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Raumlufttechnik und Coronavirus

Raumlufttechnik
„Klimaanlagen“ – Fluch oder Segen in Zeiten von Corona?

Die Ereignisse in fleis­chver­ar­bei­t­en­den Betrieben haben zu Schlagzeilen geführt, die viele Men­schen verun­sich­ern. Teils wird die Sorge geschürt, raum­luft­tech­nis­che Anla­gen trü­gen zur Aus­bre­itung von Coro­n­aviren bei, oder diese wür­den sich in den Anla­gen ver­mehren. Diese Sorge ist im All­ge­meinen nicht gerecht­fer­tigt. Gle­ich­wohl müssen die Betreiber von RLT-Anla­gen Coro­na beson­dere Berück­sich­ti­gung schenken.

Am Ende dieses Beitrags hat der Autor noch fol­gende The­men ergänzt, die nicht in der Aus­gabe 9/2020 von Sicher­heitsin­ge­nieur aufge­führt waren:

 
CO2-Ampeln als indi­rek­te Indika­toren für Raumluftqualität

CO2-Rück­at­mung durch Masken – Ist das ein Problem?

Unternehmen­skli­ma – Respekt ist alles!

Umluftreini­gungs­geräte – nur wirk­sam, wenn man’s richtig macht


Die Verun­sicherung bei Nicht-Fach­leuten wird zum großen Teil durch den undif­feren­zierten Gebrauch des Begriffs „Kli­maan­lage“ für unter­schiedlich­ste Anla­gen- und Geräte­typen her­vorgerufen. Für den Laien ist das Split­gerät aus dem Bau­markt eine „Kli­maan­lage“, die fußballfeld­große Tech­nikzen­trale im 500-Zim­mer-Hotel mit Schwimm­bad, Küche und Ver­anstal­tungs­bere­ich und vier Ster­nen aber eben auch.

Wichtig­ster Schutz­fak­tor gegen eine Ver­bre­itung von luft­ge­tra­ge­nen Schad­stof­fen in Innen­räu­men ist der Frischluftan­teil. Frischluft muss im Som­mer mit hohem tech­nis­chen und Energieaufwand auf die gewün­schte Tem­per­atur und Feuchte im Raum kon­di­tion­iert wer­den. Aus dem Raum ange­saugte Luft schlicht in Umluftkühlgeräten zu „recyceln“ ist weniger aufwändig. In den fleis­chver­ar­bei­t­en­den Betrieben, die derzeit als Super­spread­er beson­ders im Fokus ste­hen, wird nur ein geringer Frischluftan­teil zuge­führt. Und obwohl die Richtlin­ie VDI 6022 Blatt 1 auch für Sekundär­luft­geräte und Umluftkühlgeräte Fil­ter fordert, wer­den diese zumeist ohne Fil­ter betrieben. Luft­ge­tra­gene Patho­gene und Schad­stoffe wer­den also nicht abgeschieden, und eine Verdün­nung von Luftverun­reini­gun­gen find­et nur über den vorgeschriebe­nen Min­destluftwech­sel statt.

Demge­genüber weisen mod­erne RLT-Anla­gen in Büro­ge­bäu­den mehrere und vor allem feine Fil­ter­stufen auf und wer­den möglichst mit 100 Prozent Außen­luft betrieben, wobei der Energieaufwand durch Wärme- oder Käl­terück­gewin­nung opti­miert wird. In solchen Anla­gen wer­den Schad­stoffe, auch viren­be­ladene Tröpfchen, durch die Fil­ter teil­weise abgeschieden und ihre Konzen­tra­tion in der Raum­luft zusät­zlich durch Verdün­nung mit Frischluft reduziert. Tat­säch­lich ist für die Abschei­dung von Viren nicht ein­mal unbe­d­ingt ein HEPA-Fil­ter nötig; Viren sind zwar sehr klein, aber sel­ten „nackt“ unter­wegs. Sie lagern sich an andere, größere Par­tikel (zum Beispiel Staub) und Flüs­sigkeit­ströpfchen an. Infek­tion­srat­en sind tat­säch­lich in staub­haltiger Luft erhöht.

Manche Viren kön­nen auf Ober­flächen lange über­leben. Sie wer­den sich dort – also auch in ein­er RLT-Anlage – jedoch mit ziem­lich­er Sicher­heit nicht ver­mehren. Dazu fehlt ihnen ein Wirt­sor­gan­is­mus (das ist bei Bak­te­rien anders: Bak­te­rien ver­mehren sich durch Teilung und brauchen dazu nur Wass­er, Wärme und Nahrung).

Kann man Filter nachrüsten?

Man kann auch in beste­hende Geräte Fil­ter ein­bauen. Ein All­heilmit­tel ist das aber nicht. Ist es prak­tik­a­bel? Ger­ade bei HEPA-Fil­tern ist der Druck­ver­lust nicht ver­nach­läs­sig­bar. Das Lüf­tungskonzept wäre daher nach ein­er solchen Verän­derung sich­er zu über­prüfen. Die Hal­len­luft in der Fleis­chver­ar­beitung bringt zudem eine erhe­bliche Feuchte- und Par­tikel­last mit. HEPA-Fil­ter wer­den sich daher schnell zuset­zen und – auch auf­grund der Kap­il­lar­wirkung im Fil­tergewebe – feucht wer­den. Damit wächst die Gefahr von mikro­bieller Ver­mehrung auf den Fil­tern bis hin zum Durchwach­sen. Es wären mit Sicher­heit min­destens sehr häu­fige Fil­terin­spek­tio­nen und ver­mut­lich ‑wech­sel nötig.

Von einem namhaften Fil­ter­her­steller wird in diesem Kon­text der Warn­hin­weis gegeben, dass die belade­nen Fil­ter ein Infek­tion­srisiko darstellen kön­nten. Dies sollte in der Gefährdungs­beurteilung für das Instand­hal­tungsper­son­al und bei der Entsorgung des Mate­ri­als berück­sichtigt werden.

Welche Rolle spielen Lufttemperatur und ‑feuchte sowie Lärm?

Leclerc et al. lis­ten in ihrer Daten­bank eine ganze Rei­he von soge­nan­nten Super­spread­ing-Events weltweit ger­ade in lebens­mit­telver­ar­bei­t­en­den Betrieben. Woran liegt das?

In der Lebens­mit­telver­ar­beitung, beson­ders aber in der Fleis­chver­ar­beitung sind niedrige Tem­per­a­turen (fünf bis zehn Grad Cel­sius) nötig, weil Fleisch bei höheren Tem­per­a­turen rasch verdirbt. Zusät­zlich zur Küh­lung wird die Luft ent­feuchtet. Aber kalte Luft ist trock­ene Luft: Luft mit ein­er rel­a­tiv­en Feuchte von 100 Prozent bei 5 °C hat noch 20 Prozent Feuchte, wenn sie auf 25 °C erwärmt wird. Die Erwär­mung geschieht beim Einat­men. Die Luft nimmt dann viel Wass­er aus den Schleimhäuten auf. Lauc et al. zeigen auf, dass die Atemwege hier­durch anfäl­liger für Infek­tio­nen wer­den; es reichen weniger Keime für eine „erfol­gre­iche“ Ansteckung.

Kann man dage­gen etwas tun? In Gren­zen. In ver­schiede­nen Pro­duk­tions­bere­ichen, in denen niedrige Tem­per­a­turen und geringe Feucht­en nötig sind, dür­fen die Beschäftigten nur in begren­zten Inter­vallen unter den belas­ten­den Bedin­gun­gen arbeit­en und müssen sich dann in ein­er Umge­bung mit zuträglicheren Bedin­gun­gen erholen.

Lautes Sprechen, um den Maschi­nen­lärm und die anderen Men­schen zu übertö­nen, und kör­per­liche Anstren­gung erhöhen nicht nur den Ausstoß von viren­be­lade­nen Tröpfchen, son­dern auch deren Ausstoßgeschwindigkeit und verän­dern das Größen­spek­trum der Tröpfchen.

2 m Abstand eingehalten, alles gut?

Nach wie vor ist Abstand ein wichtiger Schutz­fak­tor. Aktuelle Fotos aus fleis­chver­ar­bei­t­en­den Betrieben zeigen zu geringe Abstände zwis­chen den Beschäftigten. Nun sind 2 m keine magis­che Zahl, die alles gut macht. Qureshi, Jones et al. disku­tieren diese Zahl in ein­er Meta-Studie und kom­men zu der Schlussfol­gerung, dass dieser Min­destab­stand tat­säch­lich empfehlenswert ist, weil die großen Aerosoltröpfchen inner­halb dieses Radius auf den Boden fall­en. Bouroui­ba et al. haben aber mit­tels Hochgeschwindigkeitsvideos zeigen kön­nen, dass beim Hus­ten oder Niesen Tröpfchen aller Größen entste­hen, von großen, mit bloßem Auge sicht­baren, die im Nah­bere­ich der sie ausstoßen­den Per­son auf den Boden fall­en, bis hin zu kleinen, die mit der aus­gestoße­nen Luft teil­weise auch gerne 6 bis 8 m zurücklegen.

In trock­en­er Luft ver­dun­sten Tröpfchen schneller. Sie wer­den klein­er und kön­nen dann länger in der Schwebe bleiben. Bei den Unter­suchun­gen zur Flug­weite betra­chtet man „Wind­stille“, nicht aber Rück­en- oder Gegen­wind und Ther­mik. Sie verz­er­ren die Aus­bre­itungsmuster erhe­blich. Eine lam­inare Strö­mung von der Decke zum Boden beispiel­sweise ist seit langem das Mit­tel der Wahl, um OP-Tis­che von Par­tikeln freizuhal­ten. Auf­steigende Ther­mik hinge­gen hält Par­tikel länger in der Schwebe. Dem Lüf­tungskonzept für Räume kommt daher mit Blick auf die Auswahl von Maß­nah­men zur Infek­tion­spro­phy­laxe eine hohe Bedeu­tung zu.

Sonne im Herzen – UV-Bestrahlung als Allheilmittel?

UV-C-Bestrahlung wird in RLT-Anla­gen seit vie­len Jahren erfol­gre­ich zur Desin­fek­tion und zur Ver­hin­derung des Aufwach­sens von Biofilm einge­set­zt, zum Beispiel in Wärmeübertragern.

UV-C-Strahlung tötet auch Viren, auch SARS-CoV­‑2, auf Ober­flächen, wie Forsch­er der Uni­ver­sität Boston bele­gen kon­nten. Das ist keine Über­raschung: Für viele Viren sind die zur Erzielung ein­er vorgegebe­nen Abtö­tungsrate nöti­gen Dosen bekan­nt und liegen in einem Bere­ich, der sich mit UV-Strahlern erre­ichen lässt. Die Reduk­tion ver­schieden­er luft­ge­tra­gen­er Viren in RLT-Anla­gen wurde unter anderem in einem Forschungsvorhaben der Stiftung Indus­trieforschung1 nachgewiesen.

Zur Abtö­tung von Mikroor­gan­is­men und Viren in einem Luft­strom mit­tels Bestrahlung müssen die sich mit der Luft bewe­gen­den Patho­gene hin­re­ichend lange im Ein­wirk­bere­ich der Strahlungsquelle (Nieder­druck- oder Hochdruck­strahler) ver­weilen, und die Strahlungsin­ten­sität muss hoch genug sein. Das ist bei Kon­struk­tion und Ein­stel­lung der Geräte zu berücksichtigen.

UV-C-Strahler emit­tieren Strahlung mit ver­schiede­nen Wellen­län­gen. 254 nm reichen zur Abtö­tung von Viren aus. 185 nm erzeu­gen zusät­zlich Ozon. Während dieses aggres­sive Gas ein­er­seits selb­st Bak­te­rien und Viren töten kann, darf es wegen sein­er reizen­den Wirkung nicht in Aufen­thalt­sräume gelan­gen. Ozon­freie UV-C-Bestrahlungs­geräte fil­tern die UV-C-Strahlung bei 185 nm aus und ver­wen­den zur Desin­fek­tion nur die Emis­sion bei 254 nm. Ozon kann auch durch mit Aktivkohle beschichtete Fil­ter kat­alytisch eli­m­iniert werden.

Ein Spin-off der UV-Tech­nolo­gie ist der Hype bei Wohn­raum­leucht­en mit UV-C-Lam­p­en, die als „Ster­il­i­sa­tion­slam­p­en“ ange­boten wer­den, in einem Fall sog­ar mit einem Foto eines im Licht der UV-C-Lampe sor­g­los mit einem Säugling spie­len­den jun­gen Paars. Aber: UV-C-Strahlung ist zellschädi­gend. Nicht nur Viren ster­ben am „Son­nen­brand“, auch men­schliche Zellen wer­den geschädigt. Und UV‑C erre­icht Viren in Schat­ten­bere­ichen gar nicht; in ein­gerichteten Räu­men ist also keine voll­ständi­ge UV-Desin­fek­tion möglich. Eine Raumdesin­fek­tion mit­tels der als „Ster­il­i­sa­tion­slam­p­en“ ange­bote­nen Geräte erscheint daher nicht real­is­tisch, schon ein­mal gar nicht bei belegten Räumen.

Masken, Schirme, usw. – was bringen die?

(Textil-)Masken dienen in erster Lin­ie als Auswurf­bremse. Sie schützen vor allem die anderen, nicht den Träger. Sie fan­gen einen Teil des aus­geat­meten Aerosols auf, vor allem größere Tröpfchen. Teil­weise lenken sie es auch unge­filtert um: Viel von der ein- und aus­geat­meten Luft strömt an der Maske vor­bei statt durch das Gewebe. Daher sind Masken kein Ersatz für beispiel­sweise das Ein­hal­ten des nöti­gen Abstands, son­dern eine unter­stützende Maß­nahme. Echt­en Schutz für den Träger in kon­t­a­minierten Umge­bun­gen bieten nur dicht sitzende Schutz­masken, FFP2 oder bess­er. Dichtheit und Tragekom­fort ste­hen in Konkur­renz: Eine Maske mit Gum­midich­tung über Stun­den zu tra­gen ist recht belastend.

Bei Ein­satz jed­wed­er Art von Maske in ein­er Arbeit­sumge­bung ist eine Ein­weisung des Per­son­als in Masken­hy­giene drin­gend empfehlenswert. Visiere aus trans­par­entem Kun­st­stoff bieten – nicht nur bei Hitzewellen – höheren Tragekom­fort, allerd­ings auch gerin­geren Schutz. Während Tex­til­masken zumin­d­est einen Teil des Aerosols auch absorbieren, ver­biegen solche Masken nur die Flug­bahn der Tröpfchen. Sie führen zu ein­er kurzzeit­i­gen „Wolke“ um den Emit­ten­den. Die „Biki­nis unter den Masken“ sind Visiere mit einem Kun­st­stoff­schirm von wenig über 10 cm Höhe und Bre­ite. Hier ist nach Ein­schätzung des Autoren nahezu keine Wirk­samkeit zu erwarten.

Die inzwis­chen an vie­len Stellen ange­bracht­en Plex­i­glas-Schirme sind eben­falls im Wesentlichen physikalis­che Bar­ri­eren gegen die bal­lis­tis­che Aus­bre­itung von großen Tröpfchen. Diesen Effekt kön­nen sie nur haben, wo zwei Men­schen sich von Angesicht zu Angesicht mit geringem Abstand gegenüber­ste­hen, also in Emp­fangs­bere­ichen, an Kassen usw. Wo Infek­tio­nen durch Kon­takt stat­tfind­en kön­nen, ist eine häu­fige Wis­chdesin­fek­tion erforder­lich. Schirme sind auf jeden Fall nicht das magis­che Hil­f­s­mit­tel, um ohne weit­ere Maß­nah­men die Raum­bele­gung zu erhöhen, denn die Konzen­tra­tion der kleinen, weit fliegen­den Tröpfchen reduzieren sie nicht. Diese müssen durch Lüf­tung ent­fer­nt oder reduziert werden.

Was können Betreiber tun?

Tech­nis­che Lösungsansätze

  • Lüf­tung: Die größte Bedeu­tung wird derzeit ein­er Erhöhung des Frischluftan­teils zur Verdün­nung der Virenkonzen­tra­tion beigemessen. Wo immer möglich, soll­ten RLT-Anla­gen mit 100 Prozent frisch­er Außen­luft betrieben wer­den. Bei niedri­gen Außen­tem­per­a­turen ist dann Befeuch­tung nötig. In Räu­men ohne maschinelle Lüf­tung ist auf effek­tive Fen­ster­lüf­tung zu achten.
  • Umluft­fil­terung: Wo aus tech­nis­chen Grün­den Umluft­be­trieb nötig ist, sollte die Raum­luft nach Möglichkeit durch Umluftreini­gungs­geräte gefiltert wer­den. Fil­ter set­zen sich bei hoher Par­tikel­fracht schnell zu, und bei hoher Feuchte beste­ht die Gefahr von Schim­mel­bil­dung und des Durchwach­sens von Mikroor­gan­is­men. Häu­fige Inspek­tio­nen und nöti­gen­falls Fil­ter­wech­sel sind erforder­lich. Ein Echtzeit-Mon­i­tor­ing der Fil­ter­in­tegrität ist ratsam.
  • UV-Bestrahlung: UV-C-Bestrahlungs­geräte zum Ein­bau in RLT-Anla­gen sind am Markt ver­füg­bar und ver­sprechen hohe Abtö­tungsrat­en. Auf Ozon­frei­heit ist zu achten.
  • Verkürzung von Instand­hal­tungsin­ter­vallen: RLT-Anla­gen und alle ihre Kom­po­nen­ten sind schon unter nor­malen Bedin­gun­gen nach den Vor­gaben der Her­steller sowie nach den all­ge­mein anerkan­nten Regeln der Tech­nik regelmäßig instandzuhal­ten. Für RLT-Anla­gen sind hier ins­beson­dere die Richtlin­ien­rei­he VDI 6022 und die Richtlin­ie VDI 3810 Blatt 4 zu nen­nen. Bei erhöhtem Risiko kön­nen kürzere Instand­hal­tungsin­ter­valle (ins­beson­dere für Inspek­tio­nen und Fil­ter­wech­sel) oder auch ein Echtzeit-Mon­i­tor­ing erforder­lich sein.

Organ­isatorische Maß­nah­men wie die Ver­ringerung der Bele­gungs­dichte von Räu­men oder größere Abstände, Kohort­en­regelun­gen oder die Ein­führung von Regen­er­a­tionspausen beim Arbeit­en in trock­en­er, kalter Luft und per­sön­liche Schutzaus­rüs­tung wie Atem­masken sind unter­stützende Maß­nah­men und bieten weit­eres Poten­zial zur Risikominderung.

Nicht zu unterschätzen: Aufklärung!

Alle Maß­nah­men, die ein­er Mitar­beit der zu schützen­den Per­so­n­en bedür­fen, funk­tion­ieren umso bess­er, je bess­er die Per­so­n­en um die Wirkungsweise der Maß­nah­men wis­sen. Maß­nah­men müssen von den Betrof­fe­nen ver­standen und akzep­tiert sowie durch strin­gente per­sön­liche Hygiene unter­stützt werden.

Und das Umfeld?

Die besten Hygien­e­maß­nah­men in der Pro­duk­tions- oder Arbeit­sumge­bung wer­den sabotiert, wenn das Umfeld nicht stimmt. Es hil­ft wenig, wenn Zweier­büros nur von ein­er Per­son benutzt wer­den dür­fen, wenn auf den Verkehr­swe­gen Masken nicht getra­gen und die Abstände nicht einge­hal­ten wer­den, oder sich die Men­schen im Fahrko­rb eines Aufzugs nahekommen.

Im Fall von Leih- und Bil­liglohnkräften ste­ht auch das Wohnum­feld im Fokus. Es ist ver­ständlich, dass Unternehmer es sich leicht machen möcht­en und die Arbeit­skraft für solche Jobs über Sub­un­ternehmer einkaufen. Damit wird die Ver­ant­wor­tung für das Wohl der Arbeit­nehmer ver­meintlich auf den Sub­un­ternehmer abgewälzt, bei dem diese angestellt sind. Diese Hal­tung ist nicht nur ethisch, son­dern auch juris­tisch min­destens fragwürdig.

Was muss der Anlagenbetreiber tun?

Die in diesem Beitrag beschriebe­nen Risiken treten nicht nur in der fleis­chver­ar­bei­t­en­den Indus­trie auf. Immer wenn beson­dere Gefahren auftreten, wie hier Coro­na, müssen sich Betreiber von Anla­gen nicht mehr nur langfristig bewährter, son­dern fortschrit­tlich­er Tech­niken und aktueller wis­senschaftlich­er Erken­nt­nisse bedi­enen, um erkennbare und ver­mei­d­bare Risiken auszuschließen.

Bei neuen Erken­nt­nis­sen über Risikopoten­ziale sind sie verpflichtet, vorauss­chauend zu agieren.

Die (hof­fentlich) beste­hende Gefährdungs­beurteilung ist bei neuen Erken­nt­nis­sen zu aktu­al­isieren. Der Pflicht zum Schutz der Arbeit­nehmer kann sich der Betreiber ein­er Anlage auch nicht durch ver­tragliche Del­e­ga­tion der Arbeit­ge­berver­ant­wor­tung auf einen Dien­stleis­ter oder durch einen Werkver­trag entziehen; er bleibt immer min­destens in der Pflicht zur angemesse­nen Kon­trolle. Und was nicht durch Doku­men­ta­tion nachgewiesen wer­den kann, ist im Zweifel nicht passiert.

Die Durch­führung der Gefährdungs­beurteilung speziell an RLT-Anla­gen bedarf hoher Fachkom­pe­tenz, wie sie beispiel­sweise die VDI-geprüften Fachin­ge­nieure RLQ (Raum­luftqual­ität) mit­brin­gen. Auch für die Auswahl des einge­set­zten Per­son­als und von Fach­leuten liegt die Ver­ant­wor­tung orig­inär beim Betreiber.

In den Fachkreisen wird mitunter die Notwendigkeit ein­er Gefährdungs­beurteilung für RLT-Anla­gen infrage gestellt. Ger­ade für die Lebens­mit­telver­ar­beitung sind RLT-Anla­gen aber häu­fig eine notwendi­ge Voraus­set­zung für die Arbeit. Daher gilt für diese Anla­gen min­destens der Gel­tungs­bere­ich der Arb­StättV, die im §3 eine Gefährdungs­beurteilung zwin­gend fordert.


CO2-Ampeln als indirekte Indikatoren für Raumluftqualität

Wo viel geat­met wird, gibt es viel CO2 und viel Aerosol. Let­zteres lässt sich allerd­ings nur aufwendig messen. Wenn jedoch in einem Raum die CO2-Konzen­tra­tion steigt und sich der sogenat­ten Pet­tenkofer-Zahl von 1000 ppm nähert, ist die Luft auf jeden Fall schlecht: Tätigkeit­en, die hohe Konzen­tra­tion oder andere kog­ni­tive Leis­tun­gen erfordern, wer­den nahezu unmöglich. Das gilt auch ohne Pan­demie. Die Zeit, in der in einem Raum bei bekan­nter Bele­gung und Luftwech­sel­rate eine bes­timmte CO2-Konzen­tri­on erre­icht wird, lässt sich auch näherungsweise rech­ner­isch bes­tim­men. In Zeit­en ein­er Pan­demie ist eine hohe CO2-Konzen­tra­tion ein indi­rek­ter Indika­tor für eine hohe Aerosolkonzen­tra­tion und ein erhöht­es Infek­tion­srisiko. Lei­der kann die Aus­sage nicht umgekehrt wer­den: Die Aus­sage „< 1000 ppm CO2, also kein Infek­tion­srisiko“ gilt nicht. Bish­er herrscht noch kein Kon­sens in der medi­zinis­chen Com­mu­ni­ty über die Antwort auf die Frage „Wie viele Viren verträgt ein durch­schnit­tlich­er Men­sch, ohne krank zu wer­den?“ Es ist daher kaum möglich, ser­iös zu sagen, „Der Raum ist für x Stun­den sich­er benutzbar.“

CO2-Rückatmung durch Masken – Ist das ein Problem?

Es kur­sieren im Inter­net Videos, in denen mit­tels eines CO2-Mess­geräts für die Raum­luft ange­blich nachgewiesen wird, dass unter der Maske gefährlich hohe CO2-Konzen­tra­tio­nen vor­lä­gen. Bei den Videos, die der Autor zu Gesicht bekam, wur­den die Mes­sun­gen mit Geräten durchge­führt, die für Raum­luft aus­gelegt sind. Die Sen­soren messen im besten Fall bis 5000 ppm, ein­er fünf­fachen Über­schre­itung der Pet­tenkofer-Zahl. Das ist für Innen­räume pri­ma, wo die Alar­m­gren­ze 1000 ppm ist. Die Luft, die wir ausat­men, enthält jedoch rund 40000 ppm, so dass der Sen­sor, wenn man ihn ein­mal anpustet – ver­mut­lich auch ohne Maske – im Bere­ich der Über­sät­ti­gung ist. Fern­er wur­den pas­sive Mess­geräte ver­wen­det, bei denen die Mess­luft nur durch Dif­fu­sion in die Messkam­mer gelangt. Solche Geräte reagieren recht langsam. Für Räume sind sie schnell genug, aber bei sich rasch ändern­den Bedin­gun­gen, wie beim Ein- und Ausat­men ist die Trägheit zu groß. Nach dem ersten Anpusten ist das Gerät für einige Zeit im Alarm-Modus. Für Mes­sun­gen unter Masken gibt es aktive Geräte mit einem weit­em Mess­bere­ich und einge­bauter Pumpe, die den Ama­teuren, die die besagten Videos erstellen, aber ver­mut­lich zu teuer sind. Solche Mes­sun­gen tau­gen also rein gar nichts zur Beurteilung ein­er etwaigen Rückatmung.
All­t­ags­masken und chirur­gis­che Masken sind recht dünn und daher recht gut gas­durch­läs­sig und haben zudem einen hohen Schlupf (Luft, die nicht durch das Gewebe, son­dern an der Maske vor­bei strömt). Chirur­gen beispiel­sweise sind gewohnt, die Masken bei Oper­a­tio­nen über Stun­den zu tra­gen. Berichte über CO2-Rück­at­mung sind mir nicht bekan­nt. Aber selb­st die pro­fes­sionellen Masken (z. B. FFP2) gibt es in Aus­führun­gen, die man über mehrere Stun­den unun­ter­brochen tra­gen kann. Die Gren­ze ist da nicht die Rück­at­mung von CO2, son­dern die Durch­feuch­tung der Maske und der Komfort.

Unternehmensklima – Respekt ist alles!

Masken wer­den mitunter als Kom­fortein­schränkung emp­fun­den. Im Rah­men der Aufk­lärung soll­ten Mitar­beit­er darauf hingewiesen wer­den, dass das Tra­gen der Maske in erster Lin­ie Aus­druck des Respek­ts gegenüber den Kolleg*innen ist, weniger Selb­stschutz. Es sollte auf ein Betrieb­skli­ma geachtet wer­den, in dem jede® auf seine Kolleg*innen achtet, und in dem nie­mand Angst vor neg­a­tiv­en Reak­tio­nen hat, wenn sie oder er Kolleg*innen darauf hin­weist, dass sie die Maske vergessen haben. 

Men­schen, die ein ärztlich­es Attest von einem Facharzt vor­weisen, dem zufolge sie von der Maskenpflicht befre­it wer­den soll­ten, dür­fen in manchen Bun­deslän­dern auf (die weniger wirk­samen) Gesichtss­childe auswe­ichen. Dann ist jedoch ein „großer“ Gesichtss­child erforder­lich, „Biki­nis“ (siehe Haupt­teil des Artikels) sind prak­tisch unwirk­sam. Der Ein­satz von Schilden im Bere­ich der Lebens­mit­telver­ar­beitung oder ‑verteilung (z. B. in der Gas­tronomie) ist der Ein­satz von Gesichtss­childen sehr kri­tisch zu sehen, da das Aerosol prak­tisch unge­hin­dert nach unten aus­tritt – auf die Arbeits­fläche oder das Tablett mit den Nahrungsmitteln.

Umluftreinigungsgeräte – nur wirksam, wenn man’s richtig macht

In Räu­men ohne hin­re­ichende Frischluftzu­fuhr kön­nen Umluftreini­gungs­geräte die Aerosolkonzen­tra­tion senken. Hier muss jedoch darauf geachtet wer­den, dass die Geräte tat­säch­lich die Luft im gesamten Raum fil­tern. Raumho­he Geräte mit Ansaugung am Boden und Aus­lass unter der Decke sind vorzuziehen. Es treten ggf. min­i­male Zuger­schei­n­un­gen im Bere­ich der Ansaugung auf, unter der Decke beste­ht jedoch kein Zugrisiko. Durch hohe Aus­blas­geschwindigkeit­en (Induk­tion­sef­fekt) und Walzen­bil­dung kommt es zu ein­er gründlichen Durch­mis­chung der Raum­luft die fast im ganzen Raum die Aerosolkonzen­tra­tion reduziert. Bei Luftausstoß in gerin­ger­er Höhe kann es durch Wind­schat­ten und Wirbel­bil­dung zur Aus­bil­dung von Tot­zo­nen kom­men. Opti­mal sind Geräte mit Schweb­stoff­fil­tern (alte Beze­ichung H13/H14), wen­ngle­ich, wie im Artikel aus­ge­führt, auch grobere Fil­ter bere­its sig­nifikante Ver­ringerun­gen der Aerosolkonzen­tra­tion bewirken.

 

Lit­er­atur

  • Leclerc QJ, Fuller NM, Knight LE, et al.: COVID19 set­tings of trans­mis­sion – col­lect­ed reports data­base. Figshare. Dataset. 2020. https://www.doi.org/10.6084/m9.figshare. 12173343.v3
  • Gor­dan Lauc, Alem­ka Markot­ic, Ivan Gornik, Dra­gan Pri­morac: Fight­ing COVID-19 with water. www.jogh.org; doi: 10.7189/jogh.10.010344
  • Zeshan Qureshi, Nicholas Jones, Robert Tem­ple, Jes­si­ca PJ Lar­wood, Trisha Green­hal­gh, Lydia Bouroui­ba: What is the evi­dence to sup­port the 2‑metre social dis­tanc­ing rule to reduce COVID-19 trans­mis­sion? https://www.cebm.net/covid-19/what-is-the-evidence-to- sup­port-the-2-metre-social-dis­tanc­ing-rule- to-reduce-covid-19-transmission/
  • Lydia Bouroui­ba †, Eline Dehand­schoew­er­ck­er and John W. M. Bush: Vio­lent expi­ra­to­ry events: on cough­ing and sneez­ing. J. Flu­id Mech. (2014), vol. 745, pp. 537–563. Cam­bridge Uni­ver­si­ty Press 2014, doi:10.1017/jfm.2014.88

1 Forschungsvorhaben S770 gefördert durch die Stiftung Indus­trieforschung: „Analyse der Ver­bre­itung aero­gen­er Viren über Raum­luft­tech­nis­che Anla­gen und Entwick­lung von Desin­fek­tion­s­maß­nah­men“, durchge­führt von der Ruhr-Uni­ver­sität Bochum


Autor: Dipl.-Phys. Thomas Wollstein

Mitar­beit­er der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäude­tech­nik. Er betreut dort u. a. die The­men­felder Facil­i­ty Man­age­ment, Rein­raumtech­nik und tech­nis­che Hygiene.


Danksagungen

Für fach­lichen Input zu diesem Artikel schulde ich Dank:
Prof. Ulrich Finke, RA Hart­mut Hardt, Prof. Christoph Kaup, Dr. Christof Sin­der, Dr. Roland Suchen­wirth, Dr. Andreas Winkens, Ralf Joneleit und den vie­len Fach­leuten in unseren VDI-Auss­chüssen, die ihr Wis­sen der All­ge­mein­heit zur Ver­fü­gung stellen. Fach­liche Fehler und unzuläs­sige Vere­in­fachun­gen gehen auf mein Konto.

Thomas Woll­stein

 

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