Eine gute Sicherheitskultur hilft, Risiken zu reduzieren, bedeutet Wertschätzung für die Beschäftigten und bringt die Firma voran. Bereits im Editorial der letzten Ausgabe hat Friedhelm Kring geschrieben: „Die Weiterentwicklung einer Sicherheitskultur beginnt in der Unternehmenshierarchie ganz oben.“ Stimmt. Deshalb freue ich mich, dem Thema Führung und Sicherheitskultur eine ganze Artikelserie in 2023 widmen zu dürfen. Warum Führung für die Entwicklung der Sicherheitskultur so wichtig ist und wie Arbeitsschutz und Führung zusammenhängen, beschreibt diese Folge.
Welche Rolle spielt Führung für den Arbeitsschutz?
Wenn wir von Führung sprechen, meinen wir die Aktivitäten der Führungskräfte, mit denen sie die Richtung der Firma bestimmen, Tätigkeiten planen, koordinieren, kontrollieren. Führungsaufgaben sind sehr vielfältig und beinhalten vor allem Entscheidungen. Die Führung bestimmt, was und wie in einem Unternehmen gearbeitet wird. Deshalb bestimmt sie auch, wie viel Platz und Aufmerksamkeit das Thema Arbeitsschutz bekommen soll. Es muss z.B. entschieden werden, wer an der Arbeitsschutz-Ausschuss (ASA)-Sitzung teilnimmt, ob die ASA-Sitzung nochmal verschoben wird, der Kundentermin doch Priorität hat, und wie aktiv sich jeder Einzelne beteiligt.
Es muss entschieden werden, ob das Geld in eine neue Sicherheitssoftware investiert wird, oder die alte ausreicht und der Gewinn etwas höher ausfällt. Es muss entschieden werden, worüber wir in unseren Team-Meetings sprechen. Ob wir die Zeit nutzen, um über Kundenwünsche, Quartalszahlen und Qualitätsprobleme zu sprechen, oder auch über Arbeitsschutzthemen, Stolperfallen, Beinaheunfälle, Risiken und Verbesserungen? Es muss entschieden werden, wie viel Eigeninitiative und aktive Mitarbeit von den Mitarbeitern gewünscht ist. Sollen sie sich ausschließlich um die Maschinen kümmern, damit die Auslastung stimmt, oder dürfen sie auch einen Verbesserungsvorschlag ausarbeiten?
Entschieden wird sowieso
An diesen beispielhaften Entscheidungen wird deutlich, wie wichtig Führung für den Arbeitsschutz ist. Entschieden wird sowieso. Welche Rolle Arbeitsschutz spielen soll, wird so in vielen kleinen Einzelentscheidungen bestimmt. Ob alle Entscheidungen immer bewusst getroffen werden und welche Kriterien gewöhnlich betrachtet werden? Das wiederum hängt von jeder einzelnen Führungskraft und der Unternehmenskultur ab. Nun sind wir beim großen Ganzen. Gibt es ein gemeinsam entwickeltes Leitbild, wie wir Arbeitsschutz in unserem Unternehmen praktizieren wollen? Eines, an dem sich Führungskräfte bei ihren Entscheidungen orientieren können? Oder ist jeder auf sich gestellt und läuft in eine andere Richtung? Führung entscheidet. Auch das.
Wie reagieren zum Beispiel Führungskräfte, wenn Sie einen Mitarbeiter einer anderen Abteilung in ihrem Arbeitsbereich antreffen, der keine Sicherheitsschuhe trägt? Ansprechen, weil das nicht okay ist? Inklusive Meldung beim Chef? Oder ignorieren, weil sich darum die andere Führungskraft kümmern muss, da mische ich mich nicht ein?
Wie streng handhabt das die andere Führungskraft eigentlich, ich sehe regelmäßig Mitarbeiter aus dieser Abteilung ohne Sicherheitsschuhe? Ist es nicht anstrengend, sich mit solchen Überlegungen herumschlagen zu müssen? Dieses Beispiel stammt aus einem Workshop, in dem sich die Führungskräfte eines Unternehmens über schwierige Situationen bzw. Entscheidungen im Arbeitsschutz austauschen konnten. Es wurde daraufhin ein gemeinsames Vorgehen besprochen. Das bringt Klarheit und Erleichterung für alle Beteiligten. Die Entscheidung ist klar.
Entscheidet die Führung, dass Arbeitsschutz wichtig ist, muss sie auch danach handeln. Wer propagiert, dass Arbeitssicherheit TOP-Priorität hat, dann aber doch anders entscheidet, macht sich unglaubwürdig. Mitarbeiter merken das. Sie sind sich fortan unsicher, auf welche Aussagen sie vertrauen können und auf welche eher nicht.
Entscheidet die Führung, dass Arbeitsschutz nicht so wichtig ist, tragen die Führungskräfte trotzdem die volle Verantwortung. Sie haben dann allerdings weniger Unterstützung dabei. Bei einer schlechten Sicherheitskultur ist das Gefährdungsbewusstsein der Beschäftigten geringer. Es gibt mehr Gefährdungen, weil weniger davon beseitigt werden. Es gibt folglich mehr Arbeitsunfälle. Das gesetzlich geforderte Minimum ist dennoch zu gewährleisten. Arbeitsschutz ist aus gutem Grund eine gesetzliche Verpflichtung. Das Risiko, dass das Minimum nicht ausreicht bzw. nicht erfüllt wird und folgenschwere Unfälle passieren, trägt die Führung.
Auf den ersten Blick kann Arbeitsschutz eine Zusatzaufgabe sein, mit der man kein Geld verdient. Wieso soll man seine Zeit dafür investieren? Auf den zweiten Blick gibt es viele Gründe, warum es sich doch lohnt, Arbeitsschutz als wichtigen Teil der täglichen Arbeit zu betrachten.
Führung und Präventionskultur: Auswirkungen verschiedener Führungsstile
Wertschätzung und Motivation
Mitarbeiter merken, wenn sich die Führung um sichere Arbeitsplätze kümmert. Diese Wertschätzung ist entscheidend für die Zufriedenheit mit ihrem Arbeitsplatz und ihre Motivation, sich für die Firma einzubringen. Motivierte, engagierte Mitarbeiter sind DER Erfolgsfaktor für Unternehmen. Mit Mitarbeitern, die glauben, dass sie dem Chef eh egal sind (z.B. weil er sich nicht um ihren Arbeitsplatz oder ihre persönliche Schutzausrüstung sorgt), werden außergewöhnliche Leistungen schwer zu erzielen sein. Mitarbeiter, die dauerhaft über die eigene Firma schimpfen, zerstören viel Vertrauen und Arbeit, die die Öffentlichkeitsarbeits- und Personalabteilungen zum Anwerben neuer Mitarbeiter mühsam wieder aufbauen müssen.
Ein perfektes Beispiel für diesen Zusammenhang habe ich im letzten Jahr erleben dürfen. Es ging um ein kleines Team, das eine sehr einfache, aber körperlich extrem anstrengende, dreckige Arbeitsaufgabe hatte. Alle Mitglieder dieses Teams waren trotzdem voll des Lobes über ihren Arbeitsplatz und Arbeitgeber, weil er sie u.a. mit der besten verfügbaren Schutzausrüstung ausstattete und sich sichtbar kümmerte. Sie dankten auf ihre Weise mit zuverlässiger Arbeit und flexiblen Einsätzen, wenn nötig.
Keine schlechten Schlagzeilen
Sicher gestaltete Arbeitsplätze reduzieren das Ausfallrisiko wichtiger Mitarbeiter durch Verletzungen. Fällt ein Mitarbeiter drei Wochen aus, fehlt die Arbeitsleistung, die Kompetenz und die übrigen (bereits ausgelasteten) Mitarbeiter müssen die Arbeit mit übernehmen. Das erfordert mehr Koordination, Schulung und Fingerspitzengefühl bei der Führung der übrigen Mitarbeiter und mündet in Lieferschwierigkeiten, wenn dies nicht gelingt. In Extremsituationen kann öffentliche Aufmerksamkeit den guten Ruf eines Unternehmens mit einem Schlag ruinieren.
Kosteneinsparung
Auch für Zahlenmenschen gibt es eine klare Antwort darauf, was Arbeitsschutz zum Führungs- und Firmenerfolg beitragen kann. Der „Return on Prevention“ (ROP) beträgt 2,2*. Das bedeutet, dass sich jeder Euro, den man in sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung, Organisationskosten, Investitionskosten, persönliche Schutzausrüstung etc. investiert, mehr als doppelt auszahlt. Man profitiert durch vermiedene Betriebsstörungen, Ausschuss und Nacharbeit, Wertzuwachs durch besseres Image sowie eine höhere Motivation und Zufriedenheit der Beschäftigten.
Ausblick zum Zusammenhang von Arbeitsschutz und Führung
Sind die geschilderten Extremsituationen Schwarzmalerei oder ein reales Risikoszenario, das ernst zu nehmen ist? Darüber scheiden sich die Geister, und wir sind bei der Risikoeinschätzung, die aus unterschiedlichen Perspektiven anders ausfällt. In der Folge dieser Serie über Führung und Sicherheitskultur werden wir dies noch einmal genauer beleuchten. In weiteren Ausgaben geht es um Konflikte im Arbeitsschutz, Kommunikation, Führungsstile, verschiedene Führungsebenen sowie Veränderungen der Führungskultur und New Work.
Egal auf welchem Stand sich die Sicherheitskultur befindet – ohne Führung geht es nicht. Man muss sich Zeit für Arbeitsschutz und ihn ernst nehmen. Wenn sie den Begriff Arbeitsschutz nicht mögen, weil er noch zu negativ besetzt ist: Es ist wichtig, sich Zeit für die Beschäftigten zu nehmen und sich um sie zu kümmern. Arbeitsschutz darf einfach sein.
*Berechnung des internationalen „Return on Prevention“ für Unternehmen: Kosten und Nutzen von Investitionen in den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz;
DGUV Report 1/2013
Autorin:
Clara Röder
Röder EHS Consulting