Ein verhaltensbedingter Arbeitsunfall liegt immer dann vor, wenn ein Arbeitsunfall durch ein anderes Verhalten des Beschäftigten hätte vermieden werden können. Dies kann beispielsweise das Hineingreifen eines Mitarbeiters in eine Maschine sein oder das Nichtnutzen von Verkehrswegen bei Staplerverkehr. Arbeitsunfälle geschehen nicht zufällig, sondern besitzen immer eine Korrelation mit den betrieblichen Rahmenbedingungen [3]. Die betrieblichen Rahmenbedingungen können beispielsweise durch Zeitdruck, Demotivation oder auch eine unzureichende Kommunikation beeinflusst werden.
Kommunikation im Arbeitsschutz
Eine geeignete Kommunikation ist das wesentliche Instrument zur Schaffung eines hohen Sicherheitsbewusstseins und der Verbesserung der Sicherheitskultur. Dies bedeutet, dass in der betrieblichen Praxis die Kommunikationsfähigkeit von Führungskräften, Fachkräften für Arbeitssicherheit und Sicherheitsbeauftragten einen hohen Stellenwert besitzt.
In der Ausbildung der jeweiligen Funktionen nimmt die Kommunikation jedoch nur einen kleinen bis keinen Anteil in Anspruch. Eine ungenügende Kommunikation führt in der Praxis dazu, dass selbst gute Ideen nicht umgesetzt werden. Der grundlegende Ablauf einer Kommunikation kann durch das Sender-Empfänger-Modell nach Stuart Hall (1970) vereinfacht dargestellt werden. Dementsprechend verfasst der Sender eine Nachricht und teilt diese dem Empfänger mit. Der Empfänger nimmt die Nachricht auf und interpretiert diese. Bei der Interpretation von Nachrichten bestehen unterschiedliche potenzielle Fehlerquellen. Informationsstörungen können die Interpretation des Empfängers maßgeblich beeinflussen.
Beeinflussungen liegen beispielsweise vor, wenn Sender oder Empfänger
- sich nicht zuhören,
- nicht aufeinander eingehen,
- sich nicht in andere Menschen hineinversetzen können,
- ein unterschiedliches Fachwissen in Größe und Güte besitzen oder
- sich misstrauen.
Grundsätzlich kann auch bereits die Lautstärke der Stimme oder die Wortwahl zu einer ablehnenden Haltung beim Gesprächspartner führen. Somit wird deutlich, dass die Kommunikation im Arbeitsschutz umso erfolgreicher wird, wenn die „Sprache“ des Gesprächspartners gesprochen wird.
In Anlehnung an das Typenmodell nach Sokratis ergeben sich im Arbeitsschutz vereinfacht die vier Persönlichkeitstypen nach dem WandelWerker- Kommunikationsmodell. Grundsätzlich gilt, dass kein Mensch zu 100 Prozent einem Typen entspricht. Vielmehr zeichnet sich der Charakter durch unterschiedlich große Anteile der jeweiligen Persönlichkeitstypen aus.
Persönlichkeitstypen
1. Der Angreifer
Der Angreifer lässt sich in Terminen daran erkennen, dass er schnell alle für ihn relevanten Informationen erhalten möchte. Wichtig für ihn sind die Themen Rechtskonformität und Wirtschaftlichkeit. Er besitzt eine extrinsische Motivation für den Arbeitsschutz. Aus seiner Sicht lassen sich Arbeitsunfälle nicht vermeiden. Nach einem Arbeitsunfall möchte der Angreifer jedoch rechtlich nicht in die Haftung geraten. Arbeitsschutz kostet für ihn nur Geld. Sollte der Gesprächspartner nicht schnell genug die Informationen vermitteln, unterbricht der Angreifer direkt und mit erhobener Stimme.
Seine Aufgaben im Arbeitsschutz delegiert der Angreifer gerne auf andere Führungskräfte oder Mitarbeiter. Beim Eintritt von Fehlern sieht er diese nicht bei sich. Er sieht die Fehler bei den anderen Führungskräften und Mitarbeitern. Für ihn gilt der Grundsatz, dass Verstöße gegen Regeln stets arbeitsrechtliche Konsequenzen bedeuten müssen.
Typische Aussagen des Angreifers sind:
- „Das glaube ich Ihnen nicht.“
- „Sie übertreiben doch mit Ihren Anforderungen.“
- „Das ist nicht praxistauglich.“
Eine Kommunikation mit dem Angreifer wird erfolgreicher, wenn nach den einleitenden Worten die folgende Vorgehensweise gewählt wird:
- Die Meinung des Angreifers erfragen und ihn solange reden lassen, wie er möchte. Der Angreifer besitzt ein großes Ego, dass sprichwörtlich eine Bühne braucht.
- Für die Ausführungen bedanken.
- Persönliche und wirtschaftliche Vorteile der Arbeitsschutz-Maßnahmen darstellen. Im besten Fall können die Erklärungen in Prozessen erfolgen. Denn der Angreifer liebt klare Prozesse.
2. Der Vermeider
In einem Arbeitsschutzausschuss erkennst man den Vermeider daran, dass er zunächst allen vorgeschlagenen Maßnahmen im Arbeitsschutz zustimmt. Er schließt sich gerne der Meinung anderer an. Wenn es beispielsweise um eine generelle Tragepflicht von Sicherheitsschuhen auf dem Betriebsgelände geht, stimmt er dafür. Bekommt er von seinen Mitarbeitern jedoch ein negatives Feedback, wird er unsicher.
Der Vermeider lässt sich stark beeinflussen und sucht dann nachträglich Ausnahmeregelungen. Er ist ein „Gewohnheitstier“ und sieht Neuerungen immer kritisch entgegen. Seine Sorge ist, mit den Neuerungen alleine nicht zurecht zu kommen. Für ihn besitzt die Wirtschaftlichkeit und Rechtskonformität ebenfalls einen höheren Stellenwert als der Arbeitsschutz in Gänze. Der verhaltensorientierte Arbeitsschutz ist für ihn keine nennenswerte Ergänzung zu den vorhandenen Arbeitsschutzmaßnahmen. Für ihn sind Sicherheitsbegehungen ein ausreichendes Instrument zur Sensibilisierung von Mitarbeitern.
Typische Aussagen des Vermeiders sind in der betrieblichen Praxis:
- „Müssen wirklich alle Beschäftigten Sicherheitsschuhe tragen?“
- „Mir ist die Sicherheit wichtig. Wir sollten dennoch einmal Ausnahmeregelungen prüfen.“
- „Ich stehe für Sicherheit. Wir müssen dennoch diese Investition einmal kritisch prüfen.“
Eine Kommunikation mit dem Vermeider wird erfolgreicher, wenn nach den einleitenden Worten die folgende Vorgehensweise gewählt wird:
- Bedanken für das Zuhören.
- Spiegeln des Ist-Zustandes (rechtliche Risiken, Wirtschaftlichkeit).
- Unterstützung bei der Umsetzung von Maßnahmen anbieten.
3. Der Leidenschaftliche
Der Leidenschaftliche steht für 110 Prozent Arbeitsschutz im Unternehmen. In einem Gespräch ist er der Treiber für den Arbeitsschutz. Oftmals steht er in direkter persönlicher oder organisatorischer Verbindung zur Abteilung Arbeitssicherheit. Der Leidenschaftliche „brennt“ sprichwörtlich für den Arbeitsschutz. Hierfür bringt er das notwendige Fachwissen mit. Zahlen, Daten, Fakten sind seine Welt. Er kann die rechtlichen Anforderungen sowie wissenschaftlichen Ausarbeitungen aufführen. Er sucht systematisch nach Optimierungen im Arbeitsschutz. Die Wirtschaftlichkeit spielt für den Leidenschaftlichen nur eine sekundäre Rolle. Er tritt offen und beharrlich für seine Ziele ein. Das führt dazu, dass er auch als anstrengend wahrgenommen wird.
Der Leidenschaftliche sieht die Chancen zur Vermeidung von Arbeitsunfällen nicht in den konventionellen Methoden. Gefährdungsbeurteilungen, Betriebsanweisungen etc. zählen für ihn zu den notwendigen Maßnahmen zur Schaffung einer Rechtskonformität. Der Einsatz von modernen Maßnahmen, wie z. B. dem verhaltensorientierten Arbeitsschutz, sieht er als erfolgreiches Mittel an. In der Umsetzung bei den Menschen hat er jedoch Schwierigkeiten. Die Kommunikation auf der Beziehungsebene fällt ihm schwer.
Typische Aussagen des Leidenschaftlichen sind:
- „Sehr gut. Es macht jedoch Sinn, noch einen Schritt weiterzugehen.“
- „Die aktuellen Forschungsergebnisse zeigen, dass Maßnahmen des verhaltensorientierten Arbeitsschutzes viel erfolgreicher sind als konventionelle Methoden.“
- „Sie sind damit rechtskonform, Arbeitsunfälle vermeiden Sie damit aber nicht.“
Eine Kommunikation mit dem Leidenschaftlichen wird erfolgreicher, wenn nach den einleitenden Worten die folgende Vorgehensweise gewählt wird:
- Bedanken für das Zuhören.
- Belege, Details, Fakten zum Sachverhalt aufführen.
- Nachfragen, ob Rückfragen bestehen und der Sachverhalt richtig dargestellt wurde.
4. Der Mitläufer
Der Mitläufer ist sehr kommunikativ und kann eine große Unterstützung bei der Verbreitung von Informationen und Maßnahmen sein. Leider ist er unentschlossen und nur selten in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen. In der Regel möchte er am liebsten immer alle betroffenen Mitarbeiter in die Entscheidungsfindung einbinden. Deshalb können Entscheidungsprozesse des Mitläufers schon etwas länger andauern.
Der Mitläufer besitzt eine innere Überzeugung für den Arbeitsschutz. Er möchte, dass alle Mitarbeiter gesund die Arbeit beenden. Dies passt zu seiner generellen sozialen Lebensweise. In seinem Team ist der Mitläufer sehr beliebt. Das möchte er auch bleiben, weshalb er in der Regel auch keine unsicheren Situationen melden wird.
Der Mitläufer ist sich nicht sicher, welche Maßnahmen im Arbeitsschutz erfolgreicher sind. Er schwankt zwischen den rechtlich erforderlichen Maßnahmen und darüber hinaus gehenden Maßnahmen.
Typische Aussagen des Mitläufers sind:
- „Diese Regel finde ich gut. Was sagen denn die anderen dazu.“
- „Ich halte die Regeln immer ein. Andere machen es jedoch nicht immer.“
- „Ich brauche Unterstützung bei der Information der Beschäftigten.“
Eine Kommunikation mit dem Mitläufer wird erfolgreicher, wenn die folgende Reihenfolge eingehalten wird:
- Bedanken für seine Zeit.
- Beziehung aufbauen – auch über private Themen sprechen.
- Thema einfach und kurz darstellen und um Unterstützung bitten.
Zusammenfassung
Die Kommunikation zwischen Menschen wird durch die Anzahl und Schwere von Störfaktoren geprägt. Diese Störfaktoren können die Umsetzung von Maßnahmen im Arbeitsschutz erschweren. Die Voraussetzung für eine hohe Sicherheitskultur im Unternehmen ist eine zielgerichtete und geeignete Kommunikation. Es gibt stets Menschen, die eine extrinsische oder intrinsische Motivation für den Arbeitsschutz besitzen. Es gibt extrovertierte und introvertierte Gesprächspartner. Einige Menschen lassen sich auf der Sach- und andere auf der Beziehungsebene gewinnen.
Ein wesentliches Hilfsmittel, um erfolgreicher kommunizieren zu können, ist das WandelWerker Kommunikationsmodell. Hierin wird leicht verständlich beschrieben, welche Persönlichkeitstypen es im Arbeitsschutz gibt. Es ist grundsätzlich zu beachten, dass das Modell die vier drastischsten Ausprägungen dargestellt. Es gibt immer auch Mischungen aus mehreren Typen.
Eine erfolgreiche Kommunikation lebt von der Vorbereitung. Menschen, die sich auf ihren Gesprächspartner einstellen, werden eine bessere Ebene aufbauen können. Im Ergebnis wird der Erfolg somit auch deutlich größer sein als bei unvorbereiteten Gesprächspartnern.
Quellenverzeichnis
- Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2019): Volkswirtschaftliche Kosten durch Arbeitsunfähigkeit 2017
- Huber, Andreas (2019): Vom Tun zum Wissen. Verhaltensorientierter Arbeitsschutz. Seite 46.
- Bördlein, Prof. Dr. Christoph (2015): Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit – Behavior Based Safety (BBS). Erich Schmidt Verlag. 2. Auflage, Seite 20
- Rosenberger, Jörg (2009): Konflikte human lösen. Tipps und Tricks für schwierige Situationen. Expert Verlag. Seite 3 f.