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Antje Boetius - Polar- und Tiefseeforscherin im Interview

Nachgefragt bei der Polar- und Tiefseeforscherin Dr. Antje Boetius
Sicherheitsvorkehrungen bei Arbeiten in verborgenen Lebenswelten

Petra Jauch
Die Polar- und Tief­seeforscherin Prof. Dr. Antje Boetius beteiligte sich an fast 50 Expe­di­tio­nen auf inter­na­tionalen Forschungss­chif­f­en. Durch ihre Ent­deck­ungs­fahrten ins ewige Eis oder zur Tiefe des Meeres­bo­dens hat sie faszinierende Ein­blicke in ver­bor­gene Lebenswel­ten gewon­nen. Diese über­wiegen bei Weit­em die Anstren­gun­gen und möglichen Äng­ste, die mit solchen Vorstößen ins Unbekan­nte ver­bun­den sind. Eine wichtige Rolle spie­len zudem weitre­ichende Sicherheitsvorkehrungen.

Dr. Antje Boetius, Sie erforschen Leben­sräume, die für Men­schen ziem­lich oder gän­zlich unwirtlich sind. Ihre erste Polar-Expe­di­tion führte Sie 1993 in die Ark­tis. Was war für Sie die größte Her­aus­forderung während dieser Wochen im ewigen Eis?

Damals hat­te ich schon einige Expe­di­tio­nen im Atlantik und Paz­i­fik hin­ter mir und auch schon Stürme erlebt. Aber es war mein erstes Mal mit dem Forschung­seis­brech­er im Eis. Die Ark­tis rund um den Nord­pol ist Ozean mit einem Deck­el aus Eiss­chollen oben­drauf. Dort ist es sehr kalt, oft windig und ganz weiß. Damals war das Eis noch ein paar Meter dick, und es hat ordentlich geschep­pert, wenn wir am Eis­brechen waren, um voranzukom­men bis in die sibirischen Rand­meere. Ich stand manch­es Mal auf der Brücke und wun­derte mich, wie ein Schiff das aushal­ten kann. Wenn der Eis­brech­er sich auf die Scholle schiebt, muss die ja unter seinem Gewicht brechen. Und manch­mal waren die Schollen so dick, dass das Schiff sich ordentlich in Schräglage neigte, bis es dann mit einem Ruck durch­brach. Im Labor musste da alles fest­gek­lemmt wer­den, und vom Lärm kon­nte ich zuerst nicht gut schlafen. Aber es war dann abso­lut aufre­gend, mal das Schiff zu ver­lassen und auf dem Eis spazieren zu gehen, mit über vier Kilo­me­ter Wass­er darunter bis zum Meeresboden.

Im Som­mer ist es auch immer hell, die ganze Nacht hin­durch, aber man kann an vie­len Tagen den Über­gang zwis­chen Eis, Schnee und Wolken nicht unter­schei­den. Bevor wir draußen Proben nehmen und Exper­i­mente durch­führen, ziehen wir sehr warme Klei­dung an und dicke Sock­en und Schuhe, das ist über­lebenswichtig. Man muss auch Kopf und Gesicht bedeck­en, damit man nicht auskühlt.

Noch einzi­gar­tiger sind ihre „Aus­flüge“ auf den Meeres­grund. Bei Ihrem tief­sten Tauch­gang mit dem Forschungs-U-Boot sanken Sie im Mit­telmeer auf 3,5 Kilo­me­ter Tiefe. Wie lange dauert so eine Reise?

Das war mit dem franzö­sis­chen Tauch­boot Nau­tile. Wir sind zu Schlam­mvulka­nen auf dem Nil-Fäch­er im östlichen Mit­telmeer getaucht. Es hat cir­ca zweiein­halb Stun­den gedauert, dor­thin zu kom­men, dann ver­bracht­en wir etwas über zwei Stun­den unten und benötigten wieder cir­ca zwei Stun­den nach oben. Ich kon­nte mich dort unten gar nicht satt sehen – am Selb­stleucht­en der Meer­estiere, den Salzwass­er-Seen im Krater des Schlam­mvulka­ns und an den ganz bun­ten Bak­te­rien­mat­ten in Weiß, Orange und Rot.

In dieser Tiefe lastet auf dem U‑Boot ein enormer Druck. Welche Maß­nah­men führen dazu, dass Sie sich dort unten den­noch gebor­gen fühlen? Tre­f­fen Sie auch per­sön­liche Sicherheitsvorkehrungen?

In der beman­nten Forschungstauch­fahrt ist noch nie­mand ein Leid geschehen. Auch die, die im Mar­i­an­nen-Graben auf über zehn Kilo­me­ter waren, sind wieder heil nach oben gekom­men. Das zu wis­sen, hil­ft natür­lich, Angst zu nehmen. Die meiste Vor­bere­itungszeit geht in die Pla­nung der wis­senschaftlichen Auf­gaben. Die Crew macht zudem eine Rei­he von Tech­nik- und Sicher­heit­stests mit dem U‑Boot – es ist alles gut vor­bere­it­et, wenn der Tauch­gang los­ge­ht. Die Wet­ter­vorher­sage wird auch geprüft, man will ja nicht vom Sturm über­rascht wer­den, wenn es ans Auf­tauchen geht. Per­sön­lich ver­suche ich, vorher wenig zu trinken und zu essen, denn so ein U‑Boot ist sehr klein, und es gibt keine Toi­lette. Anson­sten freue ich mich ein­fach nur, denn in die Tief­see abtauchen gehört zu den schön­sten Momenten mein­er Forschung.

Von Astro­naut­en heißt es, dass sie eine gewisse charak­ter­liche Eig­nung mit­brin­gen müssen, um unter den außeror­dentlichen und beengten Ver­hält­nis­sen in der Raum­sta­tion mit sich und anderen zurechtzukom­men. Gilt dies auch für Tauchgänge zum Meeres­bo­den? Brauchen alle Beteiligten eine gute physis­che und psy­chis­che Verfassung?

Gut ist, wenn man nicht zu leicht seekrank wird, denn beim Ein- und Aussteigen schaukelt es ganz schön. Man sollte auch einiger­maßen beweglich sein und nicht zu tem­per­a­turempfind­lich, denn oft geht es von zu heiß an der Ober­fläche nach ein biss­chen kalt in der Tief­see. Und man hockt meist etwas hart und krumm in den kleinen U‑Booten, weil man alles sehen will, schreiben und fotografieren, während man taucht. Aber da es so eine wun­der­schöne Auf­gabe ist, das fremde Leben zu ent­deck­en, habe ich noch nie jemand kla­gen hören. Ich würde sog­ar sagen, es schüt­ten sich da enorm viele Glück­shormone aus, die die Psy­che befrieden.

Die Tief­see ist vie­len Men­schen unheim­lich. Mythen, Spielfilme oder auch Romane han­deln von See­unge­heuern und gefährlichen Wesen, die dort auf uns lauern. Was treibt Sie an, der Sache auf den Grund zu gehen?

Es ist eine beson­dere Erfahrung, in die Tief­see abzu­tauchen, die ohne Son­nen­licht ist, die keine Pflanzen hat und ganz frem­dar­tiges Leben. Und man erken­nt beim Abtauchen, was das bedeutet, wenn Son­nen­licht schwindet, weil man im Wass­er ja zuerst diese unglaublichen Blautöne mit­bekommt, bevor es richtig dunkel wird. Das Toll­ste ist der Moment, wo man in die absolute Schwärze ein­taucht. Das ist dann so unter­halb von 500 Metern, und dann funkelt und glitzert es, weil das Leben dort in diesen Tiefen bis runter zum Meeres­bo­den Licht als Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel nutzt.

Dieser riesige Leben­sraum Tief­see macht ja eigentlich 90 Prozent des belebten Raums der Erde aus, und wir ken­nen erst sehr wenig vom Leben darin. Der Meeres­bo­den ist noch ganz wenig ver­messen, manch­mal scheint mir die Tief­see wie ein fremder Plan­et im Plan­eten Erde. Mich begeis­tert, dass jed­er Tauch­gang neue Erken­nt­nisse bringt, wie das Leben auf der Erde funk­tion­iert – aber auch welche Spuren wir Men­schen in der Tief­see hin­ter­lassen, wie zum Beispiel die Fol­gen des Kli­mawan­dels und der Ver­mül­lung der Meere.

Und zum Abschluss: Welche Begeg­nun­gen oder Ent­deck­un­gen zählen zu Ihren per­sön­lichen High­lights Dr. Antje Boetius?

Wir haben erstaunliche Wel­ten von Mikroor­gan­is­men im tiefen Schwarzen Meer ent­deckt, wo kein Sauer­stoff ist, aber viel Methangas. Dann hat­te ich das große Glück, als Erste die Schwarzen Rauch­er der eis­be­deck­ten Ark­tis zu find­en und zu fotografieren. Vor Kurzem hat­te ich die Möglichkeit, mit dem Astro­naut­en Alexan­der Gerst vor den Azoren im U‑Boot, in der Lula 1000, abzu­tauchen. Es war toll, mit ihm darüber zu sprechen, wie die Ent­deck­ung des Lebens auf der Erde und im All vorangeht.

Wir danken Ihnen für das Gespräch Dr. Antje Boetius!


Steckbrief von Dr. Antje Boetius

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