Die MRL ist eine überarbeitete Fassung der Maschinenrichtlinie, deren erste Version im Jahr 1989 angenommen worden war. Grundsätzlich wurden gegenüber früheren Versionen keine tiefgreifenden Veränderungen eingeführt. Die Bestimmungen der Richtlinie wurden klargestellt und zusammengeführt, mit dem Ziel, ihre praktische Anwendung zu verbessern. Die aktuelle MRL ist seit dem 29. Dezember 2009 verbindlich anzuwenden.
Am 9. Juni 2006 wurde die neue Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (MRL) nach einem mehr als fünf Jahre dauernden Verhandlungsmarathon im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Damit wurde eine neue Ära für das Inverkehrbringen von Maschinen eingeläutet. Eine Vielzahl von Ungereimtheiten und Unklarheiten, die in der „Ur“-Maschinenrichtlinie noch enthalten waren, sind durch die aktuelle MRL zu den Akten gelegt worden.
Herauszuhebende Änderungen
Nicht nur inhaltlich, sondern rein strukturell hat sich die MRL verändert und weiterentwickelt. So wurde besonderes Augenmerk auf die Lesbarkeit und Verständlichkeit gelegt. Die Artikel wurden insofern kompakter und in ihren Kernaussagen konkreter. Als Musterbeispiel ist hier die Zusammenfassung aller Herstellerpflichten in einem einzigen Artikel anzuführen. Der Artikel 5 beschreibt eindeutig in einem „Sechs-Punkte-Plan“ die Maßnahmen, die ein Hersteller vor dem Inverkehrbringen ergreifen muss.
Anwendungsbereich
Der Anwendungsbereich wurde an vielen Stellen konkretisiert und umfasst nun eindeutig neben den bereits zuvor aufgeführten „Maschinen“,
- „auswechselbare Ausrüstungen“ und „Sicherheitsbauteile“ auch „Lastaufnahmemittel“,
- „Ketten, Seile und Gurte“,
- „abnehmbare Gelenkwellen“ und
- „unvollständige Maschinen“.
Erwähnenswert ist die ausdrückliche Nennung der Lastaufnahmemittel, von Ketten, Seilen, und Gurten, der abnehmbaren Gelenkwellen und deren jeweils zugehörige Begriffsbestimmung. Da diese Produkte bis dato ausschließlich im Anhang I aufgeführt waren, jedoch nicht in den Artikeln, führte dies stets zu einer Vielzahl von Verständnisfragen und zu rechtlicher Unsicherheit bei Herstellern und Anwendern dieser Produkte. Diese Unsicherheit wurde mit der Neufassung der aktuellen MRL beseitigt.
Unvollständige Maschinen
Insbesondere bei den unvollständigen Maschinen wurde eine Verbesserung erreicht. Neben der Konkretisierung des Begriffs, d.h. der Einführung einer Definition, wurde auch ein spezielles Verfahren für das Inverkehrbringen festgelegt. Demnach muss der Hersteller
- spezielle technische Unterlagen erstellen; diese Unterlagen müssen Übersichtszeichnungen, Schaltpläne und auch die Risikobewertung enthalten;
- eine Montageanleitung mit den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die unvollständige Maschine ohne Beeinträchtigung der Sicherheit und der Gesundheit von Personen mit den anderen Teilen zur vollständigen Maschine zusammengebaut werden kann, erstellen;
- eine Einbauerklärung ausstellen. Diese beinhaltet alle wesentlichen Angaben vergleichbar zur EG-Konformitätserklärung. Als Besonderheit müssen auch alle eingehaltenen grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen in der Einbauerklärung aufgeführt werden. Ferner ein Inbetriebnahmeverbot für die unvollständige Maschine.
Die Montageanleitung und die Einbauerklärung gehören zum Lieferumfang der unvollständigen Maschine und sind anschließend in die technischen Unterlagen der vollständigen Maschine mit aufzunehmen.
Abgrenzung zu anderen Richtlinien
Im Rahmen der Novellierung der aktuellen MRL wurde seinerzeit ein neues Abgrenzungskriterium zwischen der MRL und der EG-Aufzugsrichtlinie eingeführt: die Fahrgeschwindigkeit des Hebezeugs. Hebezeuge mit einer Fahrgeschwindigkeit bis zu 0,15 m/s fallen demnach unter die MRL. Ist die Fahrgeschwindigkeit höher, ist die Aufzugsrichtlinie anzuwenden. Als weitere Konsequenz wurden Baustellenaufzüge in den Geltungsbereich der MRL aufgenommen.
Des Weiteren wurde die Abgrenzung zur Niederspannungsrichtlinie augenscheinlich klarer gefasst. Die Maschinenrichtlinie gibt nun eine Liste von Produkten vor, die nicht unter die Maschinenrichtlinie fallen:
- für den häuslichen Gebrauch bestimmte Haushaltsgeräte,
- gewöhnliche Büromaschinen,
- Audio- und Videogeräte,
- informationstechnische Geräte,
- Niederspannungsschalt- und ‑steuergeräte sowie
- Elektromotoren.
EG-Konformitätsbewertungsverfahren
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Überarbeitung der Konformitätsbewertungsverfahren. So entfällt das obligatorische Einschalten einer notifizierten Stelle bei Anhang IV-Maschinen, wenn diese Maschine vollständig nach harmonisierten Normen hergestellt wurde. Der Hersteller hat die Möglichkeit der „Selbstzertifizierung“. Neben der EG-Baumusterprüfung wurde das Verfahren der umfassenden Qualitätssicherung neu eingeführt.
Marktüberwachung
Eine Besonderheit ist in der Maschinenrichtlinie die Möglichkeit, ein EU-weites Verbot des Inverkehrbringens einer ganzen Gruppe gefährlicher Maschinen zu beschließen. Nach einem genau festgelegten Verfahren (Artikel 9) kann das Inverkehrbringen von solchen gefährlichen Maschinen untersagt werden, die die gleichen technischen Merkmale aufweisen wie solche Maschinen, deren Inverkehrbringen bereits untersagt wurde.
Ein bemerkenswertes Beispiel sei an dieser Stelle erwähnt:
- Am 19. Januar 2012 wurde ein erster Beschluss nach diesem Verfahren im Europäischen Amtsblatt veröffentlicht. Demnach ist seit dem 30. April 2012 das Inverkehrbringen von schlegelartigen Schneidwerkzeugen für tragbare handgeführte Freischneider/Motorsensen im EWR verboten.1
Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen (Anhang I)
Der größte Erfolg während der Verhandlungen in Bezug auf Anhang I ist zweifelsohne, dass Struktur und Nummerierung nahezu unverändert erhalten geblieben sind, obwohl der ursprüngliche Kommissionsvorschlag eine erhebliche Veränderung in diesem Bereich vorsah. Mehrfach hatte die Industrie deutlich gemacht, dass eine massive Veränderung der bewährten Dokumentationsverfahren für die Hersteller einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bedeutet hätte, um neue Dokumentationsstrukturen aufzubauen.
Grundsätzlich wurde der Anhang I auf die Terminologie der maßgeblichen Sicherheitsgrundnorm EN ISO 121002 angepasst. Für die Konstrukteure bedeutet dies mehr Anwenderfreundlichkeit, weil die „Sprache“ der MRL mit der strategischen Grundnorm kompatibel ist. Im Zuge dieser Anpassung wurde auch der Begriff „Gefahrenanalyse“ den geltenden Begrifflichkeiten angepasst und heißt seitdem konsequenterweise „Risikobeurteilung“. Zur Durchführung einer Risikobeurteilung ist ein Hersteller verpflichtet; sie ist nicht freiwillig.
Auch wenn die Struktur des Anhangs I nahezu unverändert geblieben ist, so haben sich dennoch Änderungen ergeben, von denen stellvertretend die nachstehenden Beispiele näher ausgeführt werden.
Ergonomie
Eine bemerkenswerte Änderung im Anhang I betrifft den Abschnitt „Ergonomie“. Dieser wird erheblich ausführlicher als bisher behandelt. Mit diesen Präzisierungen soll dem gegenwärtigen Kenntnisstand wie auch der künftigen Veränderung der Arbeitswelt Rechnung getragen werden. Zu den Anforderungen dieses Abschnitts zählt, Belästigungen, Ermüdungen sowie körperliche und psychische Fehlbeanspruchungen der Bedienungsperson auf das mögliche Mindestmaß zu reduzieren. In die Konstruktion einfließen müssen die folgenden ergonomischen Prinzipien:
- Anpassung an unterschiedliche Körpermaße und ‑kräfte und die Ausdauer des Bedieners;
- Ausreichender Bewegungsfreiraum des Bedieners;
- Vermeidung eines vorgegebenen Arbeitsrhythmus der Maschine;
- Vermeidung von Überwachungstätigkeiten, die andauernde Aufmerksamkeit erfordern sowie
- die Anpassung der Schnittstelle Mensch/Maschine an die voraussehbaren Eigenschaften des Bedienpersonals.
Prozessbeobachtung
Eine weitere Änderung im Anhang I, die erwähnt werden sollte, ist die Erweiterung der Steuerungs- und Betriebsarten um die so genannte „Prozessbeobachtung“. Nach der „alten“ EG-Maschinenrichtlinie waren ausschließlich zwei Betriebsarten möglich (Automatikbetrieb und Einrichten/Rüsten). Für diese Sonderbetriebsart „Prozessbeobachtung“ musste daher noch die „Öffnungs-/Ausstiegsklausel“ der Vorbemerkungen genutzt werden. Die aktuelle MRL hat nun hierfür gesonderte Anforderungen bzw. Voraussetzungen festgelegt, um den technologischen Anforderungen und weiterentwickelten sicherheitstechnischen Lösungen Rechnung zu tragen. Da insbesondere bei Werkzeugmaschinen die Anwendung von erweiterten Betriebsarten erforderlich sein kann, ist diese Erweiterung des entsprechenden Abschnitts von Anhang I zu begrüßen.
Bei der Möglichkeit zur Prozessbeobachtung handelt es sich aber nicht um einen „Jedermann“-Paragrafen, und die Nutzung dieser Möglichkeit ist stets mit Sorgfalt abzuwägen.
Betriebsanleitung
Der Abschnitt, der sich mit dem Thema „Betriebsanleitung“ befasst, wurde an
einigen Stellen aufgewertet, das heißt präzisiert und erweitert. Dies war auch wegen der Klarstellung im Anwendungsbereich notwendig. Dadurch, dass Sicherheitsbauteile, Lastaufnahmemittel, Ketten, Seile und Gurte sowie abnehmbare Gelenkwellen allesamt als Maschinen im weiteren Sinne anzusehen sind, gehört bei allen diesen Produkten auch eine Betriebsanleitung zwingend zum Lieferumfang. Gerade in diesem Punkt ist die MRL eindeutiger geworden. Es ist ausdrücklich festgelegt, dass jeder Maschine eine „Originalbetriebsanleitung“ beizufügen ist. Ist die Sprache des Landes, in dem die Maschine in Verkehr gebracht wird, eine andere, so muss zusätzlich eine „Übersetzung der Originalbetriebsanleitung“ beigefügt werden. Gegenwertig werden 24 Amtssprachen im EWR angewendet.
EG-Konformitäts- und Einbauerklärung
Neben einigen redaktionellen Anpassungen „versteckt“ sich im Anhang II eine der Änderungen, die immer noch heiß diskutiert wird. So fordert der Anhang II, dass Name und Anschrift der Person angegeben werden müssen, die bevollmächtigt ist, die (relevanten) technischen Unterlagen zusammenzustellen. Diese Person muss ihren Sitz im EWR haben. Als Bezeichnung für diese Person hat sich seit Inkrafttreten der MRL der Begriff „Dokumentationsbevollmächtigter“ nahezu verselbstständigt. Diese Person ist auf keinen Fall mit dem Bevollmächtigten zu verwechseln, wie er im Artikel 2 Buchstabe j) definiert ist. Die Aufgaben dieser beiden „Personen“ sind vollkommen unterschiedlicher Natur. Die Benennung eines „klassischen“ Bevollmächtigten ist für einen Hersteller freiwillig, die Angabe des „Dokumentationsbevollmächtigten“ ist hingegen verpflichtend.
Der „Dokumentationsbevollmächtigte“ ist als Verbindungsperson zu den Marktüberwachungsbehörden anzusehen. Er ist für die quantitative Zusammenstellung der technischen Unterlagen zuständig, eine qualitative Prüfung der entsprechenden Daten ist nicht mit dieser Aufgabe verbunden. Es wird von dieser Person keine spezielle Ausbildung oder Zertifizierung verlangt.
Nachträgliche Änderung der MRL – Pestizidausbringungsmaschinen
Am 25. November 2009 ist schließlich im Amtsblatt der Europäischen Union die „Richtlinie 2009/127/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Änderung der Richtlinie 2006/42/EG betreffend Maschinen zur Ausbringung von Pestiziden“ veröffentlicht worden. Die durch die Richtlinie 2009/127/EG vorgeschriebenen Änderungen sind seit dem 15. Dezember 2011 verpflichtend anzuwenden.
Damit wurden Umweltschutzanforderungen für das Inverkehrbringen neuer Pestizidausbringungsmaschinen3 (auch bekannt als „Pflanzenschutzgeräte“) in die MRL aufgenommen. Hinsichtlich ihrer Beschaffenheit in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz unterlagen Maschinen zur Ausbringung von Pestiziden ohnehin der MRL.
So fügt die Richtlinie 2009/127/EG für Maschinen zur Ausbringung von Pestiziden unter der Nummer 2.4 des Anhangs I zusätzliche grundlegende „umweltbezogene“ Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen ein, zum Beispiel verbindliche Tests, die vom Hersteller oder von ihm beauftragte Dritte durchführen müssen, um die Genauigkeit der Ausbringungsmengen und Verteilung nachzuweisen.
Zusammenfassung
Die aktuelle MRL enthält zwar eine größere Anzahl an Artikeln und Anhängen. Dies ist aber nicht zwangsweise als eine Erweiterung der Vorschriften zu werten. An vielen Stellen handelt es sich um Klarstellungen und Anpassungen an die Rechtssystematik. Das Ziel, die Lesbarkeit und Verständlichkeit der Richtlinie zu erhöhen, wurde grundsätzlich erreicht.
Teil II dieses Beitrages wird einen Ausblick auf die kommende Revision der MRL geben. Im Rahmen des sogenannten REFIT-Programms, mit dem EU-Rechtsvorschriften auf Praxistauglichkeit, Aktualität und Effektivität geprüft werden, wird auch die aktuelle MRL einer Evaluierung unterzogen. Die Veröffentlichung des Vorschlags für eine neue unmittelbar geltende EU-Maschinenverordnung ist nach Angabe der Europäischen Kommission für das 2. Quartal 2021 geplant.
1 Beschluss der Kommission vom 19. Januar 2012 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Verbot des Inverkehrbringens von schlegelartigen Schneidwerkzeugen für tragbare handgeführte Freischneider/Motorsensen, Amtsblatt der Europäischen Union vom 21.1.2012, L 18/5
2 EN ISO 12100 Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung
3 hierunter fallen z.B. selbstfahrende Ausbringungsgeräte, Spritz- und Sprühgeräte, die an Traktoren bzw. Helikoptern angebracht sind, aber auch solche Geräte, die vom Benutzer getragen werden können
Marc Schulze
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Referat III b 5 – Produktsicherheit, Anlagen- und Betriebssicherheit