Dies führte damals dazu, dass sich die Verabschiedung der Verordnung immer wieder verzögerte, bis schließlich 2005 endlich eine Neufassung verabschiedet werden konnte. Auch jetzt sollte die Neufassung der Verordnung eigentlich spätestens bis zum 31. Mai 2015 in Kraft treten können, da zu diesem Termin die CLP-Verordnung vollständig in Kraft getreten ist und die alten Bezüge auf das frühere EG-Recht in der Gefahrstoffverordnung einfach nicht mehr „passten“.
Das damals diskutierte Ampelmodell konnte auch 2016 noch nicht umgesetzt werden. Dies lag diesmal jedoch weniger daran, dass dieses Modell mit Akzeptanz- und Toleranzwerten nach TRGS 910 heute inhaltlich umstritten gewesen wäre, sondern dass dieses risikobezogene Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen mit einer Neufassung der Vorschriften über die Tätigkeiten mit Asbest verknüpft werden sollte.
Und hier lag dann der Hase im Pfeffer.
Die Vorgeschichte
Mitte dieses Jahrzehnts war den Akteuren nämlich ins Bewusstsein getreten, dass Asbest in viel mehr Bereichen – insbesondere in der Bauwirtschaft – eine Rolle spielt als bisher angenommen:
So war Asbest in vielen Bauprodukten enthalten, an die zuvor niemand gedacht hatte und für die das in der Öffentlichkeit auch kaum bekannt war, wie etwa in Putzen und Spachtelmassen für den Innen- und Außenbereich.
Dies bedeutet, dass weitaus mehr Beschäftigte der Bauwirtschaft bei ihren Tätigkeiten gegenüber Asbest exponiert waren – und bei Renovierungsarbeiten auch heute noch sind –, ohne dass dies bisher problematisiert wurde, etwa
- Maler und Anstreicher bei der Grundierung und beim Glätten von Oberflächen vor einem neuen Anstrich oder vor dem Tapezieren oder
- Elektriker beim Stemmen von Schlitzen für die Verlegung neuer Elektro- oder Kommunikationsleitungen.
Hinzu kommt, dass diese Tätigkeiten eigentlich nach Anhang II Nr. 1 Abs. 1 Ziffer 2 der Verordnung verboten sind:
„(1) Arbeiten an asbesthaltigen Teilen von Gebäuden, Geräten, Maschinen, Anlagen, Fahrzeugen und sonstigen Erzeugnissen sind verboten. Satz 1 gilt nicht für
1. Abbrucharbeiten,
2. Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten mit Ausnahme von Arbeiten, die zu einem Abtrag der Oberfläche von Asbestprodukten führen, es sei denn, es handelt sich um emissionsarme Verfahren, die behördlich oder von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt sind. Zu den Verfahren, die zum verbotenen Abtrag von asbesthaltigen Oberflächen führen, zählen insbesondere Abschleifen, Druckreinigen, Abbürsten und Bohren,
3. …“
Da in diesem Bereich mangels Problembewusstsein bisher keine emissionsarmen Verfahren entwickelt wurden, greift hier eigentlich das oben genannte Verbot zum Beispiel für Maler, Anstreicher und Elektriker. Da man solche Arbeiten natürlich nicht einfach verbieten oder den Gebäudeeigentümern – in vielen Fällen auch möglicherweise wenig finanzkräftigen Privateigentümern – aufgeben kann, die asbesthaltigen Putze und so weiter zu entfernen und zu entsorgen, suchte man im Arbeitsministerium nach einer Lösung für dieses Problem. Betroffen hiervon sind alle Gebäude, die vor dem Asbestverbot in Deutschland (1993) errichtet wurden. Nach aktuellen Erkenntnissen sind etwa 25 Prozent dieses Altbestandes mit Asbest belastet.
Da derartige Regelungen – gleich wie sie gestaltet werden – unter Umständen wegen möglicherweise entstehender zusätzlicher Kosten auf erheblichen Widerstand der Betroffenen – insbesondere auch der Gebäudeeigentümer, die diese Kosten tragen müssten – stoßen können, war man im Arbeitsministerium in höchstem Maße sensibilisiert und vor dem Hintergrund der (politischen) Probleme mit der Arbeitsstättenverordnung und der Betriebssicherheitsverordnung Anfang 2015 extrem vorsichtig.
Auch die – teilweise irrealen – Ängste der Bewohner solcher Gebäude wird man in diesem Zusammenhang nicht außer Acht lassen dürfen.
Und ein weiteres Problem muss in diesem Zusammenhang gelöst werden: Der AGS hatte in seiner Sitzung im Mai 2015 einen „Beurteilungswert“ für Quarz-Feinstaub in Höhe von 50 µg/m³ beschlossen, wobei allerdings niemand wusste, welche rechtliche Bedeutung einem solchen „Beurteilungswert“ eigentlich zukommen sollte.
Der AGS hat in seiner Sitzung im November 2015 darüber beraten, welche praktischen Konsequenzen sich aus diesem Beschluss ergeben (sollten). Möglicherweise wird es darauf hinauslaufen, dass bei der Überschreitung dieses Wertes Atemschutz (Staubschutzmaske) getragen werden muss.
Ein solcher Beschluss hätte jedoch ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf alle im Baubereich Tätigen, da Quarz in nahezu allen mineralischen Baustoffen enthalten ist und Feinstaub (A‑Fraktion) bei jedweder Art mechanischer Bearbeitung (schleifen, bohren, stemmen und so weiter) freigesetzt werden kann.
Arbeitsschutzmaßnahmen zur Unterschreitung des oben genannten Beurteilungswerts für Quarz würden allerdings „automatisch“ dazu führen, dass auch die Exposition gegenüber Asbest unter den Akzeptanzwert von 10.000 Fasern/m³ nach dem Exposition-Risiko-Konzept abgesenkt würde, da der Asbestgehalt in den genannten Baustoffen vergleichsweise niedrig ist.
Dennoch fällt die Vorstellung bisher sicherlich noch schwer, dass Maler und Elektriker zukünftig bei der Wohnungsrenovierung Atemschutzmasken tragen sollen. Auch dies kann sicherlich zu einer nicht unerheblichen Verunsicherung der Bewohner führen.
Man erkennt, dass das Arbeitsministerium hier in einem äußerst sensiblen Bereich tätig ist und sicherlich nicht ganz zu Unrecht befürchtet, dass die Arbeitgeber (BDA) jede nur erdenkliche Möglichkeit nutzen werden, der ungeliebten „Mindestlohnministerin“ – die zudem derzeit auch über eine Beschränkung des Missbrauchs von Leiharbeit und Werkverträgen nachdenkt – ein weiteres Mal „einen reinzuwürgen“.
Um dieses Problem zu lösen, hat das Ministerium Ende 2015 einen „Nationalen Asbestdialog“ ins Leben gerufen; wann dieser Dialog für alle Beteiligten tragfähige Ergebnisse liefern wird, ist auch heute noch nicht erkennbar.
Drohungen der EU-Kommission
Im Frühjahr 2016 platzte der EU-Kommission dann der Kragen: Sie drohte der Bundesrepublik Deutschland mit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen Nicht-Umsetzung der Ausführungsregelungen zur CLP-Verordnung; hierdurch geriet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Zeitdruck und hat die Neufassung der Regelungen zu Asbest in der Verordnung (vor allem Anhang I Nr. 2.4 und Anhang II Nr. 1) – ebenso wie die anderen geplanten inhaltlichen Änderungen – vorerst ausgesetzt und Ende Mai einen Referentenentwurf für eine „Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2014/27/EU und zur Änderung von Arbeitsschutzverordnungen“ als Artikelverordnung vorgelegt.
Diese Novelle „light“ beschränkt sich nun im Wesentlichen darauf, die formalen Anpassungen vor allem an die Nomenklatur der CLP-Verordnung vorzunehmen. Der Bundesrat hat diese Verordnung in seiner 949. Sitzung am 14. Oktober 2016 verabschiedet; die Neufassung wurde im Bundesgesetzblatt Teil I (BGBl. I) Nr. 54 vom 18. November 2016 auf S. 2549 veröffentlicht und ist am 19.11.2016 in Kraft getreten.
Neben der Änderung der Gefahrstoffverordnung enthält die Verordnung in Artikel 2 auch einige – allerdings recht umfangreiche – Anpassungen und redaktionelle Klarstellungen zur Betriebssicherheitsverordnung von 2015. Artikel 3 enthält Folgeänderungen in der Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) und der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (Baustellenverordnung).
Entschließung des Bundesrates zu Asbest
Das interessanteste Ergebnis der Sitzung des Bundesrates am 14. Oktober war aber eine Entschließung, die unabhängig von der Verordnung selbst einstimmig angenommen wurde. Diese Entschließung enthält die Auffassung der Bundesländer zur Neufassung der Asbestregelungen in der Gefahrstoffverordnung.
So fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, in Bezug auf gefährliche Stoffe in der Gebäudesubstanz Informationspflichten des Auftraggebers oder Bauherrn gegenüber dem Auftragnehmer vorzuschreiben.
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass es nicht einer zufälligen Kenntnis oder Unkenntnis eines Auftraggebers überlassen bleiben darf, ob ein in Bestandsbauten tätiger Handwerksbetrieb die für seine Gefährdungsbeurteilung notwendigen Informationen über das Vorhandensein von Asbest und anderen Schadstoffen erhält.
Die bisherigen Anforderungen an
- Sachkunde‑, Zulassungs- und Anzeigepflichten,
- die Zuverlässigkeit der an asbesthaltigen Materialien arbeitenden Betriebe und der dort verantwortlichen Personen sowie
- die Qualifikation für Tätigkeiten an asbesthaltigen Materialien
sollen erhalten werden.
Der Bundesrat spricht sich dafür aus, Ausnahmen vom Verbot von Tätigkeiten mit Asbest nicht mehr an den Begriff „ASI-Arbeiten“ (Abbruch – Sanierung – Instandhaltung) oder ähnlich gelagerte Begriffe zu knüpfen. Soweit Ausnahmen vorgesehen werden, dürfen diese ein künftiges Entfernen asbesthaltiger Materialien nicht verhindern.
Nach Auffassung des Bundesrates sollte aus dem Rechtstext einfach und zweifelsfrei erkennbar sein, unter welchen Voraussetzungen bestimmte gefahrstoffrechtliche Pflichten gelten.
Der Bundesrat ist weiterhin der Auffassung, dass der bislang bestehende Regelungsbezug auf die Kategorien „fest gebunden“ und „schwach gebunden“ nur unzureichend geeignet ist, die Gefährlichkeit einer Tätigkeit an einem asbesthaltigen Material zu beschreiben. Vielmehr kann eine Bearbeitung auch bei sogenannten fest gebundenen Materialien zu einer erheblichen Freisetzung von Asbestfasern führen.
Auch ist das Ziel einer Tätigkeit – zum Beispiel „Instandhaltung“ – in der Regel kein geeigneter Anknüpfungspunkt für das Vorschreiben von Schutzmaßnahmen, da das Ausmaß einer Freisetzung von Asbeststaub nicht vom Tätigkeitsziel, sondern vom bearbeiteten Material und vom Bearbeitungsverfahren abhängt.
Außerdem sollten auslegungsfähige Begriffe und Sachverhalte vermieden werden, die nach dem Alltagsverständnis oder durch Definitionen in anderen Rechtsbereichen unterschiedlich interpretiert werden können. Sonst entstehen Zuordnungsprobleme, die das Handeln der Aufsichtsbehörden erschweren. Solche Zuordnungsprobleme gibt es bei den Asbestregelungen der Gefahrstoffverordnung derzeit besonders beim Begriff der „ASI-Arbeiten“.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Art und Umfang der gefahrstoffrechtlichen Pflichten bei Tätigkeiten an asbesthaltigen Materialien am Risikopotenzial der Tätigkeiten auszu-richten, weil Fehler bei der Ausführung von Tätigkeiten schwerwiegende Folgen für die Gesundheit von Menschen haben. Neben dem Schutz der Beschäftigten soll im Übrigen auch erreicht werden, dass aus den Tätigkeiten mit Gefahrstoffen keine Gefährdung der Umwelt resultiert.
Die Einhaltung des Standes der Technik zur Verhinderung der Ausbreitung asbesthaltigen Staubes soll im Übrigen auch für private Gebäudeeigentümer gelten, da Gefahren für Menschen und Umwelt auch eintreten können, wenn solche Tätig-keiten von Privatpersonen durchgeführt werden.
Was soll sich außerhalb der Asbestproblematik ändern?
Soweit bisher bekannt, soll es außerhalb der Asbestproblematik folgende Änderungen geben:
- Einbindung des risikobasierten Grenzwertkonzeptes,
- Pflicht zur Einholung einer Erlaubnis für bestimmte Tätigkeiten mit Biozidprodukten und Pflanzenschutzmitteln,
- Anzeigepflichten
- für Tätigkeiten mit Biozidprodukten und Pflanzenschutzmitteln,
- bei Lagerung von 25 t Ammoniumnitrat,
- beim Überschreiten von Toleranzkonzentrationen (für Tätigkeiten mit Asbest, wenn die Akzeptanzkonzentration überschritten wird),
- Befähigungsscheine (maximal sechs Jahre gültig) für Tätigkeiten mit Biozidprodukten und Pflanzenschutzmitteln.
Was hat sich nun konkret 2016 geändert?
Durch REACH und GHS wurden neue Begriffe in das Chemikalienrecht eingeführt, die jetzt umgesetzt wurden, zum Beispiel
- die neuen Gefahrenklassen statt der bisherigen Gefährlichkeitsmerkmale
- Verwendung des Begriffs „Gemische“ statt „Zubereitungen“.
Bei der konkreten Umsetzung dieser neuen Begriffe in die Praxis ergaben sich jedoch – wie auch bei anderen Regelungen, etwa der Störfallverordnung oder der Chemikalien-Verbotsverordnung, Probleme dadurch, dass die Kriterien der Gefährlichkeitsmerkmale nach bisherigem EG-Recht mit den Gefahrenklassen und ‑kategorien der heutigen CLP-Regelungen nicht übereinstimmen. Es mussten also Kompromisse gefunden werden, für welche Gefahrenklassen oder ‑kategorien bisherige Regelungen nach bestimmten Gefährlichkeitsmerkmalen gelten sollten.
Begriffsbestimmungen
Bei den Begriffsbestimmungen wird in der Verordnung 2016 wo immer möglich auf die CLP-Verordnung verwiesen.
Neu aufgenommen wurden die Begriffe
· „Physikalisch-chemische Gefährdungen“ und
· „Umweltgefährlich“.
Der Begriff „Umweltgefährlich“ wurde über den Begriff „wassergefährdend“ nach CLP hinaus definiert als „Stoffe oder Gemische, wenn sie selbst oder ihre Umwandlungsprodukte geeignet sind, die Beschaffenheit von Naturhaushalt, Boden oder Luft, Klima, Tieren, Pflanzen oder Mikroorganismen derart zu verändern, dass dadurch sofort oder später Gefahren für die Umwelt herbeigeführt werden können“.
Die bisherigen Gefährlichkeitsmerkmale wurden durch den Begriff und die Definitionen der Gefahrenklassen nach CLP ersetzt.
Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung
Hinsichtlich Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung wurden zusätzliche Regelungen zu Biozidprodukten aufgenommen, nach denen der Lieferant neben den Vorschriften der CLP-Verordnung auf dem Kennzeichnungsschild auch zusätzliche Angaben entsprechend der Biozid-Verordnung (EU) Nr. 528/2012 machen muss.
Die bisherigen in der Gefahrstoffverordnung enthaltenen Ausnahmeregelungen nach § 19 Abs. 4 für die Kennzeichnung von Kleinpackungen wurden gestrichen, weil es in Anhang I Nr. 1.5.2.1 der CLP-Verordnung entsprechende Regelungen für Kleinpackungen bis 125 mL Inhalt gibt, die (auch) in Deutschland unmittelbar gelten. Für nationale Regelungen ist hier also kein Raum mehr.
Tätigkeiten mit Gefahrstoffen
Schon bisher gab es in der Gefahrstoffverordnung eine Regelung, dass beim Fehlen entsprechender Prüfdaten bestimmte gefährliche Eigenschaften zu unterstellen sind (§ 6 Abs. 14). Dies gilt nach der jetzigen Verordnung für Stoffe und Gemische
- der Gefahrenklasse Akute Toxizität (oral, dermal und inhalativ) Kategorie 3,
- Ätz-/Reizwirkung auf die Haut Kategorie 2,
- Sensibilisierung der Haut Kategorie 1,
- Keimzellmutagenität Kategorie 2 oder
- Spezifische Zielorgan-Toxizität, wiederholte Exposition (STOT RE) Kategorie 2.
Hinsichtlich der Spezifizierung der anzuwendenden Einstufungskategorien sind die entsprechenden nach § 20 Absatz 4 Nummer 1 bekannt gegebenen Regeln und Erkenntnisse (das heißt der TRGS) zu berücksichtigen.
Das Verbot der Rückführung von abgesaugter Raumluft in den Arbeitsbereich nach § 10 Abs. 5 wurde jetzt auch auf reproduktionstoxische Stoffe der Kategorie 1A oder 1B ausgeweitet. Nach einer neuen Übergangsregelung in § 25 gilt dies ab dem 1. Januar 2019 auch hinsicht-lich der fruchtschädigenden Wirkungen von reproduktionstoxischen Stoffen oder Gemischen.
Aufbewahrung und Lagerung
Ein besonderes „Schmankerl“ hat sich der Verordnungsgeber allerdings mit den Regelungen zu § 8 Abs. 7 geleistet: Dieser Absatz enthält wie bisher die Regelungen zur Aufbewahrung von bestimmten Gefahrstoffen unter Verschluss, um Miss- sowie Fehlgebrauch zu vermeiden. Die Regelungen wurden in der Verordnung von 2016 an die CLP-Verordnung angepasst und dabei gegenüber den bisherigen Regelungen differenziert:
- Stoffe und Gemische, die als
- akut toxisch Kategorie 1, 2 oder 3,
- spezifisch zielorgantoxisch Kategorie 1,
- krebserzeugend Kategorie 1A oder 1B oder
- keimzellmutagen Kategorie 1A oder 1B
eingestuft sind, müssen unter Verschluss gehalten oder so aufbewahrt oder gelagert werden, dass nur fachkundige und zuverlässige Personen Zugang haben;
Tätigkeiten mit diesen Stoffen und Gemischen sowie mit reproduktionstoxischen (Kategorie 1A oder 1B) oder atemwegssensibilisierenden Stoffen und Gemischen dürfen nur von fachkundigen oder besonders unterwiesenen Personen ausgeführt werden.
Diese Regelungen gelten nicht für
- Kraftstoffe an Tankstellen oder sonstigen Betankungseinrichtungen sowie für
- Stoffe und Gemische, die als akut toxisch Kategorie 3 eingestuft sind, sofern diese vormals nach der Richtlinie 67/548/EWG oder der Richtlinie 1999/45/EG als gesundheitsschädlich bewertet wurden.
Zuverlässig oder besonders unterwiesen?
Nicht nur, dass diese Regelung durch die Differenzierung zwischen Aufbewahrung einerseits und Tätigkeiten andererseits unübersichtlicher wird als bisher, es stellt sich auch die Frage, worin in der praktischen Anwendung der Unterschied zwischen
- zuverlässigen und
- besonders unterwiesenen Personen
bestehen soll? Müssen die fachkundigen oder besonders unterwiesenen Personen, die Tätigkeiten mit diesen Stoffen ausführen, nicht zuverlässig sein? Was nützt es, wenn eine zuverlässige fachkundige Person, die Zugang zu den unter Verschluss aufbewahrten Stoffen (oder Gemischen) hat, diese dann einer zwar besonders unterwiesenen aber unzuverlässigen Person für Tätigkeiten überlässt?
„Rückgriff“ auf nicht mehr gültige Regelungen
Der eigentliche „Clou“ dieser Regelung ist aber die Ausnahme für Stoffe und Gemische, die als akut toxisch Kategorie 3 eingestuft sind, aber vormals nach der alten Stoffrichtlinie 67/548/EWG oder der Zubereitungsrichtlinie 1999/45/EG als gesundheitsschädlich bewertet wurden!
Abgesehen davon, dass eine Bezugnahme auf gar nicht mehr gültige Vorschriften schon rechtssystematisch äußert zweifelhaft ist, bedeutet dies doch in der Praxis, dass Anwender solcher Stoffe und Gemische die alten Einstufungen nach obsoletem EG-Recht aufheben müssen!
Mag dies bei bereits in Gebrauch befindlichen Produkten vielleicht noch möglich sein, so stellt sich doch die Frage, woher ein (nachgeschalteter) Anwender die frühere Einstufung eines Produktes kennen soll, das erstmals in seinem Betrieb verwendet wird? Er kann natürlich den Lieferanten fragen, wie dieses Produkt früher einmal eingestuft war; ist der Lieferant ein Händler, muss der womöglich beim Hersteller (gegebenenfalls in China?) nachfragen!
Was ist aber bei neu entwickelten Produkten, die niemals eine alte EG-Einstufung hatten? Muss ein Lieferant ein neues Produkt – entgegen der CLP-Verordnung – auch zukünftig noch nach altem EG-Recht einstufen? Schließlich ist er verpflichtet, dem Anwender alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die dieser zum Schutz seiner Mitarbeiter und zur Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten benötigt!
Praxisgerecht ist diese Regelung – offenbar ein „oberfauler“ Kompromiss bei den Beratungen zur neuen Verordnung – sicher nicht!
Hinzu kommt, dass für die in der Tabelle auf dieser Seite dargestellten Gefahrenklassen/Kategorien nach Anhang I der CLP-Verordnung für die Kennzeichnung der P‑Satz P405 „Unter Verschluss aufbewahren“ vorgesehen ist.
Man erkennt, dass für die Gefahrenkategorien
- Verätzung der Haut
- CMR-Stoffe Kategorie 3,
- Spezifische Zielorgan-Toxizität (einmalige Exposition) Kategorie 2
- Spezifische Zielorgan-Toxizität (einmalige Exposition); Reizung der Atemwege oder narkotische Wirkungen Kategorie 3 und
- Aspirationsgefahr
nach CLP zwar der P405 vergeben ist, die dort ausgedrückte Forderung jedoch in der neuen Gefahrstoffverordnung nicht (beziehungsweise für akut toxische Stoffe und Gemische Kategorie 3 nur teilweise) umgesetzt ist.
Auch wenn der P 405 nicht unbedingt auf jedem Kennzeichnungsschild von Gefahrstoffen mit den vorstehend genannten Eigenschaften erscheint – weil der Lieferant ggf. bei einer größeren Anzahl von einschlägigen P‑Sätzen höchstens die sechs wichtigsten auswählen soll – wird dies in der Praxis sicher zu Verunsicherung führen.
Immerhin ist aber positiv anzumerken, dass atemwegssensibilisierende Stoffe und Gemische nur von fachkundigen oder besonders unterwiesenen Personen verwendet werden dürfen.
Verwendungsbeschränkungen
Anhang XVII Nummer 6 der REACH-Verordnung betrifft die Herstellung und das Verwenden chrysotilhaltiger Diaphragmen für die Chloralkalielektrolyse in bestehenden Anlagen; die bisherige Frist „zum Ende ihrer Nutzung“ wurde 2016 auf den 1. Juli 2025 begrenzt. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Regelung bleiben unverändert bestehen.
In die Gefahrstoffverordnung von 2016 wurde jedoch eine Berichtspflicht an die Bundesstelle für Chemikalien bis zum 31. Januar eines jeden Kalenderjahres neu aufgenommen.
Die Anhänge der Verordnung
In den Anhängen der Gefahrstoffverordnung haben sich nur wenige Änderungen ergeben. So gilt für die Schädlingsbekämpfung nach Anhang I Nr. 4 nunmehr die Regelung, dass diese Vorschriften außer den dort explizit genannten Begasungsmitteln auch für Stoffe oder Gemische gelten, die als
- akut toxisch Kategorie 1, 2 oder 3 oder
- spezifisch zielorgantoxisch Kategorie 1
einzustufen und für diese Tätigkeiten zugelassen sind.
Im Übrigen bleibt die Verordnung derzeit inhaltlich unverändert.