Der mittelständische Betrieb mit rund 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im niedersächsischen Sulingen produziert täglich rund 1.800 Paar Schuhe. Viel Handarbeit – nicht nur in der Produktion, sondern auch bei der Wartung der Hochregallager-Technik. Die Schienenkonstruktion für die automatischen Regalbediengeräte wird in regelmäßigen Abständen von drei Monaten geprüft. Dabei muss sie auch vom Kohlestaub, der an den Stromschienen entsteht, befreit werden. Fünf vollautomatische Regalbediengeräte sind bei Lloyd im Einsatz, die sich über fünf 60 Meter lange Stromschienen mit Energie versorgen. Neben den Schienen ist ein T‑Stahl montiert, an dem die Bediengeräte geführt werden.
Zweckmäßiges Hilfsmittel
Die Konstruktion ist praktisch und zweckmäßig – erforderte aber viel Handarbeit beim Reinigen. Damit der Kohleabrieb der Stromabnehmer keinen Kurzschluss in den Stromschienen auslöst, müssen diese einmal im Quartal ausgesaugt werden. Bisher musste ein Mitarbeiter den Staubsauger, mit dem er die innenliegenden Bereiche absaugte, von Hand durch die Gänge tragen und über die Schienen hinwegheben. Dabei, sowie beim Aussaugen, musste er sich häufig auf die Knie begeben – alles ziemlich belastend für den Muskel-Skelett-Apparat. Doch seit Januar 2017 ist diese Belastung deutlich reduziert und das Verfahren geändert. Der Sicherheitsbeauftragte Florian Poggenburg, ein Mitarbeiter aus der Abteilung Instandhaltung, der die Schienenreinigung normalerweise durchführt, hatte eine bahnbrechende Idee.
Poggenburg brachte in einer Sitzung des Arbeitssicherheitsausschusses (ASA) einen Verbesserungsvorschlag ein, wie die Fachkraft für Arbeitssicherheit, Christian Alscher, berichtet: „Er schlug vor, ein zusammensetzbares Trägerfahrzeug, an dem er eine Staubsaugerbürste befestigen wollte, zu entwickeln. Das Fahrzeug sollte entlang der Schienen gezogen werden und die Beschäftigten könnten dann die Stromschienen in aufrechter Haltung absaugen. Wir fanden die Idee gut und so kam es auch zu dem Beschluss, dass er das Gerät bauen sollte.“ Tatsächlich entwickelte Florian Poggenburg das Gerät sogar noch weiter: Die Mitarbeiter müssen es nun nicht mehr in Einzelteilen bis zur Einsatzstelle tragen, sondern können es als Ganzes an den entsprechenden Ort schieben. Dabei nutzen sie die Träger, auf denen auch die regulären Bediengeräte zur Hochregallager-Entnahme geführt werden.
„Bei Lloyd werden Vorschläge aus der Belegschaft – insbesondere, wenn es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen geht – dankend angenommen“, erklärt die Sicherheitsfachkraft Christian Alscher. „Der regelmäßig tagende ASA ist das Instrument, über den solche Vorschläge eingebracht und in der Regel auch direkt entschieden werden können. Obwohl das Unternehmen die Struktur eines mittelständischen Unternehmens hat, geht es bei Lloyd sehr familiär zu: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kennen sich untereinander und tauschen sich über laufende Projekte aus. So auch in diesem Fall: Die zündende Idee hat andere Mitarbeiter motiviert, an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz Verbesserungspotenziale auszuarbeiten“, ergänzt Alscher.
In rund zwei Monaten realisiert
Von Vorteil war sicherlich, dass Poggenburg den Bau des Wagens selber durchführen konnte. Die Eigenkonstruktion ist nicht nur perfekt auf das eingesetzte System abgestimmt, sondern das Vorhaben ließ sich auf diese Weise auch schneller umsetzen als es bei einem entsprechenden Vorschlag an den Hersteller des Schienensystems möglich gewesen wäre. Zudem ist der Wagen an den eingesetzten Staubsauger angepasst, so dass er optimal positioniert ist.
Die Realisierung hat nach dem „Go“ aus dem ASA kaum mehr als zwei Monate gedauert. Gerade rechtzeitig für das nächste Wartungsintervall hatte Poggenburg den Wagen fertig und konnte ihn unter Realbedingungen testen. Daraus entwickelte sich schnell eine weitere Verbesserungsidee – den Wagen direkt auf den T‑Trägern laufen zu lassen. Auch das konnte der Mechatroniker selber einrichten. Seitdem ist das Fahrzeug, manuell geschoben, im Einsatz. Die Abnahme erfolgte werksintern, da der Wagen keine elektrischen Antriebe hat und damit lediglich die Konstruktion an sich den Belastungen durch die Bewegung und den zu transportierenden Staubsauger standhalten muss.
Doppelter Nutzen dank Zeitersparnis
Dabei trug die Vereinfachung des Arbeitsprozesses doppelt Früchte: Zum einen ist die Belastung für Poggenburg, wenn er durch die Regallager-Reihen geht, seither viel geringer. Zum anderen braucht er nur noch rund ein Drittel der Zeit, die er früher damit verbrachte. Ein Grund mehr für Christian Alscher, das Projekt als rundum gelungen zu bezeichnen. Es kann durchaus ein Vorbild für andere vollautomatische Hochregallager sein, um dem Wartungsmitarbeiter ein rückenschonenderes Arbeiten zu ermöglichen. Zwar sind die Systeme unterschiedlich, doch das Prinzip ist bei allen gleich.
Großer „Hallo-Effekt“
Allerdings kam Alscher auch aus einer anderen Überlegung heraus dazu, sich damit für den Deutschen Arbeitsschutzpreis zu bewerben: Es war die grundsätzliche Resonanz auf die Verbesserung. Das Projekt wirkte nämlich betriebsintern stark nach, was man zunächst gar nicht angedacht hatte. Seit Poggenburg den Wagen gebaut und in Betrieb genommen hatte, sprach sich das Ganze im Unternehmen herum. „Es gab einen ‚Hallo‘-Effekt – und wir bekamen auch aus anderen Abteilungen vermehrt Vorschläge zur Verbesserung von Arbeitssituationen.“
Verstärkt aktiv wurden dabei nicht nur die rund acht Sicherheitsbeauftragten, die im Werk vor Ort tätig sind. Auch die Mitarbeiter aus der Kommissionierung beispielsweise haben einen effektiven Verbesserungsvorschlag eingebracht: Um aus den oberen Ablagen Waren zu entnehmen, benötigen sie oft eine kleine Leiter beziehungsweise einen Tritt. Diesen mussten sie entweder händisch mit sich herumtragen – oder eben, wenn benötigt, herbeiholen und wieder wegräumen. Nun ist an den Wagen ein ausklappbarer Tritt befestigt, der bei Bedarf genutzt werden kann – ohne zusätzliche Traglast oder doppelte Wege.
Belastungen verringern
Im Unternehmen werden solche Verbesserungsvorschläge angehört. Dabei geht Alscher nicht nach dem Prinzip vor: „Zeig mir in Zahlen, was es mir bringt“. Er setzt stattdessen auf „probieren geht über studieren“ und geht davon aus, dass sich jede Verbesserung der Arbeitsbedingungen positiv auswirkt – auch ohne einen direkten Niederschlag in der Fehlzeitenstatistik oder ähnlichem.
Häufige Wiederholungen
„In der Schuhfertigung herrscht noch ein hoher Grad an Handarbeit, auch, wenn wir heute statt einem Paar Schuhe rund 1.800 täglich fertigstellen“, erläutert Alscher. Die Arbeitsschritte ähneln noch immer denen bei der Gründung im Jahr 1888. „Darum sind manche Tätigkeiten heute eben belastender als früher“, führt die Fachkraft für Arbeitssicherheit aus: „Tätigkeiten, die sich häufig wiederholen, wie die Bearbeitung des Schaftleders, gezogen auf einen Leisten, belasten das Handgelenk. Wer täglich mehrfach zwei Kilogramm – so viel
wiegt ein Schuhschaft mit Leisten schon einmal – halten und dann mit dem Schwamm einstreichen muss, spürt das Gelenk abends deutlich.“ Auch hier werden die Mitarbeiter mittlerweile durch eine Eigenkonstruktion entlastet. Das Unternehmen hat ein freischwingendes Gerät entwickelt, das den Part des Haltens übernimmt. Die Beschäftigten können sich so ganz auf die Bearbeitung des Schuhs konzentrieren.
Darüber reden und berichten
Was für Alscher in diesem Zusammenhang wichtig ist: Zur Bewerbung um den Deutschen Arbeitsschutzpreis hat er im Intranet einen Beitrag veröffentlicht und auch die Mitarbeiterzeitung berichtete darüber. Beides hat mit dazu beigetragen, dass die Mitarbeiter sich weiterhin an die Sicherheitsbeauftragten wenden, um Vorschläge zu machen oder schwierige Situationen anzusprechen.
Auch wenn das Unternehmen letztlich nicht einen der deutschen Arbeitsschutzpreise 2017 erhielt – auf der Nominierungsliste zu stehen, war für die Mitarbeiter ebenso eine Auszeichnung. Diese sieht Alscher als Motivation, das Thema „Muskel-Skelett-Apparat-schonendes Arbeiten“ bei dem Schuhproduzenten weiter zu verfolgen.