Frau Morlock, mehr als 22 Millionen Menschen in Deutschland tragen Tag für Tag Berufsbekleidung. Schenken wir dieser Kleidung genug Aufmerksamkeit?
Aus meiner Sicht nimmt die Aufmerksamkeit zu. Berufsbekleidung genießt heute einen anderen Stellenwert als noch vor 20 Jahren. Sie muss natürlich nach wie vor die geltenden Normen erfüllen – denken Sie beispielsweise an Themen wie Warnschutz sowie Hitze und Flamme. Gleichzeitig erwarten immer mehr Beschäftigte, dass die Kleidung richtig passt. Seit einigen Jahren spielt außerdem die Optik eine größere Rolle.
Woher kommt diese Entwicklung?
Ich denke, wir sind alle sensibler geworden für bestimmte Zusammenhänge. Dass Berufsbekleidung und PSA alle Normen erfüllen, reicht im Alltag nicht aus – die Teile müssen auch getragen werden. Bei einem Unfall beispielsweise schauen die Versicherungen heute sehr viel genauer hin, ob die betroffene Person auch vorschriftsmäßig ausgestattet war. Die Arbeitgeber achten daher verstärkt darauf, dass die Beschäftigten die Ausrüstung auch nutzen. Diese Trageakzeptanz nimmt natürlich deutlich zu, wenn die Beschäftigten ihre Kleidung gerne tragen. Und das nutzt wiederum dem Arbeitgeber, weil in der Regel die Arbeitsleistungen besser werden, wenn Beschäftigte sich wohl fühlen.
Welche Aspekte sind wichtig für eine hohe Trageakzeptanz?
Wie gesagt, spielt die Optik eine wachsende Rolle. Aber auch ein schickes Teil wird nicht gerne getragen, wenn es „zwickt und zwackt“. Das macht die richtige Passform zu einem entscheidenden Faktor.
Klingt einfach …
… ist aber eher kompliziert. Die Vielfalt von Körperformen und Haltungsvarianten innerhalb der Konfektionsgrößen ist enorm. Daher reicht es gerade bei der Berufsbekleidung nicht aus, nur die Standardgrößen anzubieten. Die Hersteller müssen unterschiedliche Längen und Figurtypen abdecken – und das über ein sehr großes Größenspektrum hinweg, von den sehr kleinen bis hin zu den sehr großen Größen. Das aktuelle Problem bei der Berufsbekleidung für Männer ist: Teilweise basieren die Größentabellen, mit denen heute gearbeitet wird, immer noch auf Daten aus den 1960er Jahren. Und das, obwohl es seit der letzten repräsentativen Reihenmessung SizeGERMANY in Deutschland aktuelle Körpermaße gibt. Oft werden dann teure Sonderanfertigungen nötig – daher ist es höchste Zeit, die eigenen Größentabellen zu aktualisieren.
Wird das Thema passende Berufskleidung noch komplizierter, wenn auch auf die Bedürfnisse von Frauen eingegangen wird?
Nicht komplizierter, aber vielfältiger. Der Körperbau einer Frau unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von dem eines Mannes. Frauen haben eine Cup-Ausprägung. Ihre Muskelverteilung ist anders, daher frieren sie beispielsweise auch schneller. Auch im Bereich von Hüfte und Oberschenkel ist die Anatomie unterschiedlich. Das ist vor allem bei der Hosenpassform zu beachten. Bei Helmen funktionieren Unisex-Modelle problemlos, bei Handschuhen gibt es nur kleine Unterschiede, aber bei Hosen, Westen, Jacken etc. sind die Unterschiede ziemlich groß. Dass Hersteller und Arbeitgeber darauf Rücksicht nehmen, ist sehr wichtig. Bei sogenannten Frauenberufen ist das seit Jahrzehnten selbstverständlich. Und je stärker Frauen in bisherige Männerdomänen vordringen, umso größer wird auch dort die Nachfrage. Denn wenn Kleidung nicht richtig passt und daher unbequem ist, hat das Auswirkungen über den Komfort hinaus.
Inwiefern?
Textilien können nicht optimal funktionieren, wenn sie nicht gut sitzen: Beispielsweise kann Kälte unter die Jacke kriechen, oder man schwitzt mehr als sonst, weil die Temperaturregulation nicht klappt. Die Probleme können aber auch gravierender sein. Wenn eine Hose nicht passt, werden Knieprotektoren immer zu hoch oder zu tief hängen, und wenn die Jackenärmel zu lang sind und die Ärmel umgestülpt werden, sind diese im schlimmsten Fall nicht mehr zu sehen.
Bestimmt auch die Tätigkeit, ob die Passform von Berufsbekleidung gut ist?
Die Körpermaße der Menschen verändern sich bei Bewegung. Was im Stehen gut sitzt, kann trotzdem im Job behindern. Daher arbeitet Hohenstein im Forschungsprojekt „Funktionsmaße“ gerade an einem neuen Größensystem: Es berücksichtigt die bewegungsbedingten Körperveränderungen und soll einen Beitrag dazu leisten, Bekleidung für Frauen und Männer funktionell und ergonomisch zu optimieren. Im Sommer 2018 wird das Forschungsprojekt abgeschlossen sein. Anschließend stehen die Ergebnisse allen interessierten Unternehmen zur Verfügung – denn gute Passform ist das A und O.
Vielen Dank für das Gespräch.
Berufsbekleidung und PSA für Frauen
Der Frauenanteil in bisherigen Männerdomänen steigt, und damit auch der Bedarf an passender Berufsbekleidung und PSA. Bierbaum-Proenen – unter dem Markennamen BP für Berufsbekleidungskonzepte bekannt – bietet bereits seit längerem Workwear in Damenpassform an. Zudem hat das Kölner Unternehmen als einer der ersten Hersteller auch PSA speziell für Frauen entwickelt und auf den Markt gebracht. Schwerpunkt der Kollektion speziell für Frauen ist zunächst die Warnschutzbekleidung, denn der Frauenanteil ist in den Branchen, in denen Warnschutz Pflicht ist, vergleichsweise groß. Schnitte, Materialien und auch Funktionalitäten wie etwa Taschenpositionierungen sind speziell auf den weiblichen Körper und das Verhalten der Frauen bei der Arbeit abgestimmt.
„Die Frauen sind erleichtert, dass es endlich PSA gibt, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist“, sagt Carla Cacitti, Leiterin des BP-Produktmanagements. „Der Trend zu Damenpassformen ist zudem ein wichtiger Schritt zu mehr Arbeitssicherheit. Denn PSA, die gut passt und nicht bei der Arbeit stört, wird gerne getragen. Das kommt auch Arbeitgebern zugute.“ Daher will Bierbaum-Proenen das Angebot an PSA in Damenpassform weiter ausbauen.
Auch Kansas bietet in seinem Sortiment eine Kollektion an Damenbekleidung, die so umfänglich ist wie nie: „In der heutigen Zeit, wo Frauen auch in bisher typischen Männerberufen tätig sind, kommt man gar nicht umhin, Kleidung für Damen zur Verfügung zu stellen. Das ist eine Zielgruppe, die wächst“,
so Anne Komp, Produktmanagerin bei Fristads Kansas Deutschland in Norderstedt bei Hamburg. Das Unternehmen bietet Arbeitskleidung für alle Branchen und ist Spezialist für PSA (Warnkleidung und Hitzeschutz).
Auch Anne Komp verweist auf den Aspekt der Arbeitssicherheit: „PSA muss einfach passen, weil ansonsten die Schutzfunktion nicht ausreichend gewährleistet ist.“ Dies zeige bereits ein einfaches Beispiel: „Sind einer Frau die Ärmel einer Hitzeschutzjacke zu lang, krempelt sie diese auf. Damit kann die Gefahr sogar noch erhöht werden, indem Funken im Ärmelumschlag landen.“ Fazit: Gut sitzende Kleidung sorgt nicht nur für eine ansprechende Optik und einen gewissen „Wohlfühlfaktor“ bei der Arbeit, sondern auch für ein Mehr an Sicherheit.