Herr Haug, als Sie mit Parkour begonnen haben, gab es keine offiziellen Angebote in dieser Richtung, sondern nur den Garten als Experimentierfeld. Haben Sie sich einfach ausprobiert – ohne Anleitung oder Vorbild? Und konnten Ihre Eltern diesem Treiben entspannt zusehen?
Mit 12, 13, 14 ging es los, ganz genau weiß ich es gar nicht mehr. Allerdings habe ich schon mit vier oder fünf Jahren Salto im Ehebett meiner Eltern geübt, in dem wir samstags morgens alle zusammen lagen. Und ich bin schon früh auf Bäume geklettert. Während der Olympiade 2000 in Sydney hatte ich dann die Windpocken, sodass ich viele Live-Übertragungen anschauen konnte. Besonders gefallen hat mir Bodenturnen, aber leider gab es bei uns im Ort keinen richtigen Turnverein. Später habe ich mich für Kung Fu- und Kampfsport-Filme begeistert und wollte gerne so flink und beweglich sein wie Jackie Chan. Mit YouTube kam dann die Erleuchtung: Die ersten Videos, die ich mir angeguckt habe, waren Parkour-Videos. Da war mir klar, das ist meine Sportart!
Ich habe also meine Matratze aus dem Bett geholt, in den Garten gelegt und mit dem Training begonnen. Radschlag, Handstand, Vorwärtssalto, Rückwärtssalto, Flickflack. Manchmal hat‘s geklappt, manchmal nicht. Meine Eltern hatten nichts dagegen – im Gegenteil: Ihnen war es sehr wichtig, dass wir alle drei Sport machen.
Wie unterschieden sich Freerunning und Parkour?
Für mich ist es eigentlich das Gleiche beziehungsweise ich mische gerne beides. Aber einige Leute aus der Community bestehen darauf, die Sportarten voneinander zu unterscheiden. Parkour ist eigentlich nichts anderes als so schnell wie möglich von A nach B zu kommen, auf direkter Linie, Mauer hoch, Mauer runter, abrollen, weiter. Beim Freerunning spielt man hingegen mit der Umgebung, da ist dann auch mal ein Salto oder ein Radschlag dabei. Hier geht es also verstärkt um Kreativität in der Fortbewegung. Weil ich beides mag und regelmäßig trainiere, bin ich bei beiden Wettkampfformaten ganz gut aufgestellt. Das eine Format ist Speed, also praktisch reines Parkour, das andere der Freestyle Contest. Das ist dann Freerunning, bei dem man Tricks zeigen muss und das Gesamtbild wichtig ist.
Ursprünglich war Parkour aber nicht am Wettbewerb orientiert. Mit der Aufnahme in den Weltturnverband 2017 hat sich das verändert: Die Disziplin soll sogar olympisch werden. Was meinen Sie: Profitiert der Sport von der Einbettung in Vereine?
Viele aus der Szene befürchten, dass die Freiheit, die sie jahrelang genossen haben, mit der Anbindung an die Vereine verloren geht. Ich persönlich finde, man kann Parkour auch weiterhin frei betreiben – ob es nun zum Turnverband gehört oder nicht. Weil ich es beruflich mache, kommt mir die neue Entwicklung sogar entgegen: Wenn man zu einem Kopfverband gehört und somit geregelte Wettkämpfe stattfinden, hilft das bei der Sponsorensuche. Ich finde auch die neue Aufmerksamkeit für die Sportart cool. Dafür habe ich schließlich jahrelang trainiert.
Außerdem schicken Eltern ihre Kinder wahrscheinlich lieber in den Verein, damit sie gut aufgehoben sind. Das heißt dann, dass man Parkour in einer Halle trainiert mit Matten, wobei das wahre Parkour/Freerunning immer draußen stattfindet. Aber für die Eltern ist es besser, wenn sie wissen, ihre Sprösslinge trainieren unter Aufsicht mit entsprechendem Sicherheitsmaterial. So gefährlich ist Parkour dabei gar nicht: Die Verletzungsgefahr beim Turnen ist tendenziell größer. Das hat mir kürzlich ein Physiotherapeut bestätigt, der vormals Turner war. Natürlich kommt es immer darauf an, wie man trainiert. Wichtig ist, dass man die Basics gut draufhat, zum Beispiel den Präzisionssprung oder den Kong Vault, den sogenannten Katzensprung. Beim Üben spürt man, wie man den Körper in der Luft halten muss, mit welcher Arm- und Beinspannung man nach vorne, nach hinten oder zur Seite fliegt. Dann gibt es noch einen einfachen Wandsprung. Balancieren ist natürlich auch wichtig. Das alles gelingt nur durch ständige Wiederholung und langsame Weiterentwicklung. Wenn man gleich mit einem doppelten Salto anfängt und nicht einmal einen einfachen kann, wird das natürlich nichts.
Sie führen öfter Schüler an Ihren Sport heran. Läuft das gut?
Ich hatte schon Klassen, bei denen lief es perfekt, aber es gibt auch welche, die sich etwas schwerer tun. Es sind immer Schüler mit großem Talent dabei, aber auch andere, die keine Lust darauf haben. Das kann ich schon verstehen, denn mir hat der Schulsport auch nicht immer Spaß gemacht. Wenn wir zum Beispiel Fußball gespielt haben, war meine Laune nicht gerade auf dem Höhepunkt. Aber im Großen und Ganzen kommt Parkour bei den Schülern gut an, egal woher sie stammen.
Heutzutage ist es sehr wichtig, dass die Kinder überhaupt noch Sport machen. Meine Freundin ist Lehrerin und insofern höre ich immer wieder davon, dass viele nur noch am Computer hängen. Das liegt dann meiner Meinung nach aber nicht nur an den Kids, sondern auch an ihren Eltern. Und ich finde, dass Sportler in den Social Media besser präsentiert werden sollten, um ihre Vorbildfunktion zu stärken. Ich habe mal gelesen, dass der Dschungelcamp-Sieger mehr verdient als ein Olympia-Sieger. Das setzt natürlich falsche Signale.
Können Sie eigentlich noch ganz entspannt durch die Gegend laufen oder reizt es Sie ständig, Hindernisse sportlich zu nehmen?
Meine Parkour-Schuhe und Parkour-Hose habe ich eigentlich immer an und die Kamera, mit der ich die Action-Aufnahmen mache, immer dabei. Sobald ich etwas Cooles sehe, mache ich gleich mal ein paar Action-Bilder. Wenn ich mich gerade schlecht bewegen kann — etwa nach dem Essen — halte ich den Ort auf dem Handy fest, um später darauf zurückzukommen. Dieses Parkour-Auge oder dieses Parkour-Gedächtnis kann man leider beziehungsweise zum Glück niemals abstellen.
Steckbrief
- geboren 1990 in Freudenstadt
- professioneller Freerunning-Athlet und Parkour-Läufer
- hat längere Zeit in Bangkok als Stuntman gearbeitet
- wirkt in verschiedenen Actionfilmen und Werbespots mit
- engagiert sich in Schulprojekten für seine Sportart
- wurde 2014 zum besten deutschen
Parkour-Athleten gewählt - startet auf Wettkämpfen für Deutschland
- war offizieller Botschafter der Kunstturn-Weltmeisterschaft 2019 in Stuttgart