Woran erkennt man einen guten Sicherheitsbeauftragten? Dafür gibt es eine ganze Reihe von Merkmalen. Aber ein ganz Wichtiges ist: Um die Arbeitssicherheit im Betrieb zu gewährleisten, nimmt dieser oder diese keine Rücksicht auf die Unternehmenshierarchie und die „großen Tiere“. Ein solcher Sicherheitsbeauftragter ist Dirk Kremers beim international renommierten Werkzeughersteller Gedore Werkzeugfabrik GmbH & Co. KG im bergischen Remscheid. Der Firmenname steht übrigens für „Gebrüder Dowidat Remscheid“.
Kein Pardon für Geschäftsführerin
Der 61-Jährige erinnert sich noch gut: „Vor ein paar Jahren bekamen wir eine neue Geschäftsführerin, Suzanne Wahab. Gleich in ihren ersten Wochen im Unternehmen fand eine Betriebsinventur statt. Da wollte sie dabei sein und musste dazu natürlich auch unsere Produktionshalle betreten. Als sie am Morgen dann vor meinem Büro stand, musterte ich sie gleich von oben nach unten. Hatte sie auch wirklich Sicherheitsschuhe an, keine Pumps oder dergleichen? Sie spürte meinen kritischen Blick und sagte zu mir: Keine Angst, Herr Kremers, ich wusste, dass sie mich ohne diese Schuhe nicht reinlassen würden!“
Dirk Kremers ist bereits seit 1980 im Unternehmen, drei Jahre später nahm der gelernte Lackierer und Maler die Position des Sicherheitsbeauftragten an. Sicherheitsbeauftragter sei er eher zufällig geworden. Als Produktionsvorbereiter in der Blechfertigung habe er zwar schon ein ganz gutes Wissen zum Thema Sicherheit am Arbeitsplatz gehabt, aber ohne den Ausfall eines Kollegen hätte er sich damals zumindest nicht selbst für den Job gemeldet.
Wandel im Bewusstsein
Die Aufgabe habe ihm seitdem aber immer Spaß gemacht, die Zusammenarbeit mit allen anderen Verantwortlichen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz ist ideal und niemand legt ihm bei der Ausübung des Amtes Steine in den Weg. „Sicher“, so Kremers, „ist es anfänglich etwas schwieriger gewesen, weil das Bewusstsein der Kollegen für die Gesundheit am Arbeitsplatz damals noch nicht so groß gewesen ist. Da musste man in nicht wenigen Fällen die Kollegen ermahnen, alle Bestandteile der Persönlichen Schutzausrüstung anzuziehen. Aber das hat sich mit der Zeit positiv verändert. Heute wissen die Leute in der Regel, dass es um ihre eigene Gesundheit geht und handeln entsprechend. Und ich gehe weiter mit gutem Beispiel voran!“
Der Zeitaufwand für seinen Job sei vertretbar. Rund ein bis zwei Stunden in der Woche muss er für den Job opfern, zumeist für Sitzungen, in denen der Arbeitsschutz direkt oder indirekt ein Thema ist. Dirk Kremers ist mitverantwortlich für die gesamte Blechfertigung. Gedore ist Weltmarktführer in der Produktion von Handwerkzeugen. In der Blechfertigung werden unter anderem Werkzeugkästen, Werkzeugschränke und Werkzeugwagen produziert. Diese Produkte durchlaufen hier alle Produktionsstufen bis hin zur Pulverbeschichtung und Endmontage.
Voneinander lernen
Zwei der Werkshallen am Stammbetrieb des Unternehmens in Remscheid-Lüttringhausen, in dem rund 600 Menschen beschäftigt sind, stammen noch aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Einige der Maschinen sind bereits seit Mitte der 30er Jahre im Einsatz. Die Unfallzahlen im Unternehmen sind aber trotzdem stetig zurückgegangen. Prellungen und Schnittwunden kämen noch ab und zu vor, eine vollkommene Senkung auf Null sei aber auch illusorisch, meint Kremers: „Kleinere Schnittwunden werden immer passieren, da braucht ein Kollege nur einmal etwas ungeschickt eine Blechplatte anzufassen.“
Die deutliche Senkung von kleineren und größeren Unfällen während seiner Zeit bei Gedore habe zum einen mit der Anschaffung neuer Maschinen und der Umrüstung alter Maschinen auf neue Sicherheitsstandards mittels Lichtschranken und Schutzgitter zu tun. Den größten Anteil daran habe jedoch die Bereitschaft der unterschiedlichen Abteilungen des Unternehmens, auch in Sachen Arbeitsschutz voneinander zu lernen. Kremers erzählt: „Wenn wir Begehungen machen, dann ist nicht nur der Sicherheitsbeauftragte der jeweiligen Abteilung dabei, sondern mindestens noch ein anderer aus einer anderen Abteilung. So wollen wir verhindern, dass wir betriebsblind werden. Denn es ist immer wieder erstaunlich, dass ein Kollege aus der benachbarten Werkshalle in der eigenen Halle Missstände erkennt, die einem selbst nicht mehr aufgefallen wären – und umgekehrt.“
Unfall als Zäsur
Die Situation des Arbeitsschutzes bei Gedore, so Kremers, sei nie schlecht gewesen, auch wenn er von einer ausgeprägten Arbeitsschutztradition des Unternehmens nicht sprechen möchte. Aber seit 2017 habe der Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb noch einmal viel Auftrieb bekommen. Dies habe zum einen mit der neuen Geschäftsführerin zu tun, die damals ihre Arbeit bei Gedore aufnahm. Zum anderen leider auch mit einem schlimmen Ereignis, bei dem Kremers sogar beteiligt war. Er erzählt: „Das war in einer anderen Abteilung. Ein Kollege kam mit seiner Hand in eine Fräsmaschine. Da der dort zuständige Ersthelfer an dem Tag nicht vor Ort war, sprang ich für ihn ein, da auch ich ausgebildeter Ersthelfer bin. Der Mann verlor zwei Finger. Die schlimmen Bilder habe ich heute noch vor Augen.“ Trotzdem markierte dieser schwere Unfall den Anfang einer neuen wichtigen Phase für den Arbeitsschutz im Unternehmen, denn für die neue Geschäftsführerin, die wie er entsetzt über das Ereignis gewesen war, sei die Gesundheit der Mitarbeiter das wichtigste Gut des Unternehmens.
Zahlreiche Verbesserungen
Hatte das Unternehmen bis dahin nur eine Fachkraft für Arbeitssicherheit, sind es heute drei. Auf Betreiben der Gesellschafterin von Gedore – mit ihr und der Geschäftsführerin sind in dem Unternehmen zwei Führungspositionen mit Frauen besetzt, eine zumindest für Industrieunternehmen auch heute noch bemerkenswerte Tatsache – wurde zudem ein Physiotherapeut engagiert, der die Arbeitsplätze kontinuierlich auf ergonomische Belastungen hin untersucht, den Beschäftigten Tipps für das bewegungsbewusste Arbeiten gibt und bei dem die Beschäftigten einmal pro Woche am Rückentraining teilnehmen können. Die Kosten der für die Arbeit unerlässlichen persönlichen Hilfen wie Bildschirmarbeitsplatzbrillen werden vom Unternehmen vollständig übernommen. In allen Werksteilen sind Wasserautomaten aufgestellt, aus denen die Mitarbeiter gekühltes, gesprudeltes oder heißes Trinkwasser zapfen können, für deren Versorgung sogar komplett neue Wasserleitungen gelegt worden sind. In der Planung sind neue Pausenräume, in denen sich die Beschäftigten unter anderem aus Obstkörben mit frischen Vitaminen versorgen können, sowie die Umstellung der Kantine auf gesünderes Essen.
Vertrauen in eigene Innovationskraft
Beim Gesundheitsmanagement wird bei Gedore also noch nachgelegt. Was die Arbeitssicherheit angeht, ist man schon auf einem guten Kurs. Unternehmenseigene Lösungen spielen dabei beim Remscheider Unternehmen eine große Rolle. Kremers geht zwar auch gerne auf die Arbeitsschutzmessen, um zu sehen, welche Produkte man sich für den eigenen Betrieb unbedingt noch anschaffen sollte. Aber seine Kollegen und er wollen sich nicht nur auf externe Hilfe verlassen: „Man muss nicht immer nur einkaufen. Die besten Lösungen entspringen oft dem eigenen Erfindergeist. Und bestimmte Dinge können wir eben besser als jeder einschlägige Hersteller.“ Ein Paradebeispiel hierfür sei die Rettungsstation. Dirk Kremers erklärt: „Wir wollten an strategisch wichtigen Stellen in den Werkshallen größere Mengen von Erste-Hilfe- und Rettungsmaterialien kompakt lagern, damit man im Ernstfall nicht erst lange ausreichend Verbandsmaterial und andere Dinge suchen muss. Allerdings gefiel uns kein einziger der im Handel erhältlichen Verbandsschränke. Und da sagten wir uns: Wir selbst sind doch die Spezialisten im Anfertigen von Rollwerkbänken und anderen Spitzenprodukten. Warum fertigen wir nicht selbst einen Verbandsschrank, der vom Design und der Größe genau unseren Vorstellungen entspricht?“
Rückenschonende Handhabung
Gesagt, getan. Nun sind an wichtigen Stellen im Betrieb schicke rote Kästen an der Wand angebracht, in denen man im Ernstfall die notwendigen Gerätschaften und Materialien in ausreichender Menge vorfindet: vom Schutzhelm über das Verbandszeug bis zum Feuerlöscher. Technisch noch wesentlich anspruchsvoller sind die Handhabungsgeräte, die man, in Kooperation mit einem Solinger Hersteller, zur Verbesserung der Ergonomie beim Bau der Werkstattwagen entwickelt hat. Daran war Kremers auch beteiligt: „Mit den Handhabungsgeräten haben wir den Kollegen die Arbeit an den Werkstattbänken sehr erleichtert, speziell durch die Entlastung ihrer Rücken, weil sie die Blechteile nicht mehr selbst anheben müssen.“ In einem weiteren Schritt werde aktuell im Rahmen des Projekts „Wendelin“ ein Handhabungsgerät auch für die größeren Werkbänke konzipiert.
Herausforderung Restrukturierung
Dirk Kremers geht in zwei Jahren in Rente. Gemütliche Jahre werden das jedoch nicht, da ist sich Kremers sicher. Durch den nationalen und internationalen Wettbewerb sei Gedore zur Restrukturierung gezwungen. Gegen die Lohnstückkosten aus Fernost könne man nur mit Innovationen und der Neuorganisation der Produktionsprozesse reagieren. Dabei käme es insbesondere darauf an, so Kremers, die bisherigen Ruhezeiten eines Produktes zwischen den einzelnen Produktionsstufen deutlich zu reduzieren. Die Lösung: Die Einrichtung sogenannter Fertigungsinseln. Dazu werden nicht nur Maschinen, die bislang an verschiedenen Standorten auf dem Firmengelände standen, in einer Halle räumlich konzentriert. Vielmehr gehe es auch um eine radikale Veränderung in der Produktionslogistik. Die Beschäftigten würden auf den Fertigungsinseln dann möglichst fertige Bauteile oder Endprodukte herstellen, eine Zergliederung der Produktion in viele kleine Arbeitsschritte wird somit verhindert.
Der Arbeitsschutz spiele auch dabei eine große Rolle, denn für alle neu geschaffenen Prozesse muss eine Gefährdungsbeurteilung gemacht werden. Unfallgefahr bestehe auch beim Transport der Maschinen über das Betriebsgelände hin zur Fertigungsinsel.
Alle an einem Tisch
Dirk Kremers ist sich sicher, dass auch dieser Umbruch einmal mehr die Stärke seines Unternehmens beweisen wird: „Was ich in meiner ganzen Zeit als Sicherheitsbeauftragter hier immer besonders geschätzt habe, das ist die enge und ehrliche Zusammenarbeit aller Kollegen. Wenn wir über aktuelle und neue Projekte sprechen, dann sitzen wir alle im wahrsten Sinne des Wortes an einem Tisch: Techniker, Produktionsleiter und die Verantwortlichen für den Arbeitsschutz. Und die Themen Sicherheit und Gesundheit spielen auch dann immer eine ganz gewichtige Rolle. Die Bedenken und Interessen von uns Sicherheitsbeauftragten und den Fachkräften für Arbeitssicherheit werden ernst genommen und alle am Tisch sind bereit, an einem Strang zu ziehen, um das Vorhaben technisch, betriebswirtschaftlich und hinsichtlich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu einem vollen Erfolg zu machen!“
Dr. Joerg Hensiek
Steckbrief
- Dirk Kremers
- 61 Jahre
- Maler, Lackierer
- Aktuelle Position: Produktionsvorbereiter in der Blechfertigung
- Sicherheitsbeauftragter seit 1983, Ersthelfer
- Branche: Werkzeugherstellung
Gedore Werkzeugfabrik GmbH & Co. KG
Der traditionsreiche Remscheider Hersteller von Handwerkzeugen vertreibt als Gedore-Gruppe rund 16.000 Produkte weltweit und ist damit einer der größten Hersteller von Handwerkzeugen. Zu den weltweit bekannten Klassikern des Unternehmens zählen Werkzeugkästen und Steckschlüsselkästen.
- Die Werkzeugfabrik wurde 1919 von den Brüdern Otto, Karl und Willi Dowidat gegründet.
- Zusammen mit seinen Tochterunternehmen hat das Unternehmen 2.300 Beschäftigte, davon rund 1.200 in Deutschland. Im Remscheider Stammwerk sind rund 600 Mitarbeiter beschäftigt.
- 2016 kam es zu einer Neuausrichtung mit Fokussierung auf die drei Marken GEDORE, GEDORE red und OCHSENKOPF.
- Die Standorte in Brasilien, Großbritannien, Österreich und Südafrika produzieren für ihre jeweiligen Heimatmärkte.
- www.gedore.com