Voraussetzung des Mitbestimmungsrechts ist, dass die „gesetzlichen Vorschriften oder Unfallverhütungsvorschriften“ dem Arbeitgeber einen Regelungsspielraum belassen.2 Das Mitbestimmungsrecht bezieht und beschränkt sich auf die „Ausfüllung“ dieser vorgegebenen Normen3, setzt also Rahmenvorschriften mit „ausfüllungsbedürftigen Regelungsspielräumen“ voraus.4
Wie weit das geht, wird mit grundlegenden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu drei wichtigen Grundpfeilern des Arbeitsschutzes verdeutlicht – der Gefährdungsbeurteilung (dazu 1.), der Betriebsanweisung (dazu 2.) und der Unterweisung (dazu 3.)5. Zum Schluss wird klargestellt, dass „nur“ allgemeine Regelungen zur Umsetzung dieser drei Arbeitsschutzinstrumente mitbestimmt werden können; das Mitbestimmungsrecht gilt nicht für die konkrete Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen (dazu 4.).
1. Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Gefährdungsbeurteilung
Die Gefährdungsbeurteilung ist das zentrale Element für die Festlegung von Arbeitsschutzmaßnahmen.6 Nach § 5 Abs. 1 ArbSchG hat „der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind“. § 3 Abs. 1 BetrSichV konkretisiert, dass „der Arbeitgeber vor der Verwendung von Arbeitsmitteln die auftretenden Gefährdungen zu beurteilen (Gefährdungsbeurteilung) und daraus notwendige und geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten“ hat. Nach einem Grundsatz-Urteil des BAG aus dem Jahr 2004 besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Gefährdungsbeurteilungen.7
Sachverhalt:
In einem Hamburger Luftfahrtunternehmen erzwingt der Betriebsrat gerichtlich eine Einigungsstelle zur Erstellung einer Betriebsvereinbarung „Gesundheitsschutz im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes und der Bildschirmarbeitsplatzverordnung“. Nach eineinhalb Jahren Beratung beschloss die Einigungsstelle mit den Stimmen der vom Betriebsrat entsandten Mitglieder und des Vorsitzenden „Regelungen zum Gesund-heitsschutz“. In Nr. 5.4 heißt es unter anderem:
„Das Gesamtkonzept der Gefährdungsbeurteilungen ist unter Benennung von Zeitablauf, der zu untersuchenden Arbeitsplätze, Gegenstände und Kriterien der Beurteilung sowie der jeweils anzuwendenden Methode, einschließlich der Erhebungsbögen zusammenzufassen und … dem Betriebsrat jeweils 14 Tage vor Beginn der Gefährdungsbeurteilung zur Beratung zu übergeben. Im Rahmen dieser Beratung wird die Arbeitgeberseite darlegen, dass das Konzept der Gefährdungsbeurteilung dieser Betriebsvereinbarung entspricht. Anregungen des Betriebsrates sind im Rahmen des Möglichen zu berücksichtigen“.
Die Arbeitgeberin beantragt die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit,
- weil Gefährdungsbeurteilungen nicht mitbestimmungspflichtig seien,
- weil Arbeitsplätze nach unternehmenseinheitlichen Standards eingerichtet werden und deshalb der Gesamt- beziehungsweise Konzernbetriebsrat zuständig sei und
- weil die Regelungen inhaltsleer seien.
BAG-Urteil:
Die beiden ersten Argumente weist das BAG zurück. Aber wegen des dritten Einwandes hielt das BAG den Beschluss der Einigungsstelle für unwirksam.
- Argument Nr. 1 – Mitbestimmungsrecht bei Gefährdungsbeurteilungen:
§ 5 ArbSchG und § 3 Bildschirmarbeitsverordnung „sind ausfüllungsbedürftige, dem Gesundheitsschutz dienende Rahmenvorschriften i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG“. Zwar wird durch Gefährdungsbeurteilungen „selbst die Arbeit noch
nicht so gestaltet, dass Gesundheitsgefahren verhütet werden. Es werden vielmehr erst Gefährdungen ermittelt, denen gegebenenfalls durch entsprechende Maßnahmen zu begegnen ist“.
- Aber erstens „ist gerade die Gefährdungsermittlung ein zentrales Element des ArbSchG. Mit ihr fängt der Gesundheitsschutz an. Je genauer und wirklichkeitsnäher im Betrieb die Gefährdungen ermittelt und beurteilt werden, um so zielsicherer können konkrete Maßnahmen getroffen werden. Die Bestandsaufnahme und die Analyse der Gefährdungen dienen damit mittelbar dem Gesundheitsschutz“.
- Zweitens enthalten die Rechtsvorschriften „keine zwingenden Vorgaben, wie die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist. Vielmehr lassen sie dem Arbeitgeber Handlungsspielräume bei der Umsetzung“.
- Drittens „setzt das Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung nicht voraus, dass eine konkrete Gesundheitsgefahr bereits hinreichend bestimmbar wäre“. Denn „durch die Mitbestimmung des Betriebsrats soll im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer eine möglichst effiziente Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes im Betrieb erreicht werden. Diesem Ziel entspricht es, den Betriebsrat auch dann zu beteiligen, wenn keine konkrete Gesundheitsgefährdung feststellbar ist und die vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen lediglich mittelbar dem Gesundheitsschutz dienen“.
Anders ist die Rechtslage bei Gefährdungsbeurteilungen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts im Geltungsbereich des Bundespersonalvertretungsgesetzes: Die Maßnahme i.S.d. § 75 Abs. 3 Nr. 11 BPersVG „zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen“ – so das BVerwG – „muss auf eine Veränderung des bestehenden Zustandes abzielen. Nach Durchführung der Maßnahme müssen das Beschäftigungsverhältnis oder die Arbeitsbedingungen eine Änderung erfahren haben“. Aber durch Gefährdungsbeurteilungen „werden Maßnahmen des Gesundheitsschutzes erst vorbereitet“.8
- Argument Nr. 2 – Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats
Es ist auch der örtliche Betriebsrat zuständig, denn „mögliche Gefährdungen sind zu einem Großteil von örtlichen Gegebenheiten des einzelnen Betriebs, wie den dort herrschenden Umwelteinflüssen und Ähnlichem, abhängig. Diese verlangen typischerweise nach einer betriebsbezogenen Gestaltung von Gefährdungsbeurteilungen“.
Selbst wenn die Arbeitgeberin auf „Gefahren wegen der Standardisierung von Arbeitsplätzen und Arbeitsmitteln möglicherweise mit konzern- oder doch unternehmensweit einheitlichen Maßnahmen reagieren muss oder will“, so „geht es bei der Gefährdungsbeurteilung noch nicht um anschließend zu ergreifende und dann gegebenenfalls überörtlich zu treffende Schutzmaßnahmen“. Der „Konzern- oder Gesamtbetriebsrat werden nicht deshalb zuständig, weil die für den örtlichen Betrieb einzurichtende Einigungsstelle Regelungen trifft, die auch in anderen Betrieben anwendbar wären“.
- Argument Nr. 3 – Regelungen inhaltsleer und keine abschließende Entscheidung
Aber – so das BAG – der Einigungsstellenbeschluss „ist unwirksam, weil er eine eigene Entscheidung in den zu regelnden Angelegenheiten nicht trifft, sondern sie der einseitigen Festlegung durch die Arbeitgeberin überlässt“ – und daher „hat die Einigungsstelle den Streit der Betriebsparteien in der Sache nicht beigelegt“.
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat „mitzubestimmen“. Es ist „Aufgabe der Einigungsstelle, durch ihren Spruch die Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer angemessen zu berücksichtigen und zu einem billigen Ausgleich zu bringen“. Denn „Zweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ist es, die Erfahrung und mögliche Fachkunde des Betriebsrats und seine Kenntnisse der betrieblichen Besonderheiten im Interesse der Belegschaft für eine möglichst wirkungsvolle Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes im Betrieb nutzbar zu machen“. Daher muss ein Spruch der Einigungsstelle „selbst eine Regelung der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit treffen“. Unzulässig ist es, „die der Einigungsstelle zustehende Regelungsbefugnis auf den Arbeitgeber zu übertragen. Dann gestaltet nicht die unter angemessener Berücksichtigung der jeweiligen Belange getroffene Ermessensentscheidung der Einigungsstelle die der Mitbestimmung unterliegende Angelegenheit, sondern das Ermessen des Arbeitgebers“.
Letztlich stimmt das BAG der Ansicht der Arbeitgeberin, der Einigungsstellenspruch sei unwirksam, also zu, weil die Arbeitgeberin zu viel Rechte bekommen hat. Auch in einem Beschluss von Februar 20149 hält das BAG einen Einigungsstellenspruch für unwirksam, weil die „Einigungsstelle ihren Regelungsauftrag nicht vollständig erfüllt, sondern wesentliche Fragen unbeantwortet gelassen“ hat: „Das Verfahren vor der Einigungsstelle dient dazu, die regelungsbedürftige Angelegenheit im Rahmen der gestellten Anträge vollständig zu lösen“. Das BAG beschreibt im Beschluss von Juni 2004 einige Auswege aus diesem Dilemma:
- Lösung Nr. 1 – Ausfüllung der Regelungsspielräume
Erstens kann – natürlich – der „Betriebsrat selbst den Regelungsgegenstand gestalten“. Es stellen sich „bei einer Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich jedes Beschäftigten zumindest die Fragen, welche Tätigkeiten beurteilt werden sollen, worin die mögliche Gefahr bei der Arbeit besteht, woraus sie sich ergibt und mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer solchen Gefährdung festgestellt werden sollen“. Was die Einigungsstelle also tun muss, wiederholt das BAG mehrmals: Sie
- muss „für jeden zu untersuchenden Arbeitsplatz konkret festlegen, welche möglichen Gefährdungen auf welche methodische Weise beurteilt werden sollen“,
- „Regelung darüber treffen, an welchen Arbeitsplätzen welche Gefährdungsursachen anhand welcher Kriterien zu beurteilen sind“;
- „Zu regeln ist gerade, welche Arbeitsplätze mit welchen Methoden auf welche möglichen Gefahrenursachen hin untersucht werden sollen“.
- Lösung Nr. 2 – Zwischenbeschluss über Vorbereitung durch den Arbeitgeber
Das BAG erwähnt die Zulässigkeit eines – „dann nicht isoliert anfechtbaren“ – Zwischenbeschlusses der Einigungsstelle mit einer Auflage an den Arbeitgeber, „einen entsprechenden Regelungsentwurf zu erstellen, über den anschließend die Einigungsstelle selbst weiter beraten würde“: Es wird dann also die Tätigkeit der Einigungsstelle fortgesetzt, „um auf der Grundlage des Regelungsentwurfs des Arbeitgebers schließlich durchaus eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen“.
Das BAG hält es sogar für „sachdienlich, möglicherweise gar notwendig, dass der Arbeitgeber anhand der allgemein verfügbaren Vorbilder, Vorschläge, Anleitungen, ‚Checklisten‘ et cetera zunächst einen entsprechenden Regelungsvorschlag unterbreitet, in den er von der Einigungsstelle bereits festgelegte Eckdaten und Vorgaben gegebenenfalls einzubringen hat. Die Einigungsstelle hat dann aber eine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob und inwieweit sie dem Arbeitgebervorschlag tatsächlich folgt“.
- Lösung Nr. 3 – Begrenzte Entscheidungsspielräume des Arbeitgebers
Drittens ist es „nicht ausgeschlossen, dass die Einigungsstelle eine Regelung vorsieht, die dem Arbeitgeber innerhalb eines von ihr in Ausübung ihres Ermessens gesteckten Rahmens inhaltlicher Vorgaben gewisse Entscheidungsspielräume belässt. Doch muss die Einigungsstelle selbst den Regelungsgegenstand gestaltet haben“.
- Lösung Nr. 4 – Eil- und Notzuständigkeit des Arbeitgebers
Viertens kann der Arbeitgeber „zur
einseitigen Festlegung ausnahmsweise ermächtigt“ werden, etwa „bei vorsorglichen Regelungen für möglicherweise eintretende Eilfälle“. Aber das BAG warnt: „Die Komplexität der zu treffenden Regelungen und der dafür erforderliche Zeitumfang“ ist kein ausreichender „Sachgrund“ hierzu.
2. Mitbestimmung des Betriebsrats bei Betriebsanweisung
Ein allgemeiner Arbeitsschutzgrundsatz ist, „den Beschäftigten geeignete Anweisungen zu erteilen“ (§ 4 Nr. 7 ArbSchG). Ein zentrales Ziel der BetrSichV ist die „Qualifikation“ der Beschäftigten (§ 1 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3). Ein Arbeitsmittel wird erst dann sicher verwendbar, wenn der Arbeitgeber eine Betriebsanweisung zur Verfügung stellt und unterweist (§ 12 BetrSichV). Nach dem BAG besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auch bei Betriebsanweisungen.10
Sachverhalt:
Ein Unternehmen für Herstellung, Montage und Vertrieb von Aufzügen und Fahrtreppen richtete Arbeitsanweisungen an die Monteure. Sie beschreiben die auftretenden Gefahren, bezeichnen Schutzmaßnahmen und Verhaltensgrundsätze, regeln das Verhalten bei Störungen und Unfällen, bestimmen die Pflichten bei Instandhaltung, drohen arbeitsrechtliche Maßnahmen bei Nichtbeachtung an und verweisen im übrigen auf „Basisvorschriften“, darunter Unfallverhütungsvorschriften, Sicherheitsregeln sowie DIN-Vorschriften.
Der Betriebsrat beruft sich auf die Mitbestimmungspflichtigkeit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG und beantragte, die Arbeitsanweisungen aus dem Unternehmenshandbuch herauszunehmen.
BAG-Entscheidung:
Das BAG gibt dem Antrag mit folgenden Argumenten statt:
- „Von den Arbeiten an Aufzügen und Fahrtreppen geht eine objektive Unfallgefahr aus“.
- Es handelt sich bei den Anweisungen um „Regelungsfragen in bezug auf kollektive Tatbestände, nicht um Einzelfallregelungen“.
- Es liegt auch eine Vorschrift vor, „die Maßnahmen der Unfallverhütung beziehungsweise des Gesundheitsschutzes fordert, dabei aber einen ausfüllungsfähigen und ausfüllungsbedürftigen Rahmen vorgibt, innerhalb dessen den Betriebspartnern ein Regelungsspielraum bleibt“ – nämlich § 2 VBG 1. Heute lautet die Nachfolge-Unfallverhütungsvorschrift § 2 Abs. 1 DGUV Vorschrift 1: „Der Unternehmer hat die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe zu treffen. Die zu treffenden Maßnahmen sind insbesondere in staatlichen Arbeitsschutzvorschriften, dieser Unfallverhütungsvorschrift und in weiteren Unfallverhütungsvorschriften näher bestimmt“. Das BAG sagt zwar, „es handelt sich dabei um eine sehr weit gefasste Generalklausel“, aber: „Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG setzt gerade einen Regelungsspielraum voraus, wie er arbeitsschutzrechtlichen Generalklauseln typischerweise zu eigen ist“.
- Der durch die Unfallverhütungsvorschrift „vorgegebene weite Rahmen wird nicht durch speziellere Vorschriften in einer Weise ausgefüllt, dass kein Regelungsspielraum bliebe. Soweit hinsichtlich einzelner Anweisungen solche Ergänzungen [in den erwähnten „Basisvorschriften“] in Betracht kommen, lassen auch diese einen ausfüllungsfähigen Gestaltungsspielraum. Bei allen Regelungsgegenständen bestehen Wahlmöglichkeiten, die der Arbeitgeber nach Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts nicht allein, sondern zusammen mit dem Betriebsrat treffen soll. Es kommt nicht nur eine (theoretisch) richtige Lösung in Betracht, so dass es sich nur um eine Frage der Rechtsanwendung handelte“.
- „Die betriebsverfassungswidrige Anweisung ist zwar unwirksam, ohne dass eine ausdrückliche Rücknahme erforderlich wäre“. Aber der Betriebsrat „kann verlangen, dass der unter Verletzung seines Mitbestimmungsrechts eingetretene Zustand beseitigt wird“, denn die Unwirksamkeit „ist für die Benutzer des Handbuchs nicht erkennbar“.
3. Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Unterweisung
Zur Qualifikation der Beschäftigten gehört auch die Unterweisung. „Der Arbeitgeber hat die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit ausreichend und angemessen zu unterweisen. Die Unterweisung umfaßt Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind“ (§ 12 Abs. 1 ArbSchG). In Bezug auf die Verwendung von Arbeitsmitteln ist die Unterweisung unter Inbezugnahme der Betriebsanweisung (§ 12 Abs. 2 Satz 5 BetrSichV) und anhand der Gefährdungsbeurteilung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BetrSichV) durchzuführen. Der Betriebsrat hat auch bei Unterweisungen ein Mitbestimmungsrecht. Das hat das BAG schon 2004 entschieden.11 Aber 2011 konkretisierte das BAG12:
Sachverhalt:
In einem Unternehmen zur Herstellung, Vertrieb und Einbau und Wartung von Aufzügen, Fahrtreppen und anderen Transportsystemen hält die Arbeitgeberin einen Teilspruch in einer der 39 Niederlassungen zum Thema „Unterweisung nach § 12 ArbSchG“ für unwirksam, weil ohne vorherige Gefährdungsbeurteilung keine Regelungen zur Unterweisung beschlossen werden dürften.
BAG-Entscheidung:
Das BAG gibt der Arbeitgeberin Recht – und stellt die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs fest.
In § 12 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG „wird klargestellt, dass die Unterweisung sich nicht in allgemeinen Fragestellungen des Arbeitsschutzes erschöpfen darf, sondern gerade die konkreten Gefährdungen zum Gegenstand haben muss, welchen die Arbeitnehmer an den jeweiligen Arbeitsplätzen im Einzelnen ausgesetzt sind. Wer diese Gefahren nicht kennt, kann über diese auch nicht im Rahmen der Unterweisung aufklären. Die Einigungsstelle kann deshalb ihren Regelungsauftrag nur vollständig erfüllen, wenn sie die konkreten Gefahren am Arbeitsplatz in den Blick nimmt und hiervon ausgehend konkrete, arbeitsplatzbezogene Bestimmungen beschließt“.
Auch in den Gesetzesmaterialien zu § 5 ArbSchG13 werde „ausdrücklich ausgeführt, dass sich erst aufgrund einer Beurteilung der Arbeitsbedingungen erkennen lasse, welche Schutzmaßnahmen erforderlich seien. Dazu gehöre, dass eine Gefährdung als solche erkannt und hinsichtlich ihrer Schwere, das heißt nach Art und Umfang des möglichen Schadens bewertet werde. Damit geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass die Gefährdungsbeurteilung Grundlage der Unterweisung der Arbeitnehmer nach § 12 ArbSchG ist und denknotwendig vor einer solchen zu erfolgen hat. Erst eine solche Reihenfolge stellt die effektive Verwirklichung des Regelungszwecks des ArbSchG sicher. Die Gefährdungsbeurteilung ist zentrales Element des ArbSchG und notwendige Voraussetzung für die betriebliche Umsetzung der Arbeitsschutzpflichten des Arbeitgebers. Je genauer und wirklichkeitsnäher im Betrieb die Gefährdungen ermittelt und beurteilt werden, umso zielsicherer können konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren getroffen werden. Dazu gehört auch die Unterweisung nach § 12 ArbSchG, die dazu dient, die Beschäftigten in die Lage zu versetzen, Gefährdungen und Gefahren rechtzeitig zu erkennen, Arbeitsschutzmaßnahmen nachzuvollziehen und sich an ihrer Durchführung aktiv zu beteiligen sowie sich sicherheits- und gesundheitsgerecht zu verhalten“.
Zwar kann sich nach § 5 Abs. 3 Nr. 5 ArbSchG eine Gefährdung auch aus einer unzureichenden Unterweisung der Beschäftigten ergeben, aber „damit wird lediglich verdeutlicht, dass Gefährdungen auch infolge unzureichender Unterweisungen entstehen können. Es wird jedoch nicht der Grundsatz in Frage gestellt, dass eine Einigungsstelle ihren Auftrag nur dann vollständig erfüllt, wenn sie die konkreten Gefahren an den Arbeitsplätzen in den Blick nimmt und hierauf aufbauend arbeitsaufgabenbezogene Unterweisungen beschließt. Erst hiermit wird Gefährdungen infolge unvollständiger Unterweisungen wirkungsvoll begegnet“.
Das BAG deutet folgende Möglichkeiten und Lösungen an:
- Lösung Nr. 1 – Regelung zum Umfang des Verhältnisses von Grundunterweisung und gefährdungsbezogener Unterweisung
Die Einigungsstelle muss eine „Regelung zum Umfang des Verhältnisses von Grundunterweisung und gefährdungsbezogener Unterweisung oder eine Ausweitung des Unterweisungszeitraums entsprechend den Erkenntnissen einer arbeitsplatz- oder tätigkeitsbezogenen Gefährdungsbeurteilung“ treffen.
- Lösung Nr. 2 – Regelung zu Grundunterweisungen
Das BAG scheint davon auszugehen, „dass Bestimmungen zur Grundunterweisung ohne vorangehende Gefährdungsbeurteilung beschlossen werden können“, aber dabei „bleibt zu berücksichtigen, dass eine Grundunterweisung ohne eine zeitnahe aufgabenbezogene Unterweisung keinen Sinn macht. Beide Formen der Unterweisung stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sie bauen vielmehr aufeinander auf und stehen damit in einem inneren Zusammenhang“.
- Lösung Nr. 3 – Regelung zu gefährdungsbezogenen Unterweisungen
Bei Regelungen zu den gefährdungsbezogenen Unterweisungen muss die Einigungsstelle „die konkreten Gefahren am Arbeitsplatz in den Blick nehmen und hiervon ausgehend konkrete, arbeitsplatzbezogene Bestimmungen beschließen“.
4. Mitbestimmung „nur“ durch allgemeine Regelungen
Wichtig ist, dass die Mitbestimmung nicht „bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen“ und „bei der Durchführung der Unterweisungen“ besteht, sondern – so § 87 BetrVG – bei allgemeinen (kollektiven) „Regelungen“ hierzu. Welche Gefährdungen bestehen und wie ihnen begegnet wird, kann nicht (mit-)bestimmt werden, sondern muss – unter Berücksichtigung des Standes von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstiger gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse (§ 4 Nr. 3 ArbSchG) – beurteilt und ermittelt werden. Und der Akt der Unterweisung kann nicht mitbestimmt werden, sondern „nur“, nach welchen Kriterien die Unterweisung erfolgen soll. „Die Rechtspflicht ist als solche mitbestimmungsfrei. Jedoch können hinsichtlich der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung Regelungen erforderlich sein, die dann der Mitbestimmung unterliegen“.14
Ein Mitbestimmungsrecht besteht bei der „Ausfüllung durch betriebliche Regelungen“15. Ergebnis ist eine Betriebsvereinbarung oder eine Regelungsabrede. Der Begriff „Regelungen“ in § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verdeutlicht, „dass der Betriebsrat bei generell-abstrakten Festlegungen mitbestimmt, nicht aber bei der Ausführung beziehungsweise dem Vollzug im Einzelfall“, und es sind die „erforderlichen generellen Entscheidungen mitbestimmungspflichtig“16. „Es ist nicht Aufgabe des Betriebsrats, eine Gefährdungsbeurteilung selbst durchzuführen“, sondern „im Mitbestimmungsverfahren – ausgehend von den jeweiligen Tätigkeiten – die Gegenstände, die Kriterien, die Methode, Verfahrensgrundsätze zu vereinbaren“17.
Es geht also bei der Mitbestimmung um die weitere – betriebsbezogene – Ausfüllung des Rahmens von § 5 ArbSchG beziehungsweise § 3 BetrSichV als Grundlage für die einzelnen Gefährdungsbeurteilungen. Das LAG Hamm18 sagt missverständlich: „Sowohl bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG als auch bei der anschließenden Unterweisung der Mitarbeiter gemäß § 12 ArbSchG besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats“. Man muss aber genau beachten, was beantragt und entschieden worden ist. Im Fall des LAG Hamm hatte der Betriebsrat – erfolgreich – beantragt, „im Betrieb der Arbeitgeberin eine Einigungsstelle einzurichten, die eine Betriebsvereinbarung mit Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung und zur Unterweisung der Beschäftigten nach § 5 ArbSchG § 12 ArbSchG herbeiführt“. Auch hier ging es also um „Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung“ und nicht ihre Durchführung.
So stellt das BAG in den beiden hier besprochenen Entscheidungen zu Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen klar:
- Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf die „Fragen, welche Tätigkeiten beurteilt werden sollen, worin die mögliche Gefahr bei der Arbeit besteht, woraus sie sich ergibt und mit welchen Methoden und Verfahren das Vorliegen und der Grad einer solchen Gefährdung festgestellt werden sollen“.
- Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf die „Frage, welchen Inhalt die vorzunehmende Unterweisung für welchen Arbeitsplatz haben soll“, auf „Art und Inhalt der Unterweisung“.
„Insoweit konkretisiert sich der Regelungsauftrag einer im Bereich der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG errichteten Einigungsstelle regelmäßig nach der auszufüllenden Rahmenvorschrift des Arbeits- und Gesundheitsschutzes (zum Beispiel ‚Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung‘ oder ‚Regelung zur Unterweisung‘)“19.
Nur bei Betriebsanweisungen bezieht sich das Mitbestimmungsrecht unmittelbar auf die Erstellung:
- „Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber verbindliche Arbeits-‑ und Sicherheitsanweisungen erlässt, um Unfallverhütungsvorschriften zu konkretisieren“ – dann ist „die Erstellung der Arbeitsanweisungen mitbestimmungspflichtig“.
Fußnoten:
1 Siehe Wilrich, Praxisleitfaden Betriebssicherheitsverordnung, 2015 – mit 20 Gerichtsurteilen aus der Rechtsprechungspraxis, 2016.
2 Vgl. nur Richardi, BetrVG,13. Auflage 2012, § 87 Rn. 549.
3 Richardi, BetrVG,13. Auflage 2012, § 87 Rn. 550; Bender, in: Wlotzke/Preis, BetrVG, 3. Aufl. 2005, § 87 Rn. 144.
4 Bender, in: Wlotzke/Preis, BetrVG, 3. Aufl. 2005,
§ 87 Rn. 142.
5 Siehe hierzu auch Wilrich, Sicherheitsverantwortung: Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung – mit 25 erläuterten Gerichtsurteilen, 2017.
6 BR-Drucks. 400/14 v. 28.8.2014, S. 69 zur BetrSichV.
7 BAG, Urteil v. 8.6.2004 – 1 ABR 4/03.
8 BVerwG, Beschluss v. 14.10.2002 – 6 P 7/01.
9 BAG, Beschluss v. 11.2.2014 – 1 ABR 72/12.
10 BAG, Beschluss v. 16.6.1998 – 1 ABR 68/97.
10 Siehe hierzu Wilrich, Die rechtliche Bedeutung technischer Normen als Sicherheitsmaßstab — mit 33 Gerichtsurteilen zu anerkannten Regeln und Stand der Technik, Produktsicherheitsrecht und Verkehrssicherungspflichten, 2017.
11 BAG, Urteil v. 8.6.2004 – 1 ABR 4/03 – siehe schon in diesem Aufsatz Nr. 1.
12 BAG, Beschluss v. 8.11.2011 – 1 ABR 42/10.
13 Gemeint ist die BT-Drucks. 13/3540 v. 22.1.1996, S. 16 f.
14 Wiese, in: Gemeinschaftskommentar zum BetrVG – Band II, 9. Aufl. 2010, § 87 Rn. 609.
15 Bender, in: Wlotzke/Preis, BetrVG, 3. Aufl. 2005, § 87 Rn. 144.
16 Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 11. Aufl. 2008, § 87 Rn. 185 und 188a.
17 Gäbert/Maschmann-Schulz, Mitbestimmung im Gesundheitsschutz, 2. Aufl. 2008, S. 85.
18 LAG Hamm, Beschluss v 15.7.2011 – 10 TaBV 41/11.
19 BAG, Beschluss v. 28.3.2017 – 1 ABR 25/15.
Autor: RA Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen, zuständig für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, Unternehmensorganisationsrecht und Recht für Ingenieure
E‑Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de