evakuierungskonzept sind in diesem Fall die Auf­gaben der Helfer objek­t­spez­i­fisch und in Abhängigkeit von der Zeit (Tag‑, Nacht‑, Früh- oder Spätschicht, Sonn- und Feiertage, Öff­nungszeit­en für Kun­den und Besuch­er oder andere Zeit­e­in­flüsse) zu beschreiben.

Die Helfer soll­ten nicht nach dem Gießkan­nen­prinzip aus­gewählt wer­den, son­dern an ständi­ge beset­zte Funk­tio­nen gebun­den sein und damit jed­erzeit ver­füg­bar an Ort und Stelle. Das erspart auch eine extra Zeit­pla­nung für Helfer.

Es dür­fen nur Helfer schriftlich benan­nt wer­den, welche mit dem Evakuierungskonzept des zu betreuen­den Objek­ts und ihren dor­ti­gen Auf­gaben aus­re­ichend ver­traut sind. Eine externe Schu­lung alleine reicht nicht, kann aber als Grund­lage dienen.

7. Evakuierungskriterien und deren Aufhebung

Was sind die unter­schiedlichen Kri­te­rien zur Ein­leitung ein­er Evakuierung? Wurde das allen Betrof­fe­nen kom­mu­niziert? Welche optis­chen und akustis­chen Sig­nale sind vere­in­bart? Gibt es eine klare Reglung für die Aufhe­bung des Evakuierungs­falls unter Berück­sich­ti­gung der behördlichen Abläufe und der dazu erforder­lichen inter­nen Regelun­gen? Gibt es eine geson­derte Reglung für Falschalarm16, und wer stellt ihn fest? Wie sind die Ver­ant­wortlichkeit­en geregelt? Viele Fra­gen, die unbe­d­ingt vor­ab zu klären sind.

8. Alarmierung zur Evakuierung

Ob eine Voralarmierung für bes­timmte Funk­tion­sträger notwendig und sin­nvoll ist, bevor eine Evakuierungsentschei­dung gefällt wird, muss vor­ab geregelt wer­den. Dies wird oft­mals gemacht, um Evakuierun­gen auf­grund von Falschalar­men durch Gefahren­meldean­la­gen zu ver­mei­den. Hinge­gen ist bei automa­tis­chen, sauer­stof­fver­drän­gen­den Löschan­la­gen17 die unverzügliche Evakuierung zu regeln.

Generell ste­ht der Ein­satz geeigneter Tech­nik im Vorder­grund. Keines­falls sollte eine Alarmierung durch Helfer (Stock­w­erks­beauf­tragte) als Rege­lalarmierung angewen­det wer­den. Das kann heute nur noch die Aus­nahme18 sein. Sprachalarmierungsan­la­gen müssen je nach erwarteten Ereignis­sen geeignete Sprachkon­ser­ven haben und nicht nur auf den Brand­fall aus­gerichtet sein. Bei behördlichen Aufla­gen ist darauf zu acht­en, dass nicht nur der Brand­fall berück­sichtigt wird.

Rein akustis­che Sig­nale ohne Sprach­durch­sage19 sind zwar weit ver­bre­it­et – sie sind aber ungeeignet, da der Unter­schied zwis­chen äußer­er Sam­mel­stelle und inner­er Sam­mel­stelle im Gefahren­fall in den meis­ten Fällen nicht sig­nal­isiert wer­den kann. Mit ein­er Sprachalar­man­lage20 sind auch bessere Steuerungsmöglichkeit­en möglich. Hinzu kommt, dass man immer unter Anwen­dung des zwei Sinne Prinzips alarmieren sollte, also immer akustisch und optisch.

Sofern es Mitar­beit­er mit Behin­derun­gen bei der Wahrnehmung akustis­ch­er oder optis­ch­er Sig­nale gibt, oder bei hohem Lärm­pegel, kann auch eine Kom­bi­na­tion mit Vibra­tionsalarm sin­nvoll sein. Vibra­tio­nen aus der laufend­en Pro­duk­tion und im Betrieb müssen dabei berück­sichtigt wer­den, um keine Fehlin­ter­pre­ta­tion durch die Mitar­beit­er zu erhalten.

9. Maßnahmen zur Evakuierung besonderer Personengruppen

Hier muss auf die tat­säch­liche Ein­schränkung pro zu evakuieren­der Per­son einge­gan­gen und geeignete Meth­o­d­en aus­gewählt wer­den. Nicht nur Roll­stuhlfahrer, son­dern auch klein­wüch­sige Men­schen, Men­schen mit Hör­be­hin­derung, Blinde, Sehbe­hin­derte, Men­schen mit kog­ni­tiv­en Ein­schränkun­gen oder psy­chis­chen Störun­gen, Men­schen in Kranken­häusern, welche sich vorüberge­hend nicht bewe­gen kön­nen oder das Bett nicht ver­lassen kön­nen, aber auch ältere Men­schen, die langsamer gehen, usw. bedür­fen ein­er geson­derten Betra­ch­tung, um diese im Evakuierungskonzept entsprechend zu berücksichtigen.

9.1 Unterschiedliche Geschwindigkeiten bei der Nutzung von Treppen in Abhängigkeit des Alters

Die Gehgeschwindigkeit von Män­nern ist im Durch­schnitt knapp 11 Prozent höher als die von Frauen. Das sind Schwankun­gen, welche sich je nach Zusam­menset­zung der Per­so­n­en­grup­pen21 auswirken kön­nen. Es kom­men weit­ere Fak­toren wie Per­so­n­en­dichte, Zusam­menset­zung der Per­so­n­en­grup­pen, Altersverteilung, Art der Behin­derun­gen, etc. hinzu.

Ins­beson­dere bei der Selb­stret­tung aus Kel­lergeschoßen ist die Aufwärts­be­we­gung von Bedeu­tung. So kön­nen Hochhäuser fünf und mehr Kel­lergeschosse haben, die ein­er geson­derten Betra­ch­tung gegenüber den Abwärts­be­we­gun­gen aus dem eigentlichen Hochhaus bedür­fen. Allerd­ings befind­en sich in der Regel
in diesen Geschossen deut­lich weniger Men­schen, wie in den oberirdischen
Geschossen.

Die tat­säch­lichen Evakuierungszeit­en unter­liegen ein­er großen Schwankungs­bre­ite und hän­gen von vie­len Fak­toren ab. Die Prax­is zeigt, dass bei guter Vor­bere­itung akzept­able Zeit­en erre­icht werden.

10. Übung

Nicht immer sind Evakuierungsübun­gen kom­plet­ter Gebäude sin­nvoll. Teilübun­gen sind oft sin­nvoller. Beispiel­sweise ist in Kranken­häusern das Umlagern von Patien­ten auf Ret­tungstüch­er oder Matratzen eine Teilübung, die ohne Patien­ten vom Per­son­al geübt wer­den kann.

Ähn­lich ist bei laufend­er Pro­duk­tion zu ver­fahren. Die nach Hause gehende Schicht kann zum Beispiel üben, und die neue Schicht fährt die Pro­duk­tion. Hier fall­en Über­stun­den an, die mitbes­tim­mungspflichtig sind. Das ist aber immer noch bess­er, als ein Pro­duk­tion­saus­fall wegen ein­er Evakuierungsübung.

Eine andere Meth­ode wäre das Weit­er­fahren des Betriebs mit ein­er Min­dest­be­satzung, die nicht an der Übung teil­nimmt. Das muss über eine Gefährdungs­analyse gek­lärt wer­den. Je nach Objekt wird es unter­schiedlich­ste Lösun­gen geben.

10.1 Die Übung als Risiko

Unangekündigte Übun­gen kön­nen zu erhe­blichen Sicher­heit­srisiken und auch wirtschaftlichen Risiken führen. Das gilt auch für Dien­stleis­ter. Eine Abflughalle eines Flughafens, die wegen ein­er Übung evakuiert wird, ver­hin­dert das Erre­ichen der Abflüge durch die zahlen­den Flug­gäste. Die Abflüge erfol­gen nach fes­tem Zeit­plan auch ohne Pas­sagiere. Hier führt eine solche unangekündigte Übung zu ver­mei­d­baren erhe­blichen wirtschaftlichen Risiken, daher sind geeignete Teilübun­gen sinnvoller.

Ein Wert­pa­pier­han­del kann auch nicht unangekündigt unter­brochen wer­den, ohne extrem hohe Schä­den zu verur­sachen. Hier Bedarf es umfan­gre­ich­er Vor­bere­itun­gen, um Schä­den bei Übung und im Ern­st­fall zu vermeiden.

Eine Evakuierungsübung in einem Objekt mit unvor­bere­it­eten Kun­den und Besuch­ern erfordert einen erhöht­en Betreu­ungsaufwand für diese, um ein neg­a­tives Image für die Fir­ma durch die Übung zu ver­mei­den. Bei entsprechen­der Vor­bere­itung ist eine Evakuierungsübung mit Kun­den und Besuch­ern mach­bar, wie die Prax­is zeigt. Es kann sog­ar mit Imagegewinn ver­bun­den sein. Hierzu bedarf es aber eines ver­stärk­ten Helfer­teams zur Betreu­ung der Kun­den und Besucher.

Diese weni­gen Beispiele zeigen die Prob­lematik ein­er unangekündigten Übung auf. Für die Übung muss vor­ab eine Gefährdungs­analyse diese Fra­gen klären, inklu­sive eventueller Gefahren auf dem Evakuierungsweg und der Sammelstelle.

10.2 Wie häufig muss geübt werden?

Die Häu­figkeit und Art der Übung muss in ein­er Gefährdungs­analyse für das Objekt fest­gelegt wer­den. Ver­wal­tungs­baut­en sind in der Regel mit drei Jahren Abstand für eine Übung, aber mit ein­er jährlichen Unter­weisung gut berat­en. In Objek­ten mit höher­er Gefährdung ist ein drei­jähriger Zeitraum zwis­chen den Übun­gen zu groß. Die Fluk­tu­a­tion des Per­son­als spielt eben­falls bei der Fes­tle­gung des Zeitraums eine wichtige Rolle. Eben­so erfordern Schicht­be­triebe mehr Übun­gen, da jede Schicht üben muss. Die Frage der Nach­schu­lung von abwe­sen­dem Per­son­al ist im Evakuierungskonzept eben­falls zu klären.

Empfehlung

Die fol­gen­den Organ­i­sa­tio­nen, wie Haus‑, Betriebs‑, Werk­feuer­wehren, Brand­schutzbeauf­tragter, Werkschutz oder Arbeitss­chutz soll­ten das Evakuierungskonzept im Unternehmen umset­zen und steuern, aber die Übung an die einzel­nen Organ­i­sa­tion­sein­heit­en übergeben, damit diese die Evakuierung ohne Dritte üben. Dadurch wird auch ver­ständlich, dass das Üben eine oper­a­tive Auf­gabe des Betriebes ist und nicht der Sicher­heit­sor­gan­i­sa­tion. Diese ist für die Strate­gie zuständig. Es emp­fiehlt sich, das Konzept im Arbeitss­chutzauss­chuss (ASA) abzus­prechen, die Objek­t­de­tails mit dem jew­eils örtlich zuständi­gen Betrieb­srats- und Personalratsmitglied.

Funk­tion­iert in den Übun­gen die Selb­stret­tung einzel­ner Organ­i­sa­tion­sein­heit­en, kann eine gemein­same Übung mit den für die Gefahren­ab­wehr zuständi­gen Organ­i­sa­tio­nen erfol­gen, um die Schnittstellen zu erproben. Der Selb­stret­tung fol­gt in diesem Fall die Frem­dret­tung. Übun­gen diesen Aus­maßes kön­nen nur die Aus­nahme, und nicht der Regelfall sein.

  • 1 VDI 4062 Evakuierung von Personen“ 
  • 2 Hes­sis­ches Gesetz über den Brand­schutz, die All­ge­meine Hil­fe und den Katas­tro­phen­schutz (Hes­sis­ches Brand- und Katas­tro­phen­schutzge­setz – HBKG)
  • 3 „Zivil­prozes­sor­d­nung in der Fas­sung der Bekan­nt­machung vom 5. Dezem­ber 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zulet­zt durch Artikel 11 Absatz 15 des Geset­zes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geän­dert wor­den ist“
  • 4 Polizei­di­en­stvorschrift (PDV) 100 „Führung und Ein­satz der Polizei”
  • 5 „Arbeitss­chutzge­setz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zulet­zt durch Artikel 427 der Verord­nung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geän­dert wor­den ist“
  • 6 Vol­lzug des Gebotes zur Rück­hal­tung verun­reinigter Löschmit­tel im Brand­fall Hes­sen­weit abges­timmte Empfehlung Stand 17.11.2011
  • 7 Key Per­for­mance Indi­ca­tor (KPI) http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/key-performance-indicator-kpi.html let­zte Ein­sicht 11.08.2017
  • 8 Gefahrstof­fverord­nung vom 26. Novem­ber 2010 (BGBl. I S. 1643, 1644), die zulet­zt durch Artikel 1 der Verord­nung vom 15. Novem­ber 2016 (BGBl. I S. 2549) geän­dert wor­den ist“, § 13 Betrieb­sstörun­gen, Unfälle und Notfälle
  • 9 Muster­verord­nung über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten
  • (Muster Ver­samm­lungsstät­ten­verord­nung – MVStätt­VO) Fas­sung Juni 2005 (zulet­zt geän­dert durch Beschluss der Fachkom­mis­sion Bauauf­sicht vom Juli 2014
  • 10 https://rimeaweb.files.wordpress.com/2016/06/rimea_richtlinie_3–0–0_-_d‑e.pdf let­zte Ein­sicht­nahme 16.07.2017
  • 11 Stör­fall-Verord­nung in der Fas­sung der Bekan­nt­machung vom 15. März 2017 (BGBl. I S. 483), die durch Artikel 58 des Geset­zes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geän­dert wor­den ist
  • 12 ASR A2.3 Fluchtwege und Notaus­gänge, Flucht- und Ret­tungs­plan §6(4)
  • 13 Frieder Eck­er / Stephan Röch­ling (Hrsg.) Arbeitss­chutz bess­er man­a­gen Organ­i­sa­tion und Inte­gra­tion von Sicher­heit und Gesund­heitss­chutz im Unternehmen SBN: 978–3–7406–0013–6
  • 14 §10(1) Arbeitss­chutzge­setz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zulet­zt durch Artikel 427 der Verord­nung vom31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geän­dert wor­den ist
  • 15 ASR 2.3 §9(8) August 2007 zulet­zt geän­dert GMBl 2017, S. 8
  • 16 DIN VDE 0833 Teile 1–4 Gefahren­meldean­la­gen für Brand, Ein­bruch und Überfall
  • 17 DGUV Regel 105–001 – Ein­satz von Feuer­löschan­la­gen mit sauer­stof­fver­drän­gen­den Gasen
  • 18 Solinger Tage­blatt vom 22.04.2014 Finan­zamt: Bran­dalarm mit Hand- Tröten http://www.solinger-tageblatt.de/solingen/finanzamt-brand-alarm-hand-troeten-3896924.html
  • 19 DIN 33404–3:2015–12 – Gefahrensignale – Akustis­che Gefahrensignale
  • 20 Vornorm DIN VDE V 0827–1:2016–07; VDE V 0827–1:2016–07 Not­fall- und Gefahren-Sys­teme – Teil 1: Not­fall- und Gefahren-Reak­tions-Sys­teme (NGRS) – Grundle­gende Anforderun­gen, Auf­gaben, Ver­ant­wortlichkeit­en und Aktivitäten
  • 21 Philipp Knopp Bach­e­lor Arbeit Per­so­n­en- und Fahrzeuggeschwindigkeit­en in Men­schen­men­gen bei San­itätswach­di­en­sten; let­zte Ein­sicht 11.08.2017
  • 22 Richtlin­ie für Mikroskopis­che Entfluchtungsanalysen 

Definitionen nach VDI 4062

  • Evakuierung – Organ­isierte Ver­legung von Men­schen aus einem akut gefährde­tem Bere­ich in einen sicheren Bereich.
  • Kurzzeit­e­vakuierung – Evakuierung in unvorherge­se­henen Fällen mit akutem Hand­lungs­be­darf, die haupt­säch­lich zu ein­er Selb­stret­tung führt.
  • Langzeit­e­vakuierung – Evakuierung, die es ermöglicht, sich organ­isiert in einen sicheren Bere­ich zu bewegen.
  • Selb­stret­tung – Bedeutet Ret­tung aus eigen­er Ini­tia­tive ohne fremde Hil­fe. Die Gren­zen der Selb­stret­tung sind schnell erreicht.
  • Frem­dret­tung – Frem­dret­tung bedeutet nicht in jedem Fall Ret­tung durch die Feuer­wehr, son­dern auch durch Mitar­beit­er, Patien­ten, Pfleger, usw. Möglicher­weise wer­den hierzu tech­nis­che Hil­f­s­mit­tel wie Evakuierungstüch­er, ‑matratzen und/oder Evakuierungsstüh­le usw. eingesetzt.

Checkliste für die Vorbereitung einer Übung

Eine umfassende Check­liste zur Übungsvor­bere­itung kön­nen Sie unter http://hier.pro/xniE6 herun­ter­laden. Die anzuwen­dende Check­liste ergibt sich aus dem jew­eili­gen Evakuierungskonzept des Objekts.


Eine umfassende Check­liste zur Übungsvor­bere­itung kön­nen Sie unter http://hier.pro/xniE6 herun­ter­laden. Die anzuwen­dende Check­liste ergibt sich aus dem jew­eili­gen Evakuierungskonzept des Objekts.


 


Autor:

Dr. Joachim Lindner
Stein­beis Busi­ness Academy

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