Durch das 2018 novellierte Mutterschutzgesetz haben schwangere und stillende Frauen erstmals einen eindeutig formulierten rechtlichen Anspruch auf den Schutz der Gesundheit und eine Gleichstellung am Arbeitsplatz. Die betriebliche Realität sieht für die betroffenen Frauen aber dennoch häufig noch ganz anders aus, wie eine aktuelle DGB-Studie nahelegt. Wie aber könnte eine mütter- und familienfreundliche Arbeitsplatzgestaltung aussehen?
Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) legt fest, dass Mutter und Kind während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit besonders vor schädlichen Einwirkungen geschützt werden müssen, Mütter ihre Beschäftigung in dieser Zeit ohne Gefährdung ihrer Gesundheit oder der ihres Kindes fortsetzen können und Benachteiligungen während der Schwangerschaft, nach der Geburt und in der Stillzeit verhindert werden. 2018 wurde das Gesetz nach fast 70 Jahren novelliert und in diesem Zusammenhang auch die Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (MuSchArbV) geändert, neu strukturiert und erweitert. Wichtige neue Elemente der Regelwerke sind zum Beispiel das Verbot von zu langen Arbeitszeiten oder einer Kündigung aufgrund der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit in dieser Zeit. Das Mutterschutzgesetz ist bei seiner Novellierung zwar vollständig neu strukturiert, inhaltlich jedoch nicht grundlegend erneuert worden. Durch die neuen Regelungen haben schwangere und stillende Frauen jedoch erstmals einen rechtlichen Anspruch auf den Schutz der Gesundheit und eine Gleichstellung am Arbeitsplatz. Der diskriminierungsfreie Gesundheitsschutz war zwar schon vor der Novellierung im Mutterschutzgesetz und in der Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz formuliert, jedoch nicht ausdrücklich als Zielsetzung erklärt. Das Gesetz gilt für alle (werdenden) Mütter in einem Arbeitsverhältnis – also auch für Heimarbeiterinnen, Hausangestellte, geringfügig Beschäftigte und weibliche Auszubildende.
Mutterschutzgesetz sieht Gefährdungsbeurteilung und Arbeitsplatzgestaltung vor
Die wichtigsten Punkte des Gesetzes für den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz sollen an dieser Stelle nur kurz zusammengefasst werden. Der Arbeitgeber muss eine werdende oder stillende Mutter während der Schwangerschaft und nach der Entbindung so beschäftigen und ihren Arbeitsplatz einschließlich der Maschinen, Werkzeuge und Geräte so einrichten, dass sie vor Gefährdungen für die Gesundheit ausreichend geschützt ist. Bei einer im Vorfeld durchgeführten Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber dem besonderen Schutzbedarf der Frau und ihres Kindes Rechnung zu tragen. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber verpflichtet, die betroffenen Frauen, alle anderen Beschäftigten im Arbeitsbereich der schwangeren oder stillenden Mitarbeiterinnen sowie, wenn vorhanden, den Betriebs- oder Personalrat über die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung über die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen zu informieren, sobald das möglich ist. Dabei reicht eine formlose Unterrichtung aus. In der Folge sind die betroffenen Arbeitsplätze und Arbeitsprozesse entsprechend der Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung umzugestalten. Insbesondere dürfen Tätigkeiten mit gefährlichen Substanzen oder Arbeiten, bei denen schwer gehoben werden muss, von den Frauen nicht mehr durchgeführt werden. Dies trifft auch auf Arbeiten mit Dämpfen, Erschütterungen, Lärm, Kälte, Hitze oder Nässe zu.
Eines der wichtigsten Rechte einer Schwangeren oder stillenden Mutter – und damit auch die vielleicht wichtigste Anforderung an die Arbeitsplatzgestaltung – ist das Recht, die Arbeit zwischendurch kurz zu unterbrechen und sich auszuruhen. Hierfür muss der Arbeitgeber der Frau einen Ruheraum zur Verfügung stellen, der besondere Anforderungen erfüllen muss.
Die Befunde der DGB-Studie
Soweit zur Theorie. Wie aber sieht es in der betrieblichen Praxis aus? Ein Evaluationsbericht der Bundesregierung, der Ende Juni 2022 veröffentlicht wurde, urteilte positiv über die Gesetzesnovelle und kam zu dem Fazit, dass die Reform durch die befragten Betriebe „in hohem Maße wahrgenommen“ werde. Auch lägen in immerhin einem Drittel der befragten Betriebe mutterschutzspezifische Gefährdungsbeurteilungen vor. Erste wertvolle Informationen aus der Betroffenenperspektive lieferte eine im Mai veröffentlichte Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit dem Titel „Erfahrungen mit dem Mutterschutz am Arbeitsplatz“, welche die Novellierung teilweise deutlich kritischer beurteilte als der Bericht der Bundesregierung.
Im Rahmen einer Online-Befragung konnten Daten von insgesamt 1.193 Teilnehmerinnen erhoben und analysiert werden, die seit dem 30.06.2018 ein Kind geboren haben oder zum Zeitpunkt der Erhebung schwanger waren, während ihrer Schwangerschaft in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis standen und ihre Schwangerschaft bereits im Betrieb mitgeteilt hatten. Zunächst die gute Nachricht: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das neue Mutterschutzgesetz aus Sicht der Schwangeren und stillenden Arbeitnehmerinnen deutlich mehr Schutz bietet, als es in der vor 2018 geltenden Fassung der Fall war. Durch die Novellierung entspräche es aus Sicht der Informantinnen viel stärker als früher dem zeitgemäßen Leitbild einer gleichberechtigten Erwerbsbeteiligung von Frauen. Diese unter dem Strich positive Bilanz relativieren die Studienautoren aber mit einem Hinweis auf den sozialen Hintergrund der Befragten. Denn ein großer Teil der befragten Frauen war hochqualifiziert, in Deutschland geboren, Gewerkschaftsmitglied und zu einem Großteil auch gutverdienend, also nicht repräsentativ für die Gesamtheit der beschäftigten Mütter und Stillenden.
Defizite und Pflichtverstöße gegen das novellierte Mutterschutzgesetz
Trotz der positiven Gesamtbilanz und des relativ privilegierten sozialen Hintergrundes vieler Informantinnen berichten immer noch viele Frauen von gravierenden Defiziten und Pflichtverstößen in ihren Unternehmen. Wichtige Kritikpunkte waren:
- Nicht einmal der Hälfte der Schwangeren wurde nach der Meldung der Schwangerschaft von den Arbeitgebern das gesetzlich vorgesehene gemeinsame Gespräch angeboten, in dem etwaige Besonderheiten der Schwangerschaft, die individuellen Bedarfe und Bedürfnisse der Frauen und gegebenenfalls erforderliche Schutzmaßnahmen im Kontext der konkreten Arbeitsplatzbedingungen besprochen werden müssten.
- Weiterhin wurde bei mehr als jeder dritten Schwangeren die Verpflichtung zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung zum Schutz der Gesundheit der Frau und des Kindes am Arbeitsplatz ignoriert (35 Prozent).
- Nur bei einer knappen Mehrheit der Befragten wurden Schutzmaßnahmen seitens der Arbeitgeber ergriffen (54 Prozent).
- Dort, wo Gefährdungsbeurteilungen stattfanden und ein Betriebsrat bzw. Personalrat vorhanden war, wurde dieser nur in jedem vierten Fall eingebunden.
- Mehr als der Hälfte der Befragten stand kein Ruheraum zur Verfügung, und fast vier von zehn der Befragten hatten keine (räumlichen oder arbeitsorganisatorischen) Möglichkeiten, sich jederzeit unter geeigneten Bedingungen ausruhen zu können.
Schwangerschaft immer noch Abweichung von der Norm
Die angeführte DGB-Studie kommt zu dem Schluss, dass Schwangere und stillende Arbeitnehmerinnen in der Arbeitswelt auch heute noch als Abweichung von der Norm wahrgenommen werden. Auf Grund der steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen wird eine Schwangerschaft in Zukunft, so sind die Studienmacher jedoch sicher, noch viel häufiger ein Teil der Arbeitswelt sein und die Gleichzeitigkeit von Schwangerschaft/Geburt und eigener Erwerbssituation den betrieblichen Alltag immer häufiger prägen. Sie fordern, dass sich deshalb vor allem in den Köpfen der Verantwortlichen und Vorgesetzten, mitunter auch in der Wahrnehmung der betrieblichen Interessenvertretungen und in den Köpfen der Kollegen und Kolleginnen, noch viel ändern müsse. Ob dies alles in naher und mittlerer Zukunft in Deutschlands Unternehmen angesichts der aktuellen politischen „Zeitenwende“ und den damit zusammenhängenden schwieriger werdenden ökonomischen Voraussetzungen für die Betriebe zu realisieren ist, mag allerdings fraglich erscheinen.
Wichtigste Regelungen des Mutterschutzgesetzes
Der Arbeitgeber hat neben der Einrichtung eines Ruheraumes insbesondere folgende Regelungen zu beachten:
- Eine Kündigung ist während der Schwangerschaft sowie in der Regel bis vier Monate nach der Entbindung oder nach einer Fehlgeburt (nach der zwölften Schwangerschaftswoche) unzulässig.
- Schwangere dürfen sechs Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin nicht mehr arbeiten.
- Auch innerhalb von acht Wochen nach der Geburt gilt ein Beschäftigungsverbot. Diese Frist kann sich nach der Geburt von Mehrlingen oder eines behinderten Kindes auf zwölf Wochen verlängern.
- Freigestellt können Schwangere nur werden, wenn der Betrieb sie nicht genügend vor Gefahren schützen kann.
- Frauen sind für Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft sowie für Stillzeiten während der ersten zwölf Monate nach der Geburt freigestellt.
- Nachtarbeit zwischen 20 Uhr und sechs Uhr ist verboten. Ausnahmen können bei der jeweils zuständigen Behörde beantragt werden.
- Auch Sonn- und Feiertagsarbeit ist untersagt. Ausnahmen gibt es in bestimmten Branchen, etwa für Beschäftigte in Gastronomie und Hotellerie.
Autor:
Dr. Joerg Hensiek
Fachautor