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Bei der Gefährdungsbeurteilung trifft der Arbeitsschutz auf den Strahlenschutz

Gefährdungsbeurteilung
Arbeitsschutz trifft Strahlenschutz

Arbeitsschutz trifft Strahlenschutz
Betriebliche Sicherheit lässt sich umfassend gewähren, wenn Disziplinen wie ‧Arbeits-, Strahlen- und Brandschutz zusammenarbeiten. Foto: © Sergey Nivens – stock.adobe.com
Seit Ende 2018 ist das neue Strahlen­schutzrecht in Kraft. Ein guter Zeit­punkt, sich die möglichen Syn­ergien zwis­chen den Diszi­plinen Arbeitss­chutz und Strahlen­schutz (hier: ion­isierende Strahlung) vor Augen zu hal­ten. Wer kön­nte bess­er die Zusam­men­hänge darstellen, als die Präven­tion­sex­per­tin Dr. Susanne Severitt, die seit rund einem Viertel­jahrhun­dert mit der The­matik befasst ist?

Das Inter­view führte Andrea Stickel.

Bitte nen­nen Sie einige Tätigkeit­en, bei denen die Beschäftigten mit ion­isieren­der Strahlung umgehen.

Neben den kern­tech­nis­chen Anla­gen gibt es noch zahlre­iche Anwen­dun­gen. Das begin­nt bei der Qual­itätssicherung, geht über die Mate­ri­al­prü­fung und Mate­ri­al­forschung bis hin zur Mikro­bi­olo­gie und Lebens­mit­telin­dus­trie, bei der ion­isierende Strahlung zum Beispiel zur Füll­standsmes­sung genutzt wird. Natür­lich kommt sie auch in der Medi­zin zum Ein­satz: etwa bei der Rönt­gen­di­ag­nos­tik, in der Strahlen­ther­a­pie und Nuk­learmedi­zin oder im Oper­a­tionssaal zur Bildgebung.

Ins­ge­samt ein sehr bre­ites Spek­trum – welche rechtlichen Vor­gaben gilt es zu berücksichtigen?

Für die Anwen­dung radioak­tiv­er Stoffe und ander­er Quellen von ion­isieren­der Strahlung – also etwa Rönt­genein­rich­tun­gen – gel­ten vor­rangig die Vor­gaben aus dem Strahlen­schutzge­setz, der Strahlen­schutzveror­dung und der AtEV mit den dazuge­höri­gen Richtlin­ien, DIN-Nor­men und weit­erem unterge­set­zlichem Regel­w­erk (Anm. d. Red.: siehe Kas­ten Seite 10).

Wie hän­gen die Geset­ze und Verord­nun­gen des Strahlen­schutzes mit denen der Arbeitssicher­heit und des Gesund­heitss­chutzes zusammen?

Im Strahlen­schutzrecht selb­st ist definiert, wann es anzuwen­den ist. Die Zusam­me­nar­beit der Experten untere­inan­der wird im Arbeitssicher­heits­ge­setz und im Strahlen­schutzge­setz thematisiert.

Ver­ant­wortlich für das Erstellen der Gefährdungs­beurteilung ist der Arbeit­ge­ber – welche Exper­tin­nen und Experten muss er bestellen, wenn seine Beschäftigten zum Beispiel mit offe­nen radioak­tiv­en Stof­fen umgehen?

Entschei­dend ist, dass er einen Strahlen­schutzbeauf­tragten (Anm. d. Red.: SSB) mit der passenden Fachkunde schriftlich bestellt. Dabei ist es wichtig, den Fokus auf „passend“ zu leg­en. Denn anders als im Arbeitss­chutz wer­den die SSB entsprechend dem zu betreuen­den Gefährdungspoten­zial und auf die Anwen­dung angepasst ausgebildet.

Was bedeutet das in der Praxis?

Es gibt mehr als 25 ver­schiedene Fachkun­den alleine für die tech­nis­chen Anwen­dun­gen von ion­isieren­der Strahlung. Zur Bestel­lung eines SSB gehört zudem die Def­i­n­i­tion seines örtlichen und sach­lichen Entschei­dungs­bere­ichs. Abschließend gilt es zu beschreiben, welche Unternehmerpflicht­en nach Strahlen­schutzrecht der SSB eigen­ver­ant­wortlich übernimmt.

Wie arbeit­en die Strahlen­schutzbeauf­tragten opti­mal mit den Sicher­heits­fachkräften zusammen?

Der Geset­zge­ber fordert ja im StrlSchG und ASiG eine Zusam­me­nar­beit der Diszi­plinen. Da sich aber das Schutzziel eines SSB von dem ein­er Sifa unter­schei­det, betra­cht­en die bei­den eine zu bewälti­gende Prob­lematik unter ver­schiede­nen Blickwinkeln.

Und worin unter­schei­den sich diese?

In aller Kürze erk­lärt: Der SSB schützt Men­sch und Umwelt vor der gefährlichen Wirkung der ion­isieren­den Strahlung. Die Sifa hinge­gen küm­mert sich um die men­schen­gerechte und sichere Gestal­tung von Arbeitsplätzen.

Bitte erläutern Sie, wie diese Zusam­me­nar­beit beim Erstellen der Gefährdungs­beurteilung ausse­hen kann? Wer ver­ant­wortet welchen Bereich?

Sie müssen gemein­sam Lösun­gen find­en, mit denen sich die unter­schiedlichen Schutzziele erfüllen lassen. Zunächst gilt es zu klären, an welch­er Stelle begonnen wer­den soll. Liegt die beson­dere Tätigkeit „Umgang mit ion­isieren­der Strahlung“ vor, wie in der DGUV Vorschrift 2 Anlage 2 Anhang 4 genan­nt, gilt es zu ermit­teln, ob das Strahlen­schutzrecht anzuwen­den ist. Das ist der Fall, wenn das Gefährdungspoten­zial durch ion­isierende Strahlung in den Vorder­grund tritt. Erst dann greifen die bere­its genan­nten Regelun­gen des Strahlen­schutzrechts und der SSB muss unbe­d­ingt mit ins Boot geholt werden.

Kön­nen Sie bitte ein Beispiel nennen?

Gerne: Für die Anwen­dung eines radioak­tiv­en Stoffes greift das Strahlen­schutzrecht erst dann, wenn eine zur Menge pro­por­tionale Frei­gren­ze über­schrit­ten ist. Für den Umgang unter­halb der Frei­gren­ze ist das Strahlen­schutzrecht nicht anzuwen­den – fol­glich gibt es dann auch keinen SSB. Ein ander­er Sicher­heit­sex­perte, zum Beip­siel die Sifa, ist dann für die Sicher­heit zuständig.

Und was passiert, wenn dies nicht der Fall ist – beziehungsweise sich nicht ein­deutig klären lässt?

Falls nein, gibt es, wie gesagt, auch keinen SSB. Die Gefährdungs­beurteilung wird dann entsprechend den son­sti­gen Gefährdun­gen am Arbeit­splatz aus­gestal­tet. Wenn noch nicht klar ist ob ja oder nein, sollte ein Experte zur Klärung der Frage hinzuge­zo­gen werden.

Welche Doku­mente und Ver­fahrensweisen des Strahlen­schutzes lassen sich beim Erstellen der Gefährdungs­beurteilung heranziehen?

Die Unter­la­gen kön­nen, je nach strahlen­schutzrel­e­van­ter Tätigkeit, unter­schiedliche sein. Wo ein SSB bestellt wer­den muss, gibt es in der Regel auch eine Genehmi­gung oder Anzeige, liegen gegebe­nen­falls Prüf­berichte, eine Strahlen­schutzan­weisung und Dosis­berech­nun­gen zu Expo­si­tio­nen vor. Auf diese kann dann in der Gefährdungs­beurteilung ver­wiesen werden.

Wo sehen Sie typ­is­che Fehlerquellen beim Erstellen der Gefährdungsbeurteilung?

Zum einen, dass die Gefährdung nicht erkan­nt wird. Zum anderen kann es passieren, dass nach­dem eine Gefährdung erkan­nt und aufgenom­men wurde, die Dynamik der Anwen­dung unter­schätzt und die Gefährdungs­beurteilung nicht den im Laufe der Zeit geän­derten Bedin­gun­gen angepasst wird.

Wie lassen sich diese vermeiden?

Das gelingt durch regelmäßige Über­prü­fung, ob die Gefährdung noch dieselbe geblieben ist. Dazu gehört eine gewisse Trans­parenz in Bezug auf die Fra­gen: Was wird im Unternehmen im Detail getan? Wo ändern sich Gegeben­heit­en wie Arbeitsabläufe, notwendi­ge Mate­ri­alien, Umbaut­en, et cetera?

Wie wer­den diese Infor­ma­tio­nen ausgetauscht?

Diese The­men soll­ten frühzeit­ig im ASA, dem Arbeitssicher­heit­sauss­chuss besprochen wer­den. Hier bietet sich die Möglichkeit, dass alle Sicher­heit­sex­perten zusam­menkom­m­men. Das ASiG beschreibt in Para­graf 10 die Pflicht­mit­glieder des ASA und fordert zur Ein­ladung ander­er Sicher­heit­sex­perten auf.

Wie kön­nen die bei­den Diszi­plinen kon­struk­tiv miteinan­der arbeiten?

Dies muss auf ver­schiede­nen Ebe­nen passieren: Im Rah­men mein­er Tätigkeit im Fachver­band für Strahlen­schutz haben wir bere­its im Jahr 2003 eine Koop­er­a­tion mit dem VDSI angestoßen. Hier befassen wir uns genau mit der The­matik „Arbeitss­chutz trifft Strahlen­schutz“. Mir ist wichtig, ein „Gren­z­denken“ abzubauen. Denn einziger wirk­lich­er Unter­schied in der prak­tis­chen Arbeitsweise von Sifa und SSB ist das Schutzziel. Alles andere wie zum Beispiel die Hand­lungs­ge­bote und die Gefahren­min­imierung sind gle­ich. Selb­st das TOP-Mod­ell gilt im Wesentlichen auch im Strahlenschutz.

Was bedeutete das für die Kommunikation?

Alle Akteurin­nen und Akteure sind für die Sicher­heit zuständig. Es darf kein Denken in Diszi­plinen geben. Nur als Team lassen sich Rei­bungsver­luste vermeiden.

Kön­nen Sie ein Beispiel nennen?

Stellen Sie sich ein Radionuk­lid­la­bor im Erdgeschoss eines Gebäudes vor. Der Beauf­tragte für den Brand­schutz fordert einen zweit­en Fluchtweg über die Fen­ster. Aus Sicht des Strahlen­schutzes müssen diese aber ver­schlossen sein. Der Brand­schützer sagt: „Gut, dann instal­lieren wir Nothäm­mer, um die Scheiben zu zer­schla­gen“. Daraufhin sagt die Sifa: „Gut — aber dann brauchen wir auch eine Split­ter­brille und einen Kettenhandschuh.“

Und wenn es tat­säch­lich brennt?

Dann schaut sich der Mitar­beit­er erst mal die ganzen Pik­togramme an — und während er sich noch die Brille auf­set­zt und den Hand­schuh anzieht, kann es schon zu spät sein. Das kann passieren, wenn jed­er sein Schutzziel ver­fol­gt, ohne dass miteinan­der gere­det wird. Eine sin­nvolle Lösung wäre, hier zum Beispiel eine Art Panikschlöss­er an den Fen­stern zu instal­lieren. Und vor allem: miteinan­der zu reden!

Sehen Sie neben Recht­skon­for­mität und Gesund­heitss­chutz weit­ere Effek­te durch eine sorgfältig konzip­ierte Gefährdungsbeurteilung?

Allerd­ings – sehr umfassende sog­ar: Sie kann zu ein­er Verbesserung der Kom­mu­nika­tion beitra­gen und einen respek­tvollen Umgang von Arbeit­ge­ber und Arbeit­nehmer fördern. Eine gute Gefährdungs­beurteilung trägt auch zu ein­er Qual­itätsverbesserung, Effizien­zsteigerung sowie ein­er soli­den Ein­satz­pla­nung bei. Die Nutzung von Umwel­tres­sourcen mit Augen­maß kann verbessert werden.

Besten Dank für das Gespräch


B·A·D‑Kompetenzfeld Strahlenschutz

Das B·A·D‑Kompetenzfeld Strahlen­schutz berät und unter­stützt bun­desweit Kun­den aus Indus­trie, Forschung und medi­zinis­chen Ein­rich­tun­gen in allen Fra­gen des Strahlen­schutzes (ion­isierende Strahlung) z. B.

  • bei der Durch­führung von Genehmi­gungsver­fahren, Dosime­trie und Unterweisung
  • bei der Erstel­lung von strahlen­schutzrel­e­van­ten Doku­menten wie z. B. Strahlenschutzanweisungen
  • durch Bere­it­stel­lung von Strahlen­schutzbeauf­tragten für Tätigkeit­en in frem­den Anla­gen (in Absprache mit der Behörde)
  • bei der Durch­führung und Inter­pre­ta­tion von Radon-Mes­sun­gen sowie Beratung zu den Möglichkeit­en in Bezug auf notwendi­ge Überwachungs- und Sanierungsmaßnahmen

www.bad-gmbh.de

 


Rechtliche Basis – Strahlenschutz (Ausschnitt)

StrlSchG: Gesetz zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ion­isieren­der Strahlung
www.gesetze-im-internet.de/strlschg

StrlSchV: Verord­nung zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ion­isieren­der Strahlung „Strahlen­schutzverord­nung“ (StrlSchV)
www.gesetze-im-internet.de/strlschv_2018

AtEV: Verord­nung über Anforderun­gen und Ver­fahren zur Entsorgung radioak­tiv­er Abfälle
www.gesetze-im-internet.de/atev/BJNR217210018.html


 

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