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Übertragung von Unternehmerpflichten

Warum § 13 ArbSchG und DGUV Vorschrift 1 irrelevant und irreführend sind - Teil 1
Zwölf Irrungen und Verwirrungen zur „Übertragung von Unternehmerpflichten“

Zwölf Irrungen und Verwirrungen zur „Übertragung von Unternehmerpflichten“
Foto: © gguy – stock.adobe.com
Es gibt kaum ein The­ma der Arbeitss­chut­zor­gan­i­sa­tion, das so inten­siv disku­tiert wird wie die schriftliche Über­tra­gung von Arbeit­ge­ber- beziehungsweise Unternehmerpflicht­en gemäß § 13 Arb­SchG beziehungsweise § 13 DGUV Vorschrift 1 auf Mitar­beit­er. Es gibt auch keinen Bere­ich, in dem die Grund­la­gen, Ziele und Erfordernisse eines effek­tiv­en Arbeitss­chutzes so missver­standen wer­den. Es wer­den zwölf Irrtümer gepflegt und Irrwege beschritten.

Zwölf Irrun­gen und Wirrun­gen müssen kor­rigiert werden:

Irrtum 1: Es muss gemäß § 13 ArbSchG/DGUV Vorschrift 1 delegiert werden

Richtig ist: Es mag empfehlenswert sein, es beste­ht aber keine Pflicht zur Pflicht­enüber­tra­gung gemäß § 13 Arb­SchG beziehungsweise § 13 DGUV Vorschrift 1

  1. Erstens sagen §§ 13 Arb­SchG und § 13 DGUV Vorschrift 1 aus­drück­lich, der Arbeit­ge­ber beziehungsweise Unternehmer „kann“ – nicht „muss“ – beauftragen.
  2. Zweit­ens betont die Geset­zes­be­grün­dung aus­drück­lich eine „Möglichkeit“.1
  3. Drit­tens fordert auch § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arb­SchG nur eine „geeignete Arbeitss­chut­zor­gan­i­sa­tion“, sagt aber nicht, dass nur Schrift­form geeignet ist. Viel wichtiger als eine schriftliche Pflicht­enüber­tra­gung ist (aber eher vergessen wird), die gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 Arb­SchG erforder­lichen „Vorkehrun­gen zu tre­f­fen, dass die Maß­nah­men erforder­lichen­falls bei allen Tätigkeit­en und einge­bun­den in die betrieblichen Führungsstruk­turen beachtet wer­den“ – was geschieht durch eine konkrete Gefährdungs­beurteilung „je nach Art der Tätigkeit­en“ (§ 5 Abs. 2 Arb­SchG), in der auch die „fest­gelegten Maß­nah­men des Arbeitss­chutzes“ zu doku­men­tieren sind (§ 6 Abs. 1 ArbSchG).
  4. Viertens betont das Bun­de­sar­beits­gericht2, „§ 13 Abs. 2 Arb­SchG legt ins­beson­dere dem Arbeit­ge­ber keine Pflicht zur Auf­gabenüber­tra­gung auf, son­dern eröffnet ihm lediglich die Möglichkeit, die Durch­führung der ihm obliegen­den Maß­nah­men Drit­ten zu über­tra­gen“.
  5. Fün­ftens gibt es eine Doku­men­ta­tion­spflicht nur pri­va­trechtlich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 des Geset­zes über den Nach­weis der für ein Arbeitsver­hält­nis gel­tenden wesentlichen Bedin­gun­gen (Nach­wG): in die schriftliche Nieder­legung der wesentlichen Ver­trags­be­din­gun­gen ist „eine kurze Charak­ter­isierung oder Beschrei­bung der vom Arbeit­nehmer zu leis­ten­den Tätigkeit“ aufzunehmen.

Irrtum 2: Pflichtenübertragungen gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG machen Verwaltungsvollzug effektiv

Der Geset­zge­ber wün­scht sich zwar, dass § 13 Arb­SchG „einem effek­tiv­en betrieblichen Arbeitss­chutz dient, indem es den Behör­den ermöglicht wird, gegenüber diesen Per­so­n­en Anord­nun­gen zur Erfül­lung der öffentlich-rechtlichen Arbeitss­chutzvorschriften vor Ort tre­f­fen zu kön­nen“3, denn die Vorschrift „erlaubt eine unmit­tel­bare Inanspruch­nahme der Per­so­n­en, die den Arbeit­sprozess bes­tim­men und die arbeitss­chutzrechtlichen Vor­gaben konkret wahrnehmen“ – sie wer­den auch ver­wal­tungsrechtlich „greif­bar“4. Aber eine Effek­tivierung des Ver­wal­tungsvol­lzugs wird nicht erreicht:

  1. Erstens kann immer der Arbeit­ge­ber – meis­tens eine juris­tis­che Per­son – selb­st gegrif­f­en wer­den. Die ver­ant­wortlichen Per­so­n­en sind „neben dem Arbeit­ge­ber“ verpflichtet (siehe Irrtum 5). Der „Griff“ nach dem Arbeit­ge­ber genügt auch – und ist auch der effek­tivste Weg im Ver­gle­ich zur Inanspruch­nahme ein­er ver­ant­wortlichen Indi­vid­u­alper­son. Denn dann muss nicht nur dieser Einzelne den Ver­wal­tungsakt befol­gen und den Arbeitss­chutz umset­zen, son­dern das gesamte Unternehmen, das dann die geeigneten Mitar­beit­er bes­tim­men, ein­set­zen und anleit­en, also organ­isieren muss.
  2. Zu Einzel­heit­en der Arbeitss­chutzum­set­zung kann die Auf­sichts­be­hörde – zweit­ens – auch (unverbindliche) Hin­weise geben oder (verbindliche) Anord­nun­gen tre­f­fen. Solche konkretisieren­den per­son­ellen „Maß­nah­men“ i.S.d. § 22 Abs. 3 Nr. 1 Arb­SchG sind viel flex­i­bler und damit effek­tiv­er for­mulier­bar als die Adressierung des Ver­wal­tungsak­ts an einen bes­timmten Mitarbeiter.
  3. Wenn eine Ver­wal­tungsanord­nung erge­ht, kann im Bere­ich des Arbeitss­chutzes – etwa bei schwieri­gen Tech­nik- oder Gefahrstoff­fra­gen – auch ver­fügt wer­den, dass externes Fach­per­son­al eingeschal­tet wird. So ver­langte die Behörde für eine Asbest­sanierung an der Uni­ver­sität Würzburg vor der Wieder­auf­nahme der Arbeit­en – zuläs­siger­weise – die Vor­lage des Konzeptes durch einen unab­hängi­gen Sachver­ständi­gen.5
  4. In § 13 Abs. 1 Arb­SchG ste­ht ohne­hin eine große Anzahl von ver­ant­wortlichen Indi­vid­u­alper­so­n­en zum effek­tiv­en Ver­wal­tungsvol­lzug zur Ver­fü­gung. Nach Nr. 4 kann die Behörde auch „son­stige nach ein­er auf Grund dieses Geset­zes erlasse­nen Rechtsverord­nung6 oder nach ein­er Unfal­lver­hü­tungsvorschrift verpflichtete Per­so­n­en im Rah­men ihrer Auf­gaben und Befug­nisse“ greifen. So leit­ete das Landgericht Biele­feld7 die Arbeitss­chutzver­ant­wor­tung eines beklagten Dachdeck­ers aus dieser leicht überse­henen Rechtsvorschrift ab: Zwar „hat das Bau­un­ternehmen den Beklagten nicht schriftlich damit beauf­tragt hat, den ihr obliegen­den Arbeitss­chutz in eigen­er Ver­ant­wor­tung wahrzunehmen (§ 13 Abs. 2 Arb­SchG). Die Ver­ant­wortlichkeit trifft nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 Arb­SchG auch son­stige nach ein­er Unfal­lver­hü­tungsvorschrift verpflichtete Per­so­n­en im Rah­men ihrer Auf­gaben und Befug­nisse. Gemäß § 4 Abs. 2 BGV C 228 müssen Bauar­beit­en von weisungs­befugten Per­so­n­en beauf­sichtigt wer­den, die die arbeitssichere Durch­führung der Bauar­beit­en überwachen müssen. Diese Funk­tion kam vor­liegend dem Beklagten zu.“ Im Urteil 2. Instanz stellte das Ober­lan­des­gericht Hamm beim Dachdeck­er auf die automa­tisch beste­hende zivil­rechtliche Ver­ant­wor­tung ab – das ist bess­er, denn eine Pflicht­enüber­tra­gung nach § 13 Arb­SchG erle­ichtert zwar die zivil­rechtliche Ver­ant­wor­tungs­be­grün­dung (siehe Irrtum 7), ist aber nicht Voraus­set­zung für sie (siehe Irrtum 9). Das OLG sagte beiläu­fig nur noch, dass „nicht mehr stre­it­ig ist, dass er als einziger Arbeit­nehmer des Bau­un­ternehmens und als einziger kundi­ger Fachar­beit­er auf dem Dach ver­ant­wortlich für die Tätigkeit der Arbeit­nehmer und deren Arbeitssicher­heit war“ und damit „für das Wohl und Wehe der ihm unter­stell­ten Arbeit­er ver­ant­wortlich war.“
  5. Wenn ein konkreter Mitar­beit­er greif­bar ist, kann der Ver­wal­tungsakt ihm gegenüber zwar aus­ge­sprochen wer­den – aber mit Wirkung für den Arbeitgeber/das Unternehmen. So schilderte das VG München9, „der Kon­trolleur erließ vor Ort einen Bescheid gegenüber dem Unternehmen und händigte diesen dem Vorar­beit­er aus“ – und das Gericht sagte: „Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Arb­SchG kön­nen entsprechende Anord­nun­gen gegenüber dem Arbeit­ge­ber und den ver­ant­wortlichen Per­so­n­en erge­hen. Die Behörde hat dem­nach nicht nur ein Auswahler­messen bezüglich des Inhalts der zu tre­f­fend­en Anord­nun­gen, sie kann vielmehr grund­sät­zlich auch frei wählen gegenüber wem sie ihre Anord­nun­gen erlässt. Vor­liegend kann daher im Ergeb­nis dahin­ste­hen, ob der vor Ort angetrof­fen­er Vorar­beit­er der Arbeit­ge­berin eine ver­ant­wortliche Per­son im Sinne des § 13 Arb­SchG ist, da die Her­anziehung der Arbeit­ge­berin als Adres­satin nicht ermessens­fehler­haft erfol­gt ist“.
  6. Sech­stens: Ger­ade die exak­te Ermit­tlung der gemäß § 13 Arb­SchG ver­ant­wortlichen Per­so­n­en kann inef­fek­tiv sein. Das VG München hält im eben zitierten Gerüst­fall die Argu­men­ta­tion der Behörde mit „Schwierigkeit­en bei der Ermit­tlung ver­ant­wortlich­er Per­so­n­en nach § 13 Arb­SchG“ und „entsprechen­den Erfahrun­gen auf anderen Baustellen“ für „dur­chaus sachgerecht“.

Irrtum 3: Pflichtenübertragungen müssen unterschrieben sein

Richtig ist: Pflich­t­en­del­e­ga­tio­nen mit Unter­schrift sind zwar eine „geeignete Organ­i­sa­tion“ i.S.d. § 3 Arb­SchG, aber auch nicht unter­schriebene Fes­tle­gun­gen kön­nen für § 13 Arb­SchG reichen.

Was schriftlich gemäß § 13 Arb­SchG und DGUV Vorschrift 1 bedeuten soll, sagen diese Regel­w­erke nicht. Im Bürg­er­lichen Geset­zbuch bedeutet „Schrift­form“ beziehungsweise „schriftliche Form“, dass „die Urkunde von dem Aussteller eigen­händig durch Namen­su­n­ter­schrift … unterze­ich­net wer­den“ muss (§ 126 Abs. 1 BGB). Aber eine schlichte Über­nahme dieser Def­i­n­i­tion für § 13 Arb­SchG „lässt außer Acht, dass in ein­er zwar ein­heitlichen, aber je nach Sach­bere­ichen dif­feren­zierten Recht­sor­d­nung eine ‚Rel­a­tiv­ität der Rechts­be­griffe‘ angelegt ist“10. Es „gilt keine Ver­mu­tung, ein dem Zivil­recht entlehntes Tatbe­standsmerk­mal“ ein­er öffentlich-rechtlichen Norm [wie die Schriftlichkeit in § 13 Arb­SchG] „sei im Sinne des zivil­rechtlichen Ver­ständ­niss­es zu inter­pretieren“11.

Das Bun­desver­wal­tungs­gericht betont12, dass „Ver­fahrensvorschriften nicht Selb­stzweck sein dür­fen“ und „das Erforder­nis der Schriftlichkeit schließt die eigen­ständi­ge Unterze­ich­nung nicht um ihrer selb­st willen, son­dern deshalb ein, weil in der Regel allein sie die Ver­lässlichkeit sich­er­stellt“, aber „selb­st das voll­ständi­ge Fehlen ein­er Unter­schrift schließt selb­st die For­mgerechtigkeit ein­er Klage nicht schlechthin aus, wenn sich aus anderen Anhalt­spunk­ten eine der Unter­schrift ver­gle­ich­bare Gewähr für die Urhe­ber­schaft und den Willen, das Schreiben in den Verkehr zu brin­gen, ergeben und dem Bedürf­nis nach Rechtssicher­heit genügt ist.“ Was sog­ar für einen gerichtlichen Schrift­satz gilt, muss erst recht bei der Pflich­t­en­del­e­ga­tion nach § 13 Arb­SchG gel­ten, wo die Effek­tiv­ität des Ver­wal­tungsvol­lzugs im Vorder­grund ste­ht (siehe Irrtum 2). „Schrift­form“ ist also nicht zu ver­ste­hen als „Unter­schrift“, son­dern eher als „Schrift­stück“.

Irrtum 4: Pflichtenübertragungen gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG und DGUV Vorschrift 1 bedürfen einer Gegenzeichnung für ihre Wirksamkeit

Richtig ist: Die Unter­schrift des Auserko­re­nen hat Bewe­is­funk­tion, aber es kommt für die Wirk­samkeit nur auf den Zugang der Beauf­tra­gung an und sie muss nicht gegengeze­ich­net werden

§ 13 Abs. 2 Arb­SchG redet von „schriftlich­er Beauf­tra­gung“ (durch den Arbeit­ge­ber), aber nicht von „schriftlich­er Ent­ge­gen­nahme der Beauf­tra­gung“. § 13 Satz 2 DGUV Vorschrift 2 sagt zwar, die Beauf­tra­gung „ist vom Beauf­tragten zu unterze­ich­nen“ – und daraus fol­gern einige, die Pflich­t­en­del­e­ga­tion „kann nicht ein­seit­ig erfol­gen, son­dern bedarf der Vere­in­barung mit dem Mitar­beit­er“13. Aber auch im Unfal­lver­sicherungsrecht ist eine Gegen­ze­ich­nung nicht zwin­gend – es geht § 13 DGUV-Vorschrift 1 eher um einen Appell im Sinne ein­er erle­ichterten Nach­weis­barkeit und nicht um eine Wirk­samkeitsvo­raus­set­zung. Denn „ob einem Beschäftigten ein Teil der Pflicht­en über­tra­gen wer­den kann, ist eine Frage des Arbeits- und Gesellschaft­srechts und keine Frage des Präven­tion­srechts der Unfal­lver­sicherung“14. Die DGUV Regel 100–001 Nr. 2.14 bestätigt: „Die Zus­tim­mung des Verpflichteten ist nur erforder­lich, sofern der bish­erige Rah­men des Arbeitsver­trages über­schrit­ten wird“.

Irrtum 5: Nach Pflichtenübertragungen gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG sind „Geber“ nur noch bei der Verletzung von Aufsichtspflichten für die Behörden greifbar

Richtig ist: Alle in § 13 Arb­SchG genan­nten Per­so­n­en sind unbe­gren­zt und unverän­dert nebeneinan­der – und neben dem Arbeit­ge­ber – ver­wal­tungsrechtlich greif­bar (ver­wal­tungsrechtliche Verantwortungskumulation).

Das Bun­de­sar­beits­gericht15 spricht aus­drück­lich von ein­er „Kumu­la­tion der Ver­ant­wortlichkeit­en“ zur „Effek­tivierung des Arbeitss­chutzes. Die aus der (Dritt-) Beauf­tra­gung fol­gende Erweiterung der ver­wal­tungsrechtlichen Ver­ant­wortlichkeit lässt die Ver­ant­wortlichkeit des Arbeit­ge­bers für die Durch­führung von Arbeitss­chutzpflicht­en unberührt. Nach § 13 Abs. 1 Arb­SchG ist der Arbeit­ge­ber neben den in Nrn. 1 bis 5 der Vorschrift genan­nten Per­so­n­en für die Erfül­lung der sich aus dem Zweit­en Abschnitt des Arb­SchG ergeben­den Hand­lungspflicht­en öffentlich-rechtlich ver­ant­wortlich. Eine Del­e­ga­tion der Auf­gaben ändert daran nichts“.

  1. Erstens ist in jedem Absatz des § 22 Arb­SchG von „Arbeit­ge­ber oder von den ver­ant­wortlichen Per­so­n­en“ die Rede. Es geht also nicht um „Abwälzung der Arbeit­ge­berver­ant­wor­tung auf andere Per­so­n­en“16, son­dern „zusät­zliche Ver­ant­wor­tung“17.
  2. Zweit­ens hat Ver­wal­tungsvol­lzug gemäß § 22 Arb­SchG nichts mit Ver­schulden zu tun, kann also umgekehrt auch nicht ges­per­rt sein, wenn Sorgfalt­spflicht­en erfüllt werden.
  3. Drit­tens wäre die beab­sichtigte Effek­tiv­ität und Beschle­u­ni­gung hin­fäl­lig, wenn Behör­den vor Inanspruch­nahme der Unternehmens- oder Betrieb­sleit­er gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 oder 4 Arb­SchG die Erfül­lung von Auf­sichts- beziehungsweise Organ­i­sa­tion­spflicht­en prüfen müssten und der Behör­den­zu­griff bei Erfül­lung dieser Pflicht­en ges­per­rt wäre.

Irrtum 6: Nur eine schriftliche Pflichtenübertragung gemäß § 13 ArbSchG bewirkt zivil- und strafrechtliche Haftungsentlastung der Führungskräfte als „Geber“

Richtig ist: Auch mündliche und sog­ar kon­klu­dente Pflicht­enüber­tagun­gen ent­las­ten und sind ziv­il- und strafrechtlich wirk­sam und ändern das Pro­gramm der delegieren­den Führungskräfte von Durch­führungs- in Auf­sicht­spflicht­en – es gibt nur keine voll­ständig befreiende „Weg“-Delegation.

Zwei Beispiele zur „Ent­las­tung“ von Geschäftsführern:

  • Das LG Bad Kreuz­nach18 berichtete in einem Strafver­fahren gegen den Geschäfts­führer ein­er Großbäck­erei, ein Pro­duk­tion­sleit­er habe als Zeuge aus­ge­sagt, „dass alle neu eingestell­ten Arbeit­nehmer durch ihn oder den Schicht­führer eingewiesen wor­den seien“. Für das Gericht „ste­ht hier­nach fest, dass Ein­weisung und Belehrung auf den Pro­duk­tion­sleit­er über­tra­gen waren“, es leit­et also aus der tat­säch­lichen Hand­habung und Über­nahme die Pflicht­enüber­tra­gung ab.
  • Das LG Old­en­burg19 sah trotz fehlen­der schriftlich­er Pflicht­enüber­tra­gung keine Mitver­ant­wor­tung des Geschäfts­führers: Es „käme ein Organ­i­sa­tionsver­schulden des Unternehmens nur in Betra­cht, wenn der Mitar­beit­er bere­its mehrfach eigen­ständig Aufträge angenom­men hätte, zu deren Aus­führung er nicht qual­i­fiziert ist“.
  • In einem Urteil über Rück­griff­sansprüche des zuständi­gen Unfal­lver­sicherungsträgers sagte das LG Aachen20 schief, der Geschäfts­führer „behauptete selb­st nicht, dass insofern eine wirk­same – schriftliche – Über­tra­gung unter Beach­tung der Voraus­set­zun­gen des § 13 Abs. 2 Arb­SchG stattge­fun­den hätte“. Da § 13 Arb­SchG im Regressver­fahren gemäß § 110 SGB VII aber keine Rolle spielt, kommt es nicht auf die Schriftlichkeit der Pflicht­enüber­tra­gung an, son­dern nur darauf, ob sie vorliegt.

Ob von mündlichen Pflicht­enüber­tra­gun­gen – etwa wegen Beweiss­chwierigkeit­en – abzu­rat­en ist, ist eine ganz andere Frage. Wichtig ist, dass sie in der gerichtlichen Prax­is bei der Haf­tung gemäß Ziv­il- oder Strafrecht aus­re­ichen – auch für eine Ver­ant­wor­tungsän­derung in Aufsichtspflichten.

Irrtum 7: Arbeitsschutzverantwortung gemäß § 13 ArbSchG ist Voraussetzung für zivil‑, bußgeld- und strafrechtliche Haftung der verantwortlichen Personen

Richtig ist: Die Arbeitss­chutzver­ant­wor­tung gemäß § 13 Arb­SchG wird unmit­tel­bar im Rah­men des § 22 Arb­SchG rel­e­vant – nir­gend­wo son­st. Es geht nur um die per­son­elle Reich­weite der ver­wal­tungsrechtlichen Befug­nisse der Auf­sichts­be­hör­den und damit die öffentlich-rechtliche Haf­tung der ver­ant­wortlichen Per­so­n­en – nicht mehr und nicht weniger. „Bezugspunkt der Ver­ant­wortlichkeits­bes­tim­mungen in § 13 Arb­SchG ist die Frage, wer für die Auf­sichts­be­hör­den ‚greif­bar‘ ist und als Adres­sat behördlich­er Anord­nun­gen in Betra­cht kommt“21.

Aber natür­lich:

  • Jed­er gemäß § 13 Arb­SchG Arbeitss­chutzver­ant­wortliche ist zugle­ich bußgel­drechtlich ver­ant­wortlich gemäß § 9 OWiG (siehe Irrtum 8). Insofern ist es zutr­e­f­fend, wenn das BVer­wG sagt22, „Rechts­folge und Zweck der arbeitss­chutzrechtlichen Ver­ant­wor­tung nach § 13 Arb­SchG ist allein die Fes­tle­gung der Adres­sat­en für auf­sichts­be­hördliche Maß­nah­men und deren Absicherung durch Ord­nungswidrigkeit­en- und Straftatbestände (vgl. Wilrich, NZA 2015, 1433 1436)“.
  • Jed­er gemäß § 13 Arb­SchG Arbeitss­chutzver­ant­wortliche ist zugle­ich als Garant und Verkehrssicherungspflichtiger straf- und zivil­rechtlich ver­ant­wortlich (siehe Irrtum 9). Das VG Augs­burg stellt klar23: Die „Ver­ant­wortlichkeit für den Arbeitss­chutz begrün­det eine straf- und ord­nungswidrigkeit­srechtliche Garan­tenpflicht nach § 13 Abs. 1 StGB und § 8 OWiG (vgl. Wilrich, DB 2009, 1294), mit der Folge, dass der Ver­ant­wortliche sich im Falle ein­er schuld­haften Pflichtver­let­zung beispiel­sweise wegen fahrläs­siger Kör­per­ver­let­zung durch Unter­lassen straf­bar machen kann“ – und das BVer­wG betont die „straf­be­grün­dende Wirkung der Pflicht­enüber­tra­gung“24.

Weil der beschränk­te (öffentlich-rechtliche) Anwen­dungs­bere­ich des § 13 Arb­SchG nicht zur Ken­nt­nis genom­men wird, entste­hen die Irrtümer 8 und 9, mit denen in der näch­sten Aus­gabe 7/2020 des Sicher­heitsin­ge­nieurs fort­ge­fahren wird. Außer­dem geht es um einige kon­trapro­duk­tive Irrwege, die mit § 13 Arb­SchG beschrit­ten werden.

Fußnoten:

1 BT-Drs. 13/5490 v. 22.01.1996, S. 9.

2 BAG, Beschluss v. 18.08.2009 (Az. 1 ABR 43/08).

3 BT-Drs. 13/5490 v. 22.01.1996, S. 9.

4 BVer­wG, Urteil v. 23.06.2016 (Az. 2 C 18/15) – zum Urteil des VG Augs­burg in 1. Instanz siehe Wilrich, Sicher­heitsver­ant­wor­tung: Arbeitss­chutzpflicht­en, Betrieb­sorgan­i­sa­tion und Führungskräfte­haf­tung, 1. Aufl. 2016.

5 VG Würzburg, Urteil vom 8.12.2010 (Az. W 6 K 10.206) und VGH München, Beschluss vom 25.07.2012 (Az. 22 ZB 11.211) – Fallbe­sprechung „Die plan­lose Asbest­sanierung an der Uni Würzburg“, in Thomas Wilrich/Cordula Wilrich, Gefahrstof­frecht in betrieblich­er Anwen­dung und vor Gericht, erscheint 2020.

6 Zur diesen Per­so­n­en gemäß Betr­SichV siehe Wilrich, Prax­isleit­faden Betr­SichV, 2. Aufl. 2020, Kapi­tel 2.

7 Fallbe­sprechung „Sturz von der Lager­halle in Biele­feld“, in Wilrich, Baustel­len­sicher­heit, erscheint 2020.

8 Heute DGUV Vorschrift 38 Bauarbeiten.

9 VG München, Urteil v. 19.03.2012 (Az. M 16 K 11.5809) – Fallbe­sprechung „Arbeitss­chutzanord­nung wegen Gerüs­tun­sicher­heit“, in Wilrich, Baustel­len­sicher­heit, erscheint 2020.

10 BVer­fG, Beschluss v. 20.8.2015 (Az. 1 BvR 980/15).

11 BVer­fG, Beschluss v. 27.12.1991 (Az. 2 BvR 72/90).

12 BVer­wG, Beschluss v. 19.12.1994 (Az. 5 B 79/94).

13 Kranig/Timm, in: Hauck; Geset­zliche Unfal­lver­sicherung, SGB VII, Liefer­ung 3/2014, K § 15 Anm. III.3 Rn. 26; Brock, in: Hand­buch zum Sozial­recht (HzS), SGB VII Gruppe, Stand 9/2009, Rn. 714.

14 So auch Brock, in: Hand­buch zum Sozial­recht (HzS), SGB VII Gruppe, Stand 9/2009, Rn. 713.

15 BAG, Beschluss v. 18.08.2009 (Az. 1 ABR 43/08).

16 Kothe, in: Kothe/Faber/Feldhoff, Gesamtes Arbeitss­chutzrecht, 2014, § 13 Arb­SchG Rn. 8, S. 305.

17 Stürk, Weg­weis­er Arbeitss­chutzge­setz – Kurz­in­for­ma­tion für die Prax­is, 1997, S. 99.

18 Fallbe­sprechung 4 „Back­an­lage: Brand­wun­den des Under­cov­er­jour­nal­is­ten“, in: Wilrich, Prax­isleit­faden Betrieb­ssicher­heitsverord­nung, 2. Aufl. 2020.

19 Fallbe­sprechung 5 „Baum­fäl­lung“ in Wilrich, Arbeitss­chutz-Strafrecht – Haf­tung für fahrläs­sige Arbeit­sun­fälle: Sicher­heitsver­ant­wor­tung, Sorgfalt­spflicht­en und Schuld, 1. Aufl. 2020.

20 LG Aachen, Urteil v. 26.02.2015 (Az. 12 O 178/14) – Fallbe­sprechung 18 „Rei­thalle“ in Wilrich, Sicher­heitsver­ant­wor­tung – Arbeitss­chutzpflicht­en, Betrieb­sorgan­i­sa­tion und Führungskräfte­haf­tung, 1. Aufl. 2016.

21 BVer­wG, Urteil v. 23.06.2016 (Az. 2 C 18/15) – Fußnote 4.

22 BVer­wG, Urteil v. 23.06.2016 (Az. 2 C 18/15) – Fußnote 4.

23 VG Augs­burg, Urteil v. 20.12.2012 (Az. Au 2 K 11.632) – Fallbe­sprechung 17 „Pro­fes­sor“ in Wilrich, Sicher­heitsver­ant­wor­tung – Arbeitss­chutzpflicht­en, Betrieb­sorgan­i­sa­tion und Führungskräfte­haf­tung, 1. Aufl. 2016.

24 BVer­wG, Urteil v. 23.06.2016 (Az. 2 C 18/15) – Fußnote 4.


ArbSchG § 22 Befugnisse der zuständigen Behörden DGUV Vorschrift 1 (Grundsätze der Prävention) § 13 Pflichtenübertragung

§ 13 Ver­ant­wortliche Personen

(1) Ver­ant­wortlich für die Erfül­lung der sich aus diesem Abschnitt ergeben­den Pflicht­en sind neben dem Arbeitgeber

  1. sein geset­zlich­er Vertreter,
  2. das vertre­tungs­berechtigte Organ ein­er juris­tis­chen Person,
  3. der vertre­tungs­berechtigte Gesellschafter ein­er Personenhandelsgesellschaft,
  4. Per­so­n­en, die mit der Leitung eines Unternehmens oder eines Betriebes beauf­tragt sind, im Rah­men der ihnen über­tra­ge­nen Auf­gaben und Befugnisse,
  5. son­stige nach Absatz 2 oder nach ein­er auf Grund dieses Geset­zes erlasse­nen Rechtsverord­nung oder nach ein­er Unfal­lver­hü­tungsvorschrift verpflichtete Per­so­n­en im Rah­men ihrer Auf­gaben und Befugnisse.

(2) Der Arbeit­ge­ber kann zuver­läs­sige und fachkundi­ge Per­so­n­en schriftlich damit beauf­tra­gen, ihm obliegende Auf­gaben nach diesem Gesetz in eigen­er Ver­ant­wor­tung wahrzunehmen.

Der Unternehmer kann zuver­läs­sige und fachkundi­ge Per­so­n­en schriftlich damit beauf­tra­gen, ihm nach Unfal­lver­hü­tungsvorschriften obliegende Auf­gaben in eigen­er Ver­ant­wor­tung wahrzunehmen. Die Beauf­tra­gung muss den Ver­ant­wor­tungs­bere­ich und Befug­nisse fes­tle­gen und ist vom Beauf­tragten zu unterze­ich­nen. Eine Aus­fer­ti­gung der Beauf­tra­gung ist ihm auszuhändigen.


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Autor: Recht­san­walt Prof. Dr. Thomas Wilrich

Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsin­ge­nieur­we­sen, Pro­fes­sor für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, Unternehmensorganisationsrecht
und Recht für Ingenieure

www.rechtsanwalt-wilrich.de

info@rechtsanwalt-wilrich.de

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