In Deutschlands Wirtschaft herrscht ein vermeintlicher Widerspruch. Im internationalen Ranking der am meisten automatisierten Industriestandorte nimmt unser Land nach Singapur und Südkorea den dritten Platz ein. Auf 10.000 Beschäftigte kommen immerhin schon mehr als 300 Roboter. Doch trotz der international relativ hohen Lohnkosten sind die meisten Montagearbeitsplätze in Deutschland noch immer rein manuell. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zögern noch mit der Automatisierung. Gründe hierfür sind vor allem die zunehmende Variationsbreite der Produkte, die meist erst in der Montage entstehen, kleiner werdende Losgrößen sowie kürzere Produktlebenszyklen. Eine Automatisierung war bisher für viele Unternehmen nicht wirtschaftlich, da die geringen Stückzahlen keine angemessenen Amortisationszeiträume ergeben oder aber die hohe Varianz in den Produkten die Automatisierung verteuert.
Mit der Einführung der sogenannten Leichtbauroboter eröffnen sich aber nun neue Chancen für bislang „automatisierungsresistente“ Unternehmen, die Nachteile der Automatisierung hinter sich zu lassen und durch die Automatisierung effizienter und kostengünstiger zu produzieren. Denn durch Einstiegspreise ab 15.000 Euro können einfache Applikationen, die keine großen Investitionen in die Materialbereitstellung, in zusätzliche Sicherheitseinrichtungen oder in teure Endeffektoren erfordern, schnell wirtschaftlich umgesetzt werden.
Fraunhofer-Studie
Viele Mittelständler sehen das grundsätzliche Potenzial dieser neuen Technologie, warten aber noch auf genügend Informationen, um eine Entscheidung für den Robotereinsatz bedenkenlos rechtfertigen zu können. Diese Wissenslücke ist durch die Studie „Leichtbauroboter in der manuellen Montage“ des Fraunhofer IAO in Stuttgart und dessen Kooperationsinstitut IAT der Universität Stuttgart geschlossen worden. Beide Institute forschen über Produktions- und Auftragsabwicklungsprozesse mit dem Schwerpunkt Montage. Unter ihren Industriepartnern finden sich auch viele Firmen, die bereits erste Erfahrungen mit dem Einsatz von (kollaborierenden) Leichtbaurobotern bezüglich Einführungsprozess, Art der Mensch-Roboter-Interaktion (Mensch-Roboter-Kollaboration, MRK), Mitarbeiterakzeptanz, Arbeitssicherheit und Wirtschaftlichkeit gemacht haben.
Der damalige Leiter der Studie, Manfred Bender, erklärt die Vorgehensweise der Forscher: „Nach einer Recherche bei unseren Industriepartnern und in Veröffentlichungen zu schutzzaunlosem Robotereinsatz in Deutschland wurden aus den rund 50 von den Unternehmen eingesetzten und in der Literatur beschriebenen Applikationen 25 für die weitere Untersuchung ausgewählt. Kriterien für die Auswahl waren: Die Applikation ist im Serieneinsatz oder kurz davor und der Roboter bereits in mehreren Unternehmen im Einsatz.“ 2016 konnten die Ergebnisse der Studie präsentiert werden.
Definition Leichtbauroboter
Doch zunächst: Was genau ist ein Leichtbauroboter eigentlich? Es handelt sich um jene Roboter, die mit den Beschäftigten in der Montage schutzzaunlos zusammenarbeiten können, vergleichsweise klein sind und leicht bewegt werden können. Sie sind von Haus aus für die Zusammenarbeit mit dem Menschen ausgelegt. Dank ausgefeilter Sensortechnik im Roboter kann dieser ohne Schutzzaun in bestimmten Anwendungsfällen direkt mit dem Menschen kooperieren.
Die Arbeitsbereiche von Roboter und Arbeiter sind dann nicht mehr streng getrennt, sondern überlappen sich zu einem gemeinsamen Arbeitsraum. Dabei ist die eigentliche Kollaboration, wenn Roboter und Mensch tatsächlich gemeinsam Arbeitsaufgaben durchführen, nur ein Szenario der Mensch-Roboter-Interaktion. Forscher und Praktiker sprechen von Koexistenz, wenn Mensch und schutzzaunloser Roboter nebeneinander arbeiten, aber keinen gemeinsamen Arbeitsraum haben. Von synchronisierten Arbeitsabläufen wird gesprochen, wenn Mensch und Roboter zwar einen gemeinsamen Arbeitsraum teilen, aber der vorgesehene Ablauf immer nur einen Interaktionspartner im Arbeitsraum vorsieht. Bei der Kooperation schließlich können Interaktionspartner gleichzeitig im gemeinsamen Arbeitsraum Aufgaben haben, arbeiten aber nicht gleichzeitig am selben Produkt oder Bauteil.
Faktor Sicherheit
Auch aus arbeitsschutzfachlicher Hinsicht machen Leichtbauroboter viel Hoffnung, trotz aller potenziellen Gefahren infolge der fehlenden Schutzzäune. Wie bei der Einführung aller neuen Technologien bleiben aber für die Anwender noch viele Fragen offen. Der Roboterhersteller garantiert nämlich nur die Einhaltung der Richtlinien und Normen für den Roboter selbst, nicht für den Einsatz oder die Applikation des Roboters. Eine Applikation besteht aber nicht nur aus einem Roboter, sondern zusätzlich mindestens noch aus einem Endeffektor (das am Roboterarm adaptierte Werkzeug) sowie einem Bauteil (die mit dem Roboterarm bewegten Gegenstände).
Da es sich bei Robotern im Sinne der Maschinenrichtlinie um eine unvollständige Maschine handelt, kann ihr sicherer Einsatz erst an der endgültigen Applikation mit Werkstück, Werkzeug und auch der Arbeitsumgebung beurteilt werden. Je nach Applikation sind somit bei Bedarf zusätzliche Schutzmaßnahmen, wie zum Beispiel eine niedrigere Robotergeschwindigkeit, notwendig. Hinsichtlich einer Sicherheitszertifizierung durch den Hersteller ist zu berücksichtigen, dass ein Leichtbauroboter keine CE-Kennzeichnung erhalten kann, sondern nur eine Einbauerklärung. Erst wenn der Roboter als unvollständige Maschinen mit Endeffektor, Arbeitsaufgabe mit Werkstücken und der restlichen Peripherie zu einem Gesamtsystem verbaut ist, kann eine Risikoanalyse (nach MaschRL 2006/42/EG) beziehungsweise beim Betreiber eine Gefährdungsbeurteilung (nach ArbSchG) vorgenommen werden.
Studien-Ergebnisse
Was waren die zentralen Ergebnisse der damaligen Fraunhofer IAO-Studie? Manfred Bender bilanziert: „Unsere Studie zeigt, dass die neue Technologie funktioniert! Dies konnte in allen persönlichen Gesprächen mit unseren Industriepartnern bestätigt werden. Allerdings: Auch wenn die Technologie als solche nicht in Frage gestellt wird, so bestehen jedoch noch einige Unsicherheiten, was beispielsweise die neuen Normen und Richtlinien der Arbeitssicherheit betrifft.“
Die Wissenschaftler wurden von einigen Informationen überrascht: So sei der Aufwand für den schutzzaunlosen Einsatz deutlich höher als anfangs erwartet. Zudem gab es zum Zeitpunkt der Erhebung kaum kollaborative MRK-Anwendungsfälle in Montageprozessen. Überwiegend arbeiteten Montage-Mitarbeiter und Roboter in Koexistenz, seltener auch in Kooperation. Doch in beiden Szenarien arbeite die neue Technologie sehr zuverlässig in den befragten Unternehmen.
Sicherheit der Systeme
Ferner zeigte sich, dass auch die von den Unternehmen gewählte Sicherheitsstrategie von der Art und Weise des Zusammenwirkens von Mensch und Roboter abhänge: In den überwiegenden Fällen handelte es sich um Koexistenz, bei der Mensch und Roboter nur zeitweise im gemeinsamen Arbeitsraum zusammenwirken, zum Beispiel beim Magazinwechsel. Etwa drei Viertel der Anwendungsfälle wiesen im Arbeitsraum keine zusätzlichen Sicherheitsvorrichtungen auf, da man davon ausgehe, dass der Roboter über die erforderlichen Sicherheitsmerkmale verfügt.
Alle eingesetzten Roboter verfügten über eine Geschwindigkeits- und Kraftregulierung. Der APAS und der KR 5 SI haben zusätzlich kapazitive beziehungsweise taktile Sensoren, die bei Annäherung eines Menschen oder im Kontaktfall die Geschwindigkeit des Roboters reduzieren oder dessen Bewegung gar stoppen. Der Nachweis der Systemsicherheit werde in den Unternehmen durch eine (Eigen-)Zertifizierung der Applikation erbracht. Bis auf fünf Anwendungsfälle wären alle Applikationen in den Unternehmen zertifiziert.
Nachfolgestudie ROKOKO
Die Studie „Leichtbauroboter in der manuellen Montage“ sollte aber nur die Basis für ein weiteres Forschungsprojekt des Fraunhofer IAO sein, dass sich noch eingehender mit den arbeitswissenschaftlichen und sicherheitsfachlichen Faktoren beim Einsatz der Leichtbauroboter in der Montage beschäftigte: das Verbundprojekt ROKOKO, das vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird (siehe auch Interview mit Peter Rally, Seite 11 bis 13). Wie Studienleiter Peter Rally erläutert, habe die 2016 abgeschlossene Studie die Wissenslücke im Bereich der Montage aufgezeigt. Zum damaligen Zeitpunkt lag der Anteil von Robotern in der Montage der Unternehmen nämlich erst bei zehn Prozent. Seitdem habe sich der Trend zum vermehrten Einsatz von Robotern in den Montagehallen der Republik verstärkt, 2018 waren bereits in 13 Prozent der Unternehmen Roboter im Einsatz.
Der Fokus der neuen Studie sollte daher noch mehr auf den Arbeitsbedingungen in den automatisierten Montagehallen liegen. Peter Rally erklärt: „Wir haben vor allem den Mitarbeiter im Blick. Diese neue Automatisierung, die jetzt viel näher am Menschen dran ist beziehungsweise direkt mit dem Menschen geschieht, kann sowohl ‚gut‘ als auch ‚schlecht‘ gemacht werden. Was genau gut und schlecht ist oder sein kann, hängt oft von der Perspektive des Betrachters ab – wir versuchen mit ROKOKO eine objektive Sichtweise zu eröffnen.“
Praxisbeispiel: Ein Roboter speziell für das gesündere Arbeiten
Der vorrangige Grund für die Einführung von Kollaborativen Robotern sind wirtschaftlicher Art. Es gibt aber auch Beispiele für Unternehmen, die Kollaborative Roboter primär zur Förderung der Mitarbeitergesundheit einsetzen. Beispiel STIHL, der international tätige Motorsägenhersteller aus Waiblingen, der unter anderem Trennschleifer für den professionellen Anwender fertigt und verpackt. Bei der Verpackung kommt seit einigen Monaten der Robotertyp CR-35iA zum Einsatz. Ohne die Hilfe des Roboters muss der Mitarbeiter den Trennschleifer, der rund 10 kg wiegt, selbst bewegen. Bei der Planung des Robotereinsatzes wurden auch die Mitarbeiter beteiligt. Technisch besonders herausfordernd war die Integration des Roboters in eine bestehende Montagelinie unter stark eingeschränkten Platzverhältnissen. Zudem mussten wesentliche Arbeitsinhalte innerhalb der Montagelinie verlagert werden. Für die Beschäftigten vor Ort hat sich der Einsatz des Roboters bereits jetzt gelohnt, wie Montagemitarbeiter Waldemar Einrich meint: „Die Entlastung durch den Roboter ist besonders für den Rücken enorm.“
Praxisbeispiel: Ein Roboter speziell für das gesündere Arbeiten
Der vorrangige Grund für die Einführung Kollaborativer Roboter ist wirtschaftlicher Art. Es gibt aber auch Beispiele für Unternehmen, die Kollaborative Roboter primär zur Förderung der Mitarbeitergesundheit einsetzen. Ein Beispiel ist Stihl, der international tätige Motorsägenhersteller aus Waiblingen, der unter anderem Trennschleifer für den professionellen Anwender fertigt und verpackt. Bei der Verpackung kommt seit einigen Monaten der Robotertyp CR-35iA zum Einsatz. Ohne die Hilfe des Roboters muss der Mitarbeiter den Trennschleifer, der rund 10 kg wiegt, selbst bewegen. Bei der Planung des Robotereinsatzes wurden auch die Mitarbeiter beteiligt. Technisch besonders herausfordernd war die Integration des Roboters in eine bestehende Montagelinie unter stark eingeschränkten Platzverhältnissen. Zudem mussten wesentliche Arbeitsinhalte innerhalb der Montagelinie verlagert werden. Für die Beschäftigten vor Ort hat sich der Einsatz des Roboters bereits jetzt gelohnt, wie Montagemitarbeiter Waldemar Einrich meint: „Die Entlastung durch den Roboter ist besonders für den Rücken enorm.“