Nach wie vor ist es das Ziel der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), „die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit von Beschäftigten bei der Verwendung von Arbeitsmitteln zu gewährleisten.“
Dies betrifft auch die vielen (Lasten-)Aufzüge, die in Werkshallen, Krankenhäusern oder Bürogebäuden die Beschäftigten bei den vielfältigen Transportaufgaben unterstützen. Diese sehen meist nicht mehr als die Schachttüren von außen und die Kabine von innen. Wie kann also bei dieser „Black Box“ festgestellt werden, ob das Schutzziel, die „sichere Verwendung“, auch tatsächlich erreicht wird?
Wie in anderen sicherheitsrelevanten Bereichen (zum Beispiel persönliche Schutzausrüstung) ist zunächst eine Gefährdungsbeurteilung beziehungsweise Sicherheitsanalyse nötig. Sie dient dazu, die Anlage im konkreten Einzelfall zu untersuchen, die von ihr ausgehenden Gefährdungen zu identifizieren und das Sicherheitsniveau zu bewerten. Doch dieser Aspekt kommt in den aktuellen Debatten häufig zu kurz. In Gremien und auf Kongressen diskutieren die Teilnehmer meist über den aktuellen „Stand der Technik“. Beiträge in Fachzeitschriften rücken diesen Aspekt ebenfalls oft in den Fokus.
Aus alt mach neu?
Doch ein Aufzug aus den 1960er Jahren (damals Stand der Technik) kann die Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen, die an einen neuen Aufzug gestellt werden (heute Stand der Technik, siehe Kasten oben). Doch folgt daraus nun zwangsläufig, dass der Aufzug stillgesetzt oder ausgetauscht werden muss? Und was ist mit einem modernen Aufzug, der erst seit etwa fünf Jahren in Betrieb ist? Muss dieser zwangsläufig nachgerüstet werden, damit er dem aktuellen Stand der Technik entspricht? Die Antwort lautet „nein“, denn es kommt auf das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung beziehungsweise Sicherheitsanalyse im konkreten Einzelfall an.
Ein Beispiel: Bis 1972 waren für Triebwerksräume Raumhöhen von 1,80 Meter ausreichend. Das ist heute bei einem neu installierten Aufzug nicht mehr akzeptabel. Die Raumhöhe bei älteren Anlagen anzupassen, wäre indes mit umfangreichen Baumaßnahmen verbunden, die nicht verhältnismäßig sind. Stattdessen kann es ausreichen, durch Schilder auf die Gefährdungen hinzuweisen, die aus der niedrigen Deckenhöhe resultieren.
Diese Maßnahme ist jedoch nicht immer anwendbar, wie ein weiteres Beispiel eines alten Lastenaufzug (Baujahr vor 2000) zeigt. Damals durften die Anlagen noch ohne Fahrkorbtür gebaut und in Betrieb genommen werden. Daraus resultieren in vielen Fällen hohe Gefährdungen (Quetschen und Scheren an der offenen Fahrkorbseite) für mitfahrende Personen, insbesondere dann, wenn gleichzeitig Lasten transportiert werden. Schilder sind in diesem Fall nicht ausreichend, um auf die besonderen Gefährdungen hinzuweisen. Deshalb muss nachträglich eine Fahrkorbtür installiert oder ggf. auf andere technische Maßnahmen (zum Beispiel ein „Lichtvorhang“) zurückgegriffen werden.
Wer beurteilt das Sicherheitsniveau?
Die Herausforderung für Arbeitgeber liegt also darin, zu klären und zu dokumentieren, ob der Aufzug sicher verwendet werden kann oder Handlungsbedarf besteht. Da in den wenigsten Unternehmen Mitarbeiter beschäftigt sind, die sämtliche Betriebssituationen, bautechnischen Merkmale, technischen Eigenschaften und Sicherheitsfunktionen des Aufzugs bewerten, die Gefahren identifizieren und geeignete Sicherheitsmaßnahmen entwickeln können, empfehlen die Sachverständigen von TÜV Süd, sich im Zweifelsfall an eine zugelassene Überwachungsstelle (ZÜS) zu wenden. So erfahren Arbeitgeber von neutraler Stelle, ob überhaupt Handlungsbedarf besteht und wie eine vorhandene Gefährdung einzustufen ist und welche Art von Maßnahme erforderlich beziehungsweise sinnvoll ist.
Denn werden verschiedene, alternative Maßnahmen erwogen, muss die Entscheidung auch das TOP-Prinzip berücksichtigen: Zunächst sind technische Maßnahmen in Betracht zu ziehen. Erst wenn sich herausstellt, dass diese nicht verhältnismäßig oder praktikabel sind, kann auf organisatorische und zu allerletzt auf personenbezogene Schutzmaßnahmen zurückgegriffen werden. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber oder die ihm gleichgestellte Person dafür verantwortlich, adäquate Maßnahmen zu entwickeln, umzusetzen und so Gefährdungen auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Wenn die ZÜS bei wiederkehrenden Prüfungen feststellt, dass die Anlage nicht bis
zur nächsten wiederkehrenden Prüfung sicher verwendet werden kann, wird der Sachverständige den Mangel in der Prüfbescheinigung vermerken. Die dann erforderlichen und umgesetzten Maßnahmen werden seitens der ZÜS auch auf Eignung und Wirksamkeit geprüft.
Verantwortung beim Arbeitgeber
Darüber hinaus wird vielfach angemerkt, dass die aktuelle BetrSichV den Arbeitgebern mehr Verantwortung überträgt und höhere Haftungsrisiken birgt. Doch grundsätzlich stellt die Forderung zur sicheren Verwendung von Arbeitsmitteln keine Änderung dar. Neu ist lediglich, dass die ZÜS dem Aspekt der sicheren Verwendung nach dem Stand der Technik mehr Aufmerksamkeit verleihen müssen und insbesondere durchgeführte Maßnahmen auf Eignung und Wirksamkeit prüfen müssen. Das ist sinnvoll und notwendig, denn noch immer werden bundesweit viele Aufzüge mit erheblichen Sicherheitsmängeln betrieben. Das zeigen die aktuellen Mängelstatistiken der Zugelassenen Überwachungsstellen, die der Verband der TÜV e.V. (VdTÜV) im diesjährigen Anlagensicherheitsreport veröffentlicht hat.
Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind also gut beraten, die installierten (Lasten-)Aufzüge in den Betrieben und Unternehmen genauer unter die Lupe zu nehmen. Einen ersten wichtigen Hinweis liefert die „Prüfplakette“, die ebenfalls von der aktuellen BetrSichV vorgeschrieben wird und die letzte Durchführung der wiederkehrenden Prüfung dokumentiert. Ist das länger als zwölf Monate her oder fehlt die Plakette sogar ganz, besteht Handlungsbedarf – denn dann fährt bei jedem Transport ein Sicherheitsrisiko mit.
Weitere Informationen
- Erste Hinweise und Informationen enthält der „Leitfaden zur sicheren Verwendung von Personen- und Lastenaufzügen nach dem Stand der Technik“ vom Verband der TÜV e.V. (VdTÜV). Der Leitfaden und weitere Informationen zur BetrSichV ist erhältlich unter
www.tuev-sued.de/‧betriebssicherheit - Einen Beschluss des Erfahrungsaustauschkreises der Zugelassenen Überwachungsstellen (EK ZÜS) vom 26. April 2017 zum Arbeitsgebiet Aufzugsanlagen kann auf der Homepage des VdTÜV heruntergeladen werden unter ww.vdtuev.de Themen Anlagensicherheit Erfahrungsaustausch zugelassener Überwachungsstellen (ZÜS) EK ZÜS-Beschlüsse BA – Aufzugsanlagen
Darin werden Schutzmaßnahmen zur sicheren Verwendung von Aufzugsanlagen nach dem Stand der Technik bewertet.
Wissenswertes zum Stand der Technik
Vom Telefon über das schnurlose Telefon über das Mobiltelefon zum Smartphone – der Stand der Technik kann sich in kurzen Zeiträumen rasant entwickeln. Auch bei Aufzügen gab es in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte in der Sicherheitstechnik, sodass die Aufzüge bis heute zu den sichersten Verkehrsmitteln der Welt zählen.
Der Stand der Technik hat eine herausragende Bedeutung, wenn im europäischen Wirtschaftsraum neue Aufzüge in Verkehr gebracht werden. Damit sie sicher sind, ist es zwingend erforderlich, dass sie dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. So fordert es das Produktsicherheitsgesetz, das in Deutschland durch zugehörige Verordnungen die europäische Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit in nationales Recht umsetzt.
Definiert ist der Stand der Technik hinsichtlich der Produktbeschaffenheit jeweils in den aktuellsten Versionen von international harmonisierten Normen, technischen Regelwerken und Richtlinien. Sie werden von diversen Normungsgesellschaften veröffentlicht und unter Mitarbeit aller Branchenteilnehmer überarbeitet, abgestimmt und regelmäßig aktualisiert.
Für neue Aufzüge sind insbesondere die beiden Normen DIN EN 81–20 und DIN EN 81–50 entscheidend. Ein neuer Aufzug kann in Europa nur in Betrieb genommen werden, wenn er die Anforderungen dieser beiden Normen und das darin beschriebene Schutzniveau erfüllt. Überprüft wird das von einem „Notified Body“, der die Einhaltung der Beschaffenheitsanforderungen prüft (Inverkehrbringen), und einer Zugelassenen Überwachungsstelle (ZÜS), die eine Prüfung vor Inbetriebnahme durchführt. Damit wird sichergestellt, dass der Aufzug auch die betrieblichen Anforderungen erfüllt, die jeweils national geregelt sind.Bei Aufzügen, die schon einige Zeit in Betrieb sind, können diese Normen nicht rückwirkend angewendet werden. Denn zum damaligen Zeitpunkt des Inverkehrbringens entsprachen sie bereits dem damals gültigen und anerkannten Stand der Technik. Daraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, dass keine weiteren Maßnahmen erforderlich sind. Heute wird erwartet, dass jeder Aufzug sicher verwendet werden kann. Das heißt: Die Anlage muss bezüglich der vorhandenen Gefährdungen genau untersucht werden (Gefährdungsbeurteilung / Sicherheitsanalyse). Bei Defiziten muss dann für Abhilfe gesorgt werden – auch dann, wenn der Betriebsstundenzähler des „Oldtimers“ schon einige Jahrzehnte anzeigt.
Dieter Roas
Leiter Geschäftsfeld Fördertechnik,
TÜV Süd Industrie Service