Wenn man die Sicherheitskultur eines Unternehmens dauerhaft verbessern möchte, geht es darum, Arbeitsschutz als selbstverständlichen Teil der täglichen Arbeit zu etablieren. Es muss zum Beispiel normal sein, dass über Risiken gesprochen wird und Gefahrstellen gemeldet und behoben werden. Was aber tun, wenn keiner über Risiken spricht, diese eventuell sogar klein geredet oder ignoriert werden und Mitarbeiter keine Gefahrstellen melden?
Wie regt man dazu an, über Risiken im Arbeitsalltag zu sprechen?
Es hilft nur bedingt, wenn die Arbeitssicherheitsabteilung Prämien dafür auslobt. Vielmehr gehört es zur Aufgabe der Führungskräfte. Sie gestalten das Miteinander in ihrer Abteilung.
Daraus ergeben sich folgende Fragen:
- Wissen Führungskräfte, wie sie Veränderung in dieser Hinsicht einleiten sollen?
- Haben sie eine Idee, welche Stellschraube sie drehen müssen, damit Mitarbeiter Gefahrstellen melden?
Wahrscheinlich haben sich die wenigsten darüber Gedanken gemacht und denken eher „‚um was soll ich mich denn noch alles kümmern“. Verständlich, sie haben sehr viel zu tun – und gleichzeitig ist es gar nicht so schwer. Es braucht weder neue Tools, Technik oder teure Trainingskonzepte.
Bei der Sicherheitskultur geht es um Vertrauen
Vertrauen, das vorhanden sein muss, damit Mitarbeiter Missstände ansprechen oder Bedenken äußern können, dass sie darauf vertrauen können, dass ihre Stimme gehört wird und es sich lohnt, sich einzubringen. Ein Gedanke, den viele Mitarbeiter teilen: „Wenn ich meine Meinung deutlich mache, mache ich mich gleichzeitig angreifbar.“ Kann ich meinem Chef, meinem Team vertrauen, dass ich das darf? Und würde mein Kollege mich erinnern/stoppen, wenn ich eine wichtige Sicherheitsregel übersehe? Kann ich ihm vertrauen, dass er es tut und kann er gleichzeitig darauf vertrauen, dass ich ihm dafür dankbar bin und nicht böse wegen der Kritik? In einer Kultur des Vertrauens beteiligen sich Mitarbeiter, man geht fürsorglich miteinander um und es gibt Raum für Ideen und daher Fortschritt.
Eine Kultur der unausgesprochenen Angst verhindert vorausschauendes Verhalten
Beim Gegenteil, einer Kultur der Angst, wird sich kein Mitarbeiter trauen, Missstände zu melden, Dinge werden eher ignoriert und im Zweifel sogar Fehler oder Unfälle vertuscht. Man muss Angst haben vor Disziplinarmaßnahmen, wenn man etwas falsch gemacht hat, erhält eher befehlsartige Aufträge und wird im Extremfall sogar angeschrien, wenn etwas nicht so läuft wie gedacht. In einem solchen Arbeitsumfeld herrscht viel Anspannung, es passieren Fehler und auch mehr Arbeitsunfälle als in einem vertrauensvollen Umfeld. Dies ist in wissenschaftlichen Studien bestätigt.
Führungskräfte müssen das EHS Management unterstützen
Mit dieser Sichtweise wird klar, dass es ein noch so gutes EHS Management geben kann, die Hauptverantwortung liegt, wie immer betont wird, bei der Führungskraft. Allerdings nicht nur in dem Sinne, dass diese für die Einhaltung der Regeln, die Durchführung von Unterweisungen und Gefährdungsbeurteilungen sorgen muss, sondern viel weitgehender über die Art und Weise des Umgangs miteinander, die Beziehungen. Setzen wir einen Verbesserungsvorschlag um, weil wir es müssen, oder weil wir uns um unsere Mitarbeiter sorgen? Die Mitarbeiter merken es.
Geduld und Vertrauen stärken die Arbeitssicherheit
Und was kann man nun tun, um das Vertrauen aufzubauen, das die Grundlage für eine bessere Sicherheitskultur bildet? Es braucht Geduld und ein gutes, authentisches Gespräch nach dem anderen, mit jedem Mitarbeiter. Es lohnt sich einmal zu hinterfragen, welche Werte in der Firma tatsächlich zählen. Wird der Spruch „Sicherheit ist unsere oberste Priorität“ ernsthaft gelebt, oder ist es in Wirklichkeit eher eine Platitüde und es geht mehr darum, Produkte möglichst schnell fertigzustellen? Und wie würden die Mitarbeiter diese Frage beantworten? Glauben sie das, oder rollen sie eher mit den Augen, wenn sie es hören?
Eine andere Stellschraube zum Vertrauen ist die Sprache, die man im Umgang mit den Mitarbeitern verwendet. Reden wir als Erwachsene auf Augenhöhe oder erteilt die Führungskraft Befehle an untergeordnete Personen? Auch Fragen zu stellen, neugierig zu sein und Raum für Fragen der Mitarbeiter zu schaffen hilft, Vertrauen aufzubauen. Damit hat jeder das Gefühl, wichtig zu sein und dazuzugehören. Auch Storytelling ist eine Möglichkeit, Vertrauen aufzubauen. Dabei geht es um Storytelling in eigener Sache. Je besser wir den anderen kennen und verstehen, desto besser können wir miteinander klarkommen. Mehr über die Kollegen zu wissen, schafft mehr Vertrauen und eine Kultur, in der wir uns umeinander kümmern und sorgen. Je besser man versteht, warum jemand sich „komisch“ verhält, desto besser kann man das akzeptieren. In der Arbeit passen wir uns an die Gepflogenheiten und die Kultur der Firma an und tragen quasi Masken. Diese Masken abzulegen und authentisch zu sein, schafft Vertrauen und macht es auch für andere leichter, dies ebenfalls zu tun. Wenn sie damit anfängt, erzeugt die Führungskraft eine Atmosphäre von Sicherheit und Vertrauen. Damit wird es auch leichter, Erfahrungen oder Geschichten über Arbeitssicherheit zu teilen, die dann einfach weitererzählt werden und allen zugutekommen.
Buchtipp zur Sicherheitskultur
All das ist sehr schön im Buch „Next Generation Safety Leadership – from compliance to care“ von Clive Lloyd beschrieben. Das Buch ist leider nur auf Englisch verfügbar, aber definitiv lesenswert mit logischen Zusammenhängen, einleuchtenden Geschichten und guten praktischen Tipps. Clive Lloyd ist Arbeitspsychologe aus Australien und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Arbeitssicherheit. Er wendet sich in seinem Buch an Führungskräfte, denn „it starts at ‚the top‘ or it doesn’t start at all!“ (Veränderung beginnt ganz oben oder gar nicht).
Auch für mich war dieses Buch sehr inspirierend zu lesen. Die Klarheit, mit der Lloyd die Bedeutung von Vertrauen beschreibt, ist brilliant. Er unterstreicht auch meinen Ansatz, dass Arbeitsschutz nicht kompliziert und aufwendig sein muss und liefert gleichzeitig eine Lösung, bei der bereits kleine Schritte für große Wirkung sorgen können. Außerdem unterstreicht auch er, dass Storytelling einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitskultur leisten kann. Stimmt. Danke für dieses geniale Werk. Ich hoffe, dass in möglichst vielen Unternehmen möglichst viel Vertrauen entsteht, denn das hilft natürlich nicht nur Arbeitsunfälle zu vermeiden.