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Gesünderes Licht für Schichtarbeitende

Gesünderes Licht für Schichtarbeitende
„Ein kleiner künstlicher Himmel“

Christine Lendt
Die Natur als Vor­bild: Wie ein Him­mel wirkt das Beleuch­tungs- und Automa­tisierungssys­tem „Drosa“, das Johannes Zauner von der Hochschule München gemein­sam mit seinem Forscherkol­le­gen Prof. Dr. Her­bert Plis­chke speziell für Schichtar­bei­t­ende entwick­elt hat. Indem es einen natür­lichen Tag-Nacht-Rhyth­mus simuliert, sorgt es für gesün­dere Lichtver­hält­nisse in der indus­triellen Produktion.

Das von der Sonne erzeugte Tages­licht ist auch ein Zeit­ge­ber. Es syn­chro­nisiert täglich die innere Uhr und bee­in­flusst unter anderem über die Pro­duk­tion des Hor­mons Mela­tonin die Schlafqual­ität. Wenn der men­schliche Organ­is­mus dauer­haft kün­stlichem Licht aus­ge­set­zt ist und kaum noch den Wech­sel von Son­nen­licht und Dunkel­heit mit­bekommt, hält er es sozusagen nicht mehr für notwendig, den natür­lichen Schlaf-Wach-Rhyth­mus einzuhal­ten. Eine mögliche Folge: Die innere Uhr kommt aus dem Takt, was im Fach­jar­gon als „Chronodis­rup­tion“ beze­ich­net wird. Die Fol­gen kön­nen unter anderem Störun­gen der Leis­tungs­fähigkeit, des Stof­fwech­sels und des Herz-Kreis­lauf-Sys­tems sein.

Forschungsprojekt von 2018 bis 2021

Ins­beson­dere Langzeit-Nachtschichtar­beit­er sind ver­mehrt kün­stlichen Lichtquellen zu ungün­sti­gen Tageszeit­en aus­ge­set­zt und tra­gen dadurch ein erhöht­es Risiko für Chronodis­rup­tion. Dies soll nun die Leuchte „Drosa“ ändern. Deren Entwick­lung basiert auf einem von der Ver­wal­tungs-Beruf­sgenossen­schaft (VBG) ini­ti­ierten Forschung­spro­jekt, das die Hochschule München (HM) in Koop­er­a­tion mit dem RHI Mag­ne­si­ta Werk in Mark­tred­witz sowie dem Licht­pla­nungs­büro 3lpi im Zeitraum 2018 bis 2021 real­isiert hat.

Bei der Entwick­lung des Beleuch­tungssys­tems berück­sichtigten Johannes Zauner und Her­bert Plis­chke von der Fakultät für ange­wandte Natur­wis­senschaften und Mecha­tron­ik der HM den aktuellen Wis­sens­stand über die nicht-visuellen Strahlungsef­fek­te. Das Ergeb­nis ist eine Zwei-Kom­po­nen­ten-Leuchte, die zwei blend­freie LED-Leucht­en mit in ihrem Winkel ver­stell­baren Flügeln kom­biniert. Ein indi­vidu­ell pro­gram­miertes Automa­tisierungssys­tem steuert die Licht­dosierung und den zeitlichen Ablauf des Strahlungsspek­trums während des Tages und der Nacht. Durch die Automa­tion wer­den das Licht­spek­trum, die Bestrahlungsstärke sowie der Raum- und Ein­fall­swinkel aufeinan­der abges­timmt – alle­samt Ein­flussfak­toren für die nichtvi­suelle Reizstärke. Auss­chlaggebend ist dabei die Rela­tion der Kom­po­nen­ten zueinan­der. Die Flügel der LED-Leucht­en kön­nen in jedem Winkel zwis­chen Null und 90 Grad eingestellt werden.

Kooperation im Sinne der gesunden Beleuchtung

Ini­ti­iert hat­te das Pro­jekt die VBG, weil dort der Arbeitss­chutz in Sachen Beleuch­tung generell ein großes The­ma ist und sich die Experten dort schon seit einiger Zeit auch mit den nicht-visuellen Wirkun­gen von Licht beschäfti­gen. „Aber es man­gelt an guten Prax­is­beispie­len, die das umset­zen, was wir im Labor erproben“, erk­lärt Johannes Zauner, „und die weni­gen vorhan­de­nen Beispiele sind häu­fig nicht gut doku­men­tiert.“ Zusam­men mit Her­bert Plis­chke hat er in den let­zten zehn Jahren bere­its aus­giebig im Bere­ich der gesund­heits­fördern­den Beleuch­tung geforscht und einige Pro­jek­te realisiert.

Als Part­ner für die Erprobung und Anwen­dung des Beleuch­tungssys­tems kam die Pro­duk­tion­sstätte von RHI Mag­ne­si­ta mit ins Boot, ein mit Hochtem­per­atur­prozessen arbei­t­en­der Betrieb der Glas- und Keramikin­dus­trie. Diese Prozesse lassen sich kaum herun­ter­fahren. Aus diesem Grund sind die Mitar­bei­t­en­den dort zwangsläu­fig im 24-Stun­den-Schicht­sys­tem beschäftigt. Weil der Arbeit­ge­ber ihren Gesund­heitss­chutz verbessern wollte und die noch vorhan­de­nen, alten Leucht­stof­fröhren ohne­hin durch mod­erne LED erset­zt wer­den soll­ten, entschlossen sich die Beteiligten zu dem gemein­samen Projekt.

Der Plan: Die Münch­en­er Wis­senschaftler entwick­eln eine Leuchte, die mehr kann als nur Hel­ligkeit erzeu­gen, und die Pro­duk­tion­sstätte stellt den Pilot-Arbeit­splatz. Dabei hat­ten die Entwick­ler von Anfang an im Blick, das fer­tige Pro­dukt anschließend auf den Markt zu brin­gen. „Es fehlt dem indus­triellen Markt an konkreten Pro­duk­ten, die diese nichtvi­suellen Prinzip­i­en umset­zen. Es sollte daher etwas dabei her­auskom­men, das Inter­essierte am Ende – mit ein­er Kat­a­lognum­mer verse­hen – ein­fach bestellen kön­nen“, sagt Johannes Zauner.

Die Entwicklung des Beleuchtungssystems

Zunächst unter­sucht­en die Forsch­er die Beleuch­tung der Pro­duk­tion­sstätte, die sich in ein­er etwa 130 Quadrat­meter großen Indus­triehalle befind­et, auf nicht-visuelle sowie grundle­gende, visuelle Aspek­te. Dazu gehören die nicht-visuelle Reizstärke in Augen­höhe der Beschäftigten sowie die hor­i­zon­tale Beleuch­tungsstärke in ihrem Arbeits­bere­ich – ein Maß für die Arbeit­splatzhel­ligkeit. „Klas­sis­cher­weise gehört zu ein­er Beleuch­tungs­pla­nung eine Licht­sim­u­la­tion. Anhand dieser lässt sich berech­nen, wie viel Licht bei der Arbeits­fläche oder am Auge des Nutzers ankommt und ob dieses Licht aktivierend ist.“

Weil die Wis­senschaftler diesen gängi­gen Pla­nungss­chrit­ten gefol­gt sind und die nöti­gen Forschungsergeb­nisse schon vor­la­gen, spricht Johannes Zauner nicht von ein­er Inno­va­tion im klas­sis­chen Sinn. „Die Entwick­lung ist natür­lich insofern inno­v­a­tiv, weil es eine solche Leuchte zuvor noch nicht am Markt gab. ‚Drosa‘ sieht auch recht futur­is­tisch aus: Sie bildet qua­si einen kleinen kün­stlichen Him­mel, der aufgeteilt ist in Flächenseg­mente. Aber im Wesentlichen steckt keine Magie dahin­ter. Es ist nicht bahn­brechend in dem Sinne, dass wir ganz neue wis­senschaftliche Erken­nt­nisse dafür gewin­nen mussten“, erk­lärt der Entwick­ler. Vielmehr gehe es darum, poten­ziellen Nutzern zu zeigen: Schaut her, das funk­tion­iert, und nie­mand braucht Berührungsäng­ste zu haben, um diese Erken­nt­nisse in Form der Leuchte einzusetzen.

Die innere Uhr bleibt weitgehend im Takt

Das Ergeb­nis: „Drosa“ ver­ringert die kog­ni­tive Anstren­gung beim Arbeit­en. Ist der nichtvi­suelle Reiz am Mor­gen hoch, wird die innere Uhr auf den nor­malen Tagesablauf syn­chro­nisiert und Mitar­bei­t­ende wer­den schneller wach und aufmerk­sam. Dies erfol­gt durch einen hohen Blauan­teil im kalt-weißen Licht der LED-Strahler. Am Abend wird der nicht visuelle Reiz auf den oder die Beschäftigte dann min­imiert, während das Werk­stück hinge­gen heller beleuchtet wird, als es bei der Bestands­beleuch­tung der Fall war. Auf diese Weise wird die innere Uhr des Men­schen nur noch min­i­mal ver­schoben, entsprechend bleiben auch die hor­monellen Rhyth­men bei Langzeit­nachtschicht­en gefes­tigt. Das trägt zu einem guten Schlaf nach der Arbeit und ein­er erhöht­en Langzeit­ge­sund­heit bei.

Klares Ziel: Die Verbreitung von Drosa

Das Prinzip der Leuchte „Drosa“ und des nicht-visuellen Sim­u­la­tionsver­fahrens kön­nte nicht nur Schichtar­bei­t­en­den in der Indus­trie helfen, son­dern auch bei nächtlich­er Büroar­beit, in Pflege­heimen und anderen Arbeits­bere­ichen, in denen die neg­a­tiv­en Fol­gen von Schichtar­beit für die Nutzer gemildert wer­den sollen. Dazu Johannes Zauner: „Wichtig ist der Mul­ti­p­lika­tor­ef­fekt. Bish­er konzen­tri­eren wir uns noch auf einen kleinen Anwen­dungs­bere­ich, aber das Beleuch­tungssys­tem ist so konzip­iert, dass es nahezu uni­versell ver­wen­det wer­den kann.“ Zu bedenken sei beim bish­eri­gen Stand, dass es sich noch um ein Pilot­pro­jekt han­dele, bei dem immer Kinderkrankheit­en aufkom­men kön­nten. „Unser Ziel ist jedoch, dass sich die Leuchte ‚Drosa‘ am Ende in ver­schiede­nen Betrieben ein­set­zen lässt. Eben­so ist denkbar, dass sich Unternehmen eine eigene Leuchte nach dem zugrun­deliegen­den Prinzip anfer­ti­gen lassen.“


Der wissenschaftliche Ausgangspunkt

Neben den Wirkun­gen des visuell wahrnehm­baren Lichts hat auch nicht-visuelle Strahlung gesund­heitliche Effek­te. Sie steuert etwa den zirka­di­a­nen, das heißt den tageszeitab­hängi­gen Rhyth­mus und den Schlaf-Wach-Rhyth­mus. Außer­dem bee­in­flusst sie die kog­ni­tive Leis­tungs­fähigkeit. Ver­ant­wortlich für die Auf­nahme nicht-visueller Strahlung sind licht­sen­si­ble Gan­glien­zellen in der Reti­na des Auges, die für blaues Licht empfind­lich­es Melanopsin enthalten.


Andreas Schedl
Andreas Schedl, RHI Mag­ne­si­ta; Foto: privat

Kurz-Inter­view mit Andreas Schedl

Nur noch eine Frage der Feinjustierung

Wie macht sich das neue Beleuch­tungssys­tem im laufend­en Betrieb? Andreas Schedl, Head of Capex & Automa­tion Func­tion­al Plants bei RHI Mag­ne­si­ta, begleit­et die tech­nis­che Aus­führung von „Drosa“ im Werk in Mark­tred­witz. Wir fragten ihn nach den bish­eri­gen Erfahrun­gen mit der Leuchte.

Herr Schedl, wie gut funk­tion­iert Drosa in der Praxis?

Der Ein­bau und die weit­ere Entwick­lung haben schon gut funk­tion­iert. Es ist ein Prozess, weil es sich um eine spezielle Anfer­ti­gung han­delt, die während der Erprobungsphase natür­lich auch weit­er­hin justiert und opti­miert wer­den muss, basierend auf dem Feed­back unser­er Mitar­beit­er und Mitar­bei­t­erin­nen. Fakt ist, dass die Schichtar­bei­t­en­den bere­its Verbesserun­gen spüren, teils aber auch noch Anpas­sun­gen wünschen.

Wie ermit­teln Sie den Stand der Dinge?

Unsere Mitar­bei­t­en­den in dem Bere­ich wer­den regelmäßig befragt und ermuntert, etwas zu sagen, wenn sie sich noch nicht ganz wohlfühlen. Wir ste­hen weit­er­hin mit dem Her­steller in Verbindung und die Leuchte wird dann entsprechend verbessert. Es sind also immer kleine Schritte. Allein die Entwick­lung von der Idee bis zur Real­isierung hat sich über zwei Jahre gezo­gen. Doch inzwis­chen ist die Maß­nahme größ­ten­teils abgeschlossen, sodass nun nur noch Feinop­ti­mierun­gen erfolgen.

Inwiefern lässt sich das Beleuch­tungssys­tem noch verbessern?

Oft han­delt es sich um tech­nis­che Kleinigkeit­en, die völ­lig nor­mal sind, wenn ein Pro­dukt noch in den Kinder­schuhen steckt. Ein­mal mussten wir ein Bauteil wech­seln lassen, weil bei der Charge etwas nicht passte. Außer­dem wer­den nach den Bedürfnis­sen unser­er Mitar­bei­t­en­den noch Licht-Farb-Justierun­gen vorgenom­men. So wird etwa die Hel­ligkeit abhängig von der Tageszeit weit­er optimiert.

Wir müssen also zum Beispiel auf einen Mitar­beit­er hören, wenn er sagt: Das ist mir jet­zt noch zu dunkel für diese Uhrzeit. Damit ich auch eine saubere Qual­ität ablief­ere, wäre es bess­er, wenn wir es noch ein biss­chen heller machen würden.

Andere wiederum wün­schen, die Licht­farbe etwas zu verän­dern, weil es dann angenehmer für das Auge ist. Wir reagieren also weit­er­hin auf die Bedürfnisse und Erken­nt­nisse in dem Bere­ich, bis fest­ste­ht: Das ist es jetzt!

Bleibt die RHI Mag­ne­si­ta bei dieser Art Beleuchtung?

Das ist unser Ziel. Wenn sich das Sys­tem etabliert hat, wird es sicher­lich auch in anderen Unternehmen die Zukun­ft sein, weil die Atmo­sphäre am Arbeit­splatz auch eine wichtige Rolle hin­sichtlich der Moti­va­tion und Leis­tung der Beschäftigten spielt.

Das Gespräch führte Chris­tine Lendt


Christine Lendt
Chris­tine Lendt; Foto: Simone Friese

Autorin:
Chris­tine Lendt
Fachau­torin und freie Journalistin

 

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