Der digitale Wandel ist in vielen Unternehmen angekommen. Dazu gehört, dass die Interaktion von Mensch, Arbeitsmittel und ‑umgebung zunehmend von Hard- und Software unterstützt oder autonom und selbstlernend gesteuert wird. Diese Entwicklungen haben einen großen Einfluss auf die Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten. Ein Beispiel ist der Einsatz von Datenbrillen (Smartglasses, Head-Mounted Displays): Bei ihrer Nutzung sind in jedem Fall die Chancen und Risiken sowie die Gefährdungen und Belastungen für die Beschäftigten zu betrachten. Im Mittelpunkt steht die
Frage nach den Auswirkungen dieser Mensch-System-Interaktion.
So funktionieren Datenbrillen
Datenbrillen sind Anzeigegeräte, mit denen sich der Nutzer zusätzliche Informationen (zum Beispiel Bilder, Videos, Bildübertragungen in Echtzeit) visuell im Sichtfeld darstellen lassen kann. Neben der Darstellung visueller Informationen bieten viele Datenbrillen auch Audioschnittstellen zur Aufzeichnung und Wiedergabe von Tönen an. So ist es möglich, akustische Signale, Gespräche oder Videos mit integrierten Kameras beziehungsweise Mikrofonen aufzuzeichnen.
Diese Informationen lassen sich transparent, teiltransparent oder nicht transparent für ein oder für beide Augen darstellen. Bei der nicht transparenten Darstellung auf beiden Augen sieht der Nutzer nur die dargestellte virtuelle Umgebung, nicht die reale Umgebung. Bei einer transparenten Art der Darstellung sieht der Nutzer hingegen noch, was sich hinter den eingeblendeten Inhalten abspielt. Man spricht daher – je nach Art der eingesetzten Datenbrille – unter anderem von erweiterter Realität („Augmented Reality“), gemischter Realität („Mixed Reality“) oder virtueller Realität („Virtual Reality“, kurz VR). Die Bedienung der Datenbrillen kann durch Sprachbefehle, Gesten oder Peripherie-Geräte (zum Beispiel Joysticks) erfolgen. In der Regel haben Personen, die Datenbrillen tragen, die Hände frei.
Nutzung von Datenbrillen
Datenbrillen lassen sich auf vielfältige Art und Weise einsetzen. Einige Einsatzmöglichkeiten stehen in direktem Zusammenhang zum Thema Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. So ist es beispielsweise mit Datenbrillen möglich
- Gefahrenhinweise zur Arbeitsumgebung oder zu Maschinen und Anlagen direkt anzuzeigen,
- Bedienungsanleitungen, Betriebs- und Verfahrensanweisungen sowie andere Hinweise zum sicheren und fachgerechten Arbeiten darzustellen,
- neue Beschäftigte durch erfahrene Kollegen bei der Durchführung von Arbeiten in Echtzeit zu unterstützen, ohne dass letztere vor Ort anwesend sind,
- tägliche oder regelmäßig wiederkehrende Sicherheits-Checks durchzuführen beziehungsweise zu dokumentieren oder
- interaktive Unterweisungen an Maschinen und Anlagen standardisiert oder innerhalb einer Konferenz von Fachleuten durchzuführen.
Datenbrillen in der Instandhaltung
Auch im Bereich der Instandhaltung komplexer Anlagen und Großanlagen bieten Datenbrillen Vorteile. So ist es zum Beispiel möglich, dass Beschäftigte, die an unterschiedlichen Stellen einer Anlage tätig sind, zeitgleich zusammenarbeiten. Die einzelnen Tätigkeitsschritte können mit Datenbrillen besser aufeinander abgestimmt werden als mit Rufzeichen oder Funkgeräten. Datenbrillen können auch die Zusammenarbeit zwischen dem ausführendenInstandhaltungspersonal und einzelnen Fachleuten (zum Beispiel Instandhaltungsplaner, Fachkraft für Arbeitssicherheit) verbessern: Letztere können sich auf die Datenbrillen des ausführenden Personals aufschalten und eine direkte audio-visuelle Kommunikation mit den Beschäftigten starten. In kritischen Situationen können so schnell weitergehende Anweisungen erfolgen oder kommende Arbeitsschritte per Display angezeigt werden.
Ein weiteres Beispiel ist die Planung von Instandhaltungsarbeiten in der virtuellen Realität: So ist es möglich, an einem virtuellen Modell einer realen Anlage verschiedene Instandhaltungsarbeiten und ‑szenarien zu planen und zu simulieren. Dieses virtuelle Modell einer realen Anlage wird auch als „digitaler Zwilling“ bezeichnet: Es handelt sich um ein auf Daten und Algorithmen basierendes digitales Objekt, das in der realen Welt existiert. Gefährdungen an einzelnen Anlagenteilen (zum Beispiel Temperatur, Höhe) oder in der Umgebung der Anlage lassen sich damit frühzeitig erkennen und abstellen, zum Beispiel indem alternative oder zusätzliche Arbeitsschritte eingeführt oder Schutzmaßnahmen definiert werden. Die Instandhaltungsplaner tragen hierbei VR-Datenbrillen und bewegen sich virtuell gemeinsam im digitalen Zwilling: Sie können also mit Hilfe der Datenbrille virtuell durch die Anlage laufen.
Im Anschluss daran können die Arbeitsfreigaben erteilt werden und die Instandhaltungsarbeiten in der realen Anlage beginnen.
Auch bei der Durchführung von gefährlichen Arbeiten können Datenbrillen helfen. Darunter fallen solche Arbeiten, bei denen „(…) eine erhöhte Gefährdung aus dem Arbeitsverfahren, der Art der Tätigkeit, den verwendeten Stoffen oder aus der Umgebung gegeben ist, weil keine ausreichenden Schutzmaßnahmen durchgeführt werden können.“ (vgl. DGUV Regel 100–001, Pkt. 2.7). So lässt sich beispielsweise die Zahl der exponierten Beschäftigten in einer gefährlichen Arbeitsumgebung dadurch reduzieren, dass die zu erledigenden Aufgaben (zum Beispiel Ablesen und Ansage von Drehmomenten, Überwachung der Arbeiten durch einen zweiten Beschäftigten) nach Möglichkeit in einen sicheren Bereich verlagert werden. Hierbei trägt der Beschäftigte, der sich in der gefährlichen Arbeitsumgebung befindet, eine „Augmented Reality“-Datenbrille. Der zweite Beschäftigte befindet sich nicht in der gefährlichen Arbeitsumgebung: Er kommuniziert audio-visuell – beispielsweise über ein Tablet – mit seinem Kollegen. Hierbei ist besonders zu beachten, dass gefährliche Arbeiten nicht von einem Beschäftigten allein ausgeführt werden sollten. Nur in Ausnahmefällen können Beschäftigte gefährliche Arbeiten durchführen, wenn weitere geeignete Maßnahmen für den Alleinarbeitsplatz beziehungsweise den Einzelarbeitsplatz getroffen werden.
Gefährdungsbeurteilung – wichtig wie eh und je
Auch in Zeiten des digitalen Wandels bleibt die Beurteilung der Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung) nach
§ 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) das zentrale Werkzeug. Der Arbeitgeber muss
- die Wechselwirkungen zwischen dem Nutzer der Datenbrille, der Datenbrille selbst und der Arbeitsumgebung in den Blick nehmen,
- die daraus entstehenden Gefährdungen hinsichtlich Art, Ausmaß und Dauer beurteilen,
- Schutzmaßnahmen ableiten und
- die Gefährdungsbeurteilung dokumentieren.
Zu berücksichtigen sind dabei vor allem physische und psychische Belastungen, die auf den Nutzer der Datenbrille wirken. Ist die Datenbrille beispielsweise an einem Schutzhelm befestigt, spielt ihr Gewicht eine große Rolle. Wird neben der Datenbrille noch eine Schutzbrille getragen, muss das Volumen dieser Kombination betrachtet werden. So muss überprüft werden, ob das Sichtfeld des Nutzers möglicherweise eingeschränkt ist oder seine Aufmerksamkeit durch Fehlfunktionen (zum Beispiel Störgeräusche, plötzlich eingeblendete helle Farben auf dem Display) unterbrochen beziehungsweise falsch gelenkt wird. Sind die Informationen, die über eine Datenbrille dargestellt werden, zu detailliert, besteht die Gefahr einer Informationsüberflutung, die wiederum die kognitive Leistungsfähigkeit des Nutzers kurz- oder mittelfristig einschränken kann. Die Frage der psychischen Belastungen durch den Einsatz von Datenbrillen ist umfangreich, so dass diese im Rahmen dieses Beitrags nicht weiter vertieft werden kann. Weiterführende Links beziehungsweise Literatur zum Thema fasst der Kasten auf Seite 17 zusammen.
Plötzliche Verbindungsabrisse oder Abschaltungen der Datenbrille aufgrund entladener Akkumulatoren haben ebenfalls negative Auswirkungen auf die Akzeptanz und gegebenenfalls auf die Prozesssicherheit. Werden Datenbrillen in explosionsgefährlichen Bereichen getragen, ergeben sich spezielle Anforderungen an ihre Beschaffenheit, die bereits vor dem Einkauf der Datenbrillen definiert und bei der Auswahl berücksichtigt werden müssen.
Ängste ernst nehmen
Wichtig ist, die Beschäftigten an der Gefährdungsbeurteilung zu beteiligen und dabei insbesondere auf eventuell bestehende Ängste und Befürchtungen einzugehen. So bestehen in der betrieblichen Praxis mitunter Berührungsängste im Zusammenhang mit der neuen Technik: Fragen zur Bedienbarkeit der Datenbrille beziehungsweise zu einzelnen Funktionalitäten oder zur Sprachsteuerung auf
Englisch können sich im Einzelfall sogar bis zur Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, „hochschaukeln“. Mitunter äußern Beschäftigte auch Zweifel daran, dass Datenbrillen – gerade in gefährlichen Situationen – verlässlich funktionieren. Diese Einwände sind stets ernst zu
nehmen. Ausführliche Schulungen und Unterweisung vor der Verwendung der Datenbrillen sind daher unverzichtbar.
Fazit
Letztlich eröffnet die Nutzung von Datenbrillen auch neue Möglichkeiten für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Nicht jede Datenbrille ist für jeden Anwendungsfall geeignet. Die genaue und gründliche Planung des Einsatzes von Datenbrillen ist daher wichtig. Unter den geschilderten Randbedingungen bieten Datenbrillen viele Potenziale, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten und zu verbessern.
Autor: Adrian Wortmann
Head of Quality, Health & Safety Environment
XERVON Instandhaltung GmbH
E‑Mail: adrian.wortmann@xervon.com
Link- und Literaturtipps
- Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.): Head-Mounted Displays – Arbeitshilfen der Zukunft Bedingungen für den sicheren und ergonomischen Einsatz monokularer Systeme. Dortmund, 1. Auflage 2016.
- M. Wille: Head-Mounted Displays – Bedingungen des sicheren und beanspruchungsoptimalen Einsatzes: Psychische Beanspruchung beim Einsatz von HMDs. Hrsg. von der BAuA. Dortmund, 1. Auflage 2016.
- Download beider Broschüren unter: www.baua.de Angebote Publikationen Publikationssuche mit dem Stichwort „Head Mounted Display“