Fahrgerüste ermöglichen flexibles Arbeiten in Höhen von bis zu zwölf Metern. Sie können – mit der nötigen Expertise – im Betrieb und auf Baustellen schnell und sicher aufgebaut werden. Bei großen Bau- und Fassadengerüsten übernehmen dies ausschließlich Fachfirmen. Bei Fahrgerüsten mit geringerer Arbeitshöhe, die unter anderem im Handwerk Verwendung finden, fällt dies zumeist in den Verantwortungsbereich der Betriebe. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Beschäftigten die Aufbau- und Verwendungsanleitung des Herstellers selten kennen und häufig nicht angemessen unterwiesen sind. Besonders dramatisch wird die Situation, wenn die Fahrgerüste nur vereinzelt benutzt werden. Dann fehlt den Beschäftigten schlichtweg die praktische Erfahrung, die für den standsicheren Aufbau des Gerüstes erforderlich ist.
Besondere Gefährdungen
Arbeiten mit Absturzgefahren sind bekanntermaßen ein Unfallschwerpunkt. Gerüste und Fahrgerüste erlauben das Arbeiten in großen Höhen. Wenn Gerüste nicht standsicher errichtet werden oder Mitarbeiter sich sicherheitswidrig verhalten, besteht insofern ein erhebliches Unfallrisiko. Das zeigt auch das folgende Unfallbeispiel:
Am Freitagnachmittag sollten zwei Mitarbeiter einer Elektrofirma ein Fahrgerüst abbauen und dieses zurück zum Betriebshof bringen. Zuvor wurde in einer Fahrzeughalle die Beleuchtung erneuert. Während des Abbaus kippte das Fahrgerüst plötzlich um. Ein Mitarbeiter stand zu diesem Zeitpunkt in etwa sechs Metern Höhe oben auf dem Gerüst. Bei dem Sturz auf den Betonboden verletzte er sich schwer. Das Unfallopfer wurde mit dem Rettungshubschrauber in eine Klinik gebracht. Es besteht der Verdacht auf eine Wirbelsäulenfraktur. Als Unfallursache stellte sich heraus, dass vor Ort keine Aufbau- und Verwendungsanleitung des Herstellers vorhanden war. Die Mitarbeiter waren zudem nicht im sicheren Umgang mit Fahrgerüsten unterwiesen.
Dieses Beispiel zeigt: Fehlende oder unzureichende Schutzmaßnahmen bei der Montage, der unvollständige Aufbau des Fahrgerüstes und/oder die sicherheitswidrige Benutzung des Arbeitsmittels können zu schweren Arbeitsunfällen führen. Manchmal sind die betreffenden Personen so schwer verletzt, dass die zuständigen Unfallversicherungsträger Rentenleistungen erbringen müssen. Nicht immer können die Verletzten ihren vorher ausgeübten Beruf wieder ausüben.
Bauliche Anforderungen
Nach der DIN EN 1004 „Fahrbare Arbeitsbühnen aus vorgefertigten Bauteilen – Werkstoffe, Maße, Lastannahmen und sicherheitstechnische Anforderungen“ werden als fahrbare Arbeitsbühnen (nachfolgend „Fahrgerüste“ genannt) Gerüstkonstruktionen bezeichnet, die
- freistehend benutzt werden können,
- eine oder mehrere Beläge besitzen und
- aus vorgefertigten Bauteilen zusammengebaut werden.
Fahrgerüste bestehen üblicherweise aus vier Füßen mit Fahrrollen. Die Standsicherheit des Fahrgerüstes wird durch Stabilisierungseinrichtungen ermöglicht, die am Aufstellort zu errichten sind. Zu diesen Einrichtungen gehören Ballastgewichte, Verbreiterungstraversen oder Wandabstützungen. Fahrgerüste werden ferner in die Gerüstgruppen 2 (Belastbarkeit maximal 150 kg/m2) oder 3 (Belastbarkeit maximal 200 kg/m2) eingeordnet. Neben den genannten Stabilisierungen bestehen Fahrgerüste zudem aus folgenden Bauteilen:
- Auslegern
- Verstrebungen
- Belägen
- Fußspindeln
- Fahrrollen
- Aufstiegen
Für Fahrgerüste wurden verschiedene Zugangsklassen definiert. Diese geben Auskunft darüber, ob das Fahrgerüst über Treppen (Typ A), Stufenleitern (Typ B), Schrägleitern (Typ C) oder vertikale Leitern (Typ D) betreten beziehungsweise verlassen werden kann.
Beispielhafte Fahrgerüst-Kennzeichnung
Benutzen von Fahrgerüsten
Fahrgerüste dürfen nur von fachlich geeigneten Beschäftigten auf‑, um- oder abgebaut werden. Die fachliche Eignung setzt eine Unterweisung der Beschäftigten voraus, die mindestens folgende Aspekte berücksichtigt:
- Verstehen der Aufbau- und Verwendungsanleitung des Herstellers
- Sicherer Auf‑, Um- oder Abbau des Fahrgerüstes in der Praxis
- Zulässige Belastungen durch Personen, Werkzeug und Material
- Maßnahmen zur Vermeidung des Absturzes von Personen und des Herabfallens von Gegenständen
- Sicherheitsvorkehrungen bei sich ändernden Witterungsverhältnissen (so zum Beispiel bei starkem Wind)
- Mögliche Gefährdungen aufgrund der Arbeitsumgebung (zum Beispiel elektrische Freileitungen)
Begrenzte Gerüsthöhe
Außerdem ist zu beachten, dass die Gerüsthöhe begrenzt ist. In Gebäuden beträgt die maximale Standhöhe zwölf Meter; im Freien wegen der zusätzlich zu erwartenden Windlasten nur acht Meter.
Aus anderen Gerüstbauteilen errichtete „fahrbare Gerüste“ sind keine Fahrgerüste im Sinne der DIN EN 1004. Werden solche Gerüste eingesetzt, muss ihre Gebrauchsfähigkeit vorher geprüft und nachgewiesen werden. Selbstverständlich sollte sein, dass beim Aufbau von Fahrgerüsten nur Originalbauteile des jeweiligen Herstellers benutzt werden. Das Errichten von Überbrückungen zwischen dem Fahrgerüst und Gebäudeteilen ist grundsätzlich verboten.
Um die Standsicherheit zu gewährleisten, müssen Fahrgerüste unter Berücksichtigung ihrer Standhöhe und ‑breite sowie gemäß der Aufbau- und Verwendungsanleitung durch Ballastgewichte oder Verbreiterungstraversen errichtet werden. Hier zeigt sich leider oft, dass den Beschäftigten die seitens des Herstellers vorgesehenen Aufbauvarianten, also die verschiedenen Rüstzustände des Gerüstes, gar nicht bekannt sind. Regelmäßige Unterweisungen der Mitarbeiter anhand von individuellen Betriebsanweisungen sind ein wirksames Mittel, um solchen Defiziten wirksam zu begegnen.
Ballastgewichte und Seitenschutz
Sofern Ballastgewichte zur Standfestigkeit des Fahrgerüstes verwendet werden, müssen diese aus festen Baustoffen wie Beton oder Stahl bestehen. Flüssige oder körnige Baustoffe sind zur Stabilisierung des Gerüstes nicht geeignet. Der Seitenschutz muss zur Vermeidung des Absturzes von Personen mindestens ein Meter hoch sein und aus einem Handlauf, einem Knieholm sowie einer Fußleiste bestehen.
Alle Einzelkomponenten des Seitenschutzes müssen gegen unbeabsichtigtes Lösen gesichert sein. Die Fußspindeln von Fahrgerüsten erlauben den Ausgleich von Unebenheiten im Boden. Fußrollen, die unverlierbar am Rahmen befestigt sind, ermöglichen das Bewegen des Gerüstes. Jede Fahrrolle muss zum Schutz gegen Wegrollen mit einer Radbremse versehen sein. Die Rollen selbst müssen aus Sicherheitsgründen vollwandig und schlauchlos sein.
Nur bedingt mobil
Sofern vom Hersteller nicht ausdrücklich erlaubt, dürfen keine Kranausleger und/oder Hebezeuge wie beispielsweise Kettenzüge am Fahrgerüst befestigt werden – ansonsten droht Umsturzgefahr. Auch das Verfahren von Gerüsten kann gefährlich sein. Deshalb ist dies nur zulässig, wenn sich keine Personen darauf befinden. Zudem ist auf einen ebenen und tragfähigen Untergrund zu achten. Die Mitarbeiter dürfen das Gerüst nur langsam und in Längsrichtung bewegen. Ein Umsetzen in Querrichtung könnte ebenfalls zum Umsturz des Fahrgerüstes führen. Werkzeug und Material sind vor dem Verfahren vom Gerüst herunter zu nehmen, zumindest aber gegen Herabfallen zu sichern.
Noch etwas ist sehr wichtig: Die Beschäftigen dürfen ausschließlich die vom Hersteller bezeichneten innenliegenden Aufstiege benutzen. Das Aufsteigen über die Stirn- und Außenseiten des Gerüstes stellt ein großes Unfallrisiko dar und ist deswegen ohne Ausnahme verboten!
Regelmäßige Prüfung
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Fahrgerüste nach der Montage beziehungsweise vor jeder Verwendung von einer befähigten Person zu prüfen sind. Befähigte Personen müssen in der Lage sein, aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten den arbeitssicheren Zustand des Fahrgerüstes zu beurteilen. Der Arbeitgeber legt fest, wer diese Prüfungen durchführen soll. Zu empfehlen ist ein betriebliches Freigabeverfahren, wobei die Prüfung beziehungsweise die ordnungsgemäße Errichtung des Gerüstes in Form eines schriftlichen Nachweises – zum Beispiel anhand einer Checkliste – dokumentiert wird.
Tägliche Sichtkontrolle
Unabhängig davon haben die Mitarbeiter das Fahrgerüst vor Arbeitsbeginn auf augenscheinliche Mängel hin zu kontrollieren. Sicherheitsrelevante Mängel wie beispielsweise eine fehlende oder unzureichende Ballastierung bedingen die sofortige Sperrung des Arbeitsmittels. Die weitere Nutzung des Gerüstes ist dann nicht mehr erlaubt! Der Mangel muss darüber hinaus dem zuständigen Vorgesetzten gemeldet werden. Erst nach Beseitigung des festgestellten Mangels darf das Fahrgerüst wieder genutzt werden.
Autor: Markus Tischendorf
Aufsichtsperson der BG Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse
Präventionszentrum Hamburg
10 Tipps zur sicheren Benutzung von Fahrgerüsten
- Sorgen Sie dafür, dass die Aufbau- und Verwendungsanleitung am Einsatzort vorhanden ist.
- Kontrollieren Sie das Fahrgerüst vor jeder Benutzung.
- Beachten Sie die maximal zulässige Belastung des Fahrgerüstes (Gerüstgruppe).
- Betätigen Sie vor dem Betreten des Fahrgerüstes die Radbremsen.
- Benutzen Sie nur die vom Hersteller vorgesehenen innenliegenden Aufstiege.
- Verschieben Sie das Fahrgerüst nur, wenn sich keine Personen auf dem Gerüst befinden.
- Achten Sie auf die Standsicherheit (zum Beispiel Ballastgewichte, Verbreiterungstraversen) des Fahrgerüstes.
- Beachten Sie die Eigenschaften/Tragfähigkeit des Untergrundes.
- Sorgen Sie für eine angemessene Baustellensicherung.
- Nehmen Sie das Fahrgerüst bei Mängeln außer Betrieb.
Regelwerk
- Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)
- UVV „Bauarbeiten“ (DGUV Vorschrift 38)
- DIN EN 1004 „Fahrbare Arbeitsbühnen aus vorgefertigten Bauteilen – Werkstoffe, Maße, Lastannahmen und sicherheitstechnische Anforderungen“