Am Ende dieses Beitrags hat der Autor noch folgende Themen ergänzt, die nicht in der Ausgabe 9/2020 von Sicherheitsingenieur aufgeführt waren:
CO2-Rückatmung durch Masken – Ist das ein Problem?
Unternehmensklima – Respekt ist alles!
Umluftreinigungsgeräte – nur wirksam, wenn man’s richtig macht
Die Verunsicherung bei Nicht-Fachleuten wird zum großen Teil durch den undifferenzierten Gebrauch des Begriffs „Klimaanlage“ für unterschiedlichste Anlagen- und Gerätetypen hervorgerufen. Für den Laien ist das Splitgerät aus dem Baumarkt eine „Klimaanlage“, die fußballfeldgroße Technikzentrale im 500-Zimmer-Hotel mit Schwimmbad, Küche und Veranstaltungsbereich und vier Sternen aber eben auch.
Wichtigster Schutzfaktor gegen eine Verbreitung von luftgetragenen Schadstoffen in Innenräumen ist der Frischluftanteil. Frischluft muss im Sommer mit hohem technischen und Energieaufwand auf die gewünschte Temperatur und Feuchte im Raum konditioniert werden. Aus dem Raum angesaugte Luft schlicht in Umluftkühlgeräten zu „recyceln“ ist weniger aufwändig. In den fleischverarbeitenden Betrieben, die derzeit als Superspreader besonders im Fokus stehen, wird nur ein geringer Frischluftanteil zugeführt. Und obwohl die Richtlinie VDI 6022 Blatt 1 auch für Sekundärluftgeräte und Umluftkühlgeräte Filter fordert, werden diese zumeist ohne Filter betrieben. Luftgetragene Pathogene und Schadstoffe werden also nicht abgeschieden, und eine Verdünnung von Luftverunreinigungen findet nur über den vorgeschriebenen Mindestluftwechsel statt.
Demgegenüber weisen moderne RLT-Anlagen in Bürogebäuden mehrere und vor allem feine Filterstufen auf und werden möglichst mit 100 Prozent Außenluft betrieben, wobei der Energieaufwand durch Wärme- oder Kälterückgewinnung optimiert wird. In solchen Anlagen werden Schadstoffe, auch virenbeladene Tröpfchen, durch die Filter teilweise abgeschieden und ihre Konzentration in der Raumluft zusätzlich durch Verdünnung mit Frischluft reduziert. Tatsächlich ist für die Abscheidung von Viren nicht einmal unbedingt ein HEPA-Filter nötig; Viren sind zwar sehr klein, aber selten „nackt“ unterwegs. Sie lagern sich an andere, größere Partikel (zum Beispiel Staub) und Flüssigkeitströpfchen an. Infektionsraten sind tatsächlich in staubhaltiger Luft erhöht.
Manche Viren können auf Oberflächen lange überleben. Sie werden sich dort – also auch in einer RLT-Anlage – jedoch mit ziemlicher Sicherheit nicht vermehren. Dazu fehlt ihnen ein Wirtsorganismus (das ist bei Bakterien anders: Bakterien vermehren sich durch Teilung und brauchen dazu nur Wasser, Wärme und Nahrung).
Kann man Filter nachrüsten?
Man kann auch in bestehende Geräte Filter einbauen. Ein Allheilmittel ist das aber nicht. Ist es praktikabel? Gerade bei HEPA-Filtern ist der Druckverlust nicht vernachlässigbar. Das Lüftungskonzept wäre daher nach einer solchen Veränderung sicher zu überprüfen. Die Hallenluft in der Fleischverarbeitung bringt zudem eine erhebliche Feuchte- und Partikellast mit. HEPA-Filter werden sich daher schnell zusetzen und – auch aufgrund der Kapillarwirkung im Filtergewebe – feucht werden. Damit wächst die Gefahr von mikrobieller Vermehrung auf den Filtern bis hin zum Durchwachsen. Es wären mit Sicherheit mindestens sehr häufige Filterinspektionen und vermutlich ‑wechsel nötig.
Von einem namhaften Filterhersteller wird in diesem Kontext der Warnhinweis gegeben, dass die beladenen Filter ein Infektionsrisiko darstellen könnten. Dies sollte in der Gefährdungsbeurteilung für das Instandhaltungspersonal und bei der Entsorgung des Materials berücksichtigt werden.
Welche Rolle spielen Lufttemperatur und ‑feuchte sowie Lärm?
Leclerc et al. listen in ihrer Datenbank eine ganze Reihe von sogenannten Superspreading-Events weltweit gerade in lebensmittelverarbeitenden Betrieben. Woran liegt das?
In der Lebensmittelverarbeitung, besonders aber in der Fleischverarbeitung sind niedrige Temperaturen (fünf bis zehn Grad Celsius) nötig, weil Fleisch bei höheren Temperaturen rasch verdirbt. Zusätzlich zur Kühlung wird die Luft entfeuchtet. Aber kalte Luft ist trockene Luft: Luft mit einer relativen Feuchte von 100 Prozent bei 5 °C hat noch 20 Prozent Feuchte, wenn sie auf 25 °C erwärmt wird. Die Erwärmung geschieht beim Einatmen. Die Luft nimmt dann viel Wasser aus den Schleimhäuten auf. Lauc et al. zeigen auf, dass die Atemwege hierdurch anfälliger für Infektionen werden; es reichen weniger Keime für eine „erfolgreiche“ Ansteckung.
Kann man dagegen etwas tun? In Grenzen. In verschiedenen Produktionsbereichen, in denen niedrige Temperaturen und geringe Feuchten nötig sind, dürfen die Beschäftigten nur in begrenzten Intervallen unter den belastenden Bedingungen arbeiten und müssen sich dann in einer Umgebung mit zuträglicheren Bedingungen erholen.
Lautes Sprechen, um den Maschinenlärm und die anderen Menschen zu übertönen, und körperliche Anstrengung erhöhen nicht nur den Ausstoß von virenbeladenen Tröpfchen, sondern auch deren Ausstoßgeschwindigkeit und verändern das Größenspektrum der Tröpfchen.
2 m Abstand eingehalten, alles gut?
Nach wie vor ist Abstand ein wichtiger Schutzfaktor. Aktuelle Fotos aus fleischverarbeitenden Betrieben zeigen zu geringe Abstände zwischen den Beschäftigten. Nun sind 2 m keine magische Zahl, die alles gut macht. Qureshi, Jones et al. diskutieren diese Zahl in einer Meta-Studie und kommen zu der Schlussfolgerung, dass dieser Mindestabstand tatsächlich empfehlenswert ist, weil die großen Aerosoltröpfchen innerhalb dieses Radius auf den Boden fallen. Bourouiba et al. haben aber mittels Hochgeschwindigkeitsvideos zeigen können, dass beim Husten oder Niesen Tröpfchen aller Größen entstehen, von großen, mit bloßem Auge sichtbaren, die im Nahbereich der sie ausstoßenden Person auf den Boden fallen, bis hin zu kleinen, die mit der ausgestoßenen Luft teilweise auch gerne 6 bis 8 m zurücklegen.
In trockener Luft verdunsten Tröpfchen schneller. Sie werden kleiner und können dann länger in der Schwebe bleiben. Bei den Untersuchungen zur Flugweite betrachtet man „Windstille“, nicht aber Rücken- oder Gegenwind und Thermik. Sie verzerren die Ausbreitungsmuster erheblich. Eine laminare Strömung von der Decke zum Boden beispielsweise ist seit langem das Mittel der Wahl, um OP-Tische von Partikeln freizuhalten. Aufsteigende Thermik hingegen hält Partikel länger in der Schwebe. Dem Lüftungskonzept für Räume kommt daher mit Blick auf die Auswahl von Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe eine hohe Bedeutung zu.
Sonne im Herzen – UV-Bestrahlung als Allheilmittel?
UV-C-Bestrahlung wird in RLT-Anlagen seit vielen Jahren erfolgreich zur Desinfektion und zur Verhinderung des Aufwachsens von Biofilm eingesetzt, zum Beispiel in Wärmeübertragern.
UV-C-Strahlung tötet auch Viren, auch SARS-CoV‑2, auf Oberflächen, wie Forscher der Universität Boston belegen konnten. Das ist keine Überraschung: Für viele Viren sind die zur Erzielung einer vorgegebenen Abtötungsrate nötigen Dosen bekannt und liegen in einem Bereich, der sich mit UV-Strahlern erreichen lässt. Die Reduktion verschiedener luftgetragener Viren in RLT-Anlagen wurde unter anderem in einem Forschungsvorhaben der Stiftung Industrieforschung1 nachgewiesen.
Zur Abtötung von Mikroorganismen und Viren in einem Luftstrom mittels Bestrahlung müssen die sich mit der Luft bewegenden Pathogene hinreichend lange im Einwirkbereich der Strahlungsquelle (Niederdruck- oder Hochdruckstrahler) verweilen, und die Strahlungsintensität muss hoch genug sein. Das ist bei Konstruktion und Einstellung der Geräte zu berücksichtigen.
UV-C-Strahler emittieren Strahlung mit verschiedenen Wellenlängen. 254 nm reichen zur Abtötung von Viren aus. 185 nm erzeugen zusätzlich Ozon. Während dieses aggressive Gas einerseits selbst Bakterien und Viren töten kann, darf es wegen seiner reizenden Wirkung nicht in Aufenthaltsräume gelangen. Ozonfreie UV-C-Bestrahlungsgeräte filtern die UV-C-Strahlung bei 185 nm aus und verwenden zur Desinfektion nur die Emission bei 254 nm. Ozon kann auch durch mit Aktivkohle beschichtete Filter katalytisch eliminiert werden.
Ein Spin-off der UV-Technologie ist der Hype bei Wohnraumleuchten mit UV-C-Lampen, die als „Sterilisationslampen“ angeboten werden, in einem Fall sogar mit einem Foto eines im Licht der UV-C-Lampe sorglos mit einem Säugling spielenden jungen Paars. Aber: UV-C-Strahlung ist zellschädigend. Nicht nur Viren sterben am „Sonnenbrand“, auch menschliche Zellen werden geschädigt. Und UV‑C erreicht Viren in Schattenbereichen gar nicht; in eingerichteten Räumen ist also keine vollständige UV-Desinfektion möglich. Eine Raumdesinfektion mittels der als „Sterilisationslampen“ angebotenen Geräte erscheint daher nicht realistisch, schon einmal gar nicht bei belegten Räumen.
Masken, Schirme, usw. – was bringen die?
(Textil-)Masken dienen in erster Linie als Auswurfbremse. Sie schützen vor allem die anderen, nicht den Träger. Sie fangen einen Teil des ausgeatmeten Aerosols auf, vor allem größere Tröpfchen. Teilweise lenken sie es auch ungefiltert um: Viel von der ein- und ausgeatmeten Luft strömt an der Maske vorbei statt durch das Gewebe. Daher sind Masken kein Ersatz für beispielsweise das Einhalten des nötigen Abstands, sondern eine unterstützende Maßnahme. Echten Schutz für den Träger in kontaminierten Umgebungen bieten nur dicht sitzende Schutzmasken, FFP2 oder besser. Dichtheit und Tragekomfort stehen in Konkurrenz: Eine Maske mit Gummidichtung über Stunden zu tragen ist recht belastend.
Bei Einsatz jedweder Art von Maske in einer Arbeitsumgebung ist eine Einweisung des Personals in Maskenhygiene dringend empfehlenswert. Visiere aus transparentem Kunststoff bieten – nicht nur bei Hitzewellen – höheren Tragekomfort, allerdings auch geringeren Schutz. Während Textilmasken zumindest einen Teil des Aerosols auch absorbieren, verbiegen solche Masken nur die Flugbahn der Tröpfchen. Sie führen zu einer kurzzeitigen „Wolke“ um den Emittenden. Die „Bikinis unter den Masken“ sind Visiere mit einem Kunststoffschirm von wenig über 10 cm Höhe und Breite. Hier ist nach Einschätzung des Autoren nahezu keine Wirksamkeit zu erwarten.
Die inzwischen an vielen Stellen angebrachten Plexiglas-Schirme sind ebenfalls im Wesentlichen physikalische Barrieren gegen die ballistische Ausbreitung von großen Tröpfchen. Diesen Effekt können sie nur haben, wo zwei Menschen sich von Angesicht zu Angesicht mit geringem Abstand gegenüberstehen, also in Empfangsbereichen, an Kassen usw. Wo Infektionen durch Kontakt stattfinden können, ist eine häufige Wischdesinfektion erforderlich. Schirme sind auf jeden Fall nicht das magische Hilfsmittel, um ohne weitere Maßnahmen die Raumbelegung zu erhöhen, denn die Konzentration der kleinen, weit fliegenden Tröpfchen reduzieren sie nicht. Diese müssen durch Lüftung entfernt oder reduziert werden.
Was können Betreiber tun?
Technische Lösungsansätze
- Lüftung: Die größte Bedeutung wird derzeit einer Erhöhung des Frischluftanteils zur Verdünnung der Virenkonzentration beigemessen. Wo immer möglich, sollten RLT-Anlagen mit 100 Prozent frischer Außenluft betrieben werden. Bei niedrigen Außentemperaturen ist dann Befeuchtung nötig. In Räumen ohne maschinelle Lüftung ist auf effektive Fensterlüftung zu achten.
- Umluftfilterung: Wo aus technischen Gründen Umluftbetrieb nötig ist, sollte die Raumluft nach Möglichkeit durch Umluftreinigungsgeräte gefiltert werden. Filter setzen sich bei hoher Partikelfracht schnell zu, und bei hoher Feuchte besteht die Gefahr von Schimmelbildung und des Durchwachsens von Mikroorganismen. Häufige Inspektionen und nötigenfalls Filterwechsel sind erforderlich. Ein Echtzeit-Monitoring der Filterintegrität ist ratsam.
- UV-Bestrahlung: UV-C-Bestrahlungsgeräte zum Einbau in RLT-Anlagen sind am Markt verfügbar und versprechen hohe Abtötungsraten. Auf Ozonfreiheit ist zu achten.
- Verkürzung von Instandhaltungsintervallen: RLT-Anlagen und alle ihre Komponenten sind schon unter normalen Bedingungen nach den Vorgaben der Hersteller sowie nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik regelmäßig instandzuhalten. Für RLT-Anlagen sind hier insbesondere die Richtlinienreihe VDI 6022 und die Richtlinie VDI 3810 Blatt 4 zu nennen. Bei erhöhtem Risiko können kürzere Instandhaltungsintervalle (insbesondere für Inspektionen und Filterwechsel) oder auch ein Echtzeit-Monitoring erforderlich sein.
Organisatorische Maßnahmen wie die Verringerung der Belegungsdichte von Räumen oder größere Abstände, Kohortenregelungen oder die Einführung von Regenerationspausen beim Arbeiten in trockener, kalter Luft und persönliche Schutzausrüstung wie Atemmasken sind unterstützende Maßnahmen und bieten weiteres Potenzial zur Risikominderung.
Nicht zu unterschätzen: Aufklärung!
Alle Maßnahmen, die einer Mitarbeit der zu schützenden Personen bedürfen, funktionieren umso besser, je besser die Personen um die Wirkungsweise der Maßnahmen wissen. Maßnahmen müssen von den Betroffenen verstanden und akzeptiert sowie durch stringente persönliche Hygiene unterstützt werden.
Und das Umfeld?
Die besten Hygienemaßnahmen in der Produktions- oder Arbeitsumgebung werden sabotiert, wenn das Umfeld nicht stimmt. Es hilft wenig, wenn Zweierbüros nur von einer Person benutzt werden dürfen, wenn auf den Verkehrswegen Masken nicht getragen und die Abstände nicht eingehalten werden, oder sich die Menschen im Fahrkorb eines Aufzugs nahekommen.
Im Fall von Leih- und Billiglohnkräften steht auch das Wohnumfeld im Fokus. Es ist verständlich, dass Unternehmer es sich leicht machen möchten und die Arbeitskraft für solche Jobs über Subunternehmer einkaufen. Damit wird die Verantwortung für das Wohl der Arbeitnehmer vermeintlich auf den Subunternehmer abgewälzt, bei dem diese angestellt sind. Diese Haltung ist nicht nur ethisch, sondern auch juristisch mindestens fragwürdig.
Was muss der Anlagenbetreiber tun?
Die in diesem Beitrag beschriebenen Risiken treten nicht nur in der fleischverarbeitenden Industrie auf. Immer wenn besondere Gefahren auftreten, wie hier Corona, müssen sich Betreiber von Anlagen nicht mehr nur langfristig bewährter, sondern fortschrittlicher Techniken und aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse bedienen, um erkennbare und vermeidbare Risiken auszuschließen.
Bei neuen Erkenntnissen über Risikopotenziale sind sie verpflichtet, vorausschauend zu agieren.
Die (hoffentlich) bestehende Gefährdungsbeurteilung ist bei neuen Erkenntnissen zu aktualisieren. Der Pflicht zum Schutz der Arbeitnehmer kann sich der Betreiber einer Anlage auch nicht durch vertragliche Delegation der Arbeitgeberverantwortung auf einen Dienstleister oder durch einen Werkvertrag entziehen; er bleibt immer mindestens in der Pflicht zur angemessenen Kontrolle. Und was nicht durch Dokumentation nachgewiesen werden kann, ist im Zweifel nicht passiert.
Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung speziell an RLT-Anlagen bedarf hoher Fachkompetenz, wie sie beispielsweise die VDI-geprüften Fachingenieure RLQ (Raumluftqualität) mitbringen. Auch für die Auswahl des eingesetzten Personals und von Fachleuten liegt die Verantwortung originär beim Betreiber.
In den Fachkreisen wird mitunter die Notwendigkeit einer Gefährdungsbeurteilung für RLT-Anlagen infrage gestellt. Gerade für die Lebensmittelverarbeitung sind RLT-Anlagen aber häufig eine notwendige Voraussetzung für die Arbeit. Daher gilt für diese Anlagen mindestens der Geltungsbereich der ArbStättV, die im §3 eine Gefährdungsbeurteilung zwingend fordert.
CO2-Ampeln als indirekte Indikatoren für Raumluftqualität
Wo viel geatmet wird, gibt es viel CO2 und viel Aerosol. Letzteres lässt sich allerdings nur aufwendig messen. Wenn jedoch in einem Raum die CO2-Konzentration steigt und sich der sogenatten Pettenkofer-Zahl von 1000 ppm nähert, ist die Luft auf jeden Fall schlecht: Tätigkeiten, die hohe Konzentration oder andere kognitive Leistungen erfordern, werden nahezu unmöglich. Das gilt auch ohne Pandemie. Die Zeit, in der in einem Raum bei bekannter Belegung und Luftwechselrate eine bestimmte CO2-Konzentrion erreicht wird, lässt sich auch näherungsweise rechnerisch bestimmen. In Zeiten einer Pandemie ist eine hohe CO2-Konzentration ein indirekter Indikator für eine hohe Aerosolkonzentration und ein erhöhtes Infektionsrisiko. Leider kann die Aussage nicht umgekehrt werden: Die Aussage „< 1000 ppm CO2, also kein Infektionsrisiko“ gilt nicht. Bisher herrscht noch kein Konsens in der medizinischen Community über die Antwort auf die Frage „Wie viele Viren verträgt ein durchschnittlicher Mensch, ohne krank zu werden?“ Es ist daher kaum möglich, seriös zu sagen, „Der Raum ist für x Stunden sicher benutzbar.“
CO2-Rückatmung durch Masken – Ist das ein Problem?
Es kursieren im Internet Videos, in denen mittels eines CO2-Messgeräts für die Raumluft angeblich nachgewiesen wird, dass unter der Maske gefährlich hohe CO2-Konzentrationen vorlägen. Bei den Videos, die der Autor zu Gesicht bekam, wurden die Messungen mit Geräten durchgeführt, die für Raumluft ausgelegt sind. Die Sensoren messen im besten Fall bis 5000 ppm, einer fünffachen Überschreitung der Pettenkofer-Zahl. Das ist für Innenräume prima, wo die Alarmgrenze 1000 ppm ist. Die Luft, die wir ausatmen, enthält jedoch rund 40000 ppm, so dass der Sensor, wenn man ihn einmal anpustet – vermutlich auch ohne Maske – im Bereich der Übersättigung ist. Ferner wurden passive Messgeräte verwendet, bei denen die Messluft nur durch Diffusion in die Messkammer gelangt. Solche Geräte reagieren recht langsam. Für Räume sind sie schnell genug, aber bei sich rasch ändernden Bedingungen, wie beim Ein- und Ausatmen ist die Trägheit zu groß. Nach dem ersten Anpusten ist das Gerät für einige Zeit im Alarm-Modus. Für Messungen unter Masken gibt es aktive Geräte mit einem weitem Messbereich und eingebauter Pumpe, die den Amateuren, die die besagten Videos erstellen, aber vermutlich zu teuer sind. Solche Messungen taugen also rein gar nichts zur Beurteilung einer etwaigen Rückatmung.
Alltagsmasken und chirurgische Masken sind recht dünn und daher recht gut gasdurchlässig und haben zudem einen hohen Schlupf (Luft, die nicht durch das Gewebe, sondern an der Maske vorbei strömt). Chirurgen beispielsweise sind gewohnt, die Masken bei Operationen über Stunden zu tragen. Berichte über CO2-Rückatmung sind mir nicht bekannt. Aber selbst die professionellen Masken (z. B. FFP2) gibt es in Ausführungen, die man über mehrere Stunden ununterbrochen tragen kann. Die Grenze ist da nicht die Rückatmung von CO2, sondern die Durchfeuchtung der Maske und der Komfort.
Unternehmensklima – Respekt ist alles!
Masken werden mitunter als Komforteinschränkung empfunden. Im Rahmen der Aufklärung sollten Mitarbeiter darauf hingewiesen werden, dass das Tragen der Maske in erster Linie Ausdruck des Respekts gegenüber den Kolleg*innen ist, weniger Selbstschutz. Es sollte auf ein Betriebsklima geachtet werden, in dem jede® auf seine Kolleg*innen achtet, und in dem niemand Angst vor negativen Reaktionen hat, wenn sie oder er Kolleg*innen darauf hinweist, dass sie die Maske vergessen haben.
Menschen, die ein ärztliches Attest von einem Facharzt vorweisen, dem zufolge sie von der Maskenpflicht befreit werden sollten, dürfen in manchen Bundesländern auf (die weniger wirksamen) Gesichtsschilde ausweichen. Dann ist jedoch ein „großer“ Gesichtsschild erforderlich, „Bikinis“ (siehe Hauptteil des Artikels) sind praktisch unwirksam. Der Einsatz von Schilden im Bereich der Lebensmittelverarbeitung oder ‑verteilung (z. B. in der Gastronomie) ist der Einsatz von Gesichtsschilden sehr kritisch zu sehen, da das Aerosol praktisch ungehindert nach unten austritt – auf die Arbeitsfläche oder das Tablett mit den Nahrungsmitteln.
Umluftreinigungsgeräte – nur wirksam, wenn man’s richtig macht
In Räumen ohne hinreichende Frischluftzufuhr können Umluftreinigungsgeräte die Aerosolkonzentration senken. Hier muss jedoch darauf geachtet werden, dass die Geräte tatsächlich die Luft im gesamten Raum filtern. Raumhohe Geräte mit Ansaugung am Boden und Auslass unter der Decke sind vorzuziehen. Es treten ggf. minimale Zugerscheinungen im Bereich der Ansaugung auf, unter der Decke besteht jedoch kein Zugrisiko. Durch hohe Ausblasgeschwindigkeiten (Induktionseffekt) und Walzenbildung kommt es zu einer gründlichen Durchmischung der Raumluft die fast im ganzen Raum die Aerosolkonzentration reduziert. Bei Luftausstoß in geringerer Höhe kann es durch Windschatten und Wirbelbildung zur Ausbildung von Totzonen kommen. Optimal sind Geräte mit Schwebstofffiltern (alte Bezeichung H13/H14), wenngleich, wie im Artikel ausgeführt, auch grobere Filter bereits signifikante Verringerungen der Aerosolkonzentration bewirken.
Literatur
- Leclerc QJ, Fuller NM, Knight LE, et al.: COVID19 settings of transmission – collected reports database. Figshare. Dataset. 2020. https://www.doi.org/10.6084/m9.figshare. 12173343.v3
- Gordan Lauc, Alemka Markotic, Ivan Gornik, Dragan Primorac: Fighting COVID-19 with water. www.jogh.org; doi: 10.7189/jogh.10.010344
- Zeshan Qureshi, Nicholas Jones, Robert Temple, Jessica PJ Larwood, Trisha Greenhalgh, Lydia Bourouiba: What is the evidence to support the 2‑metre social distancing rule to reduce COVID-19 transmission? https://www.cebm.net/covid-19/what-is-the-evidence-to- support-the-2-metre-social-distancing-rule- to-reduce-covid-19-transmission/
- Lydia Bourouiba †, Eline Dehandschoewercker and John W. M. Bush: Violent expiratory events: on coughing and sneezing. J. Fluid Mech. (2014), vol. 745, pp. 537–563. Cambridge University Press 2014, doi:10.1017/jfm.2014.88
1 Forschungsvorhaben S770 gefördert durch die Stiftung Industrieforschung: „Analyse der Verbreitung aerogener Viren über Raumlufttechnische Anlagen und Entwicklung von Desinfektionsmaßnahmen“, durchgeführt von der Ruhr-Universität Bochum
Autor: Dipl.-Phys. Thomas Wollstein
Mitarbeiter der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik. Er betreut dort u. a. die Themenfelder Facility Management, Reinraumtechnik und technische Hygiene.
Danksagungen
Für fachlichen Input zu diesem Artikel schulde ich Dank:
Prof. Ulrich Finke, RA Hartmut Hardt, Prof. Christoph Kaup, Dr. Christof Sinder, Dr. Roland Suchenwirth, Dr. Andreas Winkens, Ralf Joneleit und den vielen Fachleuten in unseren VDI-Ausschüssen, die ihr Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Fachliche Fehler und unzulässige Vereinfachungen gehen auf mein Konto.
Thomas Wollstein