Als Schöpfer und Begründer des Begriffs Flow gilt der inzwischen emeritierte Professor für Psychologie Mihály Csíkszentmihályi [1]. Er hatte schon in den 70er Jahren über das Phänomen des Flows geforscht, allerdings vor dem Hintergrund, was Menschen glücklich macht und wann Menschen Glück erleben. Dass er sich dabei unter anderem auch auf Gefühls- und Bewusstseinszustände von Glücksspielern bezog, lässt den Gedanken aufkommen, dass Flow und andere rauschhafte Zustände – wie zum Beispiel der alkohol- oder drogeninduzierte Rauschzustand – Ähnlichkeiten aufweisen und somit auch nicht nur positive Effekte hervorrufen können. Csíkszentmihályi selbst hat den Flow als „positive Sucht“ bezeichnet, andere Forscher sprachen angesichts der negativen Konnotationen, die der Begriff Sucht auslöst, lieber von Leidenschaft oder Hochmotivation [2].
Auch wenn in der heutigen Zeit immer wieder davon die Rede ist, wie erfüllend, produktiv, zielführend und letztlich „gesund“ Flow-Zustände sind und diese aktiv herbeigeführt werden sollen, muss man sich fragen, ob solcherlei Zustände eben gerade aufgrund ihrer definierenden Merkmale (Fokussierung, völlige Vertiefung und restloses Aufgehen in einer Tätigkeit) nicht auch Gefahren und Risiken in sich bergen, gerade für die Bereiche Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten, dass sie im Flow kein Telefonklingeln und keine Outlooksignale mehr wahrnehmen, wie verhält es sich dann mit Alarmsirenen, minimalen Anzeichen von aufkommenden Risiken oder Gefahren oder auch einfach nur Zurufen von Kolleginnen oder Kollegen, die vor einem Hindernis warnen?
Zwischen Angst und Langeweile
Flow kann bei der Steuerung eines komplexen, schnell ablaufenden Geschehens im Bereich zwischen Überforderung (Angst) und Unterforderung (Langeweile) entstehen. Somit spielen hinsichtlich der Frage, ob ein Flow-Zustand entstehen kann, immer die Anforderungen, die eine Tätigkeit stellt und die Fähigkeiten dessen, der die Tätigkeit ausübt, eine Rolle (siehe Abb. 1). Übertreffen die Anforderungen die Fähigkeiten, entsteht Angst oder Überforderung. Sind die Anforderungen jedoch gering im Vergleich zu den vorhandenen Fähigkeiten, entsteht ein Gefühl der Unterforderung und Langeweile.
Nach Csíkszentmihályi bedingt das Eintreten des Flow-Gefühls klare Zielsetzungen, eine volle Konzentration auf das Tun, das Gefühl der Kontrolle der Tätigkeit sowie den Einklang von Anforderung und Fähigkeit jenseits von Angst oder Langeweile in scheinbarer Mühelosigkeit [1]. So lassen sich folgende charakteristische Kriterien des Flow-Erlebens festhalten [2]:
- Ein Mensch im Flow fühlt sich den selbst gestellten Anforderungen gewachsen (Schwierigkeit der Aufgabe und Lösungskompetenz befinden sich im Gleichgewicht).
- Er konzentriert die Aufmerksamkeit auf ein begrenztes, überschaubares Handlungsfeld (die Tätigkeit läuft im Nahbereich ab).
- Auf die Aktivitäten erfolgen klare Rückmeldungen (der Handlungserfolg wird sofort erkennbar).
- Handeln und Bewusstsein verschmelzen miteinander (eine Außenwelt existiert nicht).
- Der Mensch geht voll in seiner Tätigkeit auf (er überhört zum Beispiel das Telefon).
- Das Zeitgefühl verändert sich (man lebt ganz im Hier und Jetzt).
- Die Tätigkeit belohnt sich selbst (es bedarf keines Lobes von außen).
Viele Rezepte, keine Garantien
Angesichts solcher, vermeintlich positiver Effekte des Flows verwundert es nicht, dass großes Interesse an der Frage besteht, wie man in einen solchen Zustand gelangen kann, auch und gerade bei Arbeitgebern. Im Kontext positiver Emotionen am Arbeitsplatz und der Gestaltung von Arbeitstätigkeiten, die sich am Verständnis der Arbeitspsychologie orientieren, kommt der Entstehung und Förderung intrinsischer Arbeitsmotivation zunehmende Bedeutung zu. Flow-Erleben wird dabei als höchste Form intrinsischer Motivation bezeichnet, das mit dem Einhergehen von Arbeit und Freude verbunden sein kann [3].
Daraus eröffnet sich für Unternehmen die große Chance und Herausforderung, flowförderliche Bedingungen zu schaffen, um zum einen Engagement und Leistungssteigerung bei den Mitarbeitenden zu bewirken und letztendlich höhere Produktivität und Rentabilität für das Unternehmen zu erzielen. Die hierfür angebotenen Rezepte sind vielfältig und vollmundig. Insbesondere Seminare, aber auch Meditationstechniken und Verhaltensrituale, Raumgestaltungen und technische Maßnahmen werden angeboten, um Menschen in den Flow zu bringen. Immer wieder gegebene Tipps lesen sich dann so [4]:
- Suchen Sie sich Anforderungen, die Ihren Fähigkeiten entsprechen.
- Legen Sie bei herausfordernden Tätigkeiten immer wieder Pausen ein.
- Setzen Sie sich klare, erreichbare Ziele, und holen Sie sich regelmäßig Feedback.
- Schaffen Sie Handlungsspielräume, etwa indem Sie selbst entscheiden, wann und wie Sie eine Aufgabe erledigen.
- Machen Sie sich die Bedeutung Ihrer Aufgaben bewusst.
- Holen Sie sich bei schwierigen Problemen Unterstützung von anderen.
- Bearbeiten Sie wichtige Aufgaben morgens, zirka eine Stunde nach dem Aufstehen.
- Aktivieren Sie sich mit leichter Bewegung, etwa einem Spaziergang.
- Wenn Sie gestresst sind, atmen Sie langsam aus oder machen Sie eine Entspannungsübung.
- Sorgen Sie für Entspannung am Abend, um effektiv abzuschalten.
Flow – es kommt darauf an
Viele dieser Empfehlungen sind bekannt aus der Motivationspsychologie. Und wie es oft in der Erklärung, Veränderung und Vorhersage menschlichen Verhaltens gilt: Es kommt drauf an, was wirklich wirkt. Da das Flow-Erleben ebenso individuell ist wie der Flow-Zugang, gibt es keine Pauschallösung. So sind auch intermittierende Variablen zu berücksichtigen: Wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr mit ihrer Tätigkeit beziehungsweise ihrem Arbeitgeber identifizieren, kann das zu einer erhöhten Motivation und damit auch zu einem besseren Umgang mit belastenden Faktoren der Arbeit führen. So wurde beispielsweise erforscht, inwiefern Mitarbeiteridentifikation den alltäglichen Flow bei der Arbeit fördert [5]. Ein solcher Flow stellt eben eine Form der intrinsischen Motivation dar, also einen besonders starken inneren Antrieb. Daher war die Ausgangshypothese der Forscher, dass Menschen, die eine starke Identifikation mit ihrem Unternehmen haben, häufiger einen Flow bei der Arbeit erleben, was wiederum die schädlichen Auswirkungen von Stress auf das psychische Wohlbefinden reduziert.
Die Forschungen zeigten wie vermutet, dass Beschäftigte mit hoher Organisationsbindung an insgesamt mehr Arbeitstagen Flow erlebten. Gleichzeitig wirkte Arbeitsstress bei häufigem Flowerleben weniger schädlich auf das Wohlbefinden der Beschäftigten. Im Gegensatz dazu erlebten Mitarbeiter mit geringer Organisationsbindung seltener Flow und hatten ein geringeres Wohlbefinden als Folge von Arbeitsstress. Soweit, so gut. Es ist aber immer auch zu klären, ob und wann der Flow zur Gefahr werden kann – für den Einzelnen, aber auch für andere.
Zu Risiken und Nebenwirkungen …
Schon Csíkszentmihályi hat durchaus vor den negativen Folgen von Flow gewarnt. Er weist auf die problematische Anwendung des Flow-Konzepts im Krieg, aber auch in der Wirtschaft hin. Studien belegen, dass Flow-Zustände nachteilige Wirkungen haben können bei der Straßenverkehrsteilnahme, im Bereich des (Extrem-) Sports oder beim Glücksspiel [1]. Durch den „Tunnelblick“, der sich im Flow einstellen kann und der von vielen Forschern geradezu als konstituierendes Merkmal des Flows erwähnt wird, werden möglicherweise andere relevante Informationen nicht oder nicht hinreichend wahrgenommen.
Die Vernachlässigung grundlegender körperlicher Bedürfnisse und Erfordernisse, wie zum Beispiel Essen, Trinken, Schlafen oder zur Toilette gehen, können zu einem schlagartigen Verlust der Leistungsfähigkeit führen. Es besteht darüber hinaus die Gefahr einer „Flow-Sucht“, nämlich dann, wenn die den Flow auslösende Tätigkeit immer wieder praktiziert wird und so eine Abhängigkeit entsteht. (Extrem-) Sportler, aber auch Arbeitssüchtige oder pathologische Spieler berichten von Entzugserscheinungen, die sich negativ auf ihr Umfeld, ihre sozialen Beziehungen und letztlich auch auf ihren körperlichen und psychischen Zustand auswirken.
Flow oder Tunnelblick?
In der Psychologie spricht man vom Tunnelblick als Einschränkung des Gesichtsfeldes durch eingeschränkte Wahrnehmung des Gehirns, zum Beispiel durch Alkoholeinwirkung. Einen Tunnelblick kann man auch unter Angst und Panik bekommen, wo alle Aufmerksamkeit nur noch auf eine Gefahrenquelle oder Bedrohung gerichtet ist. Im übertragenen Sinn meint Tunnelblick auch die Unfähigkeit, oder auch die Unwilligkeit, etwas wahrzunehmen, was außerhalb dessen liegt, was man kennt oder was aktuell interessiert. Schließlich kann das eingeschränkte Reagieren in einer Situation auch Ausdruck einer „Verhaltensroutine“ sein, die mancher Mitarbeiter auch als „Autopilot“ beschreibt. Sowohl für die Bewertung/ Beurteilung von Situationen wie auch für oft wiederholte Routinehandlungen greifen wir auf einen bewährten Standard zurück, der in unserem Gehirn als Kurzprogramm zur Wiederverwendung abgelegt ist. Die Folgen des „Autopilots“ sind vielgestaltig:
- Der Blick verengt sich („Tunnelblick“) – alles Nebensächliche (einerlei, wie gefährlich) wird ausgeblendet.
- Konzentration auf sensible oder riskante Tätigkeiten fällt schwer, denn der Kopf kreist um eine alltägliche Situation.
- Wir neigen dazu, Risiken zu unterschätzen, weil wir – statt umsichtig abzuwägen – auf vermeintlich bewährte „Patentrezepte“ bauen: „Ist ja noch nie was passiert.“
- Die Toleranz gegenüber eigenen Fehlern und voreilig getroffenen Entscheidungen wird größer. Es wird alles nicht mehr „so eng gesehen“, und wir neigen dazu, „fünfe gerade sein zu lassen“.
- Hinzu kommt ein wahrlich „klimawirksamer“ Faktor: Geduldiger, freundlicher Umgang im Zustand höchster Konzentration und Fokussierung, aber auch wenn man „im Trott“ ist, ist eine echte Herausforderung. Die sogenannte Emotionskontrolle – als Herr über Gefühlsausbrüche aller Art – kostet halt auch Energie.
Mehr Forschung ist nötig
Es ist intuitiv nachvollziehbar und erschließt sich sofort, dass ein solcher Tunnelblick im Speziellen, aber auch solche Zustände der Wahrnehmung und der Konzentration im Allgemeinen für die Arbeitssicherheit und die angemessene und schnelle Reaktion bei auftretenden Risiken und Gefahren schädlich sind. Daher ist der Flow-Zustand – so wünschenswert er erscheinen mag – in seinen kurz‑, mittel- und langfristigen Auswirkungen intensiv zu untersuchen. Problematisch dabei ist, dass es schwer fällt zu „messen“, wann ein Mensch überhaupt im Flow ist. Bislang wurde der Flow-Zustand zumeist über Fragebögen und auf der Grundlage von Selbstauskünften erfasst. Neuerdings versucht man auch über psychophysiologische Messungen Flow direkt zu erfassen.
Erste Ergebnisse hierzu sind ermutigend, aber schon heute ist zu bedenken, ob und welche Auswirkungen der Flow am Arbeitsplatz haben kann. Und ähnlich wie davon abzuraten ist, die (kognitive) Leistungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beispielsweise durch die Einnahme von psychoaktiven Substanzen zu steigern, sollte einer Floweuphorie auch nicht voreilig das Wort geredet werden. Es ist weder kurz- noch langfristig wünschenswert, dass am Arbeitsplatz Verhaltensweisen Raum greifen, die zur Vernachlässigung von Grundbedürfnissen führen oder Fokussierungen mit sich bringen, welche die Aufmerksamkeit für sicheres und gesundheitsbewusstes Handeln reduzieren.
Quellen:
- Mihaly Csikszentmihalyi (2010). Flow – der Weg zum Glück. Der Entdecker des Flow-Prinzips erklärt seine Lebensphilosophie. Freiburg: Herder.
- Siegbert A. Warwitz & Anita Rudolf (2013). Vom Sinn des Spielens: Reflexionen und Spielideen (3., aktualisierte Auflage). Hohengehren; Schneider.
- Stefan Poppelreuter & Katja Mierke (2018). Psychische Belastungen in der Arbeitswelt 4.0. Entstehung – Vorbeugung – Maßnahmen. Berlin: Erich Schmidt.
- Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik (o.J.). [www-Dokument; abrufbar unter https://lexikon.stangl.eu/303/flow/; abgerufen am 10.01.2020]
- Wladislaw Rivkin, Stefan Diestel & Klaus-Helmut Schmidt (2016). Which Daily Experiences Can Foster Well-Being at Work? A Diary Study on the Interplay Between Flow Experiences, Affective Commitment, and Self-Control Demands. Journal of Occupational Health Psychology, 23, 99–111.
Autor: Dr. Stefan Poppelreuter
Leiter Analysen & Befragungen
HR Consulting,
TÜV Rheinland Akademie GmbH