Besondere Aufmerksamkeit in der Fachwelt „genießen“ in jedem Jahr die Neubewertungen und Umstufungen bei den krebserzeugenden Stoffen und Keimzellmutagenen.
Krebserzeugende Stoffe
In diesem Jahr wurden 18 Stoffe hinsichtlich ihrer krebserzeugenden Eigenschaften erstmals eingestuft (achtmal) beziehungsweise neu bewertet (zehnmal).
Dabei wurde zehnmal Kategorie 3B (sogenannte „echte“ Verdachtsstoffe) vergeben für die Stoffe
- Di-n-butylphosphat [107–66–4] und seine technischen Gemische (bisher Kategorie 3A)
- 1,1‑Dichlorethan [75–34–3] (bisher ohne Kategorie krebserzeugend)
- Hexachlorethan [67–72–1] (bisher ohne Kategorie krebserzeugend)
- Kerosin (Erdöl) (Aerosol) [8008–20 –6] (Neuaufnahme; Kategorie 3B gilt für Hautkontakt)
- Kerosin (Erdöl) (Dampf) [8008–20–6] (Neuaufnahme; Kategorie 3B gilt für Hautkontakt)
- Kresylglycidylether, o‑Isomer [2210– 79–9], Isomerengemisch [26447–14–3] (bisher ohne Kategorie krebserzeugend)
- 4‑Nitroanilin [100–01–6] (bisher Kategorie 3A)
- Pentachlorethan [76–01–7] (bisher ohne Kategorie krebserzeugend)
- Trikresylphosphat, Summe aller o‑Isomeren [78–30–8] (Neuaufnahme)
- Xylidine (Isomere): 2,3‑Xylidin [87–59 –2], 2,5‑Xylidin [95–78–3], 3,4‑Xylidin [95–64–7], 3,5‑Xylidin [108–69–0] [1330–20–7] (bisher Kategorie 3A).
Kategorie 4 (Minimalkanzerogene mit nicht-genotoxischem Wirkungsmechanismus) wurde vergeben für
- Graphit [7782–42‑5] (alveolengängige Fraktion) (bisher ohne Kategorie krebserzeugend)
- Nitrilotriessigsäure [139–13–9] und ihre Natriumsalze (bisher Kategorie 3A)
- Tantal [7440–25–7] (alveolengängige Fraktion) (bisher Kategorie 3A)
- 1,1,2,2‑Tetrachlorethan [79–34–5] (bisher Kategorie 3B)
- Vinylacetat [108–05–4] (bisher Kategorie 3A).
Im Folgenden lesen die Definitionen für die hier maßgeblichen Kategorien:
- Kategorie 3A: Stoffe, die bei Tier oder Mensch Krebs erzeugen oder als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind, bei denen die Voraussetzungen erfüllt wären, sie der Kategorie 4 oder 5 zuzuordnen. Für die Stoffe liegen jedoch keine hinreichenden Informationen vor, um einen MAK- oder BAT-Wert abzuleiten (sogenannte „Minimalkanzerogene“).
- Kategorie 3B: Aus In-vitro- oder aus Tierversuchen liegen Anhaltspunkte für eine krebserzeugende Wirkung vor, die jedoch zur Einordnung in eine andere Kategorie nicht ausreichen. Zur endgültigen Entscheidung sind weitere Untersuchungen erforderlich. Sofern der Stoff oder seine Metaboliten keine genotoxischen Wirkungen aufweisen, kann ein MAK- oder BAT-Wert festgelegt werden (sogenannte „echte“ Verdachtsstoffe“).
- Kategorie 4: Stoffe, die bei Tier oder Mensch Krebs erzeugen oder als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind und für die ein MAK-Wert abgeleitet werden kann. Im Vordergrund steht ein nicht-genotoxischer Wirkungsmechanismus, und genotoxische Effekte spielen bei Einhaltung des MAK- und BAT-Wertes keine oder nur eine untergeordnete Rolle („Minimalkanzerogene“ mit nicht-genotoxischem Wirkungsmechanismus).
Die bisherigen Einstufungen als krebserzeugend für die drei Stoffe
- Bisphenol-A-diglycidylether [16757–54–3] (bisher Kategorie 3A)
- 2‑Butoxyethylacetat [112–07–2] (bisher Kategorie 4)
- Kresol (alle Isomere) [1319–77–3] (bisher Kategorie 3A)
sind ersatzlos entfallen. Damit wurden im Ergebnis
- achtmal die Kategorie 3A
- einmal die Kategorie 3B und
- einmal die Kategorie 4
zurückgezogen.
Für drei Stoffe wurde in diesem Jahr die bisherige Einstufung hinsichtlich ihrer krebserzeugenden Eigenschaften bestätigt:
- Portlandzementstaub [65997–15–1] 3B
- Siliciumcarbid [409–21–2] (Faserstaub) (einschließlich Whisker) 2
- 1,1,2‑Trichlorethan [79–00–5] 3B.
Keimzellmutagene
Bei den Keimzellemutagenen wurden in diesem Jahr nur die Xylidine (Isomere): 2,3‑Xylidin [87–59–2], 2,5‑Xylidin [95– 78–3], 3,4‑Xylidin [95–64–7], 3,5‑Xylidin [108–69–0] [1330–20–7] (bisher ohne Kategorie Keimzellemutagene) in Kategorie 3B eingestuft.
Im Folgenden lesen Sie die Definition für diese Kategorie:
- Kategorie 3B: Stoffe, für die aufgrund ihrer genotoxischen Wirkungen in somatischen Zellen von Säugetieren in vivo ein Verdacht auf eine mutagene Wirkung in Keimzellen abgeleitet werden kann. In Ausnahmefällen Stoffe, für die keine In-vivo-Daten vorliegen, die aber in vitro eindeutig mutagen sind und die eine strukturelle Ähnlichkeit zu In-vivo-Mutagenen haben.
Schwangerschaftsgruppen
21 Stoffe wurden in diesem Jahr hinsichtlich ihrer Zuordnung zu Schwangerschaftsgruppen erstmals eingestuft (15-mal, davon sieben Neuaufnahmen), neu bewertet (einmal) beziehungsweise ohne Änderung (viermal) überprüft.
Die folgenden zehn Stoffe (davon vier Neuaufnahmen sowie fünf erstmalige Einstufungen für bereits bestehende Einträge) wurden in die Schwangerschaftsgruppe C (eine fruchtschädigende Wirkung braucht bei Einhaltung des MAK- und BAT-Wertes nicht befürchtet zu werden) eingestuft:
- Cyanurchlorid [108–77–0] (Neuaufnahme)
- Hexachlorethan [67–72–1] (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe)
- Kerosin (Erdöl) (Aerosol) [8008–20 –6] (Neuaufnahme)
- Kerosin (Erdöl) (Dampf) [8008–20–6] (Neuaufnahme)
- Kresol (alle Isomere) [1319–77–3] (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe)
- Methylamin [74–89–5] (bisher Schwangerschaftsgruppe D)
- Nitrilotriessigsäure [139–3–9] und ihre Natriumsalze (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe)
- Tantal [7440–25–7] (alveolengängige Fraktion) (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe)
- Trikresylphosphat, Isomere, „frei von o‑Isomeren“ (Neuaufnahme)
- Vinylacetat [108–05–4] (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe).
Die Zuordnung zu dieser Gruppe wurde für die drei Stoffe
- Ammoniak [7664–41–7]
- 1,1‑Dichlorethan [75–34–3] und
- Graphit [7782–42–5] (alveolengängige Fraktion)
geprüft und unverändert bestätigt.
Für die sechs Stoffe
- Dichloressigsäure [79–43–6] und ihre Salze (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe)
- Methylenbis(dibutyldithiocarbamat) [10254–57–6] (alveolengängige Fraktion) (Neuaufnahme)
- Methylenbis(dibutyldithiocarbamat) [10254–57–6] (einatembare Fraktion) (Neuaufnahme)
- Pentachlorethan [76–01–7] (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe)
- 1,1,2‑Trichlorethan [79–00–5] (bisher ohne Schwangerschaftsgruppe)
- Trikresylphosphat, Summe aller o‑Isomeren [78–30–8] (Neuaufnahme)
gab es eine Zuordnung zur Schwangerschaftsgruppe D (Stoffe, bei denen die vorliegenden Daten für eine Einstufung in eine der Gruppen A, B oder C nicht ausreichen).
Die Schwangerschaftsgruppe D wurde für 1,1,2,2‑Tetrachlorethan [79–34.5] überprüft und bestätigt.
Für alle Änderungen in der Liste erarbeitet die Kommission eine ausführliche wissenschaftliche Begründung, die einige Monate nach der MAK-Liste in einer Ergänzungslieferung zu der Loseblattsammlung „Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten und Einstufungen“ [1] veröffentlicht wird und die seit Anfang 2012 auch im Internet kostenlos zur Verfügung steht.
Biologische Beurteilungswerte (BW)
Neuaufnahme
Bei den biologischen Werten gibt es in diesem Jahr nur eine Neuaufnahme für den Stoff Bisphenol S [80–09–1], für den ein Biologischer Arbeitsstoff-Referenzwert (BAR) festgelegt wird.
BAT-Werte (Biologische Arbeitsstoff-Toleranz-Werte)
1,4‑Dichlorbenzol [106–46–7]: Neben der schon bestehenden EKA-Tabelle wird erstmals auch ein BAT-Wert festgelegt (10 mg/L Urin, Parameter 2,5–Dichlorphenol (nach Hydrolyse).
Zwei BAT-Werte werden in diesem Jahr geändert:
- N,N‑Dimethylacetamid [127–19–5]: Der BAT-Wert wird von bisher 30 mg/g Kreatinin zu 25 mg/L Urin geändert (Parameter N‑Methylacetamid plus N‑Hydroxymethyl-N-methylacetamid)
- 1,4‑Dioxan [123–91–1]: Der BAT-Wert wird halbiert (Absenkung von bisher 400 μg/g Kreatininauf 200 μg/g Kreatinin; Parameter unverändert 2‑Hydroxyethoxyessigsäure).
EKA (Expositionsäquivalente für krebserzeugende Arbeitsstoffe)
Bei den EKA-Tabellen gibt es zwei Änderungen:
- Acrylnitril [107–13–1]: Die EKA-Tabelle wurde bei den Werten etwas differenziert und leicht nach unten erweitert;
- 1,4‑Dichlorbenzol [106–46–7]: Die EKA-Tabelle wurde nach unten um den Faktor 5 erweitert und am oberen Ende gekappt (oberes Luft-Äquivalent jetzt 30 mL/m3 statt bisher 50 mL/m3 bei einem MAK-Wert von 2 mL/m3).
Biologische Arbeitsstoff-Referenzwerte (BAR)
Bei den Biologischen Arbeitsstoff-Referenzwerten (BAR) gab es in diesem Jahr vier Änderungen:
- Acrylnitril [107–13–1]:
- Für den Parameter S-(2‑Cyanoethyl)merkaptursäure wurde ein neuer BAR von 10 μg/g Kreatinin in Urin für den Probenahmezeitpunkt b) (Expositionsende beziehungsweise Schichtende) eingefügt
- der BAR für den Parameter N-(2‑Cyanoethyl)valin wurde von bisher 0,3 μg/L auf 12 pmol/g Globin geändert
Beide Werte sind für Nichtraucher abgeleitet (der BAT-Wert bleibt unverändert).
- Blei [7439–92–1] und seine Verbindungen (außer Bleiarsenat, Bleichromat und Alkylbleiverbindungen) (Parameter: Blei):
- Der BAR für Frauen wird von bisher 70 μg/L auf 30 μg/L im Vollblut abgesenkt
- Für Männer wird erstmals ein BAR in Höhe von 40 μg/L im Vollblut festgelegt.
Biologische Leitwerte (BLW)
Blei [7439–92–1] und seine Verbindungen (außer Bleiarsenat, Bleichromat und Alkylbleiverbindungen) (Parameter: Blei): Es wurde ein neuer Eintrag für einen Biologischen Leitwert (BLW) für Frauen ≤45 Jahren eingefügt; dabei wurde jedoch kein bestimmter Wert festgelegt. Der bisherige BLW für Frauen 45 Jahren und für Männer, der im letzten Jahr von 400 μg/L auf 200 μg/L abgesenkt worden war, bleibt unverändert.
Diese Ergänzung fehlt im Übrigen in den Veröffentlichungen der Kommission zu den Änderungen in diesem Jahr sowie in dem entsprechenden Kapitel der MAK-Liste selbst auf Seite VIII („blaue Seiten“) im Anhang.
Im Folgenden die Definitionen für BAR und BLW – die es im staatlichen Regelwerk (TRGS 903) nicht gibt:
- Biologische Arbeitsstoff-Referenzwerte (BAR) beschreiben die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Referenzpopulation aus nicht beruflich gegenüber dem Arbeitsstoff exponierten Personen im erwerbsfähigen Alter bestehende Hintergrundbelastung mit diesem Arbeitsstoff. Sie orientieren sich am 95. Perzentil, ohne Bezug zu nehmen auf gesundheitliche Effekte.
- Der Biologische Leitwert (BLW) ist die Quantität eines Arbeitsstoffes beziehungsweise Arbeitsstoffmetaboliten oder die dadurch ausgelöste Abweichung eines biologischen Indikators von seiner Norm beim Menschen, die als Anhalt für die zu treffenden Schutzmaßnahmen heranzuziehen ist.
BAT-Werte und Schwangerschaft
Eine absolute Neuheit in diesem Jahr ist die erstmalige Festlegung von Schwangerschaftsgruppen für BAT-Werte. In die Erläuterungen zu den Biologischen Werten wurde ein Kapitel mit entsprechenden Hinweisen eingefügt.
Wenn MAK- und BAT-Wert in Korrelation miteinander stehen, gilt die Schwangerschaftsgruppe für den MAK-Wert in der Regel auch für den korrelierenden BAT-Wert.
Wenn der BAT-Wert jedoch nicht in Korrelation zum MAK-Wert abgeleitet worden ist, geht die Kommission bei der Ergänzung der Schwangerschaftsgruppe zum BAT-Wert analog zu Kapitel VIII „MAK-Werte und Schwangerschaft“ vor.
Im „ersten Anlauf“ wurden in diesem Jahr Schwangerschaftsgruppen für folgende Stoffe festgelegt:
- Chlorbenzol [108–90–7] (Gruppe C)
- Chlorierte Biphenyle [53469–21–9] Gruppe B mit einem Hinweis auf die Voraussetzung für Gruppe C (analog zu den Angaben in der Stoffliste mit den MAK-Werten (Abschnitt IIa), siehe BAT-Addendum
- Lindan (gamma‑1,2,3,4,5,6‑Hexachlorcyclohexan) [58–89–9] (Gruppe C)
- Methanol [67–56–1] (Gruppe C)
- 1,1,1‑Trichlorethan (Methylchloroform) [71–55–6] (Gruppe C).
Welche Bedeutung hat die DFG-Liste für den Arbeitsschutz?
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft übergibt ihre MAK-Werte-Liste alljährlich im Juli dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) als Bestandteil ihrer Politikberatung.
Danach haben alle betroffenen und interessierten Kreise jeweils bis zum ersten Februar des folgenden Jahres Gelegenheit, zu den Neuerungen Stellung zu nehmen und Kommentare hierzu einzureichen. Dabei geht es allerdings ausschließlich um wissenschaftliche Stellungnahmen. Fragen der praktischen Umsetzung von neuen oder abgesenkten Grenzwerten oder „schärferen“ Einstufungen werden hierbei nicht berücksichtigt.
Die Kommission diskutiert die eingereichten Stellungnahmen im darauffolgenden Jahr, um ihre Vorschläge gegebenenfalls zu ändern oder zu ergänzen, bevor diese endgültig verabschiedet werden, oder erforderlichenfalls auch zurückziehen. Dies ist in den zurückliegenden Jahren – wenn auch in diesem Jahr nicht – bereits mehrfach geschehen.
Die Betrachtung der Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung obliegt dem Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS), wenn er im Jahr nach der endgültigen Annahme durch die Kommission über die Aufnahme neuer oder geänderter Grenzwerte in die TRGS 900 „Luftgrenzwerte“ beziehungsweise TRGS 903 „Biologische Grenzwerte (BGW)“ oder geänderter Stoffbewertungen in die TRGS 905 „Verzeichnis krebserzeugender, keimzellmutagener oder reproduktionstoxischer Stoffe“ beschließt.
Wenn die Übernahme neuer oder geänderter Grenzwerte in der Praxis Probleme bereitet, wird der AGS auch hierüber beraten und gegebenenfalls geeignete Präventionsmaßnahmen vorschlagen, erforderlichenfalls auch spezielle Präventionsprogramme auflegen.
Daraus ergibt sich, dass es auch für die betrieblichen Praktiker von Bedeutung ist, sich schon frühzeitig mit den neuen Vorschlägen der DFG auseinander zu setzen und falls erforderlich im eigenen Betrieb zu überprüfen, ob die neuen Werte eingehalten werden können. Sollte dies offensichtlich nicht möglich sein, sollten Sie frühzeitig mit den Technischen Aufsichtsdiensten, zum Beispiel der Unfallversicherung Kontakt aufnehmen, um nach geeigneten Lösungen zu suchen. Dort wird man erforderlichenfalls dann auch den AGS einschalten.
„Gelbe Seiten“ der MAK- und BAT-Werte-Liste
Auf den „Gelben Seiten“ der MAK- und BAT-Werte-Liste weist die DFG-Kommission alljährlich auf geplante Änderungen beziehungsweise Ergänzungen für die jeweilige(n) Folgemitteilung(en) hin.
Lesen Sie auch: DFG-MAK- und BAT-Werte-Liste 2019 Teil 1 — Neue Zungenbrecher in der DFG-MAK-Werte-Liste
Autor: Dr. Ulrich Welzbacher
Sankt Augustin
autor@gefahrstoffinformation.de