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Mobiles Arbeiten erforfdert Abschied vom traditionellen Führungsstil

Standardantworten führen nicht zum Ziel
Mobiles Arbeiten: Abschied vom traditionellen Führungsstil

Mobiles Arbeiten: Abschied vom traditionellen Führungsstil
Foto: © ARMMYPICCA – stock.adobe.com
Kerstin Hillbrink
Das The­ma Mobiles Arbeit­en hat coro­n­abe­d­ingt ras­ant an Bedeu­tung gewon­nen. Und einiges spricht dafür, dass das auch nach der Pan­demie so bleibt. Dass diese Form der Arbeits­gestal­tung neben all den Vorteilen auch mit vie­len Her­aus­forderun­gen ver­bun­den ist, leuchtet ein: Oft müssen Mitar­bei­t­ende und Führungskräfte sich kom­plett neu organ­isieren, und beson­ders die Führungskräfte brauchen Konzepte, die nicht auf Präsenz beruhen.

Mobiles Arbeit­en bringt viele Vorteile1, 2: zum Beispiel mehr Flex­i­bil­ität, bessere Vere­in­barkeit von Fam­i­lie und Beruf, höhere Arbeit­szufrieden­heit, Zeit­erspar­nis und Ressourcenscho­nung durch das Weg­fall­en des Arbeitsweges. Aber auch Nachteile wie zum Beispiel die erschw­erte Tren­nung von Beruf und Pri­vatem, Ver­lust der Teambindung.

Der Dreh- und Angelpunkt

Der wichtig­ste Wirk­fak­tor, ob mobiles Arbeit­en zur Ressource oder zur Belas­tung wird, ist dabei sich­er der Men­sch. Die Beschäftigten, Angestell­ten und Führungskräfte mit den unter­schiedlich­sten Bedürfnis­sen, Motiv­en und Äng­sten. In den Beratungs- und Coach­ingge­sprächen begeg­nen mir viele Reak­tio­nen auf mobiles Arbeit­en. Drei davon möchte ich gerne etwas genauer darstellen.

1. Beispiel: Ein langjähriger Mitar­beit­er eines großen Unternehmens (Herr S.) meldet sich bei mir mit Erschöp­fungs- und Burnout-Symp­tomen. Dabei fing alles so schön an: „Als vor einem Dreiviertel­jahr in unserem Unternehmen mobiles Arbeit­en ermöglicht wurde, war das für mich eine große Erle­ichterung!“ Als Pendler hat­te er täglich eine recht lange Anfahrt. Durch die Frei­heit­en des mobilen Arbeit­ens sparte er sich diese Fahrtzeit­en und kon­nte gle­ichzeit­ig mit sein­er Part­ner­in die Kinder­be­treu­ung viel bess­er organ­isieren. Neben diesen pos­i­tiv­en Aspek­ten machte Herr S. sich aber von Anfang an auch Sor­gen: „Hof­fentlich glaubt mein Chef jet­zt nicht, ich nutze die Sit­u­a­tion aus und arbeite weniger als son­st!“ „Ich möchte auf gar keinen Fall, dass jemand denkt, ich mache mir hier ein bequemes Leben!“ Die Vorstel­lung, dass Kol­le­gen oder Vorge­set­zte Min­der­leis­tung unter­stellen, führt ger­ade bei hoch leis­tung­sori­en­tierten Men­schen schnell in eine Über­forderungsspi­rale. Selb­st wenn die Befürch­tun­gen gar nicht der Real­ität entsprechen, gehen Beschäftigte dann oft weit über ihre Gren­zen hin­aus, um die eigene Leis­tung zu beweisen – bis irgend­wann gar nichts mehr geht: „Seit einem Monat schaffe ich fast gar nichts mehr. Ich muss mich mor­gens regel­recht aus dem Bett prügeln und die unan­genehmen Arbeit­en schiebe ich unendlich auf. Mein Energielev­el liegt bei null. Am meis­ten Angst habe ich davor, dass das irgend­wann auf­fällt, aber im Moment kann ich mich ein­fach nicht motivieren!“

Tipp, vor allem für Führungskräfte: Mobiles Arbeit­en führt bei vie­len Mitar­bei­t­en­den zu mehr Effizienz und ein­er Leis­tungssteigerung3,4. Soweit so gut. Bei Mitar­bei­t­en­den mit aus­geprägtem Leis­tungsanspruch und Anerken­nungs­bedürf­nis, kann das aber schnell in Rich­tung Erschöp­fung oder Burnout kip­pen. Hier ist es wichtig (nicht nur auf der Sachebene) im Gespräch zu bleiben. The­ma­tisieren Sie in den Einzelge­sprächen immer auch die aktuelle Stim­mung und Arbeits­be­las­tung und lassen Sie Mitar­bei­t­ende wis­sen, wenn sie zufrieden mit der Leis­tung sind: „Ich bin sehr zufrieden mit dein­er Leis­tung und bin mir sich­er, du arbeitest sehr viel zur Zeit. Wie geht es dir damit? Kannst du das alles noch gut hand­haben?“, kön­nten zum Beispiel gute Ein­stiegs­fra­gen sein5, 6.

2. Beispiel: Eine noch junge Führungskraft (Frau B.) hat im Rah­men ein­er Mitar­bei­t­en­den­be­fra­gung recht kri­tis­che Rück­mel­dun­gen bekom­men. Die Befra­gung wurde zu einem Zeit­punkt umge­set­zt, als viele der Beschäftigten erst­ma­lig auch außer­halb der Betrieb­sstätte mobil arbeit­en kon­nten und soll­ten. Natür­lich hat­te Frau B. schon wahrgenom­men, dass die Beziehung zu eini­gen Mitar­bei­t­en­den anges­pan­nt war. Nun hat­te sie es schwarz auf weiß. Im Rah­men eines Coach­ings möchte sie sich ihre Anteile daran anschauen und Hand­lungsmöglichkeit­en für sich erar­beit­en. In den Gesprächen kom­men wir schnell zu dem Kern­the­ma: ihre Angst, die Kon­trolle zu ver­lieren. Sie war ger­ade mal ein Jahr in ihrer Führungspo­si­tion und musste sich in dieser Rolle noch beweisen. Dann änderte sich auf ein­mal vieles und sie war gefordert, virtuell zu führen. Ihre bere­its vorhan­dene Unsicher­heit wurde durch diese neue Her­aus­forderung also noch erhöht. Unbe­wusst hat sie dann das gemacht, was die meis­ten Men­schen in angst­be­set­zten Sit­u­a­tio­nen machen: Sie hat ver­sucht, der Unsicher­heit durch mehr Kon­trolle ent­ge­gen­zuwirken. Dies zeigte sich durch häu­fige, unangekündigte Kon­trol­lan­rufe, das Anset­zen spon­tan­er Teams-Meet­ings, u. Ä. Bei ihren Mitar­bei­t­en­den, die autonomes, eigen­ständi­ges Arbeit­en wertschätzten und gewohnt waren, hat das zu laten­tem aber spür­barem Wider­stand geführt. Dies wiederum löste bei Frau B ein noch höheres Kon­trollbedürf­nis aus. So ent­stand ein Kreis­lauf, der am Ende zu sehr schlecht­en Befra­gungsergeb­nis­sen und anges­pan­nten Beziehun­gen führte.

Tipp, vor allem für Führungskräfte: Die Arbeits­form des Mobilen Arbeit­ens funk­tion­iert nur mit Führungskräften, die Ver­trauen können5,6. Natür­lich müssen Führungskräfte die Arbeit der Mitar­bei­t­en­den auch kon­trol­lieren und prüfen. Und oft ist es eine Grat­wan­derung, bei­des zu vere­in­baren. Mein­er Erfahrung nach gelingt dies am besten, wenn die Führungskräfte sich ihrer eige­nen Äng­ste und Unsicher­heit­en bewusst sind. Dann kön­nen unbe­wusst aus­gelebte Kon­trol­lak­tio­nen durch reflek­tierte, ergeb­nisori­en­tierte und trans­par­ente Führungsin­stru­mente aus­ge­tauscht werden.

3. Beispiel: Mein let­ztes Beispiel begeg­nete mir im Rah­men eines Betrieblichen Eingliederungs­man­age­ments (BEM). Frau Z. war im let­zten Jahr mehrfach krank. Immer mal wieder einige Tage. Ins­ge­samt kam Sie auf sechs Wochen inner­halb der let­zten zwölf Monate und hat­te damit Anspruch auf ein BEM-Ver­fahren. Als extern­er Dien­stleis­ter gelang es mir Ver­trauen aufzubauen und so erfuhr ich bald, was hin­ter den kör­per­lichen Erkrankun­gen (Erkäl­tung, Migräne, Magen-Darm, …) auch noch steck­te: Frau Z. lebte alleine und war erst vor Kurzem neu zuge­zo­gen. Sie hat­te kaum ort­sna­he Fre­unde und nur wenige Kon­tak­te außer­halb ihrer Arbeit. Die Arbeit machte ihr Spaß, gab ihr Selb­st­be­wusst­sein und sorgte für das nötige soziale Net­zw­erk. Als sie und ihre Kol­legin­nen auf­grund der Pan­demie nicht mehr im Büro, son­dern im Home­of­fice arbeit­en soll­ten, war das für sie von Anfang an eine große Her­aus­forderung. Es gelang ihr nur schw­er, sich zu Hause selb­st zu organ­isieren und als extro­vertierte und gesel­lige Per­son fehlten ihr die per­sön­lichen Kon­tak­te vielle­icht noch mehr als anderen. Sie suchte das Gespräch mit ihrer Führungskraft und äußerte den Wun­sch, wieder im Büro arbeit­en zu kön­nen. Ihr Anliegen wurde abgelehnt, ohne dass sie den Grund dafür wirk­lich ver­ste­hen kon­nte, da sowohl ihre Führungskraft als auch zwei andere Kol­legin­nen regelmäßig im Büro „sein durften“. Sie fühlte sich gekränkt und ungerecht behan­delt. Natür­lich war die erlebte Kränkung nicht die alleinige Ursache der Fehlzeit­en, aber doch sich­er mehr als nur ein kleines Zün­glein an der Waage.

Tipp, vor allem für Führungskräfte: Je nach Per­sön­lichkeit kann mobiles Arbeit­en ein echt­es Prob­lem darstellen7. Zum Beispiel bei extro­vertierten Men­schen mit einem hohen Bedarf an Kon­takt und Aus­tausch, aber auch bei unsicheren Men­schen, die von häu­fi­gen und zeit­na­hen Rück­mel­dun­gen ihrer Führungskräfte prof­i­tieren. Um außer­halb des Büros und ohne per­sön­liche Kon­tak­te effizient arbeit­en zu kön­nen, bedarf es auch eines höheren Maßes an Eigen­mo­ti­va­tion und Selb­stor­gan­i­sa­tion. Son­st wird es schwer.

Für manche Men­schen sind der Kon­takt zu Kol­le­gen, die Fahrt zur Arbeit, die Zeit „außer­halb“ der eige­nen vier Wände oft wichtig für ein pos­i­tives Lebens­ge­fühl. Mitar­bei­t­ende, die gezwun­gen sind, ent­ge­gen dieser Bedürfnisse und Werte zu arbeit­en, erleben das unter Umstän­den als mas­sive Kränkung. Sollte dies aus betrieblichen Grün­den unumgänglich sein, ist es wichtig, die Gründe dafür gut und glaub­haft zu kom­mu­nizieren und im engen Kon­takt mit diesen Mitar­bei­t­en­den zu bleiben. Sich gekränkt oder ungerecht behan­delt zu fühlen kann nach mein­er Erfahrung schnell zu inner­er Kündi­gung, ver­min­dert­er Leis­tungs­bere­itschaft und erhöht­en Fehlzeit­en führen. Das soll­ten Sie unbe­d­ingt ver­suchen zu verhindern.

Fazit

Arbeit­skonzepte außer­halb des klas­sis­chen Büros wer­den sich­er auch in Zukun­ft weit­er an Bedeu­tung gewin­nen. Und wenn wir über die Vor- und Nachteile des mobilen Arbeit­ens reden, soll­ten wir vor allem nicht vergessen, den Men­schen mitzu­denken: Die indi­vidu­elle Lebenssi­t­u­a­tion, Per­sön­lichkeit­seigen­schaften, Werte und Motive der Mitar­bei­t­en­den und auch der Führungskräfte sind rel­e­vante Fak­toren bei der Frage ob und wie mobiles Arbeit­en gelin­gen kann.

Für mich wird durch das The­ma „Mobiles Arbeit­en“ noch ein­mal sehr deut­lich, dass es immer weniger um Stan­dar­d­ant­worten gehen kann. Führungskräfte sind mehr denn je gefordert, nach zugeschnit­te­nen Lösun­gen zu suchen und aufmerk­sam zu bleiben. Aufmerk­sam in Bezug auf die indi­vidu­ellen Bedürfnisse, Fähigkeit­en, Ressourcen und Äng­ste der Mitar­bei­t­en­den und auch der eigenen.

Lit­er­a­turempfehlun­gen

  • Beck, R. (2019) Home-Office. Erfol­gre­ich von zu Hause arbeit­en. Jun­fer­mann Ver­lag Paderborn
  • Klaf­fke, M. (2019) Gestal­tung agiler Arbeitswel­ten. Inno­v­a­tive Bürokonzepte für das Arbeit­en in dig­i­tal­en Zeit­en. Springer Gabler Wiesbaden
  • Lan­des, M., Stein­er, E., Wittmann, R., Utz, Tat­jana (2020). Führung von Mitar­bei­t­en­den im Home Office. Umgang mit dem Heimar­beit­splatz aus psy­chol­o­gis­ch­er und ökonomis­ch­er Per­spek­tive. Springer Gabler Wiesbaden

Fußnoten

1 vgl. Brenke, K. (2016). Home Office: Möglichkeit­en wer­den bei weit­em nicht aus­geschöpft. DIW Wochen­bericht Nr. 5/2016

2 vgl. Her­rmann, M., Frey Cordes, R. (2020). Home­of­fice im Zeichen der Pan­demie: Neue Per­spek­tiv­en für Wis­senschaft und Prax­is? IUBH Dis­cus­sion Papers – Human Resources, No. 2/2020 https://www.econstor.eu/bitstream/10419/217267/1/1698345356.pdf

3 vgl. Bloom, N., Liang, J., Roberts, J. & Ying, Z.J. (2015) Does work­ing from home work? Evi­dence from a chi­nese exper­i­ment. The quar­ter­ly Jour­nal of Eco­nom­ics 165–218 

4 vgl. Grunau,P., Ruf, K., Steffes, S. & Wolter, S, (2019) Mobile Arbeits­for­men aus Sicht von Betrieben und Beschäftigten: Home­of­fice bietet Vorteile, hat aber auch Tück­en. IAB-Kurzbericht 11/2019

5 vgl. Ker­stin Hill­brink (2019) Führungsziel Gesund­heit. Zeitschrift Schul­Ver­wal­tung 11/2019

6 vgl. Nick­el, S., Keil, G. (2021) Führen auf Dis­tanz. Haufe-Lexware Freiburg. (Zum The­ma „Ver­trauen“ speziell S.22–23 Ohne geht es nicht: Vertrauen)

7 vgl. TINY­pulse (2016). What lead­ers need to know about remote work­ers. Sur­pris­ing dif­fer­ences in work­place hap­pi­ness & rela­tion­ships. https://cdn2.hubspot.net/hubfs/443262/pdf/TINYpulse_What_Leaders_Need_to_Know_About_Remote_Workers.pdf


Kerstin Hillbrink
Ker­stin Hill­brink; Foto: © B·A·D GmbH

Autorin:
Ker­stin Hillbrink
Diplom-Psy­cholo­gin und Bera­terin Gesund­heits­man­age­ment bei der B·A·D Gesund­heitsvor­sorge und Sicher­heit­stech­nik GmbH

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