Hand aufs Herz: Wer hat nicht schon einmal kleinere Elektroarbeiten wie das Anklemmen einer Lampe oder das Auswechseln einer Steckdose ausgeführt? Für jede solcher vermeintlichen Kleinigkeiten gleich einen Elektriker zu rufen, erscheint vielen Menschen übertrieben. Dabei wird oft nicht bedacht, dass im Umgang mit elektrischem Strom bereits kleinste Fehler fatale Auswirkungen haben können. Umso wichtiger ist es, Sicherheitsregeln der Elektrotechnik zu kennen und zu beachten.
Gelernte Elektriker werden – sofern der Ausbildungsbetrieb seine Aufgabe ernst nimmt – gründlich für die Gefahren im Umgang mit Strom sensibilisiert. Von Beginn an werden ihnen dabei die fünf Sicherheitsregeln für das sichere Arbeiten an elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln ans Herz gelegt. Das Wissen um die anzuwendenden Schutzmaßnahmen ist jedoch noch längst keine Garantie dafür, ein Leben lang alles richtig zu machen, denn wie bereits Herbert Grönemeyer feststellte: „Der Mensch heißt Mensch, weil er vergisst, weil er verdrängt…“.
Dies spiegelt sich leider auch in den Unfallzahlen wider, die in der Elektrotechnik zeitweise so hoch waren, dass die „in Sachen Elektrotechnik“ federführende Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) ein eigenes Institut zur Erforschung von Elektrounfällen eingerichtet hat. Diesem werden nicht nur die Unfälle im Zuständigkeitsbereich der BG ETEM gemeldet, sondern auch jene, die sich bei anderen Unfallversicherungsträgern ereignen. Die Auswertungen zeigen nicht nur auf, wer einen Elektrounfall erleidet, sondern zum Beispiel auch, welche Branche besonders betroffen ist oder bei welchen Tätigkeiten es aus welchem Grund zum Unfall kommt.
Die fünf Sicherheitsregeln der Elektrotechnik
Ausgewertet wurde unter anderem auch, wie viele Unfälle durch Verstöße gegen die fünf Sicherheitsregeln verursacht wurden. Schützen können diese Regeln demnach nur, wenn sie nicht nur in der richtigen Reihenfolge, sondern auch mit den richtigen Maßnahmen angewendet werden. Sei es, dass insbesondere junge Elektrofachkräfte damit noch nicht so vertraut sind oder ihre Risikobereitschaft einfach höher ist: Die BG ETEM hatte wohl gerade diese Zielgruppe im Sinn, als sie die „Fantastischen Fünf“ schuf, um die fünf Sicherheitsregeln der Elektrotechnik der Praxiswelt nahezubringen.
1. Freischalten
Wenn keine Spannung vorhanden ist, kann auch kein Strom fließen. Diese einfache Erkenntnis stellt die erste aller Schutzmaßnahmen in der Elektrotechnik dar. So simpel sie klingt, so groß können die damit in der Praxis verbundenen Probleme sein: Während die Freischaltung bei vielen Geräten einfach durch das Abziehen des Steckers erfolgen kann, setzt sie bei elektrischen Anlagen zum Beispiel voraus, dass die Lage des „Sicherungskastens“ (Unterverteilung) bekannt ist, dieser zugänglich ist und die Abschaltung keine neuen Gefahren birgt. Jeder, der schon einmal als Fahrgast eines Aufzugs von einer Stromabschaltung betroffen war, wird wissen, was gemeint ist…
Schutzziel dieser ersten Sicherheitsregel ist die sichere Freischaltung des Betriebsmittels oder Anlagenteils, an dem gearbeitet werden soll. Bei ortsveränderlichen Betriebsmitteln genügt es, den Stecker zu ziehen. Bei einer elektrischen Anlage oder einem fest angeschlossenen Betriebsmittel sollte die Abschaltung vorzugsweise über die Sicherungen oder über einen Hauptschalter erfolgen. Das Ausschalten über einen Lichtschalter oder Ähnliches bietet in der Regel keine ausreichende Sicherheit.
2. Gegen Wiedereinschalten sichern
Einem Sicherungsautomaten sieht man nicht unbedingt an, ob er ausgelöst hat oder absichtlich abgeschaltet wurde. So mancher Elektriker musste im Verlauf seines Berufslebens die unangenehme Überraschung erleben, dass eine andere Person auf der Suche nach der Ursache eines „Stromausfalls“ die gerade erst abgeschaltete Sicherung wieder einschaltete.
Weil Strom „begehrt“ ist, besteht das Schutzziel der zweiten Sicherheitsregel darin, die Abschaltstelle gegen das unbefugte Wiedereinschalten zu sichern. Die Wiedereinschaltung kann verhindert werden, indem der Hauptschalter oder besser gleich die ganze Verteilung so abgesperrt oder verriegelt wird, dass kein anderer – egal ob Elektrofachkraft oder nicht – unbefugt schalten kann. Zusätzlich sollte unmissverständlich verdeutlicht werden, dass die Abschaltung absichtlich erfolgte und dieser Zustand nicht durch andere verändert werden darf. Dies kann zum Beispiel durch ein entsprechendes Schild „Schalten verboten!“ erreicht werden (Verbotszeichen P031 gemäß der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A1.3 „Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung“).
3. Spannungsfreiheit feststellen
Die Tatsache, dass etwas freigeschaltet wurde, bedeutet noch lange nicht, dass die Freischaltung am richtigen Stromkreis erfolgte. Dies gilt besonders für jene Bereiche, in denen mit „Kreativlösungen“ von Hobby-Heimwerkern zu rechnen ist. Es gibt aber auch in ordnungsgemäß errichteten Elektroinstallationen Gründe dafür, warum vermeintlich abgeschaltete Stromkreise nach wie vor unter Spannung stehen (zum Beispiel wenn Betriebsmittel sowohl über die Allgemein- als auch die Sicherheitsstromversorgung gespeist werden). Für die Eigensicherung gilt deshalb die Maxime Lenins: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ Selbst, wenn man sich durch Ziehen des Steckers auf der sicheren Seite wähnt, kann das Messen der Spannungsfreiheit sinnvoll sein, denn gefährliche Spannungen können zum Beispiel in Kondensatoren über längere Zeit gespeichert bleiben. Das Schutzziel der dritten Sicherheitsregel besteht also darin, vor dem Beginn der Arbeit zu überprüfen, ob an der betreffenden Arbeitsstelle wirklich keine Spannung vorhanden ist.
Voraussetzung für die Spannungsmessung ist ein hierfür geeignetes und funktionsfähiges Gerät. Für Messungen im 230 V bzw. 400 V Stromnetz eines Gebäudes ist meist ein zweipoliger Spannungsprüfer erste Wahl, denn mit diesem kann allpolig, das heißt zwischen allen Anschlüssen gemessen werden. Mit einem „Phasenprüfer“ (meist in Form eines durchsichtigen Schraubendrehers) kann hingegen immer nur eine Leitung überprüft werden. Ein Blick auf die Aufschriften verdeutlicht den Unterschied: Auf einem zweipoligen Spannungsprüfer wird meist angegeben, dass er für Spannungen bis 750 V beziehungsweise 1000 V ausgelegt ist, ein Phasenprüfer hingegen meist nur bis 250 V. Auch wenn der oft als „Lügenstift“ bezeichnete Phasenprüfer Bestandteil vieler Werkzeugsätze ist: Für die sichere Bestimmung des spannungsfreien Zustands eignet sich dieses Gerät nicht.
Besondere Vorsicht ist bei der Verwendung von Vielfach-Messgeräten („Multimetern“) geboten: Einfache Geräte aus den Heimwerker- beziehungsweise Hobby-Bedarf sind meist nicht kurzschlussfest ausgelegt. Wird vergessen, von der Strommessung in die Spannungsmessung umzuschalten, können solche Geräte buchstäblich explodieren. Wichtig bei der Auswahl eines Prüfgerätes ist zudem die Messgeräte-Kategorie (CAT-Kennzeichnung): Werden Messungen an Verbrauchern durchgeführt, die über Netzstecker an 230 V angeschlossen sind, reicht ein Messgerät der Kategorie CAT II gegebenenfalls bereits aus. Bei Messungen an der Gebäudeinstallation sollte es hingegen schon ein Gerät der Kategorie CAT III sein. Und bei Messungen an besonders energiereichen Anlagen, wie zum Beispiel am Zähler oder der Einspeisung, muss sogar die Kategorie CAT IV erfüllt sein. Es gilt: Je höher der zu erwartende Kurzschlussstrom, desto höher die Gerätekategorie. Doch ob nun ein Spannungsprüfer, ein Phasenprüfer oder ein Multimeter verwendet wird: Für jedes dieser Geräte gilt, dass sie vor jeder Nutzung zunächst auf ihre ordnungsgemäße Funktion getestet werden müssen.
4. Erden und kurzschließen
Unter dieser Schutzmaßnahme werden sich Laien wohl am wenigsten vorstellen können. Das liegt zum einen daran, dass sie weniger an den Endstromkreisen, sondern eher in elektrischen Betriebsräumen angewendet wird, zu denen Laien normalerweise keinen Zutritt haben. Zum anderen kommt diese Schutzmaßnahme vorwiegend dort zum Zuge, wo ferngesteuerte Zuschaltungen möglich sind. Das ist zum Beispiel an Anlagen der elektrischen Energieversorgung der Fall, insgesamt gesehen aber eher selten. Durch die Anwendung der vierten Sicherheitsregel können gleich zwei Schutzziele erreicht werden: Indem die zuvor freigeschalteten und gesicherten Anlagenteile mit einer speziellen Erdungsgarnitur sowohl untereinander als auch mit der Erdung verbunden werden, stellt sich im Falle einer Wiederzuschaltung aufgrund dieser gut leitfähigen Erdverbindung ein Kurzschluss ein, der innerhalb kürzester Zeit die Sicherungen zur Auslösung bringt. Da die Arbeitsstelle zudem hinter der geerdeten und kurzgeschlossenen Stelle liegt, kann sich dort auch nicht die Spannung in voller Höhe aufbauen. Das Erden und Kurzschließen empfiehlt sich auch für jene Fälle, in denen Arbeiten nicht abgeschlossen werden konnten und die Sicherungsmaßnahmen aufrechtzuerhalten sind.
5. Benachbarte unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken
Die Durchführung von Arbeiten an elektrischen Anlagen und Betriebsmitteln bringt meist mit sich, dass auch in deren Nähe gearbeitet werden muss. Dabei kann es sein, dass in der Nähe befindliche Teile aus schwerwiegenden Gründen nicht abgeschaltet sind. Wenn dann Werkzeuge oder Kleinteile herabfallen, Metallspäne herumfliegen, sperrige Teile transportiert werden oder eine sonstige falsche Bewegung ausgeführt wird, kann es nicht nur zu einer „spannenden Berührung“ kommen, sondern es können auch Lichtbögen ausgelöst werden. Durch die Anwendung der fünften Sicherheitsregel soll also ausgeschlossen werden, dass man selbst weder direkt mit dem Körper, oder indirekt, zum Beispiel über Werkzeuge oder Materialien, mit unter Spannung stehenden Teilen in Berührung kommt oder ein Lichtbogen ausgelöst wird.
Das Abschranken gewährleistet einen ausreichenden Abstand zu den unter Spannung stehenden Teilen, während das Abdecken (zum Beispiel mit einer isolierenden Abdeckplatte oder einem isolierenden Gummituch) für die Dauer der Arbeiten eine ausreichende zusätzliche Isolierung sicherstellt. Die Anwendung dieser Schutzmaßnahme muss übrigens nicht nur auf die Durchführung elektrotechnischer Arbeiten beschränkt sein: Werden Anstrich- oder Reinigungsarbeiten in elektrischen Betriebsräumen durchgeführt, sorgen Absperrbalken oder Käfige dafür, dass Laien den notwendigen Abstand zu gefährlichen Teilen, wie zum Beispiel Transformatoren oder Stromschienen, einhalten. Weitere Anwendungsfälle ergeben sich zum Beispiel bei Dach- oder Baumschnittarbeiten in der Nähe von Freileitungen. Hier ist die Anwendung dieser Sicherheitsregel besonders wichtig, weil aufgrund der Spannungshöhe oft nicht einmal ein direkter Kontakt mit den unter Spannung stehenden Teilen notwendig ist, sondern nur die Unterschreitung des Mindestabstands! Und das kann recht leicht passieren, wenn die Konzentration auf die Durchführung der Arbeit, aber nicht auf das Umfeld gerichtet ist.
Damit diese Schutzmaßnahme wirksam ist, müssen sich die notwendigen Hilfsmittel sowohl im ordnungsgemäßen Zustand befinden als auch entsprechend angewendet werden. Deshalb ist insbesondere bei isolierenden Abdeckplatten und ‑tüchern auf Alterung, Beschädigungen und Verschmutzungen zu achten. Sie müssen zudem so angebracht werden, dass sie sich nicht leicht lösen können. Die Befestigungsmittel (zum Beispiel Klammern, Zwingen oder Schrauben) müssen aus isolierendem Material bestehen.
Die Rolle der Sicherheitsbeauftragten
Wenn die Durchführung elektrotechnischer Arbeiten und die Anwendung der Sicherheitsregeln der Elektrotechnik meist Elektrofachkräften vorbehalten ist, stellt sich die Frage, inwiefern Sicherheitsbeauftragte (und insbesondere solche, die elektrotechnische Laien sind) mit dieser Thematik etwas zu tun haben. Die Frage lässt sich ganz einfach mit der Rolle der Sicherheitsbeauftragten als Bindeglied zwischen Arbeitsschutz und Betrieb beantworten: Im Falle der ersten beiden Sicherheitsregeln können Sicherheitsbeauftragte zum Beispiel bei der Einweisung in die Örtlichkeit („Wo ist der Sicherungskasten?“) sowie bei der Sicherstellung des Informationsflusses („Wer ist zu informieren?“) unterstützen.
Zwar ist es bei den nächsten drei Sicherheitsregeln für Laien schwierig zu beurteilen, ob diese Regeln richtig angewendet werden, doch ist genauso wichtig, ob sie überhaupt angewendet werden, wie zum Beispiel die Unfallhäufung aufgrund der Nichtfeststellung der Spannungsfreiheit belegt. Gerade wenn an energiereichen Anlagen gearbeitet werden soll, können Sicherheitsbeauftragte zudem einen Blick auf die Bekleidung und die PSA sowie das Werkzeug und die Hilfsmittel werfen: Bedeckt die Kleidung den Körper möglichst großflächig und besteht diese aus einem flammwidrigen Material, sodass eventuell auftretende Lichtbögen nicht gleich zu einer schweren Verbrennung führen? Verfügt der Elektriker gegebenenfalls über Handschuhe und einen Helm mit Gesichtsschutz? Sind die beschriebenen Werkzeuge und Hilfsmittel vorhanden und befinden sich diese in einem augenscheinlich ordnungsgemäßen Zustand?
Mancher Elektrofachkraft mag es zwar befremdlich erscheinen, von Laien auf die Einhaltung der Sicherheitsregeln der Elektrotechnik angesprochen zu werden, doch der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier und so manche eingeschlichene Sorglosigkeit hat bereits zum Unfall geführt.
Die fünf Sicherheitsregeln der Elekrtotechnik
- Freischalten
- Gegen Wiedereinschalten sichern
- Spannungsfreiheit feststellen
- Erden und Kurzschließen
- Benachbarte unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken
Linktipps
- Die BG ETEM stellt auf ihrer Website ein Lernmodul zu den Gefahren des elektrischen Stroms, den fünf Sicherheitsregeln und Maßnahmen zur Ersten Hilfe bei Stromunfällen zur Verfügung. Die Lerneinheit dauert circa 20 Minuten. Der Testbogen, der anschließend zur Überprüfung des Lernerfolgs bearbeitet werden kann, umfasst 15 Fragen.
- Einen Ausschnitt ihres umfangreichen Angebots an Informationsmitteln zum Thema elektrische Gefährdungen hat die BG ETEM in ihrem Medienportal zusammengestellt. Hier können unter anderem Aufkleber mit den fünf Sicherheitsregeln oder Aufkleber mit dem Warnhinweis „Schalten verboten, es wird gearbeitet“ bestellt werden.
Autor:
Dipl.-Ing. Rainer Rottmann