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Sicherheitsverantwortung, Arbeitsschutzorganisation und Haftung von Führungskräften

Sicherheitsverantwortung, Arbeitsschutzorganisation und Haftung: Mythen und Wahrheiten
Es entscheiden Menschen, nicht Gesetze

Es entscheiden Menschen, nicht Gesetze
Foto: © magele-picture – stock.adobe.com
Prof. Dr. Thomas Wilrich
In dieser Serie wurde bish­er die Ver­ant­wor­tung für Tun und Unter­lassen und der Bezug des Arbeitss­chutzes zu den Rechtsvorschriften betont. Jet­zt geht es um die Arbeitss­chutzpflicht­en der Führungskräfte.

Da der Arbeit­ge­ber in den meis­ten Fällen eine leblose juris­tis­che Per­son sein wird (siehe Folge 5), muss der Arbeitss­chutz von ver­ant­wortlichen natür­lichen Per­so­n­en durchge­führt wer­den, die für den Arbeit­ge­ber han­deln – das sind Führungskräfte und damit Menschen.

Führungskräfte wünschen sich Rechtssicherheit

Führungskräfte sehnen sich nach Recht­sklarheit und Rechtssicher­heit. Wir alle wün­schen uns, dass das Recht uns eine klare Antwort gibt, was „zur Sicher­heit“ in ein­er bes­timmten Sit­u­a­tion getan wer­den muss. Rein­hard Sprenger hat von der „Sehn­sucht viel­er Man­ag­er nach Berechen­barkeit“ gesprochen1. Der frühere Bun­de­spräsi­dent Horst Köh­ler hat diese Sehn­sucht und Sucht nach Recht­sklarheit ein­mal so zum Aus­druck gebracht: „Geset­ze sind keine Bana­nen; sie dür­fen nicht erst beim Abnehmer reifen“.

Aber es hat „sich als Illu­sion erwiesen, dass der Geset­zge­ber durch seine Nor­men im Voraus voll­ständig und endgültig die Entschei­dung jedes Einzelfall­es fes­tle­gen kann“2. Rein­hard Sprenger fordert „wir müssen Abschied nehmen von der Schein-sicher­heit. Führung ist immer Arbeit durch den Zweifel“3.

Ein ander­er früher­er Bun­de­spräsi­dent, Roman Her­zog, kri­tisierte: „Die Deutschen machen gerne Vorschriften. Dazu kommt noch der Fim­mel, möglichst immer bis auf die siebente Stelle hin­ter dem Kom­ma Einzelfall­gerechtigkeit zu schaf­fen. Das ist der Fluch unser­er Recht­sor­d­nung: Man sollte bisweilen wirk­lich nur bis zu einem bes­timmten Grad auf die soge­nan­nten Fach­leute hören, die alles bis ins Kle­in­ste dif­feren­zieren wollen und dabei alles fürchter­lich kom­pliziert machen“.

Das Recht aber fordert Sicherheit in der konkreten Situation

Natür­lich enthal­ten das Arbeitss­chutzrecht und die Unfal­lver­hü­tungsvorschriften sehr viele Detail­vor­gaben. Aber immer gilt zusät­zlich: Der Arbeit­ge­ber beziehungsweise Unternehmer muss die „erforder­lichen Maß­nah­men des Arbeitss­chutzes unter Berück­sich­ti­gung der Umstände tre­f­fen, die Sicher­heit und Gesund­heit der Beschäftigten bei der Arbeit bee­in­flussen“ (so sagt es § 3 Arb­SchG und ähn­lich § 2 DGUV Vorschrift 1). Das ist übri­gens fast immer so im Recht – jeden­falls wenn es um Sicher­heit geht. So regelt die Straßen­verkehrsor­d­nung sehr detail­liert Einzel­heit­en, aber § 1 StVO ver­langt: „Wer am Verkehr teil­nimmt hat sich so zu ver­hal­ten, dass kein Ander­er geschädigt, gefährdet wird“ – und: „Teil­nahme am Straßen­verkehr erfordert ständi­ge Vor­sicht und gegen­seit­ige Rück­sicht“. Im Strafrecht etwa wird – auch nach Arbeit­sun­fällen – fol­gende Formel ver­wen­det: Die bei Unter­lassen von Sicher­heits­maß­nah­men für eine Verurteilung wegen Fahrläs­sigkeit erforder­liche Garan­ten­stel­lung (siehe Folge 4) hängt „let­ztlich von den Umstän­den des konkreten Einzelfall­es ab; dabei bedarf es ein­er Abwä­gung der Inter­essen­lage und des Ver­ant­wor­tungs­bere­ichs der Beteiligten“4.

Arbeitsschutz ist nicht schlichter Gesetzesvollzug, sondern schwierige Abwägung und Wertung

Es gibt ziem­lich viele Entschei­dun­gen, die ein­fach und klar sind und bei denen es nicht viel zu über­legen, zu wägen und zu werten gibt. Wenn aber das „Erforder­liche“ zu tun ist, wenn „Gefährdun­gen“ zu ver­mei­den sind und wenn eine „Abwä­gung der Inter­essen­lage“ erforder­lich ist, ist Arbeitss­chutzver­ant­wor­tung häu­fig untrennbar ver­bun­den mit schwieri­gen Sachver­halt­ser­mit­tlun­gen und Wer­tungsentschei­dun­gen. Sicher­heit­sentschei­dun­gen sind sachver­haltsab­hängig. Es geht um die „Erfül­lung von Sit­u­a­tion­san­forderun­gen“5. Rein­hard Sprenger sagt es so: „Men­schliche Hand­lungs­be­din­gun­gen sind durch Wider­sprüch­lichkeit­en, Ungereimtheit­en und Unsicher­heit gekennze­ich­net“, daher ist „jede Man­age­ment-Entschei­dung wert­getränkt“ – und daraus fol­gt zweierlei:

  • Erstens „steigert der Ver­lust von Gewis­sheit die Bedeu­tung der Per­son“ – gemeint ist der Entschei­der – jed­er, der eine Frage mit Sicher­heits­bezug entscheidet.
  • Zweit­ens benöti­gen die entschei­den­den („bedeu­ten­den“) Per­so­n­en eine gewisse „Unsicher­heit­stol­er­anz“ – nicht in dem Sinne, dass sie bei ihren Entschei­dun­gen Unsicher­heit­en für ihre Beschäftigten akzep­tieren müssen, son­dern dass sie (Rechts-)Unsicherheit nach den getrof­fe­nen Entschei­dun­gen akzep­tieren müssen.

Fazit

Es gibt zwei Aus­gangspunk­te für alle Über­legun­gen, was zur Gewährleis­tung des Arbeitss­chutzes in Betrieben durch wen zu tun ist:

  • Geset­ze kön­nen nicht abschließend fes­tle­gen, was im Inter­esse des Arbeits- und Gesund­heitss­chutzes in den Betrieben im Einzel­nen zu tun ist. Das ist in der Gefährdungs­beurteilung zu ermitteln.
  • Es entschei­den Men­schen und nicht Geset­ze und auch nicht juris­tis­che Per­so­n­en – let­ztlich also auch nicht der Arbeit­ge­ber, so wie man es aber immer wieder hört, son­dern die Führungskräfte, die als Men­schen für den Arbeit­ge­ber tätig wer­den.6

Fußnoten

1 Rein­hard K. Sprenger, Auf­s­tand des Indi­vidu­ums: Warum wir Führung kom­plett neu denken müssen, 2005, S. 29.

2 Inge­borg Puppe, Kleine Schule des juris­tis­chen Denkens, 2008, S. 76.

3 Rein­hard K. Sprenger, Gut aufgestellt – Fußball­strate­gien für Man­ag­er, 2008, S. 34 f.

4 So der BGH im Urteil um Unfall der Wup­per­taler Schwe­be­bahn – aus­führlich Wilrich, Arbeitss­chutz-Strafrecht – Haf­tung für fahrläs­sige Arbeit­sun­fälle: Sicher­heitsver­ant­wor­tung, Sorgfalt­spflicht­en und Schuld – mit 33 Gericht­surteilen (2020).

5 Jür­gen Schmidt-Salz­er, Strafrechtliche Pro­duk­thaf­tung, 1982, Rn. 88, S. 59.

6 Siehe auch Wilrich, Arbeitss­chutzver­ant­wor­tung für Sicher­heits­beauf­tragte: Bestel­lung, Rechtsstel­lung, Pflicht­en und Haf­tung als Ver­trauensper­so­n­en und Beschäftigte – Grund­wis­sen Arbeitssicher­heit, Führungspflicht­en und Unternehmen­sor­gan­i­sa­tion (2021).


Weit­ere Teile der Rechtsserie: 

Ver­ant­wor­tung heißt nur „Antwort geben“

Ver­ant­wor­tung für Tun: Hand­lungsver­ant­wor­tung ist  die Basis des Arbeitsschutzes

„Selb­st schuld“ oder Fremdverantwortung?

„Ein Blick ins Gesetz erle­ichtert die Rechtsfindung“

Keine Ver­ant­wor­tung ohne Befug­nisse – keine Befug­nis ohne Verantwortung

„Unwis­senheit schützt vor Strafe nicht“

Die Unken­nt­nis des Rechts ist vorzugsweise strafver­schär­fend und nur aus­nahm­sweise strafvermeidend

„Befehl ist Befehl“: Die Gehor­sam­spflicht ist stärk­er als das Haftungsrecht

Der Men­sch ste­ht im Mit­telpunkt – und der Men­sch ist Mit­tel. Punkt

Es entschei­den und es gehorchen Men­schen: Befehl ist Befehl!

Kein blind­er Gehor­sam, son­dern gewis­senhaftes Mitdenken

Wann ist Ver­trauen gut, wann sind Acht­samkeit und Zweifel besser?

Arbeit­ge­ber und Unternehmen sind primär ver­ant­wortlich – aber nur „mys­tis­che Kunstschöpfungen“

Befehlsver­weigerung bei Erkennbarkeit der Sicherheitswidrigkeit

Echte Men­schen sind auch ohne Schrift­stück verantwortlich


Prof. Dr. Thomas Wilrich
Prof. Dr. Thomas Wilrich; Foto: privat

Autor:
Recht­san­walt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München, Fakultät Wirtschaftsin­ge­nieur­we­sen, Pro­fes­sor für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, Unternehmensorganisationsrecht
und Recht für Ingenieure

 

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