In der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) hat der Arbeitgeber anlassunabhängig, nach § 10 Mutterschutzgesetz (MuSchG) mit Blick auf die schwangere beziehungsweise stillende Frau, die Gefährdungen hinsichtlich Art, Ausmaß und Dauer zu beurteilen. Darauf aufbauend, muss er ermitteln, ob
- Maßnahmen zum Schutz einer schwangeren beziehungsweise stillenden Frau erforderlich sein werden,
- eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen erforderlich sein wird oder
- eine Fortführung der Tätigkeit an dem Arbeitsplatz nicht möglich sein wird.
Mutterschutzgesetz und die Gefährdungsbeurteilung
Das bedeutet, dass der Mutterschutz in der bestehenden Gefährdungsbeurteilung – unabhängig, ob eine Frau an dem Arbeitsplatz tätig ist oder wird – berücksichtigt werden muss. Hierbei handelt es sich um die „erste Stufe“ der Gefährdungsbeurteilung nach
§ 10 Abs. 1 MuSchG, dessen Ergebnis der Arbeitgeber durch Unterlagen dokumentieren muss. Da es ersichtlich sein muss, dass der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung der oben genannten Punkte durchgeführt hat, empfiehlt sich ein konkreter Bezug zum MuSchG. Bereits hier sind, unter Berücksichtigung des Katalogs unzulässiger Tätigkeiten, die vorliegenden Gefährdungen anhand einer „Risikomatrix“ zu beurteilen, um festzustellen, ob eine „unverantwortbare Gefährdung“ vorliegt.
Daraus folgt, dass der Arbeitgeber eine Toleranzschwelle – also ein gerade noch tolerierbares Risiko – definieren muss. So ist „eine Gefährdung unverantwortbar, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist“ (§ 9 Abs. 2 Satz 2 MuSchG).
Als Hilfestellung zur Festlegung einer Toleranzschwelle in Bezug auf die „unverantwortbare Gefährdung“ können beispielsweise bestehende Grenzwerte für die Exposition gegenüber Lärm, Vibrationen oder die konkreten Nennungen des Katalogs unzulässiger Tätigkeiten aus dem MuSchG, wie das gelegentliche (weniger als 2 bis 3 mal pro Stunde) Heben, Halten, Bewegen oder Befördern von Lasten von mehr als zehn kg (ohne Hilfsmittel oder wirksame Last mit Hilfsmittel), herangezogen werden. Generell sollte an dieser Stelle immer der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit hinzugezogen werden.
Gefährdungsbeurteilung auf Aktualität überprüfen
Teilt eine Frau ihrem Arbeitgeber mit, dass sie schwanger ist beziehungsweise stillt, muss der Arbeitgeber die „erste Stufe“ der Gefährdungsbeurteilung auf Aktualität überprüfen und spätestens jetzt die erforderlichen Schutzmaßnahmen festlegen sowie umsetzen. Zusätzlich hat der Arbeitgeber an dieser Stelle der schwangeren beziehungsweise stillenden Frau ein Gespräch über weitere Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen anzubieten, in welchem im Dialog über Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung der Arbeitsbedingungen gesprochen wird.
Hierbei handelt es sich um die „zweite Stufe“ der Gefährdungsbeurteilung nach § 10 Abs. 2 MuSchG, die ebenfalls durch eine Unterlage zu dokumentieren ist. Beispielsweise in Form einer Checkliste, die durch die Führungskraft, unter Beratung durch Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit, bearbeitet und in der Personalakte der schwangeren beziehungsweise stillenden Frau abgelegt wird. Ein Muster einer solchen Checkliste ist im folgenden Abschnitt dargestellt.
Musterdokumente
Die „Checkliste Mutterschutz“ ist ein Musterdokument zur Dokumentation der „zweiten Stufe“ der Gefährdungsbeurteilung, der Unterweisung und Information der schwangeren beziehungsweise stillenden Frau und des Angebots eines Gesprächs über weitere Anpassungen der Arbeitsbedingungen.
Gleichzeitig muss der Arbeitgeber nach § 27 MuSchG unverzüglich die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde benachrichtigen, wenn er eine Frau beschäftigt, die schwanger ist oder stillt, und ob er plant diese bis 22 Uhr an Sonn- und Feiertagen beziehungsweise mit getakteter Arbeit tätig werden zu lassen. Ein Muster dieser „Mitteilung über die Beschäftigung einer schwangeren beziehungsweise stillenden Frau“ ist im folgenden Abschnitt dargestellt. Das Dokument kann dazu verwendet werden, die Beschäftigung einer schwangeren beziehungsweise stillenden Frau gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde anzuzeigen.
Auf Anfrage der Aufsichtsbehörde müssen weitere Angaben gemacht werden, beispielsweise die Ergebnisse der zweistufigen Gefährdungsbeurteilung.
Die Musterdokumente können Sie herunterladen unter http://hier.pro/xniE6
Ausblick
Mit Blick auf die Änderungen im Mutterschutzrecht zeigt sich ein zeitgemäßer Ansatz zum Schutz von schwangeren und stillenden Frauen. Dennoch bleiben für die betriebliche Praxis zu Redaktionsschluss wichtige Punkte ungewiss. Wie ist der Begriff der „unverantwortbaren Gefährdung“ genau zu verstehen – hier steht eine angedachte untergesetzliche Definition noch aus. Und steht dieser nicht konträr zum Grundsatz des Arbeitsschutzgesetzes der Vermeidung und Minimierung von Gefährdungen? Wann wird der Ausschuss für Mutterschutz gebildet und wann ist mit ersten konkreten Ergebnissen zu rechnen? Beispielsweise zu Szenarien, bei denen eine unverantwortbare Gefährdung durch Exposition gegenüber Gefahrstoffen, die als reproduktionstoxisch, keimzellenmutagen, karzinogen eingestuft sind, ausgeschlossen werden kann.
Bei der Umsetzung der Prozessanpassungen, aber auch bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung empfiehlt sich weiterhin ein interdisziplinäres Vorgehen, bei dem Führungskräfte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsarzt sowie Vertreter von Betriebs- beziehungsweise Personalrat und der Personalabteilung zusammenarbeiten.
Grundlegendes zum neuen Mutterschutzgesetz (MuSchG) lesen Sie hier.
Lesen Sie auch „Mutterschutz am Arbeitsplatz — Infektionen in der Schwangerschaft”.
Autor: Adrian Wortmann
Head of Quality, Health, Safety & Environment, Xervon Instandhaltung GmbH, ein Unternehmen der Remondis-Gruppe
adrian.wortmann@xervon.com