Was bringt EAP den Unternehmen?
Führungskräfte, Mitarbeiter und Teams stehen immer wieder vor belastenden Herausforderungen. Beruflich und privat. Auch wenn die meisten Menschen eigene, hilfreiche Strategien haben um mit Schwierigkeiten fertig zu werden, gibt es viele Situationen, die mit professioneller Unterstützung viel besser zu meistern sind. Hier setzt EAP an: Ein Unternehmen bietet seinen Führungskräften und Mitarbeitern eine Anlaufstelle in belastenden Situationen und kreiert dadurch eine wertvolle Win-Win-Situation: Die Beschäftigten bekommen Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Probleme und das Unternehmen hat den Nutzen, dass Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Mitarbeiterbindung gefördert werden.
Mit welchen Anliegen kommen die Beschäftigten zu Ihnen?
Die Anliegen sind sehr vielfältig. Sie reichen von Fragen zur Stressbewältigung, Konflikten am Arbeitsplatz, familiären Problemen, Trauerbegleitung, Alkoholproblemen bis hin zur Unterstützung nach traumatischen Extremsituation. Genauso bunt ist das Spektrum der Ratsuchenden. Die Beratungsangebote werden vom jugendlichen Auszubildenden, dem gestandenen Produktionsarbeiter kurz vor der Rente, der Buchhalterin bis hin zur Geschäftsführung und dem Top-Management genutzt.
Können Sie anhand von Beispielen skizzieren, wie eine Beratung abläuft
Die Beratung beginnt schon mit der ersten telefonischen Kontaktaufnahme zur Terminvereinbarung. Wenn die Mitarbeiter hören, da ist eine freundliche, kompetente Person am Telefon, Anonymität zugesichert wird und wenn dann kurzfristig und unkompliziert ein Termin gefunden wird, ist das oft schon eine spürbare Erleichterung für die Ratsuchenden. Welche Themen dann in der eigentlichen Beratung besprochen werden, ob und wann ein Folgegespräch stattfindet, – das entscheiden die Ratsuchenden. Ich möchte dies an einigen Fallbeispielen darstellen:
Ein junger, aufstrebender Teamleiter einer Behörde (nennen wir ihn Herrn Fischer1) kommt zu einem Beratungstermin. Im Gespräch erfahren wir, dass Herr Fischer eigentlich ein tolles Leben hat: Er ist glücklich verheiratet, hat zwei gesunde Kinder, macht Karriere, verdient genug Geld, … . Und trotzdem fühlt er sich nicht gut. Er schläft schlecht, ist niedergeschlagen und kraftlos, zieht sich zurück, hat immer häufiger Konflikte mit seiner Frau und den Kindern. Als nun auch seine Vorgesetzte ihm im Jahresgespräch zurückmeldet, dass er sich verändert habe, unkonzentriert sei und nicht mehr die Leistungen von früher erbringe, beschließt Herr Fischer sich Hilfe zu holen.
In so einem Fall schauen wir natürlich auch immer, ob eventuell eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt und wir an einen Facharzt weiterleiten müssen. Da bei dem oben genannten Beispiel eine Depression nicht ausgeschlossen werden kann, unterstützen wir zunächst bei der Motivation einen Psychotherapeuten aufzusuchen und bieten bis zum dortigen Ersttermin unterstützende Begleitung an. Herr Fischer lässt sich überzeugen und nimmt unser Angebot an. Er versucht einen Facharzt zu finden und möchte parallel mit uns an seinen „Stressthemen“ arbeiten. In den folgenden, insgesamt fünf Gesprächen lernt Herr Fischer viel über Stress, Stressentstehung und Stressfolgen wie Burn Out. Wir arbeiten seine eigenen, ganz persönlichen Stressverstärker heraus und entwickeln daran anknüpfend ganz konkrete Bewältigungsstrategien. Dazu gehören Entspannungstechniken genauso wie mentale Stresskompetenzen. Herr Fischer wird sich dadurch seiner eigenen perfektionistischen Leistungsansprüche bewusst und kann achtsamer auf erste Stresssignale achten. Zu Beginn der Psychotherapie ging es Herrn Fischer deutlich besser. Ich bin mir sicher, dass dieser Mitarbeiter ohne EAP-Unterstützung nicht mehr lange arbeitsfähig gewesen wäre.
Ein anderes Beispiel: Eine Mutter (nennen wir sie Frau Müller1) möchte eine Beratung, da sie sich Sorgen um ihre 13 jährige Tochter macht. Seit der Scheidung im vergangenen Jahr habe diese sich stark verändert. Sie stört in der Schule, vergisst die Hausaufgaben und wird immer wieder beim Lügen erwischt. Zu Hause reagiert die Tochter oft grundlos sehr aufbrausend und Frau Müller hat das Gefühl „nicht mehr an sie ran zu kommen“. In diesem Fall braucht die Mutter jemanden, mit dem sie über ihre Ängste sprechen kann. Wir hören zu, signalisieren der Mutter, was sie alles richtig macht, arbeiten Stärken und Ressourcen der Familie heraus und informieren über spezialisierte Familien-Beratungsstellen sowie Zugänge zu einer Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie. In diesem Fall benötigte die Mitarbeiterin zwei Termine, bis sie sich selbst wieder ausreichend handlungsfähig erlebte. Ein letztes Beispiel: Eine Führungskraft (nennen wir ihn Herr Kaiser1) hat ein schwieriges Mitarbeitergespräch vor sich und möchte eine telefonische Beratung. Bei einem seiner Mitarbeiter wird ein Alkoholproblem und auch Konsum während der Arbeit vermutet. Der Mitarbeiter fällt schon länger durch häufiges tageweises Fehlen auf. Nun hat ein Kollege eine Alkoholfahne wahrgenommen und dies der Führungskraft gemeldet. Herr Kaiser ist unsicher. Er muss und will ein Gespräch führen. Aber was soll er in dem Gespräch ansprechen, was muss er vielleicht sogar ansprechen, was sollte er besser vermeiden? In einem ausführlichen Telefonat mit einem EAP-Berater kann Herr Kaiser in seiner inneren Haltung und damit in seiner Rolle als Führungskraft gestärkt werden. Auch werden ihm die nötigen gesprächspsychologischen Grundlagen und Informationen zur Alkoholabhängigkeit vermittelt, was Herrn Kaiser zusätzlich Sicherheit gibt. Das Angebot, dass ein EAP-Berater an dem Gespräch moderierend teilnimmt, lehnt er ab. Der betroffene Mitarbeiter ist der Aufforderung seiner Führungskraft, das EAP in Anspruch zu nehmen, jedoch gefolgt. Er konnte in eine Suchtberatungsstelle vermittelt werden.
Kann ein Telefongespräch – auch wenn es von Fachleuten geführt wird – tatsächlich Probleme lösen?
Sicher kann ein Telefonat nicht jedes Problem lösen. Aber es kann wieder handlungsfähig machen. Und handlungsfähige Menschen können ihre Probleme besser angehen und erste Schritte zur Lösung finden. Wir wissen doch alle, wie es ist, in sehr belastenden Situationen keinen klaren Gedanken fassen zu können. Psychologisch geschulte Experten wissen, mit welchen Fragen und durch welche Interventionen der Gesprächspartner wieder in seine Stärken und Fähigkeiten gebracht werden kann. Das Hinlenken zu den Stärken beruhigt, gibt Sicherheit und da kann ein Telefonat schon sehr viel bewirken. Das erlebe ich häufig. Im Idealfall wird das EAP-Angebot schon in Anspruch genommen, bevor die Probleme überhand nehmen. Das Ziel ist ja ein präventives. Je früher Mitarbeiter anrufen, desto geringer ist das Risiko von zu hoher psychischer Belastung, von Burn Out oder anderen Gesundheitseinschränkungen. Dafür ist es wichtig, dass Mitarbeiter das Angebot auch als ein präventives wahrnehmen und nicht als letzte Anlaufstelle, wenn der Leidensdruck zu hoch ist.
Was kann getan werden, damit EAP-Programme in der Belegschaft auch frühzeitig angenommen werden?
Schon bei der Implementierung eines EAP-Programms muss das Vertrauen der Mitarbeiter gewonnen werden. Da es sich um ein Angebot des Arbeitgebers handelt, muss glaubhaft gemacht werden, dass die Beratungen anonym sind und alle Berater der Schweigepflicht unterliegen. Geschäftsführung, Führungskräfte und Arbeitnehmervertretungen sollten hinter dem Angebot stehen und es empfehlen. Wir legen immer nahe, die EAP-Beraterinnen und ‑Berater zu Betriebsversammlungen, Führungskräftemeetings, Gesundheitszirkeln, ASA-Sitzungen und ähnlichem einzuladen. Wenn die Stakeholder ein Gesicht zu dem Angebot haben und offene Fragen direkt beantwortet werden, steigert das erfahrungsgemäß die Annahme auch in der Fläche.
Meine Erfahrung aus Gesprächen bei zum Beispiel Betriebsversammlungen ist, dass häufig das Bild einer EAP-Beratung verzerrt ist. Oft wird EAP wahrgenommen als Angebot für Menschen, die verzweifelt sind und nicht mehr weiter wissen — das ist es auch, – aber nicht nur!. Genau diese Wahrnehmung führt aber dazu, dass die Inanspruchnahme als Schwäche erlebt wird. Wenn EAP als Tool genutzt wird, um Veränderungen zu bewältigen, schwere Entscheidungen zu treffen, Führungsfragen zu beantworten, Stresskompetenzen zu gewinnen, Herausforderungen zu meistern, kann die Inanspruchnahme als etwas Positives, nämlich das aktive Angehen eines Problems erkannt werden.
Wie ist Ihre Erfahrung: Wird dieses Angebot eher von Führungskräften oder von Arbeitnehmern genutzt?
Rein zahlenmäßig sind es natürlich deutlich mehr Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung. Prozentual gesehen unterscheidet es sich dann aber nicht mehr. Führungskräfte kommen zum einen, wenn sie vor Herausforderungen in ihrer Rolle als Führungskraft stehen, zum anderen aber auch wenn sie private Probleme haben. Wenn ein Mitarbeiter Unterstützung sucht, weil er zum Beispiel vor einer Scheidung steht, ist es für die Beratung unwichtig, ob er im Unternehmen auch Führungsverantwortung hat oder nicht. Erfolgreiche Beratungsprozesse bei Führungskräften sind natürlich immer besonders wertvoll, da diese als Multiplikatoren wichtig sind. Sind die Führungskräfte mit dem Beratungsangebot zufrieden, wirkt sich das oft positiv auf die gesamte Annahmequote des EAP aus.
1 Alle Namen in den Beispielen sind fiktiv.