Bei der Gefährdungsbeurteilung für das Arbeiten an und in der Nähe elektrischer Anlagen müssen neben der Gefährdung durch elektrische Körperdurchströmung („elektrischer Schlag“) und den Gefährdungen durch hohe elektrische und magnetische Felder die Gefährdungen durch Störlichtbögen berücksichtigt werden. Der Anteil der Störlichtbogenunfälle an den jährlich mindestens 650 im Versicherungsbereich der BG ETEM gemeldeten Stromunfällen liegt unter 20 Prozent.1
Ein Störlichtbogen ist ein unbeabsichtigtes beziehungsweise ungewolltes Lichtbogenereignis, das im Unterschied zu technischen Lichtbögen (zum Beispiel Schaltlichtbogen) unkontrollierte Auswirkungen hat. Von einem Störlichtbogen gehen verschiedene Effekte aus, die zu einer Gefährdung von Personen in unmittelbarer Nähe des Störlichtbogens führen. Das sind:
- Kraftwirkungen auf die Umgebung,
- Schallwirkungen,
- Pyrolyseprodukte,
- extreme Lichtintensität,
- thermische Wirkungen der Plasmasäule, heißer Gase und geschmolzener Metallpartikel.
Hinsichtlich der persönlichen Schutzmaßnahmen hat man sich auf die thermischen Wirkungen des Störlichtbogens konzentriert, weil von diesen mit höherer Wahrscheinlichkeit irreversible bis tödliche Verletzungen ausgehen. Daher stammt auch die Definition von PSAgS:
- persönliche Schutzausrüstung gegen die thermischen Auswirkungen eines Störlichtbogens.
Die Schwere der Auswirkungen eines Störlichtbogens ist prinzipiell abhängig von der im Störlichtbogen umgesetzten Lichtbogenenergie sowie von der flächenbezogenen Einwirkenergie des Störlichtbogens, die im Falle eines Störlichtbogenunfalls auf die zu schützende Person wirkt. Je größer diese Energien sind, desto größer ist die Gefahr schwerer Verbrennungen.
Daraus resultieren die TOP-Maßnahmen zur Reduzierung der Störlichtbogengefahr. Bei diesen Maßnahmen muss unterschieden werden zwischen:
- Maßnahmen zur Vermeidung der Entstehung von Störlichtbögen (zum Beispiel Einsatz moderner Anlagen mit maximalem Berührungsschutz, regelmäßige Prüfung, Wartung und Reinigung elektrischer Anlagen, Einsatz von qualifiziertem und regelmäßig unterwiesenem Personal)
- Maßnahmen zur Verringerung der Lichtbogenenergie (Verringerung von Kurzschlussstrom und Kurzschlussdauer)
- Maßnahmen zur Verringerung der Einwirkenergie (Einsatz von Systemen zur Lichtbogenerkennung und ‑abschaltung, Einsatz von geschotteten und lichtbogensicheren Anlagen, Einhaltung von Schutzabständen, Tragen von PSAgS)
Da insbesondere die technischen Maßnahmen in vielen Fällen kurz- und mittelfristig nicht wirtschaftlich umgesetzt werden können, ist der Einsatz von PSAgS für den Großteil des elektrotechnischen Personals von leistungsstarken Energieversorgungsanlagen relevant.
Einsatz von PSAgS
Prinzipiell müssen bei der Beurteilung der Störlichtbogengefährdung alle Arbeiten berücksichtigt werden, die an oder in der Nähe einer offenen Anlage, deren spannungsfreier Zustand noch nicht her- oder sichergestellt wurde, mit direktem Kontakt zur Anlage durchgeführt werden. Das können unter anderem
- Schalthandlungen,
- Abdeckarbeiten,
- Arbeiten unter Spannung (AuS),
- Messen und Prüfen beziehungsweise der Einbau von Mess- und Prüfeinrichtungen oder der
- Einbau von Erdungs- und Kurzschließgarnituren
sein.
Für den Einsatz von PSAgS sind alle Anlagen relevant, in denen ein stabiler Fehlerlichtbogen entstehen kann. Diese Bedingungen werden von dem Großteil der Niederspannungs-(NS)-Anlagen und von allen Mittelspannungs-(MS)-Anlagen in der öffentlichen und industriellen Energieversorgung erfüllt. Aber auch das Arbeiten an leistungsstarken Batterieanlagen (zum Beispiel in der Elektromobilität) wird für PSAgS immer relevanter.
Aufgrund der oben aufgeführten Tätigkeiten und Anlagen wird deutlich, dass jede Person, die diese Tätigkeiten durchführt, PSAgS benötigt. Der Personenkreis ist demnach nicht nur auf das Personal beschränkt, welches anweisungs- und ausbildungspflichtige Arbeiten unter Spannung (AuS) durchführt!
Ausführung und Prüfung von PSAgS
PSAgS besteht grundsätzlich mindestens aus einem Gesichtsschutz, Handschutz und der Bekleidung. Um die Akzeptanz von PSAgS durch den Nutzer zu erhöhen, sollten Hersteller neben den normativen und wirtschaftlichen Anforderungen insbesondere die ergonomischen Anforderungen an die PSAgS umsetzen.
Die grundsätzlichen Anforderungen an die PSAgS und die Prüfungen zum Nachweis der Umsetzung der Anforderungen sind in den zugehörigen Produktnormen beschrieben. Der Infokasten (siehe unten) fasst die Anforderungen zusammen, die an die PSAgS gestellt werden.
Die wichtigste Eigenschaft einer PSAgS ist der Schutz des Nutzers vor den thermischen Gefahren des Störlichtbogens. Die Umsetzung dieser Anforderungen muss entsprechend der Produktnorm oder dem Prüfgrundsatz in einem standardisierten Versuchsaufbau nachgewiesen werden. Dabei sind grundsätzlich zwei Dinge nachzuweisen:
- Lichtbogenbeständigkeit des Produkts (kein Nachbrennen; keine Lochbildung; Funktionalität der Schließmechanismen, zum Beispiel Reißverschluss)
- Begrenzung des Wärmedurchgangs zur Vermeidung von Verbrennungen zweiten Grades
Weltweit existieren zwei unterschiedliche genormte Tests zur Bestimmung des Schutzniveaus von PSAgS. Während in Europa und Deutschland der sogenannte Box-Test zur Anwendung kommt, wird darüber hinaus der Open-Arc-Test genutzt. Aufgrund der sich stark unterscheidenden Prüfparameter können die Ergebnisse beider Prüfverfahren nicht ineinander umgerechnet werden.2 Für den Nutzer ist es wichtig zu erkennen, dass das Verfahren zur Auswahl des Störlichtbogenschutzniveaus der PSAgS direkt mit dem Prüfverfahren verknüpft ist. Für das in Deutschland genutzte Auswahlverfahren der DGUV Information 203–077 „Thermische Gefährdung durch Störlichtbögen“ ist der Box-Test das grundlegende Prüfverfahren.
Die Auswahl der Störlichtbogenschutzklasse der PSAgS mit der DGUV Information 203–077 ist Inhalt des zweiten Teils dieses Fachbeitrags.
1 Vgl. www.bgetem.de, Webcode 12853537 (abgerufen am 05.03.2019) und Jühling, J.: Elektrounfälle in Deutschland. FfE-Fachtagung, 2005.
2 D. Borneburg, H. Walter, F. Wachholz, J. Vogler, H. Eichinger, „Betrachtungen zu Prüfverfahren zur Überprüfung der Schutzwirkung von PSA gegenüber Lichtbogeneinwirkungen“, ICOLIM 2008.
Autor: Dr.-Ing. Thomas Jordan
Forschung und Entwicklung, BSD Bildungs- und Servicezentrum GmbH
t.jordan@bsd-dresden.de
Anforderungen an PSAgS
- Schutzbekleidung
- Ausführungen: zum Beispiel Bundhose, Latzhose, Bundjacke, Langarm-Shirt, Hemd, Overall, Überziehbekleidung (Jacke und Hose), Schaltmantel, Wetterschutzparka
- Normative Anforderungen: EN 61482–2:2009 (sehr häufig als Multinormbekleidung in Verbindung mit anderen Schutzfunktionen)
- Ergonomische Anforderungen: Tragekomfort (Webart und Faserzusammensetzung, Gewicht), Atmungsaktivität, Nutzbarkeit (zum Beispiel Anzahl Taschen)
- Wirtschaftliche Anforderungen: Lebensdauer, Waschbarkeit, Preis
- Gesichtsschutz
- Ausführungen: Gesichtsschutz für Helmmontage, Helm mit integriertem Gesichtsschutz, Gesichtsschutzhaube (mit oder ohne Helm), Schutzbrille in Verbindung mit Kopfschutzhaube (Balaclava)
- Normative Anforderungen: EN 166:2001 in Verbindung mit GS-ET-29:2010
- Ergonomische Anforderungen: Tragekomfort (Gewicht, Farbwiedergabe der Visierscheibe, Luftaustausch bei Gesichtsschutzhauben), Adaptierbarkeit an verschiedene Helmtypen
- Wirtschaftliche Anforderungen: Lebensdauer, Preis
- Handschutz
- Ausführungen: Schalthandschuh (Leder- oder Ledertextilhandschuh), textiler Unterziehhandschuh für isolierende Handschuhe, isolierende Handschuhe mit Störlichtbogenschutz
- Normative Anforderungen: EN 407:2004 oder EN 60903:2004 jeweils in Verbindung mit GS-ET 42:2019
- Ergonomische Anforderungen: Tragekomfort (Feinfühligkeit, Feuchtigkeitsregulierung)
- Wirtschaftliche Anforderungen: Lebensdauer, Preis