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Sprache im Wandel: Gendern

Sprache als Spiegel der Gesellschaft
Sprache im Wandel: Gendern

Sprache im Wandel: Gendern
Foto: © lassedesignen - stock.adobe.com
Bettina Brucker
Erin­nern Sie sich an die Anrede „Fräulein“? Oder haben Sie noch Büch­er, in denen „daß“ statt „dass“ ste­ht? Sprache verän­dert sich stetig. Neue Wörter hal­ten Einzug, andere ster­ben aus. Einige Verän­derun­gen sind poli­tisch gewollt. Doch um welche Neuerun­gen es auch geht: Immer gibt es Men­schen, die diese ablehnen – aus Überzeu­gung oder aus Gewohn­heit. Andere treiben sie voran, denn der Wan­del ergibt dur­chaus Sinn. So ist es auch beim umstrit­te­nen Gendern.

Sprache als Spiegel der Gesellschaft zeigt, wie über Rollen und Funk­tio­nen gedacht, welchen Stel­len­wert oder welch­es Anse­hen Per­so­n­en haben und was man ihnen zutraut. Die deutsche Sprache hat viele Möglichkeit­en, präzise auszu­drück­en, was gesagt wer­den soll. Doch wenn Ver­trautes aus der Sprache ver­schwindet oder wenn „wörtlich“ mit ein­er Tra­di­tion gebrochen wird, tun wir uns schw­er, wie die fol­gen­den Beispiele zum Gen­dern zeigen.

Trennungsschmerz beim „Fräulein“

Im Jahr 1972 ver­fügte das deutsche Bun­desin­nen­min­is­teri­um, dass in Bun­des­be­hör­den bei der Anrede erwach­sen­er weib­lich­er Per­so­n­en statt „Fräulein“ nun „Frau“ zu ver­wen­den sei. Einige ältere, unver­heiratete Frauen legten allerd­ings weit­er­hin Wert auf die Anrede Fräulein. Junge Frauen dage­gen empörten sich immer öfter, wenn man sie so ansprach. Vor allem wenn sie eine Fam­i­lie mit Kindern hat­ten, was damals zunehmend ohne Trauschein der Fall war. Eine Weile gab’s dann das „Fräulein“ noch im Café, bis sich das neu­trale Wort „Bedi­enung“ durchge­set­zt hatte.

Reform stieß auf Gegenwehr

Bei der Umstel­lung von „daß“ zu „dass“ tat­en sich selb­st renom­mierte Schrift­steller und bekan­nte Zeitun­gen schw­er. Gün­ter Grass und Lori­ot ver­fügten zum Beispiel, dass ihre Werke auch kün­ftig nach tra­di­tionellen Regeln gedruckt wer­den. Und die Frank­furter All­ge­meine Zeitung (FAZ), der Spiegel sowie die Zeitun­gen des Axel-Springer-Ver­lags, darunter Bild, kehrten kurz nach der Reform zur alten Rechtschrei­bung zurück. Doch 2006 ver­ließen die drei Ver­lage ihren Son­der­weg, da in den Schulen eine andere Rechtschrei­bung gelehrt wurde, als in ihren Zeitun­gen zu lesen war. Außer­dem war die Reform noch ein­mal reformiert und dadurch die Regeln vere­in­facht worden.

Bundespräsident gendert

Auch Poli­tik­er reden gemäß ihrer Zeit. 1952 sprach Bun­de­spräsi­dent Theodor Heuss in sein­er Neu­jahrsansprache die Bevölkerung als „Deutsche“ an. Spätere Bun­de­spräsi­den­ten wählten die Anrede „Liebe Mit­bürg­erin­nen und Mit­bürg­er“ oder „Liebe Land­sleute“. Bei der Wei­h­nacht­sansprache 2016 gen­derte Bun­de­spräsi­dent Joachim Gauck offen­siv. Er begann seine Rede mit „Guten Abend“ und ver­wen­dete im Weit­eren mal die weib­liche Form wie Kindergärt­ner­in­nen und Sol­datin­nen, mal die männliche wie Lehrer und Polizis­ten. Son­st sprach er von Men­schen und Mitmenschen.

Soldatinnen im Einsatz

In den ver­gan­genen Jahren waren es über­wiegend Frauen, die sich dafür einge­set­zt haben, dass Frauen in der deutschen Sprache „sicht­bar“ wer­den. Das ver­wun­dert wenig, da Män­ner ja bere­its immer genan­nt sind. Im Deutschen ist es jedoch möglich, weib­liche Wort­for­men zu bilden, wie das zum Beispiel die Bun­deswehr macht, seit­dem Frauen nicht mehr nur im San­itäts­di­enst tätig sind. Mit­tler­weile sind Sol­datin­nen „in fast jedem Bere­ich der ehe­ma­li­gen Män­ner­domäne“ angekom­men, wie die Bun­deswehr auf ihrer Inter­net­seite schreibt. Und so find­en sich dort unter anderem die Beze­ich­nun­gen Boots- oder Panz­erkom­man­dan­tin, die Ärztin oder die IT-Informationstechnik-Spezialistin.

Wort des Jahres: Bundeskanzlerin

Ein promi­nentes Beispiel, wie und warum sich Sprache immer wieder wan­delt, ist Angela Merkel. Zu Beginn des 21. Jahrhun­derts wurde in Deutsch­land eine Regierung unter weib­lich­er Führung immer denkbar­er. Und so wurde 2004 die Anrede „Frau Bun­deskan­z­lerin“ in den Duden aufgenom­men. Im darauf­fol­gen­den Jahr wurde Merkel Bun­deskan­zlerkan­di­datin und nach der Wahl Bun­deskan­z­lerin. Noch im gle­ichen Jahr kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort „Bun­deskan­z­lerin“ zum Wort des Jahres. An das „in“ hin­ter dem Bun­deskan­zler haben sich alle schnell gewöhnt.

Mit dem Urteil des Bun­desver­fas­sungs­gerichts zur Ein­führung eines drit­ten Geschlecht­sein­trags 2017 wollen nun auch die Men­schen sprach­lich „sicht­bar“ wer­den, die sich keinem der bei­den Geschlechter zuge­hörig fühlen, weil sie nicht-binär, trans­gen­der, und intergeschlechtlich sind. Und nein, es geht nicht darum, statt „Mann, oh Mann“ in Zukun­ft „Frau, oh Frau“ oder „Divers, oh Divers“ zu rufen. Ander­er­seits, warum nicht?

Spielerischer Umgang mit Sprache

Die wenig­sten haben Ger­man­is­tik oder Sprach­wis­senschaften studiert. Deshalb sind Diskus­sio­nen wie etwa über das gener­ische Maskulin für viele unver­ständlich. Wom­öglich sollte man Sprache weniger wis­senschaftlich betra­cht­en und eher spielerisch damit umge­hen. Vielle­icht dür­fen wir mutig etwas Neues aus­pro­bieren. Und ja, es wird eine Weile dauern, bis es sich „nor­mal“ anfühlt und selb­stver­ständlich ist. Beim Ver­schwinden von „Fräulein“ und „daß“ war das genau­so. Sprache spiegelt die Gesellschaft wider. Unge­wohnte For­mulierun­gen regen zur Diskus­sion an, doch bis sich die Real­ität verän­dert, kann es dauern. So gibt es beispiel­sweise die Roman­ti­tel „Päp­stin“ und „Kardinälin“. Doch in der Wirk­lichkeit sind diese Ämter und Titel wie eh und je Män­nern vor­be­hal­ten. Und so ist das auch beim Köl­ner Dreige­stirn. Der Prinz? Immer ein Mann. Der Bauer? Eben­so. Und selb­st die Jungfrau – außer 1938 und 1939 – immer ein Mann, da der Köl­ner Karneval früher eine reine Män­nerge­sellschaft war. Und so ist das Dreige­stirn in der Stadt, die immer und über­all für Tol­er­anz und Vielfalt wirbt, auch 2022 auss­chließlich männlich.

Jede:r ist gemeint beim Gendern

Sprache hat in den ver­gan­genen Jahren auch durch die Dig­i­tal­isierung Verän­derung erfahren. In sozialen Medi­en wird zum Beispiel wenig Wert auf kor­rek­te Gram­matik oder Groß- und Klein­schrei­bung gelegt. Wörter, ja ganze Redewen­dun­gen wer­den durch Abkürzun­gen oder Emo­jis erset­zt. Bilder in allen For­men spie­len eine große Rolle.

Hier zeigt sich, dass Gen­dern über die geschriebene oder gesproch­ene Sprache und über männlich, weib­lich, divers hin­aus­ge­ht. Wer Vielfalt leben will, muss in allen Bere­ichen Vielfalt zulassen und sicht­bar machen. Let­ztlich geht es um die Vielfalt aller Men­schen: groß, klein, dick, dünn, blond, grau, mit asi­atis­chen Wurzeln, sportlich, gehand­i­capt, jung, alt … Es geht um alle. Ja, jed­er ist gemeint. Jed­er – was für ein tolles Wort: Es hat die weib­liche Form gle­ich mit drin und mit zwei Punk­ten meint es wirk­lich jede:n. So ein­fach kann es sein!


Unterschied zwischen männlich und maskulin

Die meis­ten Sprachen ken­nen bei Lebe­we­sen ein biol­o­gis­ches Geschlecht, zwei wer­den benan­nt: der Mann, die Frau, der Sti­er, die Kuh. Bei vie­len Sprachen gibt es zudem ein gram­matikalis­ches Geschlecht – Genus genan­nt – das eben­falls bei Lebe­we­sen Anwen­dung find­et. Im Deutschen sind das „der, die, das“. Im Franzö­sis­chen gibt es nur „le, la“. Das Englis­che unter­schei­det eben­so wie das Chi­ne­sis­che gar kein Genus. So heißt es zum Beispiel im Deutschen „der Arbeit­ernehmer“, „die Arbeit­nehmerin“, „das kleine Kind“, im Franzö­sis­chen „le tra­vailleur“, „la tra­vailleuse“, „le petit enfant“ und im Englis­chen immer „the employ­ee“, „the employ­ee“ sowie „the child“.

Das Genus wird aber auch bei Nicht-Lebe­we­sen benutzt. So heißt es im Deutschen „der Tisch“, im Franzö­sis­chen dage­gen „la (= die) table“. Ein Tisch ist also nicht „männlich“, son­dern „maskulin“, so die gram­matikalis­che Beze­ich­nung. Man spricht auch vom gener­ischen Maskulin. Das gener­ische Maskulin ste­ht nicht für „Män­ner“ oder „männlich“, son­dern ist eine gram­matikalis­che Form, die geschlecht­sneu­tral gemeint ist. Es gibt im Deutschen auch Beispiele für ein gener­isches Fem­i­nin sowie Neu­trum, das mit dem natür­lichen Geschlecht nicht übere­in­stimmt: die Drohne (= männliche Biene), das Huhn (= weib­lich­er Vogel). Allerd­ings ist in diesen Fällen das jew­eils andere biol­o­gis­che Geschlecht nicht automa­tisch mit­ge­meint. Für das gener­ische Maskulin wird jedoch gerne eine Geschlecht­sneu­tral­ität angeführt.


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Wie lässt sich gendern?

Gen­dern in der Unternehmenskommunikation


Bettina Brucker
Bet­ti­na Bruck­er; Foto: privat

Autorin:
Bet­ti­na Brucker
Freie Autorin und Journalistin

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