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Unfall mit einem Düngerstreuer

Unfall mit schweren Hand- und Armverletzungen
Unbedachter Griff in die Düngerstreuer-Welle

Unbedachter Griff in die Düngerstreuer-Welle
Foto: © Countrypixel - stock.adobe.com
Dipl.-Ing. Ulf-J. Schappmann
Die Arbeit mit Maschi­nen kann gefährlich sein – das ist bekan­nt. Eben­so klar sein sollte, dass eine Mas­chine außer Betrieb zu nehmen ist, bevor an bewegten Teilen gear­beit­et wird. In der Prax­is gerät dieser Grund­satz jedoch häu­fig in Vergessen­heit. Bisweilen mit gravieren­den Fol­gen, wie ein schw­er­wiegen­der Unfall mit einem Dünger­streuer verdeutlicht.

Die Bau- und Land­wirtschaft gehören zu den Branchen, in denen regelmäßig mit schw­eren Maschi­nen gear­beit­et wird. In bei­den kommt es auch gehäuft zu Unfällen: Mit 48,5 meldepflichti­gen Arbeit­sun­fällen pro 1.000 Vol­lar­bei­t­en­den belegte der Bere­ich Land­wirtschaft, Forst und Garten­bau in der Unfall­sta­tis­tik 2020 den trau­ri­gen zweit­en Platz nach der Baubranche.

Die Ursachen dafür sind eben­so vielfältig, wie die durchge­führten Arbeit­en und die dafür einge­set­zten Arbeitsmit­tel. Zudem wer­den selb­st die ein­fach­sten Grun­dregeln zum sicheren Umgang mit Werkzeu­gen und Maschi­nen nicht immer einge­hal­ten – darunter die Vor­gabe, dass nur an stillge­set­zten Geräten Wartungs- und Reparat­u­rar­beit­en zur Fehlerbe­sei­t­i­gung vorzunehmen sind.

Warum diese Regel mis­sachtet wird – darüber kann viel spekuliert wer­den. Die Gründe reichen von Zeit­druck über Unwis­senheit bis hin zur weitver­bre­it­eten Annahme: „Beim let­zten Mal haben wir es auch so gemacht. Das wird schon gut gehen.“

Blockierte Förderschnecke führt zu einem Unfall mit einem Düngerstreuer

Wozu diese nach­läs­sige Ein­stel­lung führen kann, zeigt der nach­fol­gende Unfall mit einem Dünger­streuer. Dieser basiert auf einem tat­säch­lichen Ereig­nis, wird hier aber frei nacherzählt. Die Schlussfol­gerun­gen sollen eine Hil­festel­lung zur Ver­mei­dung kün­ftiger Unfälle geben.

Ein Beschäftigter eines land­wirtschaftlichen Betriebs sollte mit einem an einem Trak­tor ange­baut­en Dünger­streuer mit Hydraulikantrieb Dünger aus­brin­gen. Dazu befüllte er auf dem Betrieb­shof das Gerät mit pul­ver­för­migem Dünger und fuhr auf das Feld, um dort seine Arbeit durchzuführen. Nach der Rück­kehr auf den Betrieb­shof musste der Dünger­streuer gere­inigt und für den näch­sten Ein­satz vor­bere­it­et wer­den. Die Reini­gung erfol­gte mit­tels Hochdruck­reiniger. Dabei bemerk­te der Beschäftigte, dass die Förder­sch­necke im Dünger­streuer nicht richtig förderte. Um dies zu kon­trol­lieren, demon­tierte er ein Abdeck­git­ter und sah, dass sich dort ein fes­ter Gegen­stand verklemmt hatte.

Um diesen zu ent­fer­nen, griff er mit der recht­en Hand in den Förder­sch­neck­en­raum und löste den Gegen­stand. In diesem Augen­blick lief die Förder­sch­necke wieder an und ver­let­zte den Beschäftigten schw­er an der Hand und am Unter­arm. Dabei wur­den die Muskeln, Sehnen und Blut­ge­fäße des Unter­arms zer­schnit­ten. In der Unfal­lk­linik kon­nten die her­aus­ge­tren­nten Muskeln und Sehnen trans­plantiert und auch die Funk­tions­fähigkeit des Arms und der Hand in Teilen wieder­hergestellt wer­den. Die volle Funk­tions­fähigkeit wurde aber nicht mehr erreicht.

Deutlicher Warnhinweis am Gerät

Wie kommt es zu so einem Unfall? Eine Antwort lässt sich in der Regel nur schw­er find­en, weil auch die Verun­fall­ten diese Frage meist nicht ein­deutig beant­worten kön­nen. Bei ihrer Unfal­lun­ter­suchung ermit­telte die zuständi­ge staatliche Auf­sichts­be­hörde zum einen, dass der Dünger­streuer als Arbeitsmit­tel über eine CE-Kennze­ich­nung ver­fügte. Die notwendi­gen Schutz­ab­deck­un­gen, die gle­ichzeit­ig als Ein­füllsiebe fungierten, waren zwar vorhan­den, wur­den aber teil­weise demon­tiert. Zudem befand sich an dem Gerät der Warn­hin­weis „ACHTUNG! GEFÄHRLICHE FÖRDERSCHNECKE! Es ist unter­sagt, das Ein­füllsieb zu ent­fer­nen, bevor die Hydraulikan­lage und der Schlep­per abgestellt sind. Zünd­schlüs­sel abziehen! Die Förder­sch­necke schal­tet sich automa­tisch ein!“ Damit waren die wichtig­sten Ver­hal­tensregeln auch noch ein­mal am Gerät dargestellt.

Gefährdungsbeurteilung geprüft

Die Unfal­lun­ter­suchung ergab zudem, dass eine Gefährdungs­beurteilung für die Arbeit mit dem Dünger­streuer vor­lag, in dieser allerd­ings der Punkt „Ver­hal­ten bei Störun­gen“ nicht betra­chtet wor­den war. In der in der Werk­statt vor­liegen­den Betrieb­san­weisung nach § 12 Abs. 2 Betr­SichV war unter Schutz­maß­nah­men der Text des oben genan­nten Warn­hin­weis­es zum The­ma „Ver­hal­ten bei Störun­gen und Instand­set­zun­gen“ aufgenom­men wor­den. Gemäß der vom Unternehmen vorgelegten Doku­men­ta­tion war diese Betrieb­san­weisung auch Bestandteil der regelmäßig durchge­führten Unter­weisun­gen. Damit waren wesentliche Teile des organ­isatorischen Arbeitss­chutzes erfüllt.

Schutzabdeckung leicht zu entfernen

Die genauere Unter­suchung des Anbaudünger­streuers zeigte aber, dass sich die als Schutz­ab­deck­ung für die Förder­sch­necke ver­wen­de­ten Ein­füllsiebe ein­fach und ohne Hil­fe von Werkzeug ent­fer­nen ließen und es keine Sicherung gegen den Anlauf der Förder­sch­necke bei aus­ge­hobe­nen Ein­füllsieben gab – außer dem bere­its genan­nten Warn­hin­weis. Auch die Bedi­enungsan­leitung des Her­stellers wieder­holte im Punkt Sicher­heit­shin­weise nur den Text des Warnhinweises.

Warnhinweis nicht verinnerlicht

Der Verun­fallte gab an, dass er zwar den Trak­tor geparkt, aber den Motor nicht abgestellt hat­te. Somit war die Hydraulikan­lage des Anbaus­treuers weit­er unter Druck und die Förder­sch­necke kon­nte nach dem Beseit­i­gen der Block­ade wieder anlaufen. Den Warn­hin­weis kan­nte er, hat­te ihn aber offen­sichtlich nicht als Ver­hal­tensan­forderung verinnerlicht.

War dieser Unfall mit einem Düngerstreuer zu verhindern?

Die Betrieb­ssicher­heitsverord­nung besagt in § 9 Abs 6 Satz 1: „Kraft­be­triebene Arbeitsmit­tel müssen mit ein­er schnell erre­ich­baren und auf­fäl­lig gekennze­ich­neten Not­be­fehl­sein­rich­tung zum sicheren Stillset­zen des gesamten Arbeitsmit­tels aus­gerüstet sein, mit der Gefahr brin­gende Bewe­gun­gen oder Prozesse ohne zusät­zliche Gefährdun­gen unverzüglich stillge­set­zt wer­den kön­nen.“ Solch eine Not­be­fehl­sein­rich­tung war am Dünger­streuer nicht vorhan­den. In § 10 Absatz 3 Num­mer Betr­SichV heißt es: „Der Arbeit­ge­ber hat alle erforder­lichen Maß­nah­men zu tre­f­fen, damit Instand­hal­tungsar­beit­en sich­er durchge­führt wer­den kön­nen. Dabei hat er insbesondere …

6. Gefährdun­gen durch bewegte oder ange­hobene Arbeitsmit­tel oder deren Teile sowie durch gefährliche Energien oder Stoffe zu vermeiden,

7. dafür zu sor­gen, dass Ein­rich­tun­gen vorhan­den sind, mit denen Energien beseit­igt wer­den kön­nen, die nach ein­er Tren­nung des instand zu hal­tenden Arbeitsmit­tels von Energiequellen noch gespe­ichert sind; diese Ein­rich­tun­gen sind entsprechend zu kennzeichnen …“

Und Absatz 4 Satz 1 lautet: „Wer­den bei Instand­hal­tungs­maß­nah­men an Arbeitsmit­teln die für den Nor­mal­be­trieb getrof­fe­nen tech­nis­chen Schutz­maß­nah­men ganz oder teil­weise außer Betrieb geset­zt oder müssen solche Arbeit­en unter Gefährdung durch Energie durchge­führt wer­den, so ist die Sicher­heit der Beschäftigten während der Dauer dieser Arbeit­en durch andere geeignete Maß­nah­men zu gewährleisten.“

Somit hätte die Besei­t­i­gung der Störung nur bei vom Trak­torantrieb abgekop­pel­ten und entspan­nten Hydraulikantrieb vorgenom­men wer­den dür­fen. Das war aber dem Beschäftigten so ein­deutig nicht bekan­nt. Aus Sicht des Autors hätte auch der Her­steller des Geräts einen solchen Unfall ver­hin­dern kön­nen, indem für die Demon­tage der Ein­füllsiebe Werkzeug erforder­lich wäre und es zusät­zlich eine Sicherung der Förder­sch­necke gegen Wieder­an­laufen bei demon­tierten Ein­füllsieben geben würde.

Das hier beschriebene Unfall­beispiel zeigt deut­lich, dass es zwis­chen den rechtlichen Vor­gaben für die Her­steller von Arbeitsmit­teln wie der EU-Maschi­nen­richtlin­ie und dem Pro­duk­t­sicher­heits­ge­setz und den Regelun­gen für die Anwen­der, hier der Betrieb­ssicher­heitsverord­nung, sehr viel Spiel­raum gibt. Es reicht nicht, wenn dem Anwen­der eines Arbeitsmit­tels in ein­er Rechtsverord­nung Pflicht­en zugewiesen wer­den, die er nur sehr bed­ingt mit organ­isatorischen und per­son­ellen Schutz­maß­nah­men erfüllen kann, weil die vom Her­steller einzubauen­den tech­nis­chen Sicher­heit­sein­rich­tun­gen nicht bere­it­gestellt wur­den. Nicht umson­st besagt das „TOP-Prinzip“ der Arbeitssicher­heit, dass tech­nis­che Schutz­maß­nah­men die höch­ste Sicher­heitsstufe bilden. Warn­hin­weise sind gut und richtig, aber allein ver­mei­den sie keine Unfälle.


Dipl.-Ing. Ulf-J. Schappmann
Dipl.-Ing. Ulf‑J. Schapp­mann; Foto: © Foto­stu­dio City Col­or Mun­schke, Weimar

Autor:
Dipl.-Ing. Ulf‑J. Schappmann
Sicher­heitsin­ge­nieur VDSI
SIMEBU Thürin­gen GmbH

 

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