Einfache Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Aber das Konzept der Nachhaltigkeit bietet zumindest einen Schlüssel: Wir müssen verschiedene Bereiche stärker zusammen denken: Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft. Isoliertes Handeln bringt uns nicht weiter. Die Vereinten Nationen haben deshalb in ihrer Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung 17 Ziele aus diesen drei Bereichen beschrieben.
Das Thema Nachhaltigkeit ist für die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) aus verschiedenen Gründen relevant. Zum einen wollen wir uns als Spitzenverband zukunftsorientiert aufstellen. Zum anderen hat die Unfallversicherung einen gesetzlichen Auftrag, der eng verwoben ist mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung, wie sie in der Agenda 2030 beschrieben sind. Beim Thema Nachhaltigkeit geht es nicht nur um Ökologie, sondern auch um ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Unser Kernanliegen Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und damit verbundene Themen wie Unternehmens- und Führungskultur sind Themen der sozialen Nachhaltigkeit.
Eine Vielzahl der 17 Nachhaltigkeitsziele steht direkt oder indirekt mit unserer Arbeit für Prävention und Rehabilitation in Verbindung. Das bedeutet, wir haben auch eine besondere gesellschaftliche Verantwortung. Mit jeder neuen Entwicklung in der Arbeitswelt müssen wir uns bemühen, vorausschauende, passende Lösungen zu finden, um Sicherheit und Gesundheit umzusetzen.
Arbeit der Zukunft
Wie können wir das tun? Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: die mobile Arbeit. Die Pandemie hat dem Trend, Arbeit örtlich und zeitlich flexibler zu gestalten, einen deutlichen Schub gegeben. Unsere Aufgabe ist es, diese neuen Arbeitsformen auf mögliche Risiken abzuklopfen und dann Handlungsempfehlungen zu geben, wie Unternehmen und Einrichtungen Gefahren minimieren können. Einerseits bedeutet mobile Arbeit mehr Freiheit und Selbstbestimmung für den Einzelnen. Andererseits kann sie auch zu erhöhten ergonomischen und psychischen Belastungen führen.
Auch Phänomene wie Arbeitsverdichtung und prekäre Beschäftigung führen dazu, dass die Prävention psychischer Belastungen immer stärker in den Fokus rückt. Eng damit verbunden ist auch die Aufgabe, Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen besser in die Arbeits- und Bildungswelt zu integrieren. Angesichts des demographischen Wandels und dem Gebot der Inklusion ist dies ein unverzichtbares Nachhaltigkeitsziel. Hier hat die DGUV mit ihrem frühen Engagement für Barrierefreiheit und Teilhabe einen starken Impuls gesetzt. Wir gehörten zu den ersten Institutionen, die einen eigenen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erarbeitet haben. Darüber hinaus engagieren wir uns auf vielfältige Weise für den Reha- und Behindertensport. Denn Sport kann gerade Menschen mit Behinderung in ihrer Eigenständigkeit unterstützen.
Besonders gefordert in den Veränderungsprozessen hin zu einer neuen Arbeitswelt sind die Führungskräfte. Sie müssen neue Kommunikationsformen mit ihren Beschäftigten erproben und sind Vorbild im Umgang mit dem Wandel der Arbeit, dessen Schnelligkeit manchen zu überfordern droht. Uns war und ist es deshalb wichtig, sowohl Beschäftigte als auch Führungspersonen fachliche und praktische Unterstützung anzubieten. Jeder Betrieb, der sich zum Beispiel entscheidet, ein Gütesiegel „Sicher mit System“ zu erwerben oder ein zertifiziertes Managementsystem für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit einzuführen (ISO 45001), fördert damit auch die Nachhaltigkeit. Das ist kein Selbstzweck, sondern es wirkt sich positiv auf das Wohlergehen der Beschäftigten und die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens aus. Viele Betriebe haben diesen Weg bereits eingeschlagen, hier wollen wir uns weiter engagieren. Eine zentrale Rolle dabei haben die Aufsichtspersonen. Sie werden in Zukunft in den Betrieben immer häufiger auch mit Themen wie den Folgen des digitalen Wandels, mit nachhaltiger Materialbeschaffung oder dem Umgang mit Subunternehmen konfrontiert werden. Darauf müssen wir uns vorbereiten.
Über Grenzen hinaus
Nachhaltige Lieferketten stehen inzwischen auf der politischen Agenda und auch für Unternehmen ist das Thema wichtig. Seit die Bundesregierung 2017 die europäische CSR-Richtlinie – CSR steht für Corporate Social Responsibility – umgesetzt hat, müssen zumindest große Unternehmen ihr Handeln in sozialen und ökologischen Fragen dokumentieren. Bedrückend ist nur, dass erst ein schweres Unglück wie das in Rana Plaza im April 2013 die Aufmerksamkeit auf die schlechten Arbeitsbedingungen in einer international agierenden Branche gelenkt hat. Eine Konsequenz war das Engagement der Bundesregierung für sichere Lieferketten in der Textilindustrie. Dabei hat auch die DGUV eine Aufgabe übernommen. Mehrfach waren Beschäftigte und Funktionäre aus der Textilindustrie Bangladeschs bei uns zu Gast. Sie wollten sich darüber informieren, wie sicherere Arbeitsbedingungen in ihrer Branche umgesetzt werden können. Dabei ging es nicht allein um die Vermittlung von technischem Arbeitsschutz, der wiederum die Nachhaltigkeit der Produktion beeinflusst. Der Aufbau sicherer Lieferketten ist auch ein Ausdruck von Wertschätzung für Menschen an allen Punkten der Liefer- und Wertschöpfungskette.
Mit dem Thema Lieferketten ist aber auch noch eine ganz andere Herausforderung für die gesetzliche Unfallversicherung verbunden. Ein nicht unerheblicher Teil der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA) am Markt wird in Asien gefertigt. Wissen wir angesichts der Vielzahl der Produkte genug über die Arbeitsbedingungen in der Fertigung und die ökologischen Kosten? Um diese Fragen müssen wir uns noch stärker kümmern.
Nachhaltige Prozesse
Nachhaltigkeit basiert auf gemeinsamen Werten und Prozessen, die die Zukunft mitdenken. In der DGUV haben wir uns deshalb auf eine interne Strategie 2029 verpflichtet. Sie beschreibt, in welche Richtung sich der Spitzenverband weiterentwickeln und wo wir gemeinsam ankommen wollen. Ein Ziel für 2029 besagt ganz klar: „Wir haben die Prinzipien ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit in unsere Prozesse integriert.“
Wo stehen wir in diesem Prozess? Manche Bereiche der DGUV sind schon gut aufgestellt. Das zeigt der nachfolgende Bericht (vgl. Artikel Dr. Maria Klotz) über den Nachhaltigkeits-Prozess des Instituts für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG). An diesem Beispiel können sich andere Bereiche in der Unfallversicherung orientieren.
Da sich das Kerngeschäft der DGUV nicht gravierend von dem des IAG unterscheidet und wir viele Prozesse teilen, können wir uns an der Bestandsaufnahme des IAG zur internen Nachhaltigkeit orientieren. Das IAG kommt zu dem Ergebnis, dass wir sozial und ökonomisch schon recht gut aufgestellt sind, aber auf der ökologischen Seite noch Entwicklungspotential haben. Das wollen wir analysieren und angehen.
Erste Schritte haben wir gemacht. So unterstützen wir zum Beispiel alle Beschäftigten, die mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Arbeit kommen, mit einem monatlichen Nachhaltigkeitszuschuss. Corona hat ohnehin das Arbeitsverhalten stark verändert. Mobiles Arbeiten und die Möglichkeit auch per Videokonferenz zu kommunizieren, senken die Mobilitätsraten. Auch bei unserer Dienstreiseplanung wollen wir das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft stärker berücksichtigen. Ich kann aus eigener Erfahrung nur sagen: Nutzen Sie die Bahn! Auch wenn man sich manchmal ärgert, man reist trotzdem meist entspannter und immer viel umwelt- und klimaschonender als mit dem Auto und insbesondere dem Flugzeug.
Aber natürlich müssen wir uns auch die Frage stellen, wie wir Ressourcen nutzen. Wie viel Energie verbrauchen wir in unseren Gebäuden? Wie renovieren wir unsere Bauten? Wieviel Müll produzieren wir? Hier versuchen wir immer effizientere Lösungen zu finden und auch von unseren Dienstleistern einzufordern. So haben wir es zum Beispiel in der letzten Stromausschreibung für die DGUV und die Unfallversicherungsträger geschafft, auf 100 Prozent Ökostrom umzustellen. Bei anstehenden Erweiterungsbauten und auch im Bestand setzen wir auf nachhaltige Energiegewinnung über Blockheizkraftwerke und bei Sanierungen achten wir wenn möglich auf nachhaltige Baustoffverwendung. Diese Beispiele zeigen, dass wir uns auch im Bereich Ökologie auf den Weg gemacht haben und schon ein gutes Stück vorangekommen sind.
Klimaschutz und Arbeitsschutz
Die aktuelle Flutkatastrohe stellt uns auch vor die Frage: Welche Folgen hat der Klimawandel für unsere Arbeitswelt – und den Arbeitsschutz? Bereits seit Jahren nimmt bei Outdoor-Workern die Zahl der Hautkrebserkrankungen durch UV-Strahlung zu. Auch die Arbeit und die Belastungen von Rettungskräften verändern sich massiv, wenn Wetterereignisse wie Starkregen, Überschwemmungen oder Brände zunehmen. Wir merken also die Auswirkungen des Klimawandels ganz unmittelbar und müssen mit unseren Präventionsangeboten darauf reagieren.
Um neue Risiken möglichst früh zu erkennen, haben wir ein so genanntes Risikoobservatorium geschaffen. In einer regelmäßigen, groß angelegten Befragung sammeln wir Trends und neue Entwicklung. Dann prüfen wir deren Chancen und Risiken, um geeignete Maßnahmen zu entwickeln, die den Unternehmen die Bewältigung des Wandels in der Arbeitswelt erleichtern können. Auch das ist ein Mittel, um unsere Arbeit auf eine nachhaltige Zukunft auszurichten.
Autor: Dr. Stefan Hussy
Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)