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Betriebsrisiko des Arbeitgebers während der Coronapandemie?

Urteil des LAG Niedersachsen
Betriebsrisiko des Arbeitgebers während der Coronapandemie?

Betriebsrisiko des Arbeitgebers während der Coronapandemie?
Minijobber haben kein Anrecht auf Kurzarbeitergeld. Doch haben sie ein Recht auf Ausgleich durch den Arbeitgeber, wenn der Betrieb behördlich angeordnet geschlossen wird? Foto: © TOPIC – stock.adobe.com
Das Betrieb­srisiko bet­rifft die Frage, ob Arbeit­ge­ber ihren Beschäftigten die Vergü­tung auch bei Betrieb­sstörun­gen weit­er­hin zahlen müssen. Das Lan­desar­beits­gericht Nieder­sach­sen beschäftigte sich kür­zlich mit der Frage, ob eine Mini­job­berin trotz ein­er Betrieb­ss­chließung infolge der COVID-19-Pan­demie weit­er­hin Anspruch auf Arbeit­sent­gelt hat oder sie insoweit das Risiko eines Coro­na bed­ingten Lohnaus­falls trifft (LAG Nieder­sach­sen, Urteil vom 23.03.2021 – 11 Sa 1062/20).

Die beklagte Arbeit­ge­berin han­delt unter anderem mit Näh­maschi­nen und betreibt ver­schiedene Ladengeschäfte in Bre­men und Umge­bung. Die Klägerin ist in ein­er dieser Fil­ialen ger­ingfügig beschäftigt. Ende März 2020 erließ die Stadt Bre­men eine All­ge­mein­ver­fü­gung auf­grund der Coro­n­a­pan­demie, welche die Öff­nung der Han­dels­geschäfte für den Pub­likumsverkehr unter anderem auch für den Monat April 2020 unter­sagte. Die Beklagte schloss ihre Fil­ialen daher voll­ständig und zahlte der Klägerin keine Vergü­tung für April 2020. Die Klägerin bezog im Gegen­satz zu den in Vol­lzeit Beschäftigten der Beklagten kein Kurzarbeit­ergeld (der Geset­zge­ber sieht für ger­ingfügig Beschäftigte keine Kurzarbeit vor). Die ausste­hende Vergü­tung machte die Klägerin vor dem Arbeits­gericht Ver­den gel­tend. Sie ist der Auf­fas­sung, die behördliche Schließung der Fil­iale falle unter das Betrieb­srisiko der Arbeit­ge­berin. Auch wenn diese keine Schuld für die behördlich ange­ord­nete Betrieb­ss­chließung trage, sei sie daher zur Lohn­zahlung verpflichtet. Die Beklagte hinge­gen ver­tritt die Auf­fas­sung, sie trage nicht das Betrieb­srisiko, da die auf­grund behördlich­er Anord­nung erfol­gte Schließung des Ladengeschäfts nicht nur ihren Betrieb betrof­fen habe, son­dern fast alle Geschäfte in Deutsch­land. Die durch die Coro­na-pan­demie bed­ingte und ange­ord­nete Betrieb­ss­chließung falle fol­glich nicht in den Risikobere­ich der Beklagten. Zudem werde die Klägerin gegenüber anderen Mitar­beit­ern, für die lediglich Kurzarbeit­ergeld gezahlt wurde, bessergestellt, wenn die Beklagte ihr gegenüber zur vollen Lohn­zahlung verpflichtet wäre. Nach­dem das Arbeits­gericht Ver­den der Klägerin Recht gegeben und den Vergü­tungsanspruch bejaht hat­te, legte die Arbeit­ge­berin Beru­fung ein, sodass schließlich das LAG Nieder­sach­sen über den Anspruch der Arbeit­nehmerin zu entschei­den hatte.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Wie schon das Arbeits­gericht in der ersten Instanz ist auch das LAG der Auf­fas­sung, dass sich durch die behördlich ange­ord­nete Schließung der Fil­iale das Betrieb­srisiko zulas­ten der beklagten Arbeit­ge­berin real­isiert habe. Hierzu ver­weisen die Rich­terin­nen und Richter auf das Bun­de­sar­beits­gericht. Dieses vertrete die Auf­fas­sung, dass grund­sät­zlich und in erster Lin­ie den Arbeit­ge­ber das volle Betrieb­srisiko tre­ffe, da er den Betrieb und die betriebliche Gestal­tung organ­isiere, die Ver­ant­wor­tung trage und die Erträge beziehe. Ob die Betrieb­sstörung auf ein Ver­sagen sach­lich­er oder per­sön­lich­er Mit­tel des Betriebs oder auf son­sti­gen Ein­wirkun­gen auf das Unternehmen, etwa Naturkatas­tro­phen, extreme Wit­terungsver­hält­nisse usw, beruhe, sei nach der Recht­sprechung des BAG unerheblich.

Anders könne es zwar liegen, wenn – etwa auf­grund von Natur­ereignis­sen – auch der Arbeit­nehmer am Erscheinen gehin­dert sei, da sich dann das von ihm zu tra­gende Wegerisiko real­isiere. Das sei vorste­hend jedoch nicht der Fall. Die vom BAG aufgestell­ten Grund­sätze seien auch auf die Coro­n­a­pan­demie und die daraus resul­tierende behördliche Anord­nung der tem­porären Schließung von Ladengeschäften anwend­bar. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob das Risiko der Betrieb­ss­chließung in der beson­deren Eige­nart des jew­eili­gen Betriebs angelegt sei oder ob etwa die generelle Schließung sämtlich­er Betriebe ange­ord­net werde.

Zwar habe das BAG in früheren Jahrzen­ten teil­weise die Auf­fas­sung vertreten, dass der Arbeit­nehmer das Betrieb­srisiko aus­nahm­sweise mit­tra­gen müsse, falls die Ent­gelt­fortzahlung die Exis­tenz des Betriebs gefährde. Die Arbeit­ge­berin habe aber nicht behauptet, dass mit der Lohn­zahlung an die Klägerin eine Exis­ten­zge­fährdung ihres Betriebes ver­bun­den sei.

Die während der Coro­n­a­pan­demie einge­tretene Sit­u­a­tion, dass behördliche Schließun­gen ein­er­seits großflächig, näm­lich lan­des- und bun­desweit ange­ord­net und ander­er­seits auch für län­gere Zeiträume aufrechter­hal­ten wor­den sind, sei zwar bish­er in der Recht­sprechung nicht behan­delt wor­den. Dass eine Vielzahl von Unternehmen und damit eine Vielzahl von Arbeit­ge­bern betrof­fen seien, ändere aber auf der Ebene der arbeitsver­traglichen Risikozuweisung nichts Entschei­den­des. Auf ein „Vertreten­müssen“ des Arbeit­ge­bers komme es hier­bei näm­lich nicht an.

Im Übri­gen real­isiere sich nach Darstel­lung des Gerichts in dem wirtschaftlichen Risiko, die Arbeit­skraft der Klägerin nicht ver­w­erten zu kön­nen, zugle­ich eine Kon­se­quenz der Ver­trags­gestal­tung durch die Beklagte. Bei sozialver­sicherungspflichti­gen Arbeitsver­hält­nis­sen kann eine der­ar­tige Sit­u­a­tion durch die Anord­nung von Kurzarbeit unter Inanspruch­nahme von Leis­tun­gen der geset­zlichen Arbeit­slosen­ver­sicherung gemildert wer­den. Diese sozialver­sicherungsrechtliche Lösung sei bei ger­ingfügig Beschäftigten infolge fehlen­der Beitragspflicht in der Arbeit­slosen­ver­sicherung nicht gegeben. Das Betrieb­srisiko spiegele insoweit den betrieb­swirtschaftlichen Vorteil, den das Unternehmen durch den Ein­satz von ger­ingfügig beschäftigten Arbeit­nehmern erziele.

Fazit

Die Frage, ob sich bei Betrieb­ss­chließun­gen wegen der COVID-19-Pan­demie das all­ge­meine Leben­srisiko der Beschäftigten oder das Betrieb­srisiko der Arbeit­ge­ber real­isiert, wurde im ver­gan­genen Jahr sowohl in der juris­tis­chen Lit­er­atur als auch in der Poli­tik immer wieder aufge­wor­fen und disku­tiert. Das LAG Nieder­sach­sen hat nun diese Frage ein­deutig und mit nachvol­lziehbaren Argu­menten entsch­ieden, und zwar zulas­ten der Arbeit­ge­ber. Das Urteil des LAG ist allerd­ings noch nicht recht­skräftig. Die beklagte Arbeit­ge­berin hat Revi­sion ein­gelegt. Das Ver­fahren ist inzwis­chen beim Bun­de­sar­beits­gericht unter dem Akten­ze­ichen 5 AZR 211/21 anhängig. Eine höch­strichter­liche Entschei­dung ste­ht also noch aus.


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Foto: pri­vat

Autor: Recht­san­walt
Matthias Klagge, LL.M.

TIGGES Recht­san­wälte

 

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