Es ist ein allseits bekanntes Problem: Während des Betriebs muss eine Maschine eingerichtet oder ein Fehler beseitigt werden. Die Schutzeinrichtung wird kurzerhand außer Kraft gesetzt, damit einer der Mitarbeiter das bei laufender Maschine im Gefahrenbereich erledigen kann.
Dass es auch anders geht, zeigt die Website www.stop-defeating.org. In der Rubrik „Praxishilfen“ unter „Konstruktions-Beispiele“ wird am konkreten Beispiel „Einrichten einer Werkzeugmaschine“ gezeigt, welche speziellen Betriebsarten es für diese Tätigkeiten gibt. Bei der im Beispiel genannten Maschine darf die Werkzeugspindel nicht energielos geschaltet werden, da sie sonst ihre Position verändert. Um Gefährdungen durch unerwartetes Anlaufen der Spindel zu vermeiden, wird eine Antriebssteuerung mit der Funktion „SOS Sicherer Betriebshalt“ eingesetzt. Durch die Sicherheitsfunktion SOS oder durch „STO Sicher abgeschaltetes Moment“ befinden sich auch alle anderen Antriebe im Stillstand. Vor dem Öffnen der Schutztür stellt man den Betriebsartenwahlschalter in die Position „Einrichten“ und aktiviert so die Sicherheitsfunktionen, gleichzeitig wird die Überwachung der Schutztürstellung außer Kraft gesetzt. Die beschriebenen Maßnahmen verhindern ein unerwartetes Anlaufen mit ausreichender Sicherheit.
Neben Maßnahmen zur Verhinderung zeigt stop-defeating.org auch solche zur Erschwerung und Erkennung von Manipulationen. So können beispielsweise auswechselbare Schutzeinrichtungen kodiert werden. Dann läuft die Maschine nur an, wenn die passende Schutzeinrichtung eingesetzt ist. Man kann Manipulation auch erschweren, indem man Positionsschalter verdeckt anbringt oder mehrere Betätiger für die Nutzung nötig sind.
In fünf Schritten gegen Manipulation
Maschinenbetreibern erklärt die Webseite in fünf Schritten, wie sie bei einer im Betrieb befindlichen Maschine Manipulation ermitteln und beseitigen können. Der „rote Faden“ beginnt mit dem Ermitteln der Ist-Situation. Geklärt werden sollte, was bei welcher Tätigkeit von wem manipuliert wird und ob die Maschine sich noch in dem Zustand befindet, in dem sie angeschafft wurde. Im zweiten Schritt wird mit den Mitarbeitern darüber gesprochen. Wichtig ist hierfür nicht nur eine gute Gesprächsatmosphäre, sondern auch ein Checkliste zur Ermittlung von Manipulationsursachen, die man sich ebenfalls auf der Seite herunterladen kann.
Technische Maßnahmen am wirksamsten
Sind die Ursachen einmal gefunden, werden im dritten Schritt Maßnahmen zu ihrer Beseitigung festgelegt. Dabei sind technische Maßnahmen am wirksamsten, die falls möglich gemeinsam mit dem Hersteller erarbeitet werden. Zusätzlich können organisatorische und personenbezogene Maßnahmen sinnvoll sein, wie die Änderung des Prozessablaufes oder Schulungen der Mitarbeiter. Sind die Maßnahmen festgelegt, muss für die Umsetzung gesorgt werden, beschrieben im vierten Schritt. Auch in diesem Teil bietet stop-defeating.org Betreibern konkrete Unterstützung: Mit einer Vielzahl von Fragen, die es im Prozess zu beantworten gilt, leistet sie Hilfestellung. Im letzten Schritt wird die Wirksamkeit der festgelegten Maßnahmen beispielswiese durch Stichprobenkontrollen oder sich wiederholende Prüfungen verifiziert. Schließlich hilft eine zum Download bereitstehende Checkliste schon beim Einkauf zu erkennen, ob oder inwiefern die gewünschte Maschine Manipulationsanreize aufweist.
Im Idealfall wird der Bediener einer Maschine gar nicht erst motiviert, sich durch Manipulation die Arbeit leichter zu machen. Man kann zum Beispiel Prozesse einsehbar machen oder Messungen außerhalb des Gefahrenbereichs ermöglichen. Stop-defeating.org beschreibt dazu Maßnahmen unter anderem für Maschinen, Hochregallager oder Gabelstapler. Bei Flurförderzeugen wird das Anlegen des Gurts oft schon als umständlich empfunden. Deshalb hat ein Hersteller ein Rückhaltesystem entwickelt, das verhindert, dass der Fahrer beim Umkippen zwischen Schutzdach und Fahrbahn gerät. Nach dem Einsteigen wird es durch Antippen eines Sensors in Position gebracht. Vorteil: Der Fahrer kann sich frei bewegen. Und: Solange das seitliche Schutznetz und der Rückhaltebügel nicht geschlossen sind, ist die Geschwindigkeit des Staplers auf 5 km/h begrenzt, so dass ein Umkippen nicht zu erwarten ist.
Anreize per App bestimmen
Damit diese Entwicklung zur Vermeidung von Manipulationen weiter an Fahrt gewinnt, bietet www.stop-defeating.org unter der Rubrik „Praxishilfen“ außerdem Lehrmodule für die Unfallprävention. Sie unterstützen Maschinenhersteller, Betreiber, Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder Aufsichtspersonen beispielsweise bei Seminaren und Vorträgen.
Die Website verweist außerdem noch auf die App des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung für Smartphones und Tablets, mit der Anreize für das Umgehen von Schutzeinrichtungen evaluiert werden können. Obwohl eigentlich nur sichere Maschinen zu Verfügung gestellt werden dürfen, gibt es immer wieder solche mit hohem Manipulationsanreiz. Solche Maschinen sind nicht sicher. Die Frage, welchen Manipulationsanreiz die Schutzeinrichtung einer Maschine bietet, ist daher sowohl für Hersteller als auch für Betreiber von besonderer Relevanz. Die App ist ein gutes Hilfsmittel, um bei diesem Thema voranzukommen.
Anzahl manipulationsbedingter Unfälle unklar
„Man kann nicht sagen, wieviel Prozent aller Unfälle an Maschinen auf Manipulationen zurückzuführen sind“, sagt Leonhard Blümcke von der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe. „Denn Manipulationen an Schutzeinrichtungen lassen sich meist innerhalb von Sekunden umsetzen. Ist ein Unfall passiert, wird die Manipulation genauso schnell rückgängig gemacht. Die Betroffenen haben natürlich Angst vor Konsequenzen. Klar ist aber, dass Manipulationen das Risiko von Maschinen erheblich erhöhen und zu schweren Unfällen führen.“ Auf www.stop-defeating.org geht es besonders darum, Anreize für präventives Handeln aufzuzeigen und umgekehrt die Anreize für das Manipulieren von Sicherheitseinrichtungen an Maschinen zu reduzieren. „Erfreulicherweise haben wir hohe Zugriffszahlen und werden immer bekannter“, sagt Blümcke.