Viel zu selten führt man sich vor Augen, dass die Hände unsere wichtigsten körpereigenen Arbeitsmittel sind und deshalb besonderen Schutzes bedürfen. Handverletzungen (insbesondere an den eng mit Nervenenden besetzten Fingerkuppen) sind schmerzhaft und heilen – zum Beispiel wegen ständiger Bewegung und Belastung – schlechter ab. Das Risiko von Schnittverletzungen muss dabei nicht einfach hingenommen werden, denn es gibt genügend Möglichkeiten, sich davor zu schützen.
Schutzhandschuhe verwenden?
Obwohl naheliegend, werden Handschuhe mit Schnittschutzeigenschaften beim Absetzen von Leitungen eher selten verwendet, da sie die hierfür meistens notwendige Feinfühligkeit deutlich herabsetzen. Wenn aber keine entsprechenden Handschuhe verwendet werden können, kommt der Auswahl des geeigneten Werkzeugs umso größere Bedeutung zu.
Routinearbeit besonders gefährlich
Es ist schon erstaunlich, welch eine große Anzahl unterschiedlicher Messer und Zangen für das Absetzen von Leitungen existiert. Diese resultiert aus den unterschiedlichsten Kabel- und Leitungstypen – wie zum Beispiel Erdkabel oder Starkstrom- und Datenleitungen – sowie den jeweils zur Anwendung kommenden Arbeitsverfahren. Die meisten Unfälle ereignen sich allerdings nicht bei speziellen Anwendungsfällen, sondern eher bei der Durchführung üblicher Routinearbeiten, wie dem Absetzen von Installations- oder Geräteanschlussleitungen. Der hierbei vielerorts übliche Arbeitsablauf soll deshalb zunächst einmal dargestellt werden, um im nächsten Schritt die möglichen Risiken sowie die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen aufzeigen zu können.
Beschreibung des Arbeitsablaufs
Für das Abisolieren eines Leitungsmantels (also der die inneren Adern umgebenden isolierenden Umhüllung) werden meistens Messer eingesetzt. Wird ein herkömmliches Messer verwendet, muss häufig der Mantel zunächst durch einen möglichst gerade ausgeführten Rundschnitt leicht angeritzt werden. Entlang dieser Risslinie kann dann im nächsten Schritt der Einschnitt vorsichtig weiter vertieft werden, wobei die Leitung auch meistens gebogen wird. Durch das Biegen reißt das Isoliermaterial weiter auf, sodass ein Einschnitt bis auf die Adern meistens gar nicht notwendig ist. Dieses Arbeitsverfahren setzt allerdings sowohl eine gewisse Feinfühligkeit als auch – je nach Härtegrad des Mantelwerkstoffs – eine mehr oder weniger große Kraftanwendung voraus, was sich eigentlich widerspricht. Zudem muss man die Messerklinge nicht nur in der unmittelbaren Nähe der Finger führen, sondern Messer und Leitung auch noch festhalten. Es sind also viele unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig auszuführen, wobei das Hauptaugenmerk meistens darauf gerichtet ist, mit dem Messer nicht zu tief einzuschneiden.
Werkzeug-Auswahl
Die Wahl eines geeigneten Werkzeugs ist also von entscheidender Bedeutung. Die trendigen Multitools werden aufgrund ihrer vielen Funktionen oft als praktisch angesehen, liegen jedoch nicht so gut in der Hand wie ein entsprechendes Einzelwerkzeug. Ihre Anwendung sollte deshalb eher auf die Durchführung von Gelegenheitsarbeiten beschränkt werden, wenn kein anderes geeignetes Werkzeug zur Verfügung steht.
Teppich- oder Cuttermesser
Häufig sieht man Elektriker, die mit Teppich- oder Cuttermessern Leitungen abisolieren. Diese Messer sind sehr scharf und zudem preisgünstig. Die Klingen lassen sich schnell austauschen, sodass das lästige Nachschärfen entfällt. Die beiden wesentlichen Nachteile bestehen darin, dass die Klinge einerseits leicht abbricht und anderseits sich oft aus der Arretierung löst, was das Verletzungsrisiko deutlich erhöht.
Elektrikermesser und Varianten
Schon besser geeignet sind Taschenmesser, denn ihre Klingen sind deutlich stabiler. Als „Elektriker-Taschenmesser“ gibt es Messer mit sichelförmiger Klinge, welche sowohl beim Rundschnitt als auch beim Einschneiden eine bessere Handhabung gewährleisten. Eine Variante des Elektrikermessers hat eine kurze, feststehende und stabile Klinge (Abbildung 1). Die geringe Klingengröße gewährt eine gute Handhabbarkeit und ein geringes Verletzungsrisiko. Im Vergleich zum Klappmesser ist nicht die Klinge, sondern die Klingenabdeckung klappbar gestaltet. Bei all diesen Messern bleiben jedoch die vorstehend beschriebenen Probleme hinsichtlich der Handhabbarkeit bestehen.
Spezielle Kabelmesser
Die Hersteller haben schon vor vielen Jahren darauf reagiert und ein für Laien ungewöhnlich aussehendes Kabelmesser entwickelt. Es verfügt über eine sehr kleine und rotierend gelagerte Klinge, die über einen verschiebbaren Bügel abgeschirmt wird. Die Schnitttiefe der Klinge kann über ein Stellrad an die Dicke der Isolation angepasst werden. Zum Abisolieren schiebt man zunächst den Bügel so hoch, dass die abzuisolierende Leitung darunter passt und auf der Klinge aufliegt. Da der Bügel mit einer Rückholfeder versehen ist, presst er beim Zurückgleiten die Klinge in die Isolierung.
Der Bügel gewährt einen gleichmäßigen Anpressdruck und dient gleichzeitig als Führung, um einen geraden Rundschnitt ausführen zu können. Da die Klinge rotierend gelagert ist, kann – ohne abzusetzen – nicht nur ein Rundschnitt, sondern auch anschließend ein Längsschnitt am abzutrennenden Leitungsmantel durchgeführt werden, durch welchen dieser leichter entfernt werden kann. Die Vorteile dieses Messers liegen darin, dass die Klinge abgedeckt ist, bei richtiger Einstellung der Schnitttiefe nicht die Gefahr besteht, die Adern zu verletzen, der Rundschnitt aufgrund der Führung wesentlich vereinfacht wird und nicht zu viele Aufgaben gleichzeitig mit den Händen ausgeführt werden müssen.
Dosen-Abmantler
Ein Werkzeug mit einer ähnlich guten Schutzfunktion ist der „Dosen-Abmantler“. Dieser besteht aus zwei Halbschalen mit darin eingelegten, ebenfalls halbkreisförmigen Klingen. Die abzuisolierende Leitung wird in den Dosen-Abmantler eingelegt. Durch das Schließen der Halbschalen schneiden die Klingen in die Isolierung ein. Durch eine Drehbewegung wird dann ein vollständiger Rundschnitt ausgeführt. Ein solcher Abmantler ist nur für die üblichen Leitungsstärken ausgelegt. Sein Plus: Mit ihm können auch Leitungen an schwer erreichbaren Stellen, wie zum Beispiel Schalter- und Abzweigdosen leicht und sicher abisoliert werden.
Abisolieren von Adern
Für das Abisolieren der Adern werden meistens Zangen benutzt. Hierbei besteht zwar normalerweise ein geringeres Verletzungsrisiko, doch können bei zu tiefen Einschnitten sehr leicht die Adern beschädigt werden, was zu einem geringeren Querschnitt oder höherer Bruchgefahr führt.
Eine bei Elektrikern viel geübte Praxis ist das Abisolieren mittels eines Seitenschneiders. Dabei wird vorsichtiger Druck auf die Schneidbacken ausgeübt, sodass mit etwas Übung nur die Isolation durchtrennt wird. Da jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit dabei auch die Adern beschädigt werden, wurden Zangen entwickelt, an denen mittels einer Schraube eingestellt werden kann, wie weit sich die Schneidbacken schließen (Abbildung 2).
Schnell, sicher und sauber lassen sich Adern mit einer automatischen Abisolierzange absetzen. Diese zerschneidet nicht die Isolierung, sondern presst beim Zudrücken zwei Paar Haltebacken auf die Isolierung, die im weiteren Verlauf des Zudrückens in entgegengesetzter Richtung weggedrückt werden. Die von den Haltebacken fixierten Teile der Isolierung werden hierdurch auseinandergerissen (Abbildungen 3 bis 5). Bei der hier verwendeten Abisolierzange handelt es sich zwar um ein älteres Modell, jedoch kann an ihr die Funktionsweise sehr gut nachvollzogen werden).
Auch auf den Anwender kommt es an
So unterschiedlich die Anwendungsfälle für Kabel und Leitungen sind, so unterschiedlich ist auch ihr Aufbau. Dies muss ein Anwender wissen, um das richtige Arbeitsverfahren und das richtige Werkzeug auswählen zu können. Das Absetzen von Leitungen ist allerdings eine Aufgabe, die gerne Auszubildenden übertragen wird, die weder über die notwendigen Kenntnisse noch über entsprechende Erfahrungen verfügen. Sicherheitsbeauftragte können deshalb viel zur Vermeidung von Schnittverletzungen beitragen, wenn sie auf die Einhaltung der in der Checkliste enthaltenen Verhaltensregeln achten beziehungsweise entsprechende Hinweise geben.
Checkliste
- Nicht aus Geiz oder Bequemlichkeit nur ein Werkzeug benutzen! Es gibt für die meisten Anwendungsfälle entsprechende Lösungen, mittels derer schnell und sicher ein gutes Arbeitsergebnis erzielt werden kann.
- Vorzugsweise sind isolierte, ausreichend stabile Kabelmesser mit abdeckbarer Klinge zu verwenden (Abbildung 4). Ist dies nicht möglich, sollten Kabelmesser mit einer kurzen, stabilen Klinge benutzt werden.
- Teppich- und Cuttermesser sowie Multitools sind in den meisten Fällen ungeeignet.
- Offene Klingen sind möglichst vom Körper weg zu bewegen. Wenn zum Körper hin gearbeitet werden muss: Mit verringerter Kraft arbeiten!
- Auf die Klingenschärfe achten! Das Schneiden mit stumpfen Messern erfordert einen hohen Kraftaufwand und begünstigt hierdurch Verletzungen.
- Ungleichmäßig geschärfte Klingen können ebenfalls Unfälle begünstigen, da das Schnittverhalten oft unberechenbar ist.
- Kältestarre Leitungen können einen größeren Kraftaufwand verursachen und somit Unfälle begünstigen. Besser ist es, die Leitungen auf eine Temperatur bringen, bei welcher die normale Flexibilität gegeben ist.
- Gegebenenfalls zusätzliche PSA benutzen (zum Beispiel Handschuhe mit Schnittschutzeigenschaften). Insbesondere wenn in Richtung des Körpers gearbeitet werden muss, sollte feste Kleidung (zum Beispiel Arbeitsjacke) getragen werden.
- Unterweisung der Beschäftigten (insbesondere Auszubildende) in Theorie und Praxis vor der Ausübung der Tätigkeit sicherstellen.