Die beklagte Arbeitgeberin handelt unter anderem mit Nähmaschinen und betreibt verschiedene Ladengeschäfte in Bremen und Umgebung. Die Klägerin ist in einer dieser Filialen geringfügig beschäftigt. Ende März 2020 erließ die Stadt Bremen eine Allgemeinverfügung aufgrund der Coronapandemie, welche die Öffnung der Handelsgeschäfte für den Publikumsverkehr unter anderem auch für den Monat April 2020 untersagte. Die Beklagte schloss ihre Filialen daher vollständig und zahlte der Klägerin keine Vergütung für April 2020. Die Klägerin bezog im Gegensatz zu den in Vollzeit Beschäftigten der Beklagten kein Kurzarbeitergeld (der Gesetzgeber sieht für geringfügig Beschäftigte keine Kurzarbeit vor). Die ausstehende Vergütung machte die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Verden geltend. Sie ist der Auffassung, die behördliche Schließung der Filiale falle unter das Betriebsrisiko der Arbeitgeberin. Auch wenn diese keine Schuld für die behördlich angeordnete Betriebsschließung trage, sei sie daher zur Lohnzahlung verpflichtet. Die Beklagte hingegen vertritt die Auffassung, sie trage nicht das Betriebsrisiko, da die aufgrund behördlicher Anordnung erfolgte Schließung des Ladengeschäfts nicht nur ihren Betrieb betroffen habe, sondern fast alle Geschäfte in Deutschland. Die durch die Corona-pandemie bedingte und angeordnete Betriebsschließung falle folglich nicht in den Risikobereich der Beklagten. Zudem werde die Klägerin gegenüber anderen Mitarbeitern, für die lediglich Kurzarbeitergeld gezahlt wurde, bessergestellt, wenn die Beklagte ihr gegenüber zur vollen Lohnzahlung verpflichtet wäre. Nachdem das Arbeitsgericht Verden der Klägerin Recht gegeben und den Vergütungsanspruch bejaht hatte, legte die Arbeitgeberin Berufung ein, sodass schließlich das LAG Niedersachsen über den Anspruch der Arbeitnehmerin zu entscheiden hatte.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts
Wie schon das Arbeitsgericht in der ersten Instanz ist auch das LAG der Auffassung, dass sich durch die behördlich angeordnete Schließung der Filiale das Betriebsrisiko zulasten der beklagten Arbeitgeberin realisiert habe. Hierzu verweisen die Richterinnen und Richter auf das Bundesarbeitsgericht. Dieses vertrete die Auffassung, dass grundsätzlich und in erster Linie den Arbeitgeber das volle Betriebsrisiko treffe, da er den Betrieb und die betriebliche Gestaltung organisiere, die Verantwortung trage und die Erträge beziehe. Ob die Betriebsstörung auf ein Versagen sachlicher oder persönlicher Mittel des Betriebs oder auf sonstigen Einwirkungen auf das Unternehmen, etwa Naturkatastrophen, extreme Witterungsverhältnisse usw, beruhe, sei nach der Rechtsprechung des BAG unerheblich.
Anders könne es zwar liegen, wenn – etwa aufgrund von Naturereignissen – auch der Arbeitnehmer am Erscheinen gehindert sei, da sich dann das von ihm zu tragende Wegerisiko realisiere. Das sei vorstehend jedoch nicht der Fall. Die vom BAG aufgestellten Grundsätze seien auch auf die Coronapandemie und die daraus resultierende behördliche Anordnung der temporären Schließung von Ladengeschäften anwendbar. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob das Risiko der Betriebsschließung in der besonderen Eigenart des jeweiligen Betriebs angelegt sei oder ob etwa die generelle Schließung sämtlicher Betriebe angeordnet werde.
Zwar habe das BAG in früheren Jahrzenten teilweise die Auffassung vertreten, dass der Arbeitnehmer das Betriebsrisiko ausnahmsweise mittragen müsse, falls die Entgeltfortzahlung die Existenz des Betriebs gefährde. Die Arbeitgeberin habe aber nicht behauptet, dass mit der Lohnzahlung an die Klägerin eine Existenzgefährdung ihres Betriebes verbunden sei.
Die während der Coronapandemie eingetretene Situation, dass behördliche Schließungen einerseits großflächig, nämlich landes- und bundesweit angeordnet und andererseits auch für längere Zeiträume aufrechterhalten worden sind, sei zwar bisher in der Rechtsprechung nicht behandelt worden. Dass eine Vielzahl von Unternehmen und damit eine Vielzahl von Arbeitgebern betroffen seien, ändere aber auf der Ebene der arbeitsvertraglichen Risikozuweisung nichts Entscheidendes. Auf ein „Vertretenmüssen“ des Arbeitgebers komme es hierbei nämlich nicht an.
Im Übrigen realisiere sich nach Darstellung des Gerichts in dem wirtschaftlichen Risiko, die Arbeitskraft der Klägerin nicht verwerten zu können, zugleich eine Konsequenz der Vertragsgestaltung durch die Beklagte. Bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen kann eine derartige Situation durch die Anordnung von Kurzarbeit unter Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung gemildert werden. Diese sozialversicherungsrechtliche Lösung sei bei geringfügig Beschäftigten infolge fehlender Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung nicht gegeben. Das Betriebsrisiko spiegele insoweit den betriebswirtschaftlichen Vorteil, den das Unternehmen durch den Einsatz von geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern erziele.
Fazit
Die Frage, ob sich bei Betriebsschließungen wegen der COVID-19-Pandemie das allgemeine Lebensrisiko der Beschäftigten oder das Betriebsrisiko der Arbeitgeber realisiert, wurde im vergangenen Jahr sowohl in der juristischen Literatur als auch in der Politik immer wieder aufgeworfen und diskutiert. Das LAG Niedersachsen hat nun diese Frage eindeutig und mit nachvollziehbaren Argumenten entschieden, und zwar zulasten der Arbeitgeber. Das Urteil des LAG ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die beklagte Arbeitgeberin hat Revision eingelegt. Das Verfahren ist inzwischen beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 5 AZR 211/21 anhängig. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht also noch aus.
Autor: Rechtsanwalt
Matthias Klagge, LL.M.
TIGGES Rechtsanwälte