Folgende Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) wurden verabschiedet, die nach rechtsförmlicher Prüfung durch das BMAS voraussichtlich ab Herbst 2020 im Gemeinsamen Ministerialblatt (und im Internet) veröffentlicht werden.
Neufassung TRGS
- 721 „Gefährliche explosionsfähige Gemische – Beurteilung der Explosionsgefährdung“
Änderungen und Ergänzungen TRGS
- 723 „Gefährliche explosionsfähige Gemische – Vermeidung der Entzündung gefährlicher explosionsfähiger Gemische“
- 751 „Vermeidung von Brand‑, Explosions- und Druckgefährdungen an Tankstellen und Gasfüllanlagen zur Befüllung von Landfahrzeugen“
- 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“
Aufhebung BekGS
- 408 „Anwendung der GefStoffV und TRGS mit Inkrafttreten der CLP-Verordnung“
66. AGS-Sitzung nur im „kleinen Kreis“
Auch am AGS ist Corona nicht spurlos vorbeigegangen, weshalb die 66. Sitzung nur im kleinen Kreis und nur eintägig stattgefunden hat. Die Abstimmung erfolge nach der Sitzung in einem schriftlichen Verfahren. Sie ist inzwischen abgeschlossen, so dass die oben genannten Ergebnisse kommuniziert werden konnten.
TRGS 900: Neue AGW für Kresole und Halbierung AGW Xylole
Von Bedeutung dürften insbesondere die
- neuen AGW für Kresole und die
- Halbierung der AGW für Xylole
sein – siehe Tabelle 1.
Die Begründung für die Halbierung der AGW bei bestimmten Stoffen wurde bereits in der DFG MAK- und BAT-Werte-Liste 2016 beschrieben: Seitdem wird bei bestimmten Stoffen berücksichtigt, dass das Atemvolumen des arbeitenden Menschen circa doppelt so hoch ist wie das Atemvolumen der Tiere „in Ruhe“ bei Tierversuchen oder der Probanden „in Ruhe“ bei Probandenstudien.
Tab. 1: Auszug: Änderungen und Ergänzungen der TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“ aus 66. AGS-Sitzung Mai 2020
Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung
Neue beziehungsweise abgesenkte Grenzwerte machen eine Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung notwendig. Dabei ist zu überprüfen, ob die bereits bestehenden Schutzmaßnahmen ausreichen, um auch den neuen beziehungsweise abgesenkten AGW einzuhalten.
In der betrieblichen Praxis kommen bei neuen oder abgesenkten AGW oft folgende Fragen auf:
- Wie wahrscheinlich ist eine AGW-Überschreitung bei diesem oder jenem Stoff?
- Haben wir unverzüglichen Handlungsbedarf aufgrund hoher Wahrscheinlichkeit der AGW-Überschreitung?
- Wie priorisieren wir bei vielen neuen oder abgesenkten AGW, bei welchen Stoffen unverzüglich Handlungsbedarf gegeben ist?
Gefährdungszahl: Verdünnungsfaktor für AGW-Einhaltung
Bei Flüssigkeitsdämpfen muss neben der Höhe des AGW auch das Freisetzungsverhalten berücksichtigt werden.
Mit Hilfe des Dampfdrucks p, der die Kennzahl für das Freisetzungsverhalten darstellt, kann wie folgt die Gefährdungszahl (GZ) berechnet werden:
Die Gefährdungszahl kann man auch als „Verdünnungsfaktor“ bezeichnen, da sie angibt, um welches Wievielfache ein dampfgesättigtes Luftvolumen verdünnt werden muss, damit der Grenzwert eingehalten wird.
Tabelle 2 enthält die Gefährdungszahlen für die neuen beziehungsweise geänderten AGW aus der TRGS 900. Daraus ergeben sich zwei Ergebnisse:
- Gase wie Methylamin haben aufgrund ihres extrem hohen Dampfdrucks eine extrem hohe Gefährdungszahl. Bei diesen Stoffen sollte mit hoher Priorität beziehungsweise zuerst überprüft werden, ob die bereits bestehenden Schutzmaßnahmen ausreichen oder ob aufgrund des abgesenkten AGW (hier Halbierung von 10 auf 5 ppm) diese angepasst werden müssen. Als Wirksamkeitskontrolle für die Schutzmaßnahmen bietet sich in vielen Fällen eine Arbeitsplatzmessung gemäß den Vorgaben der TRGS 402 an.
- Selbst bei einer Halbierung der AGW der Xylole liegen die Gefährdungszahlen immer noch auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Aus den Angaben in Tabelle 3 wird deutlich, dass vermutlich in den meisten Fällen die AGW der Xylole mit vergleichsweise einfachen technischen Schutzmaßnahmen (z.B. Absaugung) eingehalten werden können.
Tab. 2: Gefährdungszahlen der Stoffe mit neuem oder abgesenktem AGW aus der TRGS 900
TRGS 600 – Substitution – im Internet veröffentlicht
Inzwischen wurde die neue Version der TRGS 600 „Substitution“ veröffentlicht – Link siehe Infokasten Links/Downloads.
Auf die wesentlichen Änderungen der neuen Version im Vergleich zur alten Version von 2008 wurde bereits im letzten Online-Artikel „Neues aus dem AGS“ in der Ausgabe 02/2020 hingewiesen.
TOP-10-Informationen bezüglich Substitution
Um schnell in das Thema Substitution reinzukommen, werden hier 10 wichtige Punkte rund um das Thema Substitution zusammengestellt:
- Substitution bezeichnet den Ersatz eines Gefahrstoffes, eines biologischen Arbeitsstoffes oder eines Verfahrens durch einen Arbeitsstoff oder ein Verfahren mit einer insgesamt geringeren Gefährdung für die Beschäftigten. Siehe „Begriffsglossar zur GefStoffV“ – Infokasten Links/Downloads
- Die Substitution an sich ist NICHT verpflichtend. Gemäß Gefahrstoffverordnung ist im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung NUR die „Beurteilung der MÖGLICHKEITEN einer Substitution“ verpflichtend.
- Das Ergebnis solch einer Beurteilung – auch als Substitutions-PRÜFUNG bezeichnet – kann daher auch lauten: „KEINE Möglichkeiten einer Substitution.“ Das ist zum Beispiel der Fall bei der Herstellung von Pharmawirkstoffen für Arzneimittel.
- Substitution lohnt sich – insgesamt betrachtet: Der Aufwand für die Durchführung einer Substitutionsprüfung zu Beginn kann sich später dadurch bezahlt machen, dass aufwendige und kostenintensive Schutzmaßnahmen nicht mehr notwendig sind, weil die Substitutionslösung weniger gefährlich ist als der bisher verwendete Stoff oder das Verfahren.
- Bei einer großen Stoffanzahl empfiehlt sich die folgende Priorisierung bei der Substitutionsprüfung:
a) § 10 GefStoffV: CMR-Stoffe der Kategorien 1A und 1
b) § 9 GefStoffV: zum Beispiel Tätigkeiten mit AGW-Überschreitung
c) Weitere Kriterien wie zum Beispiel hohe Menge, akute Toxizität Kat. 1 etc. - Wenn eine Substitution nicht möglich ist UND eine erhöhte inhalative Exposition besteht, sind Schutzmaßnahmen gemäß der TOP-Rangfolge einzusetzen.
- Mit Hilfe des GHS-Spaltenmodells des IFA (entspricht Anhang 2 der neuen Version der TRGS 600) kann das Gefährdungspotenzial verschiedener Gefahrstoffe miteinander verglichen werden.
- „Es ist NICHT sinnvoll, Gefahrstoffe mit bekannten gefährlichen Eigenschaften durch Produkte mit unbekannten Gefahren zu ersetzen.“ Im EMKG-Leitfaden finden sich neben dieser Aussage noch viele weitere Hilfestellungen zur Substitutionsprüfung – Link siehe Infokasten Links/Downloads.
- Ebenfalls ist es in vielen Fällen nicht sinnvoll einen Gefahrstoff durch einen chemisch ähnlichen Gefahrstoff zu ersetzen, da in den meisten Fällen auch die Gefahren ähnlich sein werden.
- Die Form der Dokumentation einer Substitutionsprüfung ist (auch in der TRGS 600) NICHT vorgeschrieben.
Tab. 3: Grenzwertüberschreitung je nach Gefährdungszahl
Weitere Informationen zum Thema Substitution sind in drei Online-Artikeln auf www.sifa-sibe.de zu finden.
Beteiligung an TRGS
Sie haben keine Möglichkeit, Ihre Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis bei der Überarbeitung von TRGS mit einzubringen? Doch, nur wissen das viele nicht.
Nutzen Sie die Möglichkeit der Beteiligung: Wenn TRGS angepasst werden sollen, werden entsprechende Hinweise auf der BAuA-Internetseite bekannt gegeben. Kommentare und Hinweise der Anwender sind willkommen – siehe Infokasten Links/Downloads.
Aktuell können zum Beispiel bis zum 31. Oktober 2020 Anmerkungen oder Stellungnahmen zu folgenden TRGS an die AGS-Geschäftsleitung gesendet werden:
- TRGS 529 Tätigkeiten bei der Herstellung von Biogas,
- TRGS 553 Holzstaub und
- TRGS 725 Gefährliche, explosionsfähige Atmosphäre – Mess‑, Steuer- und Regeleinrichtungen im Rahmen von Explosionsschutzmaßnahmen.
Glossar
- AGS: Ausschuss für Gefahrstoffe
- AGW: Arbeitsplatzgrenzwert (aus TRGS 900)
- BMAS: Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- BAT: Biologischer Arbeitsstoff-Toleranzwert
- CMR: Krebserzeugend, Keimzellmutagen, Reproduktionstoxisch
- DFG: Deutsche Forschungsgemeinschaft
- GHS: Global harmonisiertes System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien
- GZ: Gefährdungszahl
- IFA: Institut für Arbeitsschutz der DGUV
- MAK: Maximale Arbeitsplatzkonzentration
- NEP: N‑Ethylpyrrolidon
- NMP: N‑Methylpyrrolidon
- THF: Tetrahydrofuran
- TRGS: Technische Regel für Gefahrstoffe
Links/Download
- Begriffsglossar zu den Regelwerken der Betriebsicherheitsverordnung, der Biostoffverordnung und der Gefahrstoffverordnung www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/Glossar/Glossar_ node.html
- Dampfdruck: GESTIS-Stoffdatenbank:
www.dguv.de/ifa/gestis/gestis-stoffdatenbank/index.jsp - EMKG-Leitfaden: www.baua.de/emkg
- Gefährdungszahl: Merkblatt „Gefährliche Arbeitsstoffe, M390“: Wahrscheinlichkeit GW-Überschreitung je nach Gefährdungszahl (Leisser-Piringer-Faktor): http://www.gesundesarbeiten-tirol.at/ downloads/M390/Gefaehrliche_ Arbeitsstoffe.pdf
- Gefährdungszahl: Robert Piringer: Risiko einer Überschreitung des Arbeitsplatzgrenzwertes (AGW) bei chemischen Arbeitsstoffen – die Gefährdungszahl: https://www.sisdigital.de/sis.07.2019.360
- GHS-Spaltenmodell 2020:
https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/3736 - Neues vom AGS: www.baua.de/DE/Aufgaben/Geschaeftsfuehrung-von-Ausschuessen/AGS/Neues-vom-AGS.html
- TRGS 600 „Substitution“ – Ausgabe: Juli 2020: www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/TRGS/TRGS-600.html
- Online-Artikel „Neues aus dem AGS – 65. Sitzung, Nov. 2019“:
www.sifa-sibe.de/sicherheitsingenieur/neues-aus-dem-ags‑8/ - Substitution Teil 1: Die effektivste Schutzmaßnahme: www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/die-effektivste-schutzmassnahme/
- Substitution Teil 2: Die Grundlagen beim Ersatz von Gefahrstoffen: www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/die-grundlagen-beim-ersatz-von-gefahrstoffen/
- Substitution Teil 3: Gefahrenabschätzung und Anwendungsbeispiele:
www.sifa-sibe.de/fachbeitraege/gefahrenabschaetzung-und-anwendungsbeispiele/ - TRGS: Beteiligung der Praxis an der Überarbeitung: www.baua.de/DE/Aufgaben/Geschaeftsfuehrung-von-Ausschuessen/AGS/TRGS.html
Autorin: Dr. Birgit Stöffler
Sicherheitsingenieurin, Stlvtr. Mitglied im AGS, Mitglied im UAII