Der Begriff Lärm wird in der betrieblichen Praxis oft nur mit gehörschädigendem Lärm verknüpft. Die in Deutschland gültige Definition aus dem ILO (International Labour Organization) Übereinkommen 148 besagt jedoch, dass Lärm jeder Schall ist, der zu einer Beeinträchtigung des Hörvermögens führen oder gesundheitsschädlich oder anderweitig gefährlich sein kann.
Im § 15 der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) vor ihrer Novellierung 2004 war diese Definition mit Werten sowohl für gehörschädigenden als auch nicht gehörschädigenden Lärm umgesetzt. Während zum Schutz vor gehörschädigendem Lärm durch die Lärm-Vibrations-Arbeitsschutzverordnung mit den zugehörigen TRLV Lärm seit 2007 wieder Regelungen für die Praxis bestehen, galt für den nicht gehörschädigenden extra-aural wirkenden Lärm weiterhin nur der Anhang 3.7 der ArbStättV: „In Arbeitsstätten ist der Schalldruckpegel so niedrig zu halten, wie es nach der Art des Betriebes möglich ist. Der Schalldruckpegel am Arbeitsplatz in Arbeitsräumen ist in Abhängigkeit von der Nutzung und den zu verrichtenden Tätigkeiten so weit zu reduzieren, dass keine Beeinträchtigungen der Gesundheit der Beschäftigten entstehen.“
Um für die Praxis wieder Werte und Vorgaben zur Konkretisierung dieser Forderungen zu geben, wurde die ASR A3.7 „Lärm“ im Ausschuss für Arbeitsstätten (ASTA) erarbeitet und im Mai 2018 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt gemacht.
Beim Begriff Lärm muss die ASR A3.7 „Lärm“ zum schon bestehenden Regelwerk formal abgegrenzt werden. Definiert werden in der ASR extra-aurale Lärmwirkungen als physiologische, psychische und soziale Wirkungen von Schall auf den Menschen, mit Ausnahme der Wirkungen, die das Hörorgan betreffen. Erforderlich ist auch eine Abgrenzung des Gültigkeitsbereichs hinsichtlich der Frequenzen und des äquivalenten Dauerschallpegels des Lärms. Abbildung 1 zeigt den Gültigkeitsbereich der ASR Lärm in grün. Sie ist nicht gültig für den Hörschallbereich mit Frequenzen zwischen 16 Hz und 16 kHz ab einem bewerteten äquivalenten Dauerschallpegel von 80 dB(A). Sie ist aber gültig für Infraschall unterhalb und Ultraschall oberhalb des Hörschallbereichs. Für Frequenzbereiche aus dem Infraschall enthält die ASR erste Reglungen. Für Ultraschall liegen noch keine belastbaren arbeitsmedizinischen Erkenntnisse über die gesundheitlichen Auswirkungen vor.
Davon ausgehend, dass der Inhalt der ASR A3.7 Lärm bekannt ist (Download siehe Kasten Linktipp) soll in diesem Artikel auf einige Aspekte eingegangen werden, die bei der Entwicklung der ASR berücksichtigt wurden, um deren Handhabung in der Praxis zu unterstützen.
Extra-aurale Lärmwirkungen
Die nicht gehörwirksamen Schädigungen durch Lärm betreffen überwiegend die Psyche, können dann indirekt aber auch den Körper beeinflussen. Diese Einflüsse sind oft nur im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen zu ermitteln beziehungsweise zu berücksichtigen.
Die ASR A3.7 Lärm enthält deshalb als erste Technische Regel für Arbeitsstätten ein Kapitel zu psychischen Belastungen, den Punkt 4 „Extraaurale und reversible aurale Lärmwirkungen“, ergänzt durch einen längeren Anhang. Es werden die Grundzüge der extra-auralen Wirkung von Lärm vereinfacht dargestellt. Die Kenntnis über die Wirkmechanismen ist im Prozess der Gefährdungsbeurteilung für den Unternehmer und andere eingebundene Personen wichtig. Nur so können Lösungen gefunden werden, mit denen die Regelungen in der ASR eins zu eins umgesetzt werden können und der Unternehmer die Vermutungswirkung in Anspruch nehmen kann.
Für die staatlichen Aufsichtsbehörden wird somit unwiderlegbar die Umsetzung der Schutzziele der ArbStättV nachgewiesen.
Werte für Arbeitsstätten und Tätigkeiten
Ein intensiv diskutiertes Thema war, welche Werte die ASR A3.7 Lärm enthalten soll. Allgemein anerkannt ist, dass mit einem einzelnen Wert nicht alle komplexen Wirkungen von extra-aural wirkendem Lärm erfasst werden können, da es keine Dosis-Wirkung-Beziehung gibt. Für die Betriebe ist es jedoch wichtig, mit relativ leicht zu ermittelnden Werten und darauf basierenden Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten. Unternehmer, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Arbeitnehmervertreter sind nicht ausgewiesene Experten auf diesem Gebiet, trotzdem sollen sie mit der ASR im betrieblichen Rahmen einfach und schnell und mit Akzeptanz aller Seiten das Problem Lärm lösen können.
Die ASR enthält im Punkt 5 Werte für Schalldruckpegel, Nachhallzeiten und Schallabsorptionsgrade als generelle Anforderungen an Arbeitsstätten. Für bestimmte Arbeitsplätze und Tätigkeiten werden zusätzlich die maximal zulässigen Schalldruckpegel als Beurteilungspegel festgelegt. Diese sind an die Anforderungen durch die Tätigkeiten angepasst. Ausschlaggebend für die Zuordnung einer Tätigkeit in eine von drei Tätigkeitskategorien ist das Maß der für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe erforderlichen Konzentration oder Sprachverständlichkeit. Detaillierte Informationen zu den Tätigkeitskategorien enthält der Punkt 3.16 der Begriffsbestimmungen, deshalb hier nur ein kurzer Überblick:
- Für die Tätigkeitskategorie I, in der für die Erbringung der Arbeitsleistung hohe Konzentration oder hohe Sprachverständlichkeit erforderlich ist, beträgt der Beurteilungspegel 55 dB(A). Darunter fallen u.a. Tätigkeiten mit schöpferischem und geistigem Denken, ärztliche Tätigkeiten, Wissensvermittlung im Bildungsbereich, Softwareoptimierung und auch Teachen von Robotern in verketteten Roboter-Linien.
- Für die Tätigkeitskategorie II ist ein Beurteilungspegel bis 70 dB(A) zulässig und sie gilt, wenn eine mittlere Konzentration oder mittlere Sprachverständlichkeit erforderlich ist. Die Tätigkeiten enthalten üblicherweise Routineanteile, insbesondere bei allgemeinen Büro- oder vergleichbaren Tätigkeiten in Produktion und Prozessüberwachung. Auch Labor- und Verkaufstätigkeiten sind in dieser Kategorie einzustufen.
- Tätigkeiten mit überwiegend vorgegebenen Arbeitsabläufen mit hohen Routineanteilen sowie geringeren Anforderungen an die Sprachverständlichkeit bilden die Tätigkeitskategorie III. Der Beurteilungspegel darf über 70 dB(A) liegen. Hierunterfallen viele Bedienungstätigkeiten an Maschinen, einfache Montage- und Handwerkerarbeiten, aber auch Reinigungstätigkeiten und Lagerarbeiten, um einige Beispiele zu geben.
Fachkundigen fällt auf, dass die Werte in dB(A) denen des ehemaligen § 15 der alten ArbStättV entsprechen. Dort wurde aber von einem äquivalenten Dauerschallpegel ausgegangen, während der nun gültige Beurteilungspegel Abzüge bis sechs dB(A) vorsieht. Dadurch wird berücksichtigt, dass die extra-auralen Wirkungen von Lärm auch von der Qualität der Störung abhängen, wenn zum Beispiel der Lärm Sprache oder Töne enthält.
Neu ist, dass es bei Tätigkeiten mit überwiegend sprachabhängigen kognitiven Aufgabenstellungen keinen Grenzwert gibt. Hier soll am Arbeitsplatz keine Belastung durch Hintergrundsprache bestehen. Sie gegebenenfalls durch künstliches Hintergrundrauschen zu überdecken (maskieren) ist nicht erwünscht. Konkret bedeutet dies, dass zum Beispiel für Tätigkeiten wie das Verfassen und Redigieren von Texten oder die Beratung zu komplexen Produkten und Dienstleistungen im Callcenter zu überprüfen ist, ob nicht der Arbeitsplatz in einem Einzelbüro einzurichten ist.
Als raumakustische Anforderungen werden für bestimmte Arbeitsplatztypen, zum Beispiel verschiedene Arten von Büroräumen, einzuhaltende Nachhallzeiten gefordert. Sie liegen zwischen 0,5 s bei Räumen für kommunikationsbasierte Dienstleistungen (Callcenter) und 0,8 s bei Ein- und Zweipersonenbüros.
Auch für Räume in Bildungsstätten werden Nachhallzeiten gefordert. Aspekte der Barrierefreiheit und der Inklusionsgedanke sind in der vorliegenden Fassung noch nicht umgesetzt, bedingt durch die Arbeitsweise im Ausschuss für Arbeitsstätten. Aspekte der Barrierefreiheit werden immer erst im Nachgang durch eine spezielle Arbeitsgruppe hinzugefügt.
Sollte in weiteren Arbeitsräumen Sprachkommunikation erforderlich sein, ist der Raum akustisch so zu gestalten, dass ein mittlerer Schallabsorptionsgrad α von mindestens α = 0,3 erreicht wird, auch in der Produktion. Dabei stellt die ASR A3.7 „Lärm“ strengere Anforderungen als die TRLV Lärm, da der mittlere Schallabsorptionsgrad für einen niedrigeren Frequenzbereich zu ermitteln ist. Hierdurch wird der extra-aural stärker wirkende Einfluss tiefer Frequenzen berücksichtigt.
Planung von Arbeitsstätten
Ganz eindeutig führt die ASR 3.7 aus, dass zur Planung von Arbeitsstätten fachkundige Experten hinzuzuziehen sind. Da auch die wesentliche Umgestaltung einer Arbeitsstätte praktisch einer Neuplanung entspricht – Bestandsschutzregelungen gelten somit nicht mehr –, sollten Fachkräfte für Arbeitssicherheit frühzeitig auf die Einbindung von Raumakustikern usw. drängen. Vorab geplante Bau- und Raumakustik ist in der
Regel um ein Vielfaches kostengünstiger als das Nachbessern fertiggestellter Arbeitsstätten.
Extra-auraler Lärm in bestehenden Arbeitsstätten
Von den sechs Ermittlungs- und Beurteilungsverfahren in der ASR A3.7 sind die folgenden für die Anwendung durch Fachkundige im Betrieb konzipiert:
- Für die erste betriebliche Beurteilung, ob extra-aural wirkender Lärm ein Problem ist, dient das vereinfachte Verfahren durch lärmbezogene Arbeitsplatzbegehung (Punkt 7.1). Zwei Mitarbeiter des Betriebs führen es durch. Die ASR enthält eine Reihe von Fragestellungen und ein Ablaufschema, das dazu anregt, möglichst mit diesem Verfahren die Probleme mit extra-aural wirkendem Lärm zu lösen. Hintergrund ist der Gedanke, dass die psychischen Wirkungen, wie sie durch Lärm verursacht sein können, auch andere betriebliche Ursachen haben können. Dies sollte bedacht werden, bevor umfangreiche Messungen gestartet werden.
- Vergleichbar einfach konzipiert ist die Ermittlung der raumakustischen Kennwerte durch Abschätzung (Punkt 7.2 in Verbindung mit Anhang 2). Zur Ermittlung des mittleren Schallabsorptionsgrads gibt es zwei Tabellen und eine Formel. Hieraus lässt sich mit einer weiteren Tabelle und Formel leicht die Nachhallzeit für einen unbesetzten Raum ermitteln.
- Die orientierende Messung des äquivalenten Schalldruckpegels (Punkt 7.4) ist ein verkürztes und vereinfachtes Verfahren, das auf den Grundzügen des in der DIN 45645–2:2012–09 genormten Mess- und Beurteilungsverfahrens zur Ermittlung des Beurteilungspegels am Arbeitsplatz basiert. Wenn hiermit bei Tätigkeiten der Tätigkeitskategorie I festgestellt wird, dass der A‑bewertete äquivalente Dauerschallpegel während der Tätigkeit weniger als 46 dB(A) beträgt, beziehungsweise bei Tätigkeiten der Tätigkeitskategorie II weniger als 61 dB(A), sind keine weiteren Ermittlungen oder Maßnahmen erforderlich.
Maßnahmen
Schon die Ermittlung, ob Gefährdungen durch extra-auralen Lärm vorliegen und ob die vorgegebenen Werte eingehalten werden, ist nicht einfach. Umso schwieriger ist die Wahl der richtigen Maßnahmen zum Lärmschutz und zur Minimierung der extra-auralen Belastungen. Im Einzelfall können die auszuwählenden Maßnahmen sehr komplex sein. In vielen Fällen wird die Zuhilfenahme betriebsexterner fachkundiger Expertise erforderlich sein, zu der die ASR ebenso wie zu erzielbaren Lärmminderungen keine Aussagen trifft. Sie zeigt nur mögliche Lärmquellen auf und bietet entsprechend des TOP-Prinzips Vorschläge für technische, für organisatorische und auch verhaltenspräventive Maßnahmen an. Der Grundgedanke ist auch hier, dass möglichst schnell praktikable Lösungen gefunden werden sollen, die die Betroffenen als sinnvoll erachten.
Wenn Gebäude bauordnungsrechtliche Anforderungen an den Schallschutz erfüllt haben und solange keine wesentlichen Änderungen vorgenommen werden, gilt ein Bestandsschutz. Die Gültigkeit der Bestandsschutzregelung ist zu hinterfragen, wenn das Gebäude für neue Produktionsverfahren und Arbeitsplatzgestaltungen umgebaut wird. Dann sind Maßnahmen wie bei einer Neuplanung erforderlich.
Als persönliche und verhaltenspräventive Maßnahme empfiehlt die ASR nur, tätigkeitsfremde Geräuschquellen – zum Beispiel ein im Hintergrund laufendes Radio – zu vermeiden. Eine Verpflichtung, dass persönliche Schutzmaßnahmen zur Vermeidung extra-auraler Lärmwirkungen anzuwenden seien, lässt sich aus der ASR A3.7 nicht ableiten.
Zusammenfassung
Die ASR A3.7 „Lärm“ stellt Grundanforderungen, um extra-aurale Wirkungen durch Lärm zu vermeiden. Mehrere Beurteilungsverfahren mit Hilfestellungen werden vorgeschlagen, aus denen Betriebe entsprechend ihrer Randbedingungen wählen können. Zur Minimierung extra-aural wirkenden Lärms sind nur generelle Hinweise enthalten, da die Detailplanung Fachverstand erfordert. Trotz Bestandschutzregelungen ist immer zu hinterfragen, ob eine Arbeitsstätte durch Umgestaltungen nicht als neu anzusehen ist und damit die Anforderungen der ASR als Planungsgrundlage zu berücksichtigen sind.
Autor:
Dr.-Ing. Harald Wilhelm
BG BAU – Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft,
Referat AMS/
Arbeitsschutzorganisation
Linktipp
- Download der ASR A3.7 Lärm:
www.baua.de Angebote Rechtstexte und Technische Regeln Technischer Arbeitsschutz (inkl. Technische Regeln)
Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR)
Bevor umfangreiche Messungen beginnen sollte bedacht werden, dass psychische Wirkungen, wie sie durch Lärm verursacht sein können, auch andere betriebliche Ursachen haben können.