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Ein epileptischer Anfall am Arbeitsplatz, was nun?

Risiken am Arbeitsplatz beurteilen und Schutzmaßnahmen anpassen
Ein epileptischer Anfall am Arbeitsplatz, was nun?

Ein epileptischer Anfall am Arbeitsplatz, was nun?
© Elnur - stock.adobe.com
Dr. Friedhelm Kring
Es kann jeden Tag und in jedem Betrieb passieren. Ein Mitar­beit­er bricht plöt­zlich ohne erkennbaren Anlass zusam­men und stürzt an seinem Arbeit­splatz zu Boden. Der Schreck ist groß und schnell wird der Notarzt alarmiert. Ein Kreis­laufkol­laps, eine Ohn­macht, ein Herz­in­farkt? Dem Kol­le­gen geht es zwar schnell wieder bess­er, doch die Diag­nose lautet: epilep­tis­ch­er Anfall am Arbeitsplatz. 

Epilepsie aus Sicht der Arbeitssicherheit

Dass ein erster epilep­tis­ch­er Anfall am Arbeit­splatz sowohl beim Betrof­fe­nen wie in seinem Umfeld für Verun­sicherung und Äng­ste sorgt, ist ver­ständlich. Doch Panik ist unange­bracht, wie ein nüchtern­er Blick in die Zahlen zeigt:

  • Etwa ein­er von 20 Men­schen erlebt im Lauf seines Lebens min­destens einen epilep­tis­chen Anfall.
  • Nur bei etwa einem von 100 Men­schen treten Anfälle ohne ersichtlichen Aus­lös­er mehrfach auf und erst dann spricht man von Epilep­sie als Erkrankung.
  • Meist kön­nen Medika­mente weit­ere Anfälle ver­hin­dern, nur bei etwa drei von zehn Erkrank­ten greift die Ther­a­pie nicht.

Auf den Betrof­fe­nen eines Erstan­falls kom­men zunächst neu­rol­o­gis­che Unter­suchun­gen inklu­sive Elek­troen­zephalo­grafie (EEG) zu. Mögliche Ursachen und Anfall­saus­lös­er sind möglichst rasch zu klären. Eine Ther­a­pie mit Antiepilep­ti­ka begin­nt i. d. R. erst, wenn tat­säch­lich weit­ere Anfälle folgen.

Gefährdungen individuell beurteilen

Auch der betriebliche Arbeitss­chutz muss zeit­nah reagieren. Denn durch Stürzen, Bewusst­seinsver­lust oder eine unangemessene Hand­lung kann der Kol­lege sich oder andere gefährden. Somit müssen Risiken am Arbeit­splatz neu beurteilt und Schutz­maß­nah­men angepasst wer­den. Die entschei­dende Frage ist, welche Tätigkeit­en der­jenige weit­er – gegebe­nen­falls mit neuen Sicher­heitsvorkehrun­gen – ausüben darf.

Hier ist ins­beson­dere der Betrieb­sarzt gefragt, auf Basis des neu­rol­o­gis­chen Befunds sowie ein­er Arbeit­splatzbege­hung gemein­sam mit der Fachkraft für Arbeitssicher­heit und dem Betrof­fe­nen die konkreten anfalls­be­d­ingten Gefährdun­gen zu analysieren. Zu kri­tis­chen Tätigkeit­en gehören zum Beispiel solche mit Absturzge­fahr, das Führen von Maschi­nen und Fahrzeu­gen, das Anheben von Per­so­n­en in der Pflege oder das Betreuen von Kleinkindern.

Unter­stützung beim Beurteilen beru­flich­er Risiken bei Epilep­sie find­en Sicher­heitsver­ant­wortliche in der DGUV Infor­ma­tion 250–001. Sie erläutert das Vorge­hen von der tätigkeits­be­zo­ge­nen Gefährdung­sein­schätzung nach einem ersten Anfall bis zu den länger­fristig rel­e­van­ten arbeitsmedi­zinis­chen Kri­te­rien und unter­schiedlichen Gefährdungskat­e­gorien für bes­timmte Tätigkeit­en und Berufsgruppen.

Gle­ich­wohl kann eine solche Broschüre nur eine Ori­en­tierung vorgeben, let­ztlich kommt es stets auf den Einzelfall, das heißt die indi­vidu­elle Per­son und ihre Arbeit­splatzsi­t­u­a­tion vor Ort an.

Weiterarbeit ist meist möglich

Ober­stes Ziel sollte stets sein, den betrof­fe­nen Mitar­beit­er nicht leicht­fer­tig in die Frührente zu schick­en. Denn die Diag­nose Epilep­sie bedeutet keineswegs automa­tisch, dass jemand arbeit­sun­fähig wäre, ganz im Gegen­teil. In vie­len Fällen kann der Betrieb auf bewährte Schutzprinzip­i­en zurück­greifen, um epilep­siekranken Beschäftigten das Weit­er­ar­beit­en zu ermöglichen.

Das kön­nen tech­nis­che Maß­nah­men sein wie Lichtschranken und Abdeck­hauben an Maschi­nen mit gefahrbrin­gen­den Bewe­gun­gen, ein Sturzsen­sor bei Alleinar­beit oder eine Hebe­hil­fe in einem Pflege­beruf. Organ­isatorisch kann geregelt wer­den, den­jeni­gen zeitlich befris­tet an einem weniger gefährlichen Arbeit­splatz einzuset­zen oder dass bei bes­timmten Einze­lauf­gaben mit erhöhtem Risiko eine Kol­le­gin oder ein Kol­lege übern­immt. Fast in jedem Beruf und jed­er Branche lassen sich bei sorgsamer Betra­ch­tung viele Tätigkeit­en beschreiben, für die selb­st eine ther­a­piere­sistente Epilep­sieerkrankung kein zwin­gen­der Hin­derungs­grund ist.

Dauer der Anfallsfreiheit ist entscheidend

Ganz wichtig ist zudem, die Gefährdungs­beurteilung nicht sta­tisch zu sehen, son­dern sie anhand der konkreten Sit­u­a­tion nachzu­justieren. Denn zen­trale Kri­te­rien sind die Häu­figkeit der Anfälle und die Zeit­dauer ohne neue Anfälle. Ist der Mitar­beit­er ein Jahr anfalls­frei, kön­nen meist viele Ein­schränkun­gen wieder aufge­hoben wer­den, der­jenige darf zum Beispiel wieder Pkw fahren. Deut­lich strenger sind die Empfehlun­gen bei Tätigkeit­en mit sehr hohen Risiken. So dür­fen zum Beispiel Gerüst­bauer und Tax­i­fahrer erst nach fünf Jahren Anfalls­frei­heit ohne Medika­tion wieder voll im Beruf stehen.

Epileptischer Anfall am Arbeitsplatz

In Deutsch­land leben etwa 600.000 epilep­siekranke Men­schen, davon ist die Hälfte im arbeits­fähi­gen Alter. Ein neues Prax­is­hand­buch geht das The­ma aus den Per­spek­tiv­en Neu­rolo­gie, Arbeitsmedi­zin und Arbeitssicher­heit an und richtet sich an Sicher­heitsin­ge­nieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicher­heit sowie Fach- und Betrieb­särzte. Es greift die Kri­te­rien der DGUV Infor­ma­tion 250–001 auf, ist aber deut­lich prax­is­be­zo­gen­er. Denn für aus­gewählte beru­fliche Tätigkeit­en zeigt das Buch eine epilep­siespez­i­fis­che Risiko­ma­trix und nen­nt konkrete Vorschläge zum Arbeitsschutz.

Darüber hin­aus befassen sich die Autoren mit medi­zinis­chen und rechtlichen Aspek­ten, die durch die DGUV Infor­ma­tion nicht abge­bildet wer­den. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, inwiefern Arbeit­nehmer oder Bewer­ber verpflichtet sind, dem Arbeit­ge­ber eine Epilep­sie zu melden, aber auch um Reha­bil­i­ta­tion, Leis­tun­gen der Arbeit­sagen­tur, Mobil­ität­shil­fen und andere Unter­stützungsmöglichkeit­en für Betroffene.


Erste Hilfe-Maßnahmen bei epileptischen Unfällen

Ers­thelfer soll­ten den Betroffenen

  • nicht fes­thal­ten und nichts zwis­chen die Zähne schieben
  • vor Ver­let­zun­gen schützen (Kop­fun­ter­lage!)
  • in die sta­bile Seit­en­lage bringen
  • nicht alleine lassen, bis dieser wieder voll ori­en­tierungs­fähig ist

Wann ist ein epilep­tis­ch­er Anfall ein Notfall?

  • wenn der Anfall länger als drei Minuten dauert
  • wenn es zu ein­er Anfallsserie kommt
  • wenn es erst­ma­lig zu einem Anfall kommt
  • wenn sich der Betrof­fene schw­er­er ver­let­zt hat

Portrait_Friedhelm_Kring_CMYK.jpg
Dr. Fried­helm Kring; Foto: pri­vat        

Autor:
Dr. Fried­helm Kring

 

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