Schutzeinrichtungen sollen Bedienpersonen vor den Gefährdungen einer Maschine schützen. Dabei geht es zunächst darum, die Annäherung an die Gefahrenstellen im Arbeitsbereich der Maschine grundsätzlich zu verhindern, was mithilfe trennender Schutzeinrichtungen, also durch Einzäunung oder Abdeckung erreicht wird. Ist ein regelmäßiger Zugang erforderlich, ist eine Sicherung über bewegliche trennende Schutzeinrichtungen wie elektrisch überwachte Schutztüren oder über berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen wie Lichtschranken möglich. Öffnet die Bedienperson die Schutztür oder unterbricht den Lichtstrahl, werden die gefahrbringenden Bewegungen der Maschine sicher stillgesetzt.
Schutzeinrichtungen schützen die Bedienperson auch dann, wenn eine bereits stillgesetzte Maschine aufgrund eines Steuerungsfehlers unerwartet anlaufen könnte: Bei ausgelöster Schutzeinrichtung wird der unerwartete Anlauf durch die sichere Trennung der Antriebsenergie automatisch unterbunden. Trennende Schutzeinrichtungen wie Schutztüren oder Schutzzäune bieten zudem Schutz, wenn aufgrund von Materialversagen unvorhersehbar Teile aus dem Arbeitsbereich herausgeschleudert werden sollten. Da solche Fehler jedoch immer unerwartet auftreten, wird die hinter ihnen lauernde Gefahr meist falsch eingeschätzt. Mit fatalen Folgen.
Warum werden Schutzeinrichtungen manipuliert?
Maschinen sollen hohe Stückzahlen liefern, sonst sind sie nicht rentabel. Gleichzeitig müssen sie geltende Sicherheitsanforderungen erfüllen. Nicht selten stehen sich Sicherheit und Produktivität jedoch im Weg. Ob dies der Fall ist, zeigt sich spätestens dann, wenn bei Instandhaltungsarbeiten ein Zugriff auf den Arbeitsbereich der laufenden Maschine notwendig wird. Besitzt die Maschine hierfür sichere Lösungen wie etwa die Möglichkeit, das Werkzeug in sicher reduzierter Geschwindigkeit über Tippbetrieb schrittweise zu verfahren? Gerade bei älteren Maschinen ist das Schutzkonzept oft allein auf den Automatikbetrieb ausgerichtet: Notwendige Instandhaltungsarbeiten sind dann oft nur nach Außerkraftsetzen der Schutzeinrichtungen möglich.
Auch im regulären Betrieb kann die Schutzeinrichtung einen flüssigen Arbeitsablauf verhindern, wenn sie etwa schwer zu handhaben ist, unverhältnismäßig häufig geöffnet werden muss oder die direkte Sicht auf den Arbeitsprozess verhindert. Zeit- und Leistungsdruck, denen die Bedienenden ausgesetzt sind, kommen verstärkend hinzu. Dass die Schutzeinrichtung manipuliert wird, ist dann nur eine Frage der Zeit.
- Generell gilt: Je stärker die Arbeit durch Schutzeinrichtungen beeinträchtigt wird, desto größer ist die
Bereitschaft, sie durch unzulässige Veränderungen an der Maschine zu erleichtern.
Welche Schutzeinrichtungen sind betroffen?
Am häufigsten werden Schutztüren manipuliert, beziehungsweise die daran montierten Verriegelungseinrichtungen. Verriegelungseinrichtungen sind Positionsschalter, mit denen das Öffnen einer Schutztür detektiert werden kann. Am weitesten verbreitet sind Verriegelungseinrichtungen der Bauart 2 (siehe Infokasten auf Seite 21). Der Schaltvorgang wird hier mithilfe eines an der Schutzeinrichtung angebrachten, speziell geformten Betätigungselements ausgelöst, der Schaltzunge. Wird die Schutzeinrichtung geöffnet und das Betätigungselement – kurz: der Betätiger – aus dem Schaltgerät entfernt, wird der Schaltkreis zur Detektion der Türstellung unterbrochen und die gefahrbringenden Bewegungen der Maschine sicher stillgesetzt.
Das Problem solcher Schalter besteht darin, dass sich das Betätigungselement ohne besonderen zeitlichen oder materiellen Aufwand durch Ersatzbetätiger ersetzen lässt. Nicht selten führen Instandhalter einer Maschine einen solchen Ersatzbetätiger am Schlüsselbund mit sich: Wird dieser statt des eigentlichen Betätigers in das Schaltgerät eingeführt, gibt die Maschinensteuerung den Betrieb frei, sodass nun auch bei geöffneter Schutztür und nicht sicher stillgesetzter Maschine im Arbeitsbereich der laufenden Maschine gearbeitet werden kann. Eine solche Manipulation zu erkennen ist schwierig, da sie nicht nur schnell durchgeführt, sondern ebenso schnell wieder rückgängig gemacht werden kann.
Einfache Verschraubung kein Hindernis
Verbreitet ist auch die Manipulation durch den eigentlichen Betätiger. Wurde dieser mit gewöhnlichen Schrauben befestigt, ist er schnell abmontiert und bleibt dann dauerhaft im Schaltgerät stecken. Wird die Schutztür dann geschlossen, ist sie nur angelehnt und ihr Öffnen hat keinen Einfluss mehr auf den Schaltkreis der Maschine. Eine solche Manipulation birgt besonders für Mitarbeitende hohe Risiken, die nichts von der Manipulation wissen. In der Erwartung, die Maschine sei durch das Öffnen der Tür sicher stillgesetzt, kommt es dann beispielsweise bei Instandhaltungsarbeiten immer wieder zu besonders schweren Unfällen (siehe etwa das Unfallbeispiel auf Seite 20).
Seitdem eine Untersuchung des ehemaligen Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) seine Brisanz offengelegt hat, findet das Thema Manipulation immer mehr Beachtung. So wird der Manipulationsanfälligkeit von Verriegelungseinrichtungen seit der letzten Revision bereits in der für Verriegelungseinrichtungen geltenden Produktnorm DIN EN ISO 14119 Rechnung getragen. Bei korrekter Anwendung der Norm sollte es zu den oben erwähnten Handlungen gar nicht erst kommen. Demnach sind Betätiger bei bestehendem Manipulationsanreiz grundsätzlich unlösbar mit der Schutzeinrichtung zu verbinden, beispielsweise über Einweg- oder aufgebohrte Inbusschrauben. Beim Einbau der Verriegelungseinrichtung sind zur Verhinderung einer Manipulation darüber hinaus gegebenenfalls weitere Maßnahmen erforderlich. Dazu zählt beispielsweise die Verhinderung des Zugangs zu den Elementen der Verriegelungseinrichtung durch Abschirmung oder Anbringung außer Reichweite. Oder aber es sind Schalter mit hoher beziehungsweise individueller Kodierung zu verwenden (siehe Abbildung auf Seite 19), bei der Schaltgerät und Betätiger immer ein Paar bilden. Auch berührungslose Schaltgeräte (Bauart 4) sind in hoher Kodierung erhältlich, die vor allem für Prozesse mit hohen Emissionen oder besonderen Hygieneanforderungen empfohlen werden. Bei hoher Kodierung ist eine Betätigung durch Ersatzbetätigungselemente ausgeschlossen. Bei unlösbarer Montage bieten sie den besten Schutz gegen Manipulation.
Die Rechtslage
Maschinen, deren Schutzeinrichtungen den Arbeitsablauf erheblich beeinträchtigen, sind für den Betrieb nicht nur unbrauchbar, sie tragen auch ihr CE-Zeichen zu Unrecht. Denn bereits der Maschinenhersteller hat gemäß der Maschinenrichtlinie bei der Konstruktion darauf zu achten, dass die verwendeten Schutzmaßnahmen alle vorgesehenen Tätigkeiten innerhalb und außerhalb des Arbeitsbereichs der Maschine zulassen, ohne den Betrieb unnötig zu behindern. Für die konsequente Anwendung dieser Maßnahmen zu sorgen obliegt laut Betriebssicherheitsverordnung wiederum der Verantwortung des Betreibers, während auch die Bedienperson zur Unterstützung solcher Arbeitsschutzmaßnahmen durch das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet ist. Sowohl Hersteller- als auch Betreiberfirma haben nach Maschinen- und Arbeitsmittelrichtlinie sicherzustellen, dass Schutzeinrichtungen nicht auf einfache Weise manipuliert oder umgangen werden können. Zumindest die Anwendung der beschriebenen zusätzlichen Maßnahmen für Verriegelungseinrichtungen wäre nach Maschinenrichtlinie daher eigentlich Pflicht.
Vermeidung von Manipulation
Wie beschrieben liegt die Hauptursache für Manipulation meist an der Maschine selbst. Dies stellt jedoch keinen Freifahrtschein für das Umgehen von Schutzeinrichtungen dar! Wenn die Maschine ohne Manipulation nicht oder nur schlecht zu betreiben ist, ist hingegen umgehend das Gespräch mit Sicherheitsfachkraft, Sicherheitsbeauftragten und Vorgesetzten zu suchen. Denn oft wird auch manipuliert, weil der Bediener nicht ausreichend an der Maschine unterwiesen wurde. Folgende Schulungs- beziehungsweise Unterweisungsinhalte sollten unbedingt vorhanden sein, oder gegebenenfalls nachträglich eingefordert werden:
- Sind die von der Maschine ausgehenden Gefährdungen bekannt?
- Wurden Zweck und Handhabung der Schutzeinrichtungen erläutert?
- Wurden sichere Wege zur Instandhaltung, Fehlersuche und Reinigung aufgezeigt?
- Ist bekannt, welche Betriebsarten für welche Arbeitsaufgaben vorgesehen sind?
- Ist bekannt, für welche Arbeiten die Bedienperson befugt ist, und für welche sie speziell ausgebildetes Fachpersonal herbeiholen muss?
Erscheint eine Manipulation unvermeidbar, werden technische Maßnahmen erforderlich. Hier ist es sinnvoll, die Herstellfirma oder den Vertrieb an den Gesprächen zu beteiligen. Denkbar wäre etwa das Nachrüsten einer Betriebsart „Einrichten“, die bei geöffneter Schutzeinrichtung über Tippbetrieb bei gleichzeitiger Betätigung einer Zustimmeinrichtung ein schrittweises Verfahren der gefahrbringenden Maschinenteile in sicher reduzierter Geschwindigkeit ermöglicht.
Der effektivste Ausweg besteht indes darin, das Thema bereits beim Maschineneinkauf zu bedenken. Dabei sind Sicherheitsfachkräfte, Instandhaltungs‑, Einrichtpersonal und Bedienende unbedingt in den Beschaffungsprozess einzubinden. Ihre Erfahrung im Umgang mit Maschinen und ihr Wissen um typische Störanfälligkeiten und ergonomische Schwachstellen sind bei der Beschaffung neuer Maschinen unverzichtbar. Letztlich können sie ausschlaggebend dafür sein, ob eine Maschine später manipuliert wird oder nicht und so gegebenenfalls einen schweren Unfall verhindern.
Autor: Stefan Otto
Prüfingenieur Maschinen und Anlagen
Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA)
Kleines Einmaleins der Verriegelungseinrichtungen
Verriegelungseinrichtungen setzen die Maschine still, wenn die dazugehörende Schutzeinrichtung geöffnet oder betätigt wird.
Die Betätigungsprinzipien werden abhängig vom mechanischen oder berührungslosen Betätigungsprinzip und von der Ausführung mit oder ohne vom Schalter getrenntem Betätiger in vier Bauarten eingeteilt (vergleiche Übersicht auf Seite 21). Bei Schaltern mit getrenntem Betätiger wird zwischen verschiedenen Kodierungsstufen unterschieden: Schalter mit geringer Kodierung können mithilfe eines Ersatzbetätigers überlistet werden, bei Schaltern mit hoher Kodierung ist dies nicht möglich.
Linktipps
- Praxishilfe „Sicherheit und Gesundheit – Checkliste Manipulation von Schutzeinrichtungen verhindern“ (08/2018);
www.kommmitmensch.de - DGUV Information 209–092 „Risikobeurteilung von Maschinen und Anlagen – Maßnahmen gegen Manipulation von Schutzeinrichtungen“ (04/2019); www.bghm.de (Webcode d545286)
- Report „Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen“, 2006; www.dguv.de/ifa (Webcode d6303)
- Website „Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen verhindern“;
www.stopp-manipulation.org - App für Android und iOS:
„Anreiz für die Manipulation von Schutzeinrichtungen. Bewertungsverfahren“;
www.dguv.de/ifa
(Webcode d3295)
Manipulation im Betrieb erkennen!
Schauen Sie sich Verriegelungseinrichtungen, Schutzzäune, Schutztüren und deren Befestigungen im Betrieb genau an. Viele Hinweise können hier auf eine regelmäßige Manipulation hindeuten.
- Kabelbinder oder Klebebandreste: Aufgrund des Betätigungsprinzips lassen sich Endschalter der Bauart 1 durch Kabelbinder oder Klebeband leicht manipulieren.
- Kratzer und Lackschäden: Kratzer und Lackschäden um die Schaltgeräte herum deuten oft darauf hin, dass an den Schaltern unbefugt herumhantiert wird .
- Ausgetauschte Schrauben oder Befestigungsmittel: An ausgetauschten oder gar fehlenden Befestigungsmitteln und Schrauben lässt sich ablesen, dass sie häufiger gelöst oder entfernt werden als unbedingt notwendig – und das wäre im Idealfall: gar nicht!
- Kurzgeschlossene Relaiskontakte oder durchtrennte Kabel: Kurzgeschlossene oder überbrückte Relaiskontakte oder durchtrennte Kabel im Schaltschrank sind ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Maschine nicht in der von der Herstellfirma vorgesehenen Weise betrieben wird und unter Umständen Schutzeinrichtungen manipuliert werden.
Nicht immer lassen sich alle Möglichkeiten der Manipulation an einer Maschine einfach überblicken. Besonders, wenn in der Software manipuliert wurde, ist dies durch bloße Besichtigung nicht zu erkennen. Hier kann es hilfreich sein, sich im Betrieb bei laufender Maschine die Funktion der Schutzeinrichtung zeigen zu lassen: Wird die Maschine stillgesetzt, wenn die Schutztür geöffnet wird?
Regelwerk
- DIN EN ISO 14119: Sicherheit von Maschinen – Verriegelungseinrichtungen in Verbindung mit trennenden Schutzeinrichtungen – Leitsätze für Gestaltung und Auswahl
- DIN EN ISO 14120: Sicherheit von Maschinen – Trennende Schutzeinrichtungen – Allgemeine Anforderungen an Gestaltung und Bau von feststehenden und beweglichen trennenden Schutzeinrichtungen
- Maschinenrichtlinie 2006/42/EG
- Betriebssicherheitsverordnung
- Arbeitsschutzgesetz
- Arbeitsmittelrichtlinie 2009/104/EG
Kopf in der Drehmaschine eingeklemmt
Der Polymechaniker Roger P. (50) wird bei der Instandhaltung in einem Drehautomaten eingeklemmt. Schwer verletzt muss er eine Stunde lang so ausharren, bis er befreit werden kann.
Dieses Unfallbeispiel basiert auf realen Begebenheiten, lediglich Einzelheiten und Namen wurden geändert.
- Was war geschehen?
Roger P. justiert den Werkzeugrevolver seiner Drehmaschine neu. Danach muss er ein vorher entferntes Schutzblech am Werkzeugrevolver wieder anschrauben. Dazu beugt er sich tief in den Bearbeitungsraum der Maschine.
Beim Festziehen der Schrauben verliert Roger P. das Gleichgewicht. Beim Versuch, sich mit der rechten Hand noch am Maschinengehäuse festzuhalten, betätigt er ungewollt den Vorschubtaster auf der Bedienungskonsole. Der Werkzeugrevolver saust nach links und klemmt seinen Kopf und Oberkörper gegen die Werkstückspindel. Roger P. erleidet schwere Platzwunden am Kopf, Knochenbrüche im Gesicht und einen komplizierten Armbruch.
- Wie konnte es zu dem Unfall kommen?
Roger P. führt die Instandhaltungsarbeiten bei eingeschalteter Maschine durch. Eigentlich hätte er sie vor der Durchführung der Arbeiten mithilfe der Netztrenneinrichtung ausschalten und gegen Wiedereinschalten sichern müssen. Doch selbst bei eingeschalteter Maschine hätte die Verriegelungseinrichtung bei geöffneter Schutztüre das Anlaufen der Maschine verhindern müssen. Die Verriegelungseinrichtung war jedoch mit einem Ersatzbetätiger manipuliert worden, was die Schutzeinrichtung wirkungslos machte.
- Die Folgen
Roger P. wird so schwer verletzt, dass er mehrfach operiert werden muss. Für den Geschäftsführer zieht der Unfall eine Strafuntersuchung mit sich, die wegen einer groben Missachtung seiner Aufsichts- und Unterweisungspflichten in einer Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung mündet.