Zwölf Irrungen und Wirrungen müssen korrigiert werden:
Irrtum 1: Es muss gemäß § 13 ArbSchG/DGUV Vorschrift 1 delegiert werden
Richtig ist: Es mag empfehlenswert sein, es besteht aber keine Pflicht zur Pflichtenübertragung gemäß § 13 ArbSchG beziehungsweise § 13 DGUV Vorschrift 1
- Erstens sagen §§ 13 ArbSchG und § 13 DGUV Vorschrift 1 ausdrücklich, der Arbeitgeber beziehungsweise Unternehmer „kann“ – nicht „muss“ – beauftragen.
- Zweitens betont die Gesetzesbegründung ausdrücklich eine „Möglichkeit“.1
- Drittens fordert auch § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG nur eine „geeignete Arbeitsschutzorganisation“, sagt aber nicht, dass nur Schriftform geeignet ist. Viel wichtiger als eine schriftliche Pflichtenübertragung ist (aber eher vergessen wird), die gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 ArbSchG erforderlichen „Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden“ – was geschieht durch eine konkrete Gefährdungsbeurteilung „je nach Art der Tätigkeiten“ (§ 5 Abs. 2 ArbSchG), in der auch die „festgelegten Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ zu dokumentieren sind (§ 6 Abs. 1 ArbSchG).
- Viertens betont das Bundesarbeitsgericht2, „§ 13 Abs. 2 ArbSchG legt insbesondere dem Arbeitgeber keine Pflicht zur Aufgabenübertragung auf, sondern eröffnet ihm lediglich die Möglichkeit, die Durchführung der ihm obliegenden Maßnahmen Dritten zu übertragen“.
- Fünftens gibt es eine Dokumentationspflicht nur privatrechtlich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzes über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen (NachwG): in die schriftliche Niederlegung der wesentlichen Vertragsbedingungen ist „eine kurze Charakterisierung oder Beschreibung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit“ aufzunehmen.
Irrtum 2: Pflichtenübertragungen gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG machen Verwaltungsvollzug effektiv
Der Gesetzgeber wünscht sich zwar, dass § 13 ArbSchG „einem effektiven betrieblichen Arbeitsschutz dient, indem es den Behörden ermöglicht wird, gegenüber diesen Personen Anordnungen zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften vor Ort treffen zu können“3, denn die Vorschrift „erlaubt eine unmittelbare Inanspruchnahme der Personen, die den Arbeitsprozess bestimmen und die arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben konkret wahrnehmen“ – sie werden auch verwaltungsrechtlich „greifbar“4. Aber eine Effektivierung des Verwaltungsvollzugs wird nicht erreicht:
- Erstens kann immer der Arbeitgeber – meistens eine juristische Person – selbst gegriffen werden. Die verantwortlichen Personen sind „neben dem Arbeitgeber“ verpflichtet (siehe Irrtum 5). Der „Griff“ nach dem Arbeitgeber genügt auch – und ist auch der effektivste Weg im Vergleich zur Inanspruchnahme einer verantwortlichen Individualperson. Denn dann muss nicht nur dieser Einzelne den Verwaltungsakt befolgen und den Arbeitsschutz umsetzen, sondern das gesamte Unternehmen, das dann die geeigneten Mitarbeiter bestimmen, einsetzen und anleiten, also organisieren muss.
- Zu Einzelheiten der Arbeitsschutzumsetzung kann die Aufsichtsbehörde – zweitens – auch (unverbindliche) Hinweise geben oder (verbindliche) Anordnungen treffen. Solche konkretisierenden personellen „Maßnahmen“ i.S.d. § 22 Abs. 3 Nr. 1 ArbSchG sind viel flexibler und damit effektiver formulierbar als die Adressierung des Verwaltungsakts an einen bestimmten Mitarbeiter.
- Wenn eine Verwaltungsanordnung ergeht, kann im Bereich des Arbeitsschutzes – etwa bei schwierigen Technik- oder Gefahrstofffragen – auch verfügt werden, dass externes Fachpersonal eingeschaltet wird. So verlangte die Behörde für eine Asbestsanierung an der Universität Würzburg vor der Wiederaufnahme der Arbeiten – zulässigerweise – die Vorlage des Konzeptes durch einen unabhängigen Sachverständigen.5
- In § 13 Abs. 1 ArbSchG steht ohnehin eine große Anzahl von verantwortlichen Individualpersonen zum effektiven Verwaltungsvollzug zur Verfügung. Nach Nr. 4 kann die Behörde auch „sonstige nach einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung6 oder nach einer Unfallverhütungsvorschrift verpflichtete Personen im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse“ greifen. So leitete das Landgericht Bielefeld7 die Arbeitsschutzverantwortung eines beklagten Dachdeckers aus dieser leicht übersehenen Rechtsvorschrift ab: Zwar „hat das Bauunternehmen den Beklagten nicht schriftlich damit beauftragt hat, den ihr obliegenden Arbeitsschutz in eigener Verantwortung wahrzunehmen (§ 13 Abs. 2 ArbSchG). Die Verantwortlichkeit trifft nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 ArbSchG auch sonstige nach einer Unfallverhütungsvorschrift verpflichtete Personen im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse. Gemäß § 4 Abs. 2 BGV C 228 müssen Bauarbeiten von weisungsbefugten Personen beaufsichtigt werden, die die arbeitssichere Durchführung der Bauarbeiten überwachen müssen. Diese Funktion kam vorliegend dem Beklagten zu.“ Im Urteil 2. Instanz stellte das Oberlandesgericht Hamm beim Dachdecker auf die automatisch bestehende zivilrechtliche Verantwortung ab – das ist besser, denn eine Pflichtenübertragung nach § 13 ArbSchG erleichtert zwar die zivilrechtliche Verantwortungsbegründung (siehe Irrtum 7), ist aber nicht Voraussetzung für sie (siehe Irrtum 9). Das OLG sagte beiläufig nur noch, dass „nicht mehr streitig ist, dass er als einziger Arbeitnehmer des Bauunternehmens und als einziger kundiger Facharbeiter auf dem Dach verantwortlich für die Tätigkeit der Arbeitnehmer und deren Arbeitssicherheit war“ und damit „für das Wohl und Wehe der ihm unterstellten Arbeiter verantwortlich war.“
- Wenn ein konkreter Mitarbeiter greifbar ist, kann der Verwaltungsakt ihm gegenüber zwar ausgesprochen werden – aber mit Wirkung für den Arbeitgeber/das Unternehmen. So schilderte das VG München9, „der Kontrolleur erließ vor Ort einen Bescheid gegenüber dem Unternehmen und händigte diesen dem Vorarbeiter aus“ – und das Gericht sagte: „Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ArbSchG können entsprechende Anordnungen gegenüber dem Arbeitgeber und den verantwortlichen Personen ergehen. Die Behörde hat demnach nicht nur ein Auswahlermessen bezüglich des Inhalts der zu treffenden Anordnungen, sie kann vielmehr grundsätzlich auch frei wählen gegenüber wem sie ihre Anordnungen erlässt. Vorliegend kann daher im Ergebnis dahinstehen, ob der vor Ort angetroffener Vorarbeiter der Arbeitgeberin eine verantwortliche Person im Sinne des § 13 ArbSchG ist, da die Heranziehung der Arbeitgeberin als Adressatin nicht ermessensfehlerhaft erfolgt ist“.
- Sechstens: Gerade die exakte Ermittlung der gemäß § 13 ArbSchG verantwortlichen Personen kann ineffektiv sein. Das VG München hält im eben zitierten Gerüstfall die Argumentation der Behörde mit „Schwierigkeiten bei der Ermittlung verantwortlicher Personen nach § 13 ArbSchG“ und „entsprechenden Erfahrungen auf anderen Baustellen“ für „durchaus sachgerecht“.
Irrtum 3: Pflichtenübertragungen müssen unterschrieben sein
Richtig ist: Pflichtendelegationen mit Unterschrift sind zwar eine „geeignete Organisation“ i.S.d. § 3 ArbSchG, aber auch nicht unterschriebene Festlegungen können für § 13 ArbSchG reichen.
Was schriftlich gemäß § 13 ArbSchG und DGUV Vorschrift 1 bedeuten soll, sagen diese Regelwerke nicht. Im Bürgerlichen Gesetzbuch bedeutet „Schriftform“ beziehungsweise „schriftliche Form“, dass „die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift … unterzeichnet werden“ muss (§ 126 Abs. 1 BGB). Aber eine schlichte Übernahme dieser Definition für § 13 ArbSchG „lässt außer Acht, dass in einer zwar einheitlichen, aber je nach Sachbereichen differenzierten Rechtsordnung eine ‚Relativität der Rechtsbegriffe‘ angelegt ist“10. Es „gilt keine Vermutung, ein dem Zivilrecht entlehntes Tatbestandsmerkmal“ einer öffentlich-rechtlichen Norm [wie die Schriftlichkeit in § 13 ArbSchG] „sei im Sinne des zivilrechtlichen Verständnisses zu interpretieren“11.
Das Bundesverwaltungsgericht betont12, dass „Verfahrensvorschriften nicht Selbstzweck sein dürfen“ und „das Erfordernis der Schriftlichkeit schließt die eigenständige Unterzeichnung nicht um ihrer selbst willen, sondern deshalb ein, weil in der Regel allein sie die Verlässlichkeit sicherstellt“, aber „selbst das vollständige Fehlen einer Unterschrift schließt selbst die Formgerechtigkeit einer Klage nicht schlechthin aus, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, ergeben und dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit genügt ist.“ Was sogar für einen gerichtlichen Schriftsatz gilt, muss erst recht bei der Pflichtendelegation nach § 13 ArbSchG gelten, wo die Effektivität des Verwaltungsvollzugs im Vordergrund steht (siehe Irrtum 2). „Schriftform“ ist also nicht zu verstehen als „Unterschrift“, sondern eher als „Schriftstück“.
Irrtum 4: Pflichtenübertragungen gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG und DGUV Vorschrift 1 bedürfen einer Gegenzeichnung für ihre Wirksamkeit
Richtig ist: Die Unterschrift des Auserkorenen hat Beweisfunktion, aber es kommt für die Wirksamkeit nur auf den Zugang der Beauftragung an und sie muss nicht gegengezeichnet werden
§ 13 Abs. 2 ArbSchG redet von „schriftlicher Beauftragung“ (durch den Arbeitgeber), aber nicht von „schriftlicher Entgegennahme der Beauftragung“. § 13 Satz 2 DGUV Vorschrift 2 sagt zwar, die Beauftragung „ist vom Beauftragten zu unterzeichnen“ – und daraus folgern einige, die Pflichtendelegation „kann nicht einseitig erfolgen, sondern bedarf der Vereinbarung mit dem Mitarbeiter“13. Aber auch im Unfallversicherungsrecht ist eine Gegenzeichnung nicht zwingend – es geht § 13 DGUV-Vorschrift 1 eher um einen Appell im Sinne einer erleichterten Nachweisbarkeit und nicht um eine Wirksamkeitsvoraussetzung. Denn „ob einem Beschäftigten ein Teil der Pflichten übertragen werden kann, ist eine Frage des Arbeits- und Gesellschaftsrechts und keine Frage des Präventionsrechts der Unfallversicherung“14. Die DGUV Regel 100–001 Nr. 2.14 bestätigt: „Die Zustimmung des Verpflichteten ist nur erforderlich, sofern der bisherige Rahmen des Arbeitsvertrages überschritten wird“.
Irrtum 5: Nach Pflichtenübertragungen gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG sind „Geber“ nur noch bei der Verletzung von Aufsichtspflichten für die Behörden greifbar
Richtig ist: Alle in § 13 ArbSchG genannten Personen sind unbegrenzt und unverändert nebeneinander – und neben dem Arbeitgeber – verwaltungsrechtlich greifbar (verwaltungsrechtliche Verantwortungskumulation).
Das Bundesarbeitsgericht15 spricht ausdrücklich von einer „Kumulation der Verantwortlichkeiten“ zur „Effektivierung des Arbeitsschutzes. Die aus der (Dritt-) Beauftragung folgende Erweiterung der verwaltungsrechtlichen Verantwortlichkeit lässt die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Durchführung von Arbeitsschutzpflichten unberührt. Nach § 13 Abs. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber neben den in Nrn. 1 bis 5 der Vorschrift genannten Personen für die Erfüllung der sich aus dem Zweiten Abschnitt des ArbSchG ergebenden Handlungspflichten öffentlich-rechtlich verantwortlich. Eine Delegation der Aufgaben ändert daran nichts“.
- Erstens ist in jedem Absatz des § 22 ArbSchG von „Arbeitgeber oder von den verantwortlichen Personen“ die Rede. Es geht also nicht um „Abwälzung der Arbeitgeberverantwortung auf andere Personen“16, sondern „zusätzliche Verantwortung“17.
- Zweitens hat Verwaltungsvollzug gemäß § 22 ArbSchG nichts mit Verschulden zu tun, kann also umgekehrt auch nicht gesperrt sein, wenn Sorgfaltspflichten erfüllt werden.
- Drittens wäre die beabsichtigte Effektivität und Beschleunigung hinfällig, wenn Behörden vor Inanspruchnahme der Unternehmens- oder Betriebsleiter gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 oder 4 ArbSchG die Erfüllung von Aufsichts- beziehungsweise Organisationspflichten prüfen müssten und der Behördenzugriff bei Erfüllung dieser Pflichten gesperrt wäre.
Irrtum 6: Nur eine schriftliche Pflichtenübertragung gemäß § 13 ArbSchG bewirkt zivil- und strafrechtliche Haftungsentlastung der Führungskräfte als „Geber“
Richtig ist: Auch mündliche und sogar konkludente Pflichtenübertagungen entlasten und sind zivil- und strafrechtlich wirksam und ändern das Programm der delegierenden Führungskräfte von Durchführungs- in Aufsichtspflichten – es gibt nur keine vollständig befreiende „Weg“-Delegation.
Zwei Beispiele zur „Entlastung“ von Geschäftsführern:
- Das LG Bad Kreuznach18 berichtete in einem Strafverfahren gegen den Geschäftsführer einer Großbäckerei, ein Produktionsleiter habe als Zeuge ausgesagt, „dass alle neu eingestellten Arbeitnehmer durch ihn oder den Schichtführer eingewiesen worden seien“. Für das Gericht „steht hiernach fest, dass Einweisung und Belehrung auf den Produktionsleiter übertragen waren“, es leitet also aus der tatsächlichen Handhabung und Übernahme die Pflichtenübertragung ab.
- Das LG Oldenburg19 sah trotz fehlender schriftlicher Pflichtenübertragung keine Mitverantwortung des Geschäftsführers: Es „käme ein Organisationsverschulden des Unternehmens nur in Betracht, wenn der Mitarbeiter bereits mehrfach eigenständig Aufträge angenommen hätte, zu deren Ausführung er nicht qualifiziert ist“.
- In einem Urteil über Rückgriffsansprüche des zuständigen Unfallversicherungsträgers sagte das LG Aachen20 schief, der Geschäftsführer „behauptete selbst nicht, dass insofern eine wirksame – schriftliche – Übertragung unter Beachtung der Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 ArbSchG stattgefunden hätte“. Da § 13 ArbSchG im Regressverfahren gemäß § 110 SGB VII aber keine Rolle spielt, kommt es nicht auf die Schriftlichkeit der Pflichtenübertragung an, sondern nur darauf, ob sie vorliegt.
Ob von mündlichen Pflichtenübertragungen – etwa wegen Beweisschwierigkeiten – abzuraten ist, ist eine ganz andere Frage. Wichtig ist, dass sie in der gerichtlichen Praxis bei der Haftung gemäß Zivil- oder Strafrecht ausreichen – auch für eine Verantwortungsänderung in Aufsichtspflichten.
Irrtum 7: Arbeitsschutzverantwortung gemäß § 13 ArbSchG ist Voraussetzung für zivil‑, bußgeld- und strafrechtliche Haftung der verantwortlichen Personen
Richtig ist: Die Arbeitsschutzverantwortung gemäß § 13 ArbSchG wird unmittelbar im Rahmen des § 22 ArbSchG relevant – nirgendwo sonst. Es geht nur um die personelle Reichweite der verwaltungsrechtlichen Befugnisse der Aufsichtsbehörden und damit die öffentlich-rechtliche Haftung der verantwortlichen Personen – nicht mehr und nicht weniger. „Bezugspunkt der Verantwortlichkeitsbestimmungen in § 13 ArbSchG ist die Frage, wer für die Aufsichtsbehörden ‚greifbar‘ ist und als Adressat behördlicher Anordnungen in Betracht kommt“21.
Aber natürlich:
- Jeder gemäß § 13 ArbSchG Arbeitsschutzverantwortliche ist zugleich bußgeldrechtlich verantwortlich gemäß § 9 OWiG (siehe Irrtum 8). Insofern ist es zutreffend, wenn das BVerwG sagt22, „Rechtsfolge und Zweck der arbeitsschutzrechtlichen Verantwortung nach § 13 ArbSchG ist allein die Festlegung der Adressaten für aufsichtsbehördliche Maßnahmen und deren Absicherung durch Ordnungswidrigkeiten- und Straftatbestände (vgl. Wilrich, NZA 2015, 1433 1436)“.
- Jeder gemäß § 13 ArbSchG Arbeitsschutzverantwortliche ist zugleich als Garant und Verkehrssicherungspflichtiger straf- und zivilrechtlich verantwortlich (siehe Irrtum 9). Das VG Augsburg stellt klar23: Die „Verantwortlichkeit für den Arbeitsschutz begründet eine straf- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Garantenpflicht nach § 13 Abs. 1 StGB und § 8 OWiG (vgl. Wilrich, DB 2009, 1294), mit der Folge, dass der Verantwortliche sich im Falle einer schuldhaften Pflichtverletzung beispielsweise wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen strafbar machen kann“ – und das BVerwG betont die „strafbegründende Wirkung der Pflichtenübertragung“24.
Weil der beschränkte (öffentlich-rechtliche) Anwendungsbereich des § 13 ArbSchG nicht zur Kenntnis genommen wird, entstehen die Irrtümer 8 und 9, mit denen in der nächsten Ausgabe 7/2020 des Sicherheitsingenieurs fortgefahren wird. Außerdem geht es um einige kontraproduktive Irrwege, die mit § 13 ArbSchG beschritten werden.
Fußnoten:
1 BT-Drs. 13/5490 v. 22.01.1996, S. 9.
2 BAG, Beschluss v. 18.08.2009 (Az. 1 ABR 43/08).
3 BT-Drs. 13/5490 v. 22.01.1996, S. 9.
4 BVerwG, Urteil v. 23.06.2016 (Az. 2 C 18/15) – zum Urteil des VG Augsburg in 1. Instanz siehe Wilrich, Sicherheitsverantwortung: Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung, 1. Aufl. 2016.
5 VG Würzburg, Urteil vom 8.12.2010 (Az. W 6 K 10.206) und VGH München, Beschluss vom 25.07.2012 (Az. 22 ZB 11.211) – Fallbesprechung „Die planlose Asbestsanierung an der Uni Würzburg“, in Thomas Wilrich/Cordula Wilrich, Gefahrstoffrecht in betrieblicher Anwendung und vor Gericht, erscheint 2020.
6 Zur diesen Personen gemäß BetrSichV siehe Wilrich, Praxisleitfaden BetrSichV, 2. Aufl. 2020, Kapitel 2.
7 Fallbesprechung „Sturz von der Lagerhalle in Bielefeld“, in Wilrich, Baustellensicherheit, erscheint 2020.
8 Heute DGUV Vorschrift 38 Bauarbeiten.
9 VG München, Urteil v. 19.03.2012 (Az. M 16 K 11.5809) – Fallbesprechung „Arbeitsschutzanordnung wegen Gerüstunsicherheit“, in Wilrich, Baustellensicherheit, erscheint 2020.
10 BVerfG, Beschluss v. 20.8.2015 (Az. 1 BvR 980/15).
11 BVerfG, Beschluss v. 27.12.1991 (Az. 2 BvR 72/90).
12 BVerwG, Beschluss v. 19.12.1994 (Az. 5 B 79/94).
13 Kranig/Timm, in: Hauck; Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, Lieferung 3/2014, K § 15 Anm. III.3 Rn. 26; Brock, in: Handbuch zum Sozialrecht (HzS), SGB VII Gruppe, Stand 9/2009, Rn. 714.
14 So auch Brock, in: Handbuch zum Sozialrecht (HzS), SGB VII Gruppe, Stand 9/2009, Rn. 713.
15 BAG, Beschluss v. 18.08.2009 (Az. 1 ABR 43/08).
16 Kothe, in: Kothe/Faber/Feldhoff, Gesamtes Arbeitsschutzrecht, 2014, § 13 ArbSchG Rn. 8, S. 305.
17 Stürk, Wegweiser Arbeitsschutzgesetz – Kurzinformation für die Praxis, 1997, S. 99.
18 Fallbesprechung 4 „Backanlage: Brandwunden des Undercoverjournalisten“, in: Wilrich, Praxisleitfaden Betriebssicherheitsverordnung, 2. Aufl. 2020.
19 Fallbesprechung 5 „Baumfällung“ in Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld, 1. Aufl. 2020.
20 LG Aachen, Urteil v. 26.02.2015 (Az. 12 O 178/14) – Fallbesprechung 18 „Reithalle“ in Wilrich, Sicherheitsverantwortung – Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung, 1. Aufl. 2016.
21 BVerwG, Urteil v. 23.06.2016 (Az. 2 C 18/15) – Fußnote 4.
22 BVerwG, Urteil v. 23.06.2016 (Az. 2 C 18/15) – Fußnote 4.
23 VG Augsburg, Urteil v. 20.12.2012 (Az. Au 2 K 11.632) – Fallbesprechung 17 „Professor“ in Wilrich, Sicherheitsverantwortung – Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung, 1. Aufl. 2016.
24 BVerwG, Urteil v. 23.06.2016 (Az. 2 C 18/15) – Fußnote 4.
ArbSchG § 22 Befugnisse der zuständigen Behörden DGUV Vorschrift 1 (Grundsätze der Prävention) § 13 Pflichtenübertragung
§ 13 Verantwortliche Personen
(1) Verantwortlich für die Erfüllung der sich aus diesem Abschnitt ergebenden Pflichten sind neben dem Arbeitgeber
- sein gesetzlicher Vertreter,
- das vertretungsberechtigte Organ einer juristischen Person,
- der vertretungsberechtigte Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft,
- Personen, die mit der Leitung eines Unternehmens oder eines Betriebes beauftragt sind, im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben und Befugnisse,
- sonstige nach Absatz 2 oder nach einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung oder nach einer Unfallverhütungsvorschrift verpflichtete Personen im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse.
(2) Der Arbeitgeber kann zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm obliegende Aufgaben nach diesem Gesetz in eigener Verantwortung wahrzunehmen.
Der Unternehmer kann zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm nach Unfallverhütungsvorschriften obliegende Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Die Beauftragung muss den Verantwortungsbereich und Befugnisse festlegen und ist vom Beauftragten zu unterzeichnen. Eine Ausfertigung der Beauftragung ist ihm auszuhändigen.
Lesen Sie auch:
Autor: Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen, Professor für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, Unternehmensorganisationsrecht
und Recht für Ingenieure