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In der Chemiefabrik, im Hochofen oder in der Sägemühle, jedes Jahr ereignen sich schwere und schwerste Unfälle, die mit Explosionen einhergehen. In einer Serie von drei Artikeln beleuchtet unser Fachautor Ursachen und Hintergründe von Explosionsunfällen. Angefangen mit dem „Klassiker“: Die Reaktion mit Sauerstoff.
„So wichtig wie die Luft zum Atmen“ ist ein Sprichwort, das wir verwenden, um auf (scheinbar) lebenswichtige Dinge hinzuweisen. Unser Leben ist ohne Luft nicht möglich. Denn der darin enthaltene Sauerstoff dient in den Zellen zur Verbrennung und somit zur Energieerzeugung. Laufen diese Oxidationsprozesse allerdings nicht langsam im kleinen, sondern schnell im großen Maßstab ab, wird die freigesetzte Energie zur Gefahr.
Von einer Explosion spricht man, wenn die Reaktion mit Sauerstoff im Bereich von Sekundenbruchteilen abläuft, die gebildeten Verbrennungsgase durch die Reaktionswärme aufgeheizt werden, sich dadurch ausdehnen und schließlich zu einer immensen Druckerhöhung führen. Dabei können Temperaturen über 1000 Grad Celsius und Druckerhöhungen auf das etwa acht- bis zehnfache des Ausgangsdruckes auftreten. Von einer Detonation spricht man, wenn die Ausdehnung mit Überschallgeschwindigkeit erfolgt. Der Begriff Verpuffung wird dagegen nur umgangssprachlich als Synonym für eine Explosion verwendet.
Grundsätzlich bedarf es für Brände und Explosionen dreier Voraussetzungen, die gleichzeitig vorliegen müssen:
- der erwähnte Sauerstoff der Luft (oder ein anderes Oxidationsmittel, beispielsweise Chlorgas),
- weiterhin ein brennbarer Stoff: entweder ein Gas wie Erdgas oder ein Flüssiggas wie Propan und Butan (beide kennt man unter anderem von Campingkochern und sind auch als Treibgas in manchen Spraydosen enthalten), oder Flüssigkeitsdämpfe, beispielsweise Benzin- oder Acetondämpfe (also insbesondere von Kraftstoffen und Lösemitteln), oder brennbare Stäube (auf die später noch eingegangen wird),
- dazu eine wirksame Zündquelle (auch dazu später mehr).
Liegen die brennbaren Stoffe (erkennbar beispielsweise an dem Piktogramm „Flamme“ auf dem Etikett) zusammen mit Sauerstoff in einem (un-) günstigen Mischungsverhältnis vor, spricht man von einer explosionsfähigen Atmosphäre.
Eine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre liegt vor, „wenn im Falle ihrer Entzündung die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten oder Dritter beeinträchtigt werden kann und deshalb besondere Schutzmaßnahmen erforderlich werden“. So definiert es die Technische Regel für Gefahrstoffe TRGS 721 „Gefährliche explosionsfähige Atmosphäre – Beurteilung der Explosionsgefährdung“, die auch als Quelle für weitere Informationen herangezogen werden kann.
Temperaturen, die Sie kennen sollten
Im Zusammenhang mit Explosionen sind unter anderem zwei Kenngrößen von Bedeutung, die in jedem Sicherheitsdatenblatt angegeben werden müssen: der Flammpunkt und die Zündtemperatur.
„Der Flammpunkt ist die niedrigste Temperatur einer Flüssigkeit, bei der sich unter genormten Bedingungen Dämpfe in solcher Menge entwickeln, dass sie fähig sind, ein entflammbares Dampf/Luft-Gemisch zu bilden.“
Aus dieser Definition lassen sich verschiedene Erkenntnisse ableiten:
- Die Überschreitung des Flammpunktes führt nicht automatisch zu einer Explosion, sondern es bildet sich „nur“ eine explosionsfähige Atmosphäre, die beim konsequenten Ausschluss von Zündquellen „friedlich“ bleibt.
- Es sind nicht die Flüssigkeiten an sich, die eine Explosion herbeiführen, sondern ihre Dämpfe.
Deshalb kann auch von geringen Flüssigkeits-Restmengen in scheinbar leeren Fässern oder Räumen eine Gefahr ausgehen. In einem 200-Liter-Fass reichen gerade einmal 5 Gramm Benzin zur Bildung einer gefahrdrohenden Menge aus (Quelle: Merkblatt T005 „Fassmerkblatt“ der BG RCI).
Für die Bestimmung des Flammpunktes sind genormte Bedingungen erforderlich. Somit ist der Flammpunkt eine von der Versuchsanordnung (also dem Flammpunktprüfgerät) abhängige Größe, während die eigentlichen Explosionsgrenzen Stoffeigenschaften sind, die sich um einige Grad vom Flammpunkt unterscheiden können. Deshalb ist bei der Handhabung und Verarbeitung brennbarer Flüssigkeiten immer ein Sicherheitsabstand einzuhalten. Bei reinen Flüssigkeiten beträgt die erforderliche Differenz mindestens 5 Grad, bei Lösemittelgemischen mindestens 15 Grad. Und noch eine Randbedingung muss eingehalten werden: Ein Verspritzen und Versprühen muss ausgeschlossen werden, weil fein verteilte Nebel aufgrund der großen Oberfläche bei wesentlich niedrigeren Temperaturen zünden können.
„Die Zündtemperatur ist die niedrigste Temperatur einer heißen Oberfläche, bei der unter festgelegten Prüfbedingungen die Entzündung eines entzündbaren Gases oder Dampfs in einem Gemisch mit Luft erfolgt.“
Die Zündtemperatur liegt immer über dem Flammpunkt und führt beim Überschreiten sofort zur Zündung einer explosionsfähigen Atmosphäre. (Somit haben wir auch schon eine erste Zündquelle kennengelernt: heiße Oberflächen. Weitere Zündquellen folgen weiter unten.)
Auch bei der Zündtemperatur gibt es einen geforderten Sicherheitsabstand zwischen Messgröße und Umgangstemperatur im Betrieb: Oberflächentemperaturen dürfen in bestimmten Fällen höchstens 80 Prozent des Messwertes erreichen, bei einer Zündtemperatur von 400 Grad also maximal 320 Grad. Für die Praxis teilt man brennbare Gase und Dämpfe entsprechend ihrer Zündtemperatur in so genannte Temperaturklassen ein (siehe Tabelle auf S. 26). Diese können dann für die Einstufung von Geräten in explosionsfähigen Atmosphären entsprechend ihrer maximalen Oberflächentemperatur verwendet werden.
Zündquellen – der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt
Wie erwähnt, bedarf es für das Auslösen einer Explosion neben Sauerstoff und brennbarem Stoff noch einer wirksamen Zündquelle. Die Wirksamkeit, also die Fähigkeit, eine explosionsfähige Atmosphäre zu entzünden, hängt dabei insbesondere von der Energiemenge ab, die von der Zündquelle erzeugt wird.
Eine Zündquelle haben wir schon kennen gelernt: heiße Oberflächen. Einige weitere sind sicher auch bekannt: Offene Flammen, beispielsweise ein brennendes Streichholz (das auch als Symbol auf dem entsprechenden Verbotszeichen zu sehen ist), glimmende Zigaretten und elektrische Funken, die beim Öffnen und Schließen elektrischer Stromkreise gebildet werden (oder als Zündkerze im Motor das Benzin-Luft-Gemisch verbrennt).
Daneben kennt man noch eine ganze Reihe weiterer Zündquellenarten, unter anderem mechanische Schlag- und Reibfunken (Beispiel Flexen), atmosphärische Entladungen (Beispiel Blitzschlag), elektromagnetische Felder (dazu gehören beispielsweise Funksender), adiabatische Kompression (eine schnelle Verdichtung, die beim Dieselmotor die Zündkerze ersetzt), Ultraschall und ionisierende Strahlung. Eine häufig unterschätzte Zündquelle ist die statische Elektrizität. Während des Arbeitsprozesses kann bei Vorgängen wie Reiben, Zerstäuben, Ausschütten von festen Stoffen oder beim Strömen von Flüssigkeiten eine gefährliche Aufladung erfolgen.
Auch Menschen können aufgeladen werden, wenn sie isolierende Bekleidung oder Schuhwerk tragen. Vielleicht kennen Sie das Phänomen beim Ausziehen von Kunstfaser-Pullis, dass sich kleine Blitze bilden – diese könnten in einer explosionsfähigen Atmosphäre als Zündquelle wirken!
Gefährlicher Staub – auch Lebensmittel können Explosionen verursachen
Wichtig zu wissen: Auch in Luft fein verteilte Stäube können eine explosionsfähige Atmosphäre bilden, beispielsweise Mehl- und Zuckerstaub. Gleiches gilt für Holz- und Kohlestaub. Bei vielen brennbaren Stäuben reicht bereits eine gleichmäßig über die gesamte Bodenfläche verteilte Staubablagerung von weniger als ein Millimeter Schichtdicke aus, um beim Aufwirbeln einen Raum mit explosionsfähigem Staub/Luft-Gemisch vollständig auszufüllen. Infolge einer ersten Explosion kann abgelagerter Staub aufgewirbelt werden und zu Folgeexplosionen führen. Die schwerste Mehlstaub-Explosion in Deutschland ereignete sich am 6. Februar 1979 in der Rolandmühle in Bremen, sie riss 14 Menschen in den Tod.
Schutzmaßnahmen zur Prävention des unerwünschten Knalls
Um eine Explosion zu vermeiden, muss mindestens eine der drei Voraussetzungen, brennbarer Stoff – Sauerstoff – Zündquelle, ausgeschlossen werden.
Daher gilt:
- Substitution von Stoffen, die in der Lage sind, explosionsfähige Atmosphäre zu bilden, beispielsweise Ersetzen entzündlicher Lösemittel zur Metallentfettung durch Ester auf Basis pflanzlicher Öle.
- Vermeiden der Bildung einer explosionsfähigen Atmosphäre. Bei Flüssigkeiten entweder durch Sicherstellen einer niedrigen Temperatur, so dass der Flammpunkt immer ausreichend unterschritten wird. Oder durch eine wirksame Absaugung, so dass die Konzentration der Dämpfe in der Luft unterhalb der Explosionsgrenze bleibt. Bei brennbaren Stäuben zählt dazu auch eine zeitnahe und regelmäßige Beseitigung von Staubablagerungen.
- Vermeiden einer explosionsfähigen Atmosphäre durch Ausschluss von Sauerstoff, also durch Inertisieren mit Stickstoff oder Kohlendioxid.
- Verhindern der Zündung einer explosionsfähigen Atmosphäre durch Ausschluss aller wirksamen Zündquellen.
Ein alternatives Schutzkonzept kann darin bestehen, die Auswirkungen einer Explosion zu begrenzen. Dies funktioniert allerdings nur in geschlossenen Systemen, beispielsweise durch die Anwendung von Vakuum (weil der Explosionsdruck ja vom Anfangsdruck abhängt, führt eine Explosion bei 0,1 bar zu einem Druck von 1 bar, also Normaldruck), durch explosionsfeste Bauweise (dann müssen alle Komponenten dem Enddruck widerstehen können) oder durch Druckentlastung mittels Berstscheibe oder Explosionsklappen.
In der nächsten Folge lesen Sie, welche Bedeutung das Explosionsschutzdokument hat – und warum es nicht alle Explosionen erfasst.
Lesen Sie auch:
- Die wüste Welt der Explosionen, Teil 2 — Das Explosionsschutzdokument – und warum es nicht in jedem Fall hilft
- Die wüste Welt der Explosionen Teil 3 — Wasser und Stickstoff: vom Helfer zur Gefahr
- In der TRBS 2152 Teil 4 werden die Maßnahmen des konstruktiven Explosionsschutzes, welche die Auswirkung einer Explosion auf ein unbedenkliches Maß beschränken, beschrieben und festgelegt. Dazu zählen eine explosionsfeste Bauweise, Explosionsdruckentlastung, Explosionsunterdrückung und explosionstechnische Entkopplung (von Flammen und Druck). Der Beitrag von Dr. Dyrba erläutert Grundlagen und Anforderungen und zeigt praxisnahe Beispiele.
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