Die Grundausbildung der motorisierten Verkehrsteilnehmer geschieht in der Fahrschule. Wie viel die Schülerinnen und Schüler aus dem Pflichtprogramm mitnehmen und wie sicher sie sich anschließend im Straßenverkehr bewegen, hängt von vielen Faktoren ab: von der Persönlichkeit und Reife des Fahranfängers, von den Fähigkeiten des Fahrlehrers, von möglichen Vorerfahrungen. Fest steht: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. „Es gibt beide Extreme: Manche fahren viel zu schnell, andere lassen vor lauter Angst das Steuer los“, erzählt Sina Ronke, Fahrlehrerin aus der Fahrschule Caesar in Mannheim. Ihr Tipp: Üben, so oft es geht – gerne auch auf dem Verkehrsübungsplatz.
Mit der Übung kommt die Sicherheit – dies gilt nicht nur für den Führerscheinerwerb, sondern auch in der ersten Zeit danach. Die Fahrschule kann nicht auf alles vorbereiten, aus Unerfahrenheit oder auch aus Übermut wird es für die Fahranfänger schon mal brenzlig. Ein attraktives Angebot für einen behutsamen Einstieg ist das Begleitete Fahren ab 17 (BF17): Unter der Auflage, bis zum 18. Geburtstag nur in Begleitung eines erfahrenen Autofahrers das Lenkrad zu übernehmen, können Jugendliche bereits mit 17 eine Fahrerlaubnis der Klasse B oder BE erwerben. „Mit diesem Angebot erreichen wir Jugendliche quer durch alle Schichten und Bildungsklassen“, freut sich Hendrik Pistor, Referatsleiter „Junge Kraftfahrer“ beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR): „Die Vorsichtigen machen es, um mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein zu gewinnen. Wer große Lust aufs Autofahren hat, will hingegen möglichst früh ans Steuer.“ Nur ganz wenige Jugendliche lehnten es grundsätzlich ab, dass ihnen nach der Prüfung zunächst noch jemand auf die Finger schaut.
Anforderungen an die Begleiter
Tatsächlich ist nicht jeder dazu geeignet: Als Begleiter in Frage kommen Personen, die 30 Jahre oder älter sind, seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen einen Führerschein der Klasse B besitzen und nicht mehr als einen Punkt im Fahreignungsregister in Flensburg haben. „Damit wird sichergestellt, dass der Begleiter aus der Sturm- und Drang-Phase heraus ist und ein verantwortungsvolles Fahrverhalten besitzt“, erklärt Pistor den Hintergrund. Die Anwesenheit eines erfahrenen Erwachsenen bewahre den Anfänger vor vermeidbaren Fehlern und halte ihn von riskanten Fahrmanövern ab. Das Ziel: „Die jungen Fahrer sollen sich zu bewussten Verkehrsteilnehmern entwickeln.“
„Am Anfang war es schon toll, dass jemand neben mir sitzt. Das stärkt das Selbstvertrauen und hilft bei der Entscheidungsfindung – zum Beispiel beim Einordnen oder Überholen“, berichtet Hannah von ihren Erfahrungen. Die Gymnasiastin aus Mannheim legte kurz vor ihrem 17. Geburtstag erfolgreich die Fahrprüfung ab. Von der Fahrschule und ihrer Fahrlehrerin fühlte sie sich gut vorbereitet. „Ich war mir nach der Prüfung ziemlich sicher, dass ich wirklich Auto fahren kann.“ Noch an ihrem Geburtstag machte sie mit ihrer Mutter, die ebenso wie ihr Vater eingetragene Begleitperson ist, die Probe aufs Exempel. „Ich habe die Prüfbescheinigung vom TÜV abgeholt und ihr dann das Steuer überlassen“, erzählt Jutta Junk. Ganz leicht fiel ihr die freiwillige Verbannung auf den Beifahrersitz nicht. „Das war schon ein komisches Gefühl. Es hat aber alles gut geklappt, selbst um 17 Uhr im Feierabendverkehr.“
Für Jutta Junk war es allerdings nicht das erste Mal, dass sie ihre Tochter hinterm Steuer erlebte. „Hannah und ihre Fahrlehrerin hatten mir angeboten, bei einer Fahrstunde dabei zu sein. Das hielt ich für eine sehr gute Idee, denn mir war klar, dass meine Tochter ihren eigenen Fahrstil haben würde. Ich wollte einen Anhaltspunkt dafür bekommen, wie ich mich am besten mit ihr im Auto verhalte“, erzählt die Mutter. Diese gemeinsame Fahrstunde kurz vor der Prüfung habe ihr sehr dabei geholfen, bei den ersten Fahrten entspannt zu bleiben und sich mit Kommentaren zurückzuhalten. „Ich wusste ja, dass sie ernsthaft an die Sache herangeht.“
Griff ins Lenkrad ist tabu
Bei der bundesweiten Einführung von BF17 im Jahr 2011 habe es noch in nahezu allen Fahrschulen eine Informationsveranstaltung für Begleiter gegeben, um sie auf ihre Rolle vorzubereiten. Die Nachfrage und damit auch das Angebot hätten aber stark nachgelassen, weiß Hendrik Pistor. „Die meisten Eltern sehen hier keine Notwendigkeit“, bestätigt Fahrlehrerin Sina Ronke. Insofern verzichte ihre Fahrschule auf einen Extra-Termin für künftige Begleitpersonen, ermögliche aber gern die Mitfahrt bei der Fahrstunde. Wissen müssen die Begleiter vor allem eines: „Sie dürfen auf keinen Fall ins Lenkrad greifen“, unterstreicht Pistor. „Aber das passiert eigentlich auch nicht.“
Schon eher mangele es den routinierten Mitfahrern an Geduld: „Es ist für manchen schwer zu ertragen, dass die Jugendlichen so langsam und vorsichtig fahren.“ Konfliktträchtig sei zudem der Umgang mit Kupplung und Motorbremse. „Ich habe etwas Angst ums Getriebe. Deshalb haben wir uns ein bisschen über das Schalten gestritten“, gibt Jutta Junk zu. Hannah habe in einem Mercedes der A‑Klasse Fahren gelernt und müsse sich jetzt auf einen Diesel umstellen. „Das Auto war für mich anfangs schon sehr ungewohnt“, bestätigt die Schülerin. Auch das Einparken funktionierte nicht exakt nach der erlernten Formel. Doch diese ersten Anlaufschwierigkeiten sind bereits passé: „Der Lerneffekt ist deutlich spürbar. Sie wird von Fahrt zu Fahrt sicherer“, freut sich die Mutter.
Keine Scheu vor schwierigen Situationen
Natürlich läuft auf den gemeinsamen Touren auch nicht immer alles glatt. „Wir empfehlen, dass sich der Erwachsene während der Fahrt zunächst zurückhält und erst anschließend Feedback gibt – auch dazu, was der Fahrer gut gemacht hat. Am besten lädt er den Jugendlichen nach der Fahrt dazu ein, sein Verhalten in den unterschiedlichen Situationen zu reflektieren“, erklärt Pistor. Ebenso praktiziert es Fahrlehrerin Sina Ronke: Gravierendes Fehlverhalten spielt sie nachträglich noch einmal mit den Fahranfängern durch.
Genau richtig, findet Hannah: „Von meinem Begleiter wünsche ich mir, dass er in einer brenzligen Situation ruhig bleibt – man merkt ja schließlich selbst, wenn etwas schief läuft. Gerade dann ist mir mit schlauen Reden nicht geholfen.“ Völlig regungslos sollte ihr Beifahrer aber auch nicht sein, findet die junge Fahrerin: Emotionale Bestätigung sei „schon schön“, zum Beispiel wenn sie sich über das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers ärgere.
Richtig ärgern musste sie sich, als ihr ein Autofahrer auf der Autobahn die Vorfahrt nahm. An einer Baustelle mit einem Zubringer ohne Beschleunigungsstreifen lenkte der Mann seinen Wagen knapp vor ihr einfach auf die Fahrbahn. „Hannah hat das toll gemacht, sie hat sogar noch in den Rückspiegel geschaut, bevor sie etwas ausgeschert ist“, erzählt Jutta Junk. Dennoch prallte ihr Auto leicht mit einem Fahrzeug auf der zweiten Spur zusammen, während sich der Unfallverursacher aus dem Staub machte. In dieser Situation hätte sie auch nicht besser reagieren können, betont die Mutter: „Der war ganz plötzlich da, wir hatten keine Chance.“
Hannah hat das Ganze dennoch mitgenommen. „Obwohl das Unfallgeschehen eindeutig war, hat mich der Vorfall verunsichert.“ Immerhin hat sie auf diese Weise schon einmal erlebt, wie man einen Unfall abwickelt – und sich auch gleich wieder hinter das Steuer geklemmt. „Das war mir wichtig, damit sich die Angst nicht festsetzt.“
Sicherheit wächst mit jedem Kilometer
Hendrik Pistor plädiert in jedem Fall dafür, den Jugendlichen auch unter erschwerten Bedingungen das Lenkrad zu überlassen – zum Beispiel bei ungünstigen Witterungsverhältnissen. Gerade in neuen, herausfordernden Situationen sei es gut, die ersten Erfahrungen in Begleitung zu sammeln. Weil das Unfallrisiko über die Zeit und mit jedem gefahrenen Kilometer abnehme, sollten die Teilnehmer des BF17 grundsätzlich so viel wie möglich fahren. Der Zusammenhang ist eindeutig belegt: Nach einer ersten Studie zur Wirksamkeit des ursprünglich niedersächsischen Modellprojekts aus dem Jahr 2007 ließen auch die projektbegleitende Evaluation (2010) sowie eine bundesweite summative Evaluation (2011) durch das Kraftfahrt-Bundesamt keinen Zweifel am Sinn und Nutzen des BF17: „Die Zahlen belegen einen unglaublich hohen Sicherheitsgewinn von rund 20 Prozent gegenüber Jugendlichen, die nicht daran teilgenommen haben“, schwärmt Pistor.
Hinzu kommen etliche erfreuliche Nebeneffekte: „BF17 hat durchaus auch positive Auswirkungen auf das Fahrverhalten der Eltern. Sie beschäftigen sich wieder verstärkt mit den Verkehrsregeln und einem guten Fahrstil“, benennt Pistor einen Punkt. „Hannahs Sicherheitsempfinden hat sich offenbar geändert: Sie kritisiert jetzt des Öfteren meine Geschwindigkeit. Außerdem lerne ich noch die ein oder andere Verkehrsregel von meinem Kind“, kann Jutta Junk diesen Effekt nur bestätigen. Ein weiter wichtiger Aspekt betrifft vor allem Gymnasiasten: Wenn die Schüler schon mit 17 den Führerschein erwerben, kollidiert dies nicht mit den Herausforderungen in der Kursstufe. Für Hannah war dies ein Hauptgrund, den Führerschein so früh zu machen: „Es war der beste Zeitpunkt, bevor das Abi richtig losgeht. Jetzt hätte ich deutlich weniger Zeit und Lust dazu.“
Mit wachsenden schulischen Verpflichtungen plus möglichen Hobbys bleibe den Jugendlichen kaum Raum für Fahrstunden, bedauert Pistor. Nicht zuletzt kollidierten die engen Zeitfenster der Schüler mit den begrenzten Kapazitäten der Fahrschule: „Wir können nicht jeden Terminwunsch erfüllen“, sagt Sina Ronke. Die angehenden Abiturienten erscheinen zudem nicht selten abgehetzt und gestresst zur Fahrstunde. Die Folge: Der Prozess des Führerscheinerwerbs zieht sich in die Länge. „Manchmal geht den Fahrschülern auch einfach das Geld aus“, ergänzt Pistor. All dies gehe zu Lasten des BF17 und schmälere dessen Effekt. „Die durchschnittliche Begleitdauer liegt derzeit bei sechs Monaten. Da geht noch mehr!“, ist Pistor überzeugt.
In Städten noch ausbaufähig
Hinzu kommt ein starkes Stadt-Land-Gefälle in der Nutzung des Angebots: „Auf dem Land ist BF17 der Standardweg zum Führerschein. In den Städten ist es längst nicht so stark verbreitet“, bedauert Pistor. „Bei mir machen etwa ein Viertel der Fahrschüler BF17“, bestätigt Sina Ronke diese Tendenz für die Stadt Mannheim. Auch die meisten Bekannten aus Hannahs Freundeskreis und aus ihrem Schulumfeld sind noch nicht so weit wie sie. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Zum einen steht in Städten in der Regel ein gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr zur Verfügung, zum anderen gibt es angesichts kurzer Wege kaum einen Grund, ins Auto zu steigen. „Die Kunst besteht darin, möglichst viele Fahrgelegenheiten zu finden“, weiß Pistor. Einige Familien entwickelten dazu rege Ausflugstätigkeiten. „Das ist womöglich auch die letzte Gelegenheit, mit dem Sprössling noch einmal richtig Zeit zu verbringen.“
„Das Auto ist ein toller Platz für Gespräche. Das habe ich schon mit meinem Vater immer genossen“, weiß Jutta Junk diesen Aspekt zu schätzen. Hannah ist zwar nach eigenen Worten noch „sehr ruhig und auf das Geschehen konzentriert“, aber auch dankbar für die gemeinsamen Unternehmungen und Erlebnisse. „Ein schöner Nebeneffekt.“ Falls die Eltern allzu beschäftigt sein sollten oder wer sich nicht so gut mit ihnen versteht, kann es mit anderen Familienmitgliedern oder Bekannten versuchen. „Die Großeltern sind als Begleiter recht beliebt: Sie haben Zeit, sind entspannt und besitzen gute Autos“, gibt Pistor einen Wink.
Risikogruppe „autozentrierte Jugendliche“
Der Referatsleiter Junge Kraftfahrer beim DVR macht sich zudem Gedanken darüber, wie sich noch mehr Jugendliche für eine möglichst lange Begleitphase gewinnen ließen. „Wir würden das Modell gerne ins Arbeitsleben integrieren“, benennt er eine Idee. In einem Handwerksbetrieb könnte zum Beispiel der Meister seinem Lehrling das Steuer überlassen und ihm nebenbei ein angemessenes Verhalten im Straßenverkehr vermitteln. „Natürlich alles auf freiwilliger Basis“, betont Pistor. Interessant und möglicherweise nachahmenswert findet er auch den österreichischen Ansatz: Im Nachbarland dürfen bereits 16-Jährige ans Steuer, wenn sie in Begleitung fahren. „Es ist gut vorstellbar, dass bei BF16 noch mehr herauskäme.“ Vor allem verhindern möchte Pistor, dass sogenannte „autozentrierte Jugendliche“ ohne dämpfende Begleitphase die Straßen unsicher machen. Laut der Studie „Lebensstilgruppen und Werthaltungen“ des Verkehrspsychologen Hardy Holte für die Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 2014 definierten sich diese über ihre Fahrkünste und ihr Fahrzeug. „Unerfahren und übermütig – diese Kombination ist besonders gefährlich. Die bekommen dann mit 18 ihr eigenes Auto und lassen es krachen“, ergänzt Pistor.
„Manche Führerscheinerwerber entwickeln sich zum Risiko, werden übermütig. Für die wäre BF17 vermutlich gerade richtig“, glaubt auch Fahrlehrerin Sina Ronke. Ebenso wie Hendrik Pistor sieht sie überhaupt nur Vorteile in diesem Angebot: „BF17 ist sehr sinnvoll, das unterschreibe ich sofort. Ich war ja selbst eine der ersten, die das gemacht haben.“
Auch Hannah hat alles richtig gemacht. Durch die frühzeitige Anmeldung mit 16,5 Jahren und die Prüfung kurz vor ihrem 17. Geburtstag kann sie jetzt die maximale Begleitdauer von zwölf Monaten voll ausschöpfen. Inzwischen ist es für sie aber auch gut vorstellbar, demnächst allein auf Tour zu gehen. „Langsam freue ich mich darauf, mit 18 unbegleitet fahren zu dürfen. Ich kriege das dann auch bestimmt hin.“ Auch die Mutter ist von Hannahs Fahrkünsten überzeugt – und leiht ihr deshalb sicher gern das Auto.
Weitere Informationen
- Auf der Internetseite www.bf17.de haben der Deutsche Verkehrssicherheitsrat und die Deutsche Verkehrswacht e.V. mit Unterstützung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur alles Wissenswerte und viele Tipps zum Thema Begleitetes Fahren ab 17 zusammengestellt.
- Studien des Verkehrspsychologen Hardy Holte sind auf der Seite der Bundesanstalt für Straßenwesen unter www.bast.de zu finden.