Aufputschmittel bei der Arbeit zur Leistungssteigerung
Der Sport macht es vor: Leistung lässt sich besser und leichter erbringen, wenn man gedopt ist. Mit den richtigen Mitteln gelingt der Aufstieg nach ganz oben. Aber auch ein sportlicher und/oder gesellschaftlicher Absturz sind möglich. Bekannte Beispiele dafür sind der Radprofi Jan Ullrich, der Fußballstar Diego Maradona oder der Sprinter Ben Johnson. Und manchmal kann Medikamentenmissbrauch sogar tödlich enden, wie dies bei der Leichtathletin Birgit Dressel der Fall war.
Ullrich und Maradona haben sich aufgeputscht, um in ihrem Arbeitsalltag als Profi-Sportler Höchstleistungen erbringen zu können. Auch andere Berufstätige greifen zu solchen Mitteln: Laut DAK-Report 2019 haben sechs Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland schon einmal Hirndoping betrieben. Ihre tatsächliche Zahl liegt aber schätzungsweise deutlich höher: Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer doppelt so hoch ist.
Was versteht man unter Hirndoping?
Wer Anabolika einnimmt, will Muskelwachstum anregen. Davon profitieren besonders Gewichtheber oder Bodybuilder. Wer dagegen zu Wachmachern und Konzentrationsförderern greift – wie das beispielsweise bei Schachspielern vorkommt –, will die geistige Leistungsfähigkeit steigern, die Stimmung aufhellen oder Ängste mildern. Diese Wirkungen wünschen sich auch Beschäftigte, wenn sie mit Drogen oder verschreibungspflichtigen Medikamenten Hirndoping betreiben. Medikamente können bei Schmerzen oder chronischen Krankheiten wie Diabetes helfen. Doch Tabletten oder Tropfen werden auch als Aufputschmittel bei der Arbeit geschluckt, um Zeit- und Termindruck besser durchzustehen beziehungsweise Ängste und Sorgen – etwa um den Arbeitsplatz – zu vergessen.
Wer putscht sich auf?
Die Arbeitswelt verändert sich. Die Gesellschaft wird immer älter. Doch kaum jemand will älter erscheinen oder gar als alt gelten. Auf dem Arbeitsmarkt haben ältere Beschäftigte das Gefühl, sich mit den jüngeren messen zu müssen. So konkurrieren über 50-Jährige mit 30-Jährigen. Und dann ist da noch eine andere gravierende Veränderung. Immer mehr Frauen gehen arbeiten. Für sie bedeutet das fast immer eine Doppelbelastung durch Haushalt, Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen. Das kann den Griff zu Aufputschmitteln fördern.
Zeit‑, Termin‑, Leistungs- und Kostendruck bestimmen heute die Arbeitswelt. Die Anforderungen an den Einzelnen werden immer höher, Tätigkeiten und Aufgabenfelder immer komplexer. Manche Beschäftigte haben das Gefühl, hier nicht mehr Schritt halten zu können. In besonders fordernden Situationen kommt es dann vermehrt zu Hirndoping:
- Auszubildende wollen auf diese Weise ihre Leistungsfähigkeit bei einer Prüfung verbessern.
- Mitarbeitende mit monotoner Tätigkeit und/oder bei langen Schichten wappnen sich so gegen Müdigkeit und Erschöpfung.
- (Berufskraft-)Fahrer und Fahrerinnen putschen sich auf, um bei langen Autobahn- oder Nachtfahrten wach zu bleiben.
- Beschäftigte in der Pflege suchen in stressigen und emotional belastenden Situationen nach schneller Entspannung und Stimmungsaufhellern.
Die Risiken werden unterschätzt
Um diese Wirkung zu erzielen, greifen Betroffene zu verschreibungspflichtigen Medikamenten wie Ritalin, Modafinil, Antidementiva, Antidepressiva oder Betablocker oder nehmen Drogen wie Kokain, Ecstasy oder Crystal Meth ein. All diese Substanzen haben direkte Auswirkungen auf das Gehirn. Die Risiken werden jedoch häufig unterschätzt – beim Medikamentenmissbrauch womöglich noch mehr als beim Drogenkonsum: Was ein Kind mit ADHS bekommt, kann doch für mich nicht schädlich sein, denken manche. Was meine Oma gegen ihre Demenz einnimmt, wird mir sicher auch guttun, meinen andere. Doch es kommt nicht nur im Moment der Einnahme zu Veränderungen. Medikamente haben auch immer Nebenwirkungen, zudem können Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln auftreten. Wer über längere Zeit Hirndoping betreibt, riskiert seine Gesundheit und geht zudem das Risiko einer Abhängigkeit mit all ihren Folgen ein. Und Nebenwirkungen wie gesteigerte Aggressivität, Überschätzen der eigenen Fähigkeiten oder Fehleinschätzungen können zur Gefahr für das eigene und das Leben anderer werden.
Wann müssen Betriebe einschreiten?
Ob Mitarbeitende sich mit Kaffee, Energy Drinks oder Medikamenten aufputschen, geht ein Unternehmen zunächst nichts an. Eingreifen müssen Arbeitgebende aber, sobald eine Gefahr für die Arbeitssicherheit erkennbar ist. Das funktioniert jedoch nicht per Checklisten oder wie bei einem Alkoholverbot mittels Betriebsvereinbarung, denn die eingenommenen Substanzen sind so unterschiedlich wie die Reaktion des Einzelnen darauf. Zudem kommen immer neue Wirkstoffe auf den Markt.
Medikamentenmissbrauch am Arbeitsplatz ist meist schwer zu erkennen. Ein auffälliges Verhalten kann auch andere Ursachen haben. Trotzdem darf eine Führungskraft nicht wegschauen oder darüber hinweggehen, wenn sich jemand seltsam verhält. Ihr obliegt die Fürsorgepflicht für die Mitarbeitenden. In einem klärenden Gespräch kann unter anderem auf die Möglichkeit einer Beratung durch den Betriebsarzt oder die Betriebsärztin, die der Schweigepflicht unterliegen, und/oder auf externe Hilfsangebote hingewiesen werden.
Es geht auch ohne Aufputschmittel bei der Arbeit
Wer gesund und ausgeschlafen ist, braucht keine Aufputschmittel bei der Arbeit. Gute Arbeitsbedingungen machen jegliche Form von Hirndoping überflüssig, so Prof. Frauke Jahn vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG) in einem Interview. Das setzt voraus, dass Arbeit qualitativ und quantitativ so gestaltet ist, dass man sie gut bewältigen kann. Ein wichtiger Faktor spielt dabei das Betriebsklima. Zudem können Präventionsprogramme die Belegschaft stärken.
Weitere Informationen
- DGUV Information 206–009 „Suchtprävention in der Arbeitswelt“
- Schulportal der DGUV zum Stichwort Hirndoping mit Hintergrundinformationen für Lehrkräfte, Lehrmaterialien und Mediensammlung
- Wegweiser „Hirndoping am Arbeitsplatz – Einflussfaktoren und Präventionsmöglichkeiten für Unternehmen“, herausgegeben von der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga)
Autorin:
Bettina Brucker
Freie Autorin und Journalistin